Juli 1992

  • 31.07.92

    Jacques Derrida rührt in seinen Erörterungen über den „mystischen Grund der Autorität“ („mystisch“ im Sinne Wittgensteins) an den Grund des Dezisionismus („Gesetzeskraft“, S. 53ff), dessen Folgen Christian Graf Krockow schon vor Jahren anhand der Texte von Heidegger, Schmitt und Jünger genauestens beschrieben hat.
    Nachdem er vorher sich auf Wittgenstein bezieht, benutzt D. den Begriff des Mystischen später (S. 77ff) zur Bestimmung des Grundes der Gewalt. Darin manifestiert sich eine zentrale logische Konsequenz. Mystisch heißt der Bereich, in den die Argumentation nicht mehr hereinreicht: der gemeinsame Ursprung des Dezisionismus und der Gewalt. Das reale Thema ist nicht der „mystische Grund der Autorität“, sondern der mythische Grund der Gewalt; und vor diesem Hintergrund ließe sich vielleicht die „göttliche Gewalt“ tatsächlich anders – und möglicherweise genauer – bestimmen.
    Erstaunlich, daß bei dem erreichten Stand der Benjamin-Philologie niemand bereit oder in der Lage ist, den Grund der mit Händen zu greifende Fehlinterpretation der Benjaminschen Untersuchung „Zur Kritik der Gewalt“ durch Derrida zu benennen. Er liegt an dem gleichen Punkt, an dem Derrida am Begriff der Entscheidung (s.o.) seinen „Vorbehalt gegen alle Horizonte“ erläutert, „etwa gegen den der regulativen Idee Kants oder gegen den des messianischen Ereignisses, des messianischen Kommens“ (S. 53). Dieser Vorbehalt ist einer gegen die Idee der Geistesgegenwart, die in der Tat nicht zu halten ist, solange Philosophie zurückschreckt vor der Selbstreinigung, der sie zwangsläufig sich unterwerfen muß, wenn sie sich auf die Kritik der Naturwissenschaften einläßt. Ohne die Kritik der Naturwissenschaften ist aber die (messianische) Kritik der Vorstellung einer homogenen Zeit nicht mehr zu leisten. Es beweist das Ingenium Derridas, wenn er mit dem Hinweis auf die regulative Idee Kants und das messianische Element in Benjamins Werk genau die Punkte benennt, an denen es sich entscheidet, ob Geistesgegenwart noch denkbar und möglich ist.
    „Als Erfahrung der absoluten Andersheit ist die Gerechtigkeit undarstellbar“ (S. 57): Dieser Satz, der die Postmoderne mit so unterschiedlichen Denkern wie Horkheimer und Karl Barth verbindet, verdankt sich der Verwechslung des Andern mit dem Fremden. Das (und auch der) Andere ist Teil (wenn nicht Grund) des Systems (vgl. den für die gesamte Philosophie zentralen Satz der hegelschen Logik: das Eine ist das Andere des Anderen, und Rosenzweigs Hinweis auf die „verandernde Kraft des Seins“), erst der Fremde (der unaufgelöste Name der Barbaren und die Erinnerung an die Herbräer) sprengt das System (sprengt die erkenntnisbindende Gewalt des Natur- und Weltbegriffs), er ist ohne Rückgriff auf die Theologie: ohne die Idee der Schöpfung (Kritik des Weltbegriffs) und der Auferstehung der Toten (Kritik des Naturbegriffs) nicht zu halten. Und „billiger“ ist auch der Begriff der Geistesgegenwart nicht mehr zu haben (Zusammenhang mit Benjamins Definition des Kapitalismus als „Kult ohne Dogma“).
    Der Andere ist nicht der Fremde (zur Prophetie gehört neben dem Votum für die Armen das für den Fremden, nicht jedoch das für den Anderen; die Hebräer lebten als „Fremde im Lande“), das Andere ist systemimmanent, der Fremde (wie der Arme und das Antlitz) transzendent.
    D. setzt die Differenz zwischen „dem Nationalen und dem Internationalen, dem Öffentlichen und dem Privaten“ (S. 58) auf eine Stufe (nach dem Außen-/Innen-Pardigma, zu dem die Kategorie des Anderen gehört); er hat die Bedeutung des Antlitzes bei Levinas offensichtlich nicht verstanden (allerdings scheint auch Levinas die Differenz des Antlitzes zum Außen/Innen-Schema nicht realisiert zu haben: zum Antlitz gehört als Korrelat nicht das Außen, sondern das Hinter dem Rücken; erst diese Unterscheidung begründet die Ethik als prima philosophia).

  • 30.07.92

    Das Ganze ist das Unwahre. Dann schließt allerdings die Idee der Wahrheit die Unabgeschlossenheit der Vergangenheit: die Idee der Auferstehung der Toten, mit ein. Und die Toten werden unsere Richter sein.
    Die Pharisäer und die Sadduzäer unterschieden sich u.a. durch ihr Verhältnis zur Lehre von der Auferstehung der Toten. Droht nicht heute der Kirche die Gefahr, sadduzäisch zu werden (die Griechen leugneten die Idee der Schöpfung, der vollendete Kapitalismus die der Auferstehung von den Toten; das Judentum gründet in der Schöpfungsidee, das Christentum in der Auferstehungsbotschaft)? Und welche Bedeutung hat dann die Magd des Hohepriesters in der Geschichte der drei Leugnungen? Ist die erste Leugnung die opfertheologische Interpretation des Kreuzestodes und der Auferstehung?
    Hängt die Lehre von der Auferstehung der Toten mit der Geschichte von den sieben unreinen Geistern zusammen (Maria Magdalena, die erste Zeugin der Auferstehung)?
    Ist das nicht ein ungeheures Bild: die Frauen, die zum Grabe eilen, um den Leichnam des Gekreuzigten zu salben, ihm als Opfer die messianische Würde zu geben; und sie finden das Grab leer.
    Gibt es einen Unterschied zwischen dem johanneischen Passionsbericht (ohne Abendmahl) und den Passionsberichten der Synoptiker, insbesondere im Hinblick auf Frauen (die am Abendmahl nicht teilnehmen)?
    Hängt der Dualis, überhaupt die Vorstellung des Paares, mit einer Geschichtsphase zusammen, in der die Unterscheidung von Rechts und Links noch erheblich war? Und verweist das Ende des Buches Jonas (… die Rechts und Links nicht mehr unterscheiden können) nicht auf das Verschwinden des Dualis? Diese 120000 sind die, die glauben, sich selbst im Spiegel zu sehen, und nicht begreifen, daß sie sich spiegel-, d.h. seitenverkehrt sehen. Und ist das nicht der Inhalt des Reflexionsgesetzes, das der Hegelschen Logik zugrundeliegt: das Eine ist das Andere des Anderen? Aber ich sehe mich im Spiegel eben nicht so, wie die anderen mich sehen. Es ist das gleiche Reflexionsgesetz, das die Philosophie an die Ontologie bindet. Aus dem gleichen Grunde verfängt sich die Husserlsche Intentionalität in ihren eigenen Verstrickungen. Die Wahrheit ist niemals Gegenstand intentionaler Akte (vgl. 1 Kor 1312 und Jak 123). Die Folgen des Verschwinden des Dualis sind an der kantischen transzendentalen Logik ablesbar, es sind die Folgen, die aus der Hypostasierung des Raumes (die auch in der Gestalt der transzendentalen Ästhetik sich erhält) sich ergeben.
    Hegels Philosophie erhebt den Anspruch, nicht über der Sache, sondern in der Sache zu sein; aber in der Sache unterliegt sie der Gewalt der Reflexionsbegriffe, wird sie gleichsam seitenverkehrt. Darum ist sie eine Weltphilosophie und eine Philosophie des Weltgerichts.
    Als „subjektive Form der äußeren Anschauung“ hat Kant den Raum zugleich kritisierbar und unkritisierbar gemacht.
    Bezeichnet die kantische Unterscheidung von Welt- und Schulphilosophie das Verhältnis von protestantisch-bürgerlichem zum katholisch-feudalen Wissenschafts- und Philosophie-Verständnis?
    Schließt der Dualis und die Unterscheidung von Rechts und Links auch die Unterscheidung von Zukunft und Vergangenheit (oder auch von Himmel und Erde) mit ein? Der Dualis wird verdrängt in der Geschichte der Universalisierung der Welt.
    Der „Stern der Erlösung“ ist ein archäologisches Werk; darauf verweist vor allem der Rosenzweigsche Begriff der Vorwelt (und der des Mythos). Es käme heute darauf an, das archäologische Element auch an der Psychoanalyse zu begreifen, sie von ihrem „psychologischen“ Bann (aus dem Bann des Privaten) zu befreien: zu begreifen, daß die Verdrängung und der Begriff des Unbewußten nicht nur auf das psychologische Innere sich beziehen, sondern einen realen objektiven Anteil haben.
    Verdankt sich der indische Frauenmord der Verschmelzung der Friedmanschen Ökonomie mit vorkapitalistischen Religionsresten (Zusammenhang mit dem Ursprung der Fundamentalismen)? Hier bestätigt sich die Benjaminsche These, der Kapitalismus sei ein reiner Kult ohne Dogma: der reinste Opferdienst, der wegen seiner „Ideologiefreiheit“ sich mit allen Religionsformen verbinden kann, allerdings um den Preis ihrer Wahrheit. Ich glaube, die Kapitalismuskritik beginnt erst, sie ist nicht zu Ende. Nur war sie untauglich als Ideologie.
    Der moderne Bekenntnisbegriff entspringt genau an der Stelle, die Walter Benjamin bezeichnet hat, wenn er den Kapitalismus einen reinen Kult ohne Dogma genannt hat: es ist eine Leerstelle. Hier wird jede Religion, die auf die Kapitalismus-Kritik verzichtet, fundamentalistisch.
    Kriegszeiten sind Bekenntniszeiten: Der kalte Krieg wurde eingeleitet durch die MacCarthy-Ära, in der Bundesrepublik durch den Radikalen-Erlaß. Und die Bildzeitung hat es auf den Punkt gebracht, wenn sie die Frage, woran Eltern erkennen können, ob ein Kind in der Gefahr steht, Terrorist zu werden, damit beantwortet: Wenn es sich zu sehr um Gerechtigkeit kümmert. Die Terrorismus-Fahndung folgte immer schon der Methode: Haltet den Dieb. Sie selber ist der Terrorismus, den sie verfolgt, und dessen sie aus eben diesem Grunde nie habhaft wird.
    Die Blasphemie, die in der Bekenntnisforderung des Staates steckt, wird von den Kirchen deshalb nicht erkannt, weil sie selber die Erfinder, ersten Anwedner und ersten Nutznießer dieses blasphemischen Bekekenntnisbegriffs waren. Dieser Bekenntnisbegriff besetzt genau die Stelle, an der das wirkliche Bekenntnis real werden könnte: die benennende Kraft der Sprache. Es ist dieser Bekenntnisbegriff, der den Namen des Sohnes und mit ihm den Ursprung des Parakleten leugnet.
    Der liberale Ideologiebegriff entspricht genau der Benjaminschen Definition des Kapitalismus als Kult ohne Dogma. Jede Gestalt der Lehre wird angesichts dieses Kults zur Ideologie.
    Was muß erst passieren, bis auch die Kirchen begreifen, daß der „Sieg über den Kommunismus“ die bestehenden Probleme nicht gelöst, sondern nur verschärft hat, und daß eine der Triebkräfte, die zur Brutalisierung der Versuche, die ungelöstem Probleme zu lösen, geführt haben, in der blinden Regression der Rückkehr zu den traditionellen Religionen liegt. Der Jugoslawien-Konflikt sollte eigentlich auch die beteiligten Kirchen (u.a. die katholische) an ihre Mitschuld erinnern.
    Sind die lutherische Rechtfertigungslehre und das hobbessche „homo homini lupus“ nicht zwei Seiten ein und derselben Sache? Und richtet sich dagegen nicht auch das Wort: „Seht ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe …“
    Die kirchliche Lehre von den Schafen und der Weideauftrag an Petrus (Joh 2115ff) werden sinnvoll und verständlich nur vor dem Hintergrund des Deuterojesaias, der Gottesknechts-Kapitel, und von Joh 129.
    Zum Verständnis der Lehre vom corpus Christi mysticum: Wer wird im liturgischen „agnus dei, qui tollis peccata mundi“ angesprochen: Christus oder nicht doch jeder Christ?
    Zum messianisch-parakletischen Element in der Einsteinschen Relativitätstheorie:
    – sie verleiht dem Inertialsystem (dem logisch-mathematischen Zentrum der gesamten naturwissenschaftlichen Aufklärung) eine Exzentrizität, sie rückt es aus dem erkenntnistheoretischen Zentrum, in das es die kantische Erkenntniskritik (die Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung) gebracht hat, heraus.
    – Offen bleibt jedoch die Beziehung zu dem theoretischen Bereich, auf das die allgemeine Relativitätstheorie sich bezieht, die Gravitation. Ist hier nicht eine Lösung denkbar, die auch die zentralen Konstanten (die Lichtgeschwindigkeit und die Gravitationskonstante) in einen Beziehung wechselseitiger Abhängigkeit rückt, ihnen den Charakter der Konstanten nimmt.
    Zum solaren Mythos: Ist nicht auch das Matriarchat eine männliche Erfindung?
    Zum Begriff der arche und zum Thales’schen Satz „Alles ist Wasser“: Bezeichnet nicht der Begriff der arche die bis heute unaufgelöste, aber aufzulösende Bindung von Ursprung und Herrschaft (Schuld und Schicksal, das Wasser als realmythische Symbol)? Und worauf beziehen sich dann die paulinischen Archonten (die Herrschaften und Mächte)?
    Hängt der Stich in die Seite beim Kreuzestod Jesu mit der Erschaffung Evas (aus der Seite Adams) zusammen?
    Ist die Maria Magdalena-Geschichte insgesamt prophetisch, und bezieht sich die Geschichte mit den sieben unreinen Geistern auf die Kirche (als Korrelat zur Leugnungs-Geschichte)?

  • 28.07.92

    Zum Schatten, den Auschwitz wirft, gehören auch die Naturwissenschaften. Und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist das erste Moment der Kritik, in dem eine Ahnung des Lichts (des ersten Schöpfungstages) wieder erscheint.
    Mit dem Licht ist auch das Im Angesicht und Hinter dem Rücken erschaffen.
    Hängen „fehlen“ uns „befehlen“, die sich allerdings in der Deklination unterscheiden (fehlte, befahl), etymologisch mit einander zusammen? Woher stammt der Begriff des Imperativ (imperare, Imperialismus)? Im Hebräischen gibt es den Jussiv; hängt das mit jus (Recht) und jurare (schwören) zusammen? Der Schwur und das Recht sind ohnehin vom Ursprung her verbundene Begriffe (Zeugenschaft, Vertrag – vgl. den Schwur in der Bibel – und Beweislogik). Wie verhält sich der Eid zur transzendentalen Logik und Ästhetik (als Zeugen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis im erkennenden Subjekt selber; als Schwur, den das Subjekt sich selber leistet)?
    Wenn es zum Verständnis der Präfixe Schlüsselworte gibt, dann gehört zum be- (bekennen, befehlen) das Beschuldigen.
    Das „Seid arglos wie die Tauben“ ist das eigentlich antiparanoische Element in der Theologie. Es gehört zusammen mit dem Gebot der Feindesliebe.
    Fällt das Abendmahl, das er nur mit seinen Jüngern (die bei seiner Kreuzigung flohen) und nicht mit den Frauen (die unterm Kreuze und am Grabe waren) hielt, in die Tradition des Fluchs über Adam? Wie verhält sich dazu Johannes (der als einziger mit unterm Kreuze steht): da fehlt das Abendmahl, statt dessen wäscht er den Jüngern die Füße (nachdem ihm zuvor die „stadtbekannte Sünderin“ die Füße gesalbt hatte).
    Mit dem Ursprung des begrifflichen Denkens hat sich die Paranoia im Denken eingenistet, mit den Nebeneffekten der Sexualmoral und des Materiebegriffs, der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Die Paranoia hat seit je dazu gedient, den Herren ein gutes Gewissen zu geben, das Herrendenken zu stabiliseren. Die Wirkungen der Exkulpationsmechanismen gingen zu Lasten des Objekts. Die Furcht des Herrendenkens vor dem Materialismus war begründet in der Furcht, daß in Begriff und Struktur der Materie einmal die Projektion erkennbar würde, die das Herrendenken begründet.
    Materialismus und Paranoia, oder Materie und Exkulpationstrieb.
    Das Wachstum und die Sterblichkeit des Lebendigen ist der Beweis für die objektive Realität des Inertialsystems.
    Der Begriff des „kommenden Gottes“ (T.R.Peters) sollte durch Heidegger eigentlich obsolet geworden sein.
    Hängt das „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Luk 2334) mit dem postapokalyptischen Ende des Jonasbuches zusammen („… die Rechts und Links nicht unterscheiden können“)? Wie verhält sich dieses Luk 2334 zu der christlichen Ermächtigung, die Sünden zu vergeben, und zur Lösung des Gebundenen?
    Tiemo Rainer Peters (S. 119f „Verzeiht Gott alles“): Worum geht es hier eigentlich, um mein Seelenheil oder um die Rettung und Erlösung der Welt? Das „Prinzip Gnade vor Recht“ wäre doch wohl etwas anderes als das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Die Frage „Verzeiht Gott alles“ ist falsch gestellt, sie ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob ich sie auf mich oder auf andere beziehe, so wie grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen den Grundsätzen des Handelns (vor dem Handeln) und den Kriterien des Urteils (nach dem Handeln). Das ist eine Konsequenz aus der Nachfolge, der Übernahme der Sünde der Welt. Das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ macht einen absoluten Unterschied zwischen der Selbstbeurteilung und dem Urteil über andere. Die Frage „Verzeiht Gott“ ist islamisch, nicht christlich; Indiz der frühen „Islamisierung“ des Christentums.
    Heideggers „Haus des Seins“: die letzte Erinnerung an Pharao und den Tempel?
    Die drei Leugnungen lassen sich aus der Geschichte der Beziehung des Christentums zur Philosophie herleiten: Die Gnosis wie die nachfolgende Geschichte der Häresien ist eine Folge des Urschismas (der ersten Leugnung: Leugnung des Vaters): der Rezeption der griechischen Philosophie (des Weltbegriffs), des Verzichts auf Kritik des Staates (der im gnostischen Demiurgen realistisch entstellt wiederkehrt); und sie ist ein Nebenprodukt des Ursprungs der christlichen Sexualmoral (die sich wie der Weltbegriff dem Verzicht auf Staatskritik verdankt). Hegels Philosophie, in der sich der durchs Urschisma ausgelöste Prozeß vollendet, ist der Beginn der dritten Leugnung (Leugnung des Heiligen Geistes; sie macht die Welt zum Subjekt der Wahrheit, die die Theologie gleichsam von innen aufzehrt, so zu ihrer Parodie wird).

  • 25.07.92

    Nicht nur im Symbol des Taumelkelchs, sondern davor bereits in dem des Baums der Erkenntnis (der Erkenntnis des Guten und Bösen) findet die Philosophie ihre Stelle in der Prophetie.
    „Zum gemeinsamen Ursprung von moralischer Rechtfertigung und ästhetischer Lust“: Mit diesem Untertitel erschien in der FR vom 14.07.92 ein Beitrag von Birgit Recki, der leider das Versprechen dieses Untertitels nicht einlöste. Es wäre Anlaß gewesen, den Begriff des Ästhetischen, der die kantischen Formen der Anschauung genau so abdeckt wie den ganzen Bereich der Kunst, so auf seine systematischen Konnotationen (und auf seine Beziehung zum Bereich der Erkenntnis und des Wissens) hin zu prüfen und zu begreifen, daß in der Tat das Bedürfnis nach moralischer Rechtfertigung, der Exkulpationstrieb und damit diese besondere Beziehung zur Schuld Grund jedes Ästhetischen ist und seine Beziehung zur Wahrheit bestimmt.
    Wenn Goethe sich als „Weltbürger“ verstand, so sollte in diesem Namen weniger der politische Sinn (die Distanz zur eigenen Nation) als vielmehr der theologische mit gehört und verstanden werden: der antiparakletische, zutiefst heidnische Sinn des goetheschen Selbstverständnisses.

  • 24.07.92

    Der Gedanke an den Tod wird dadurch nicht schwerer, daß auch ich sterben muß, und er wird nicht leichter, weil auch alle anderen sterben müssen.
    Der gewöhnliche Faschismus, das ist dieses Sich-weg-Ducken, der Gedanke, Hauptsache, es trifft nicht mich. Der reale Faschismus ist das Vorbildsterben: der Held (Heideggers Eigentlichkeit als Vorlaufen in den Tod oder Hitlers Selbstmord, bei dem man nicht recht weiß, hat er damit sein Volk bestraft, oder hat er ihm den Weg frei gemacht ins Wirtschaftswunder, sofern nicht ohnehin beides eins ist: das Wirtschaftswunder die Strafe Hitlers).
    Spinnen am Morgen bringt Kummer und Sorgern, Spinnen am Abend: erquickend und labend. Darauf scheint sich die neudeutsche Sprache zu beziehen, wenn sie von Spinnern spricht und damit alle meint, die sich die Idee der Humanität nicht aus dem Kopfe schlagen können.
    Kann es sein, daß der jetzt international finanzierte Versuch der Entwicklung eines Fusionsreaktors nur deshalb möglich ist, weil die Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bis heute nicht begriffen ist. Vorab zu widerlegen wäre die halbempirische Formel von Weizsäckers über die solare Energieerzeugung.
    Die Unfähigkeit zu trauern und der geheime Triumph über den Tod der anderen. Nach Elias Canetti ist der Sieger der Überlebende. Das Erstaunen darüber, daß Juden nach dem Kriege ihr Überleben als Schuld empfanden, ist nur solange verständlich, wie man selber den Tod der anderen als Entlastung erfährt.
    Es war der Schlaf der Apostel in Gethsemane, gegen den Jesus das Wort „Wachet und betet“ richtete.
    Max Horkheimer, der am 16. März 1937 in einem Brief an Walter Benjamin geschrieben hatte: „Die Feststellung der Unabgeschlossenheit ist idealistisch, wenn die Abgeschlossenheit nicht in ihr aufgenommen ist. Das vergangene Unrecht ist geschehen und abgeschlossen. Die Erschlagenen sind wirklich erschlagen …“ (Klaus Körner: Verlorenes nur was uns bleibt, in: Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, Leipzig 1992, S. 147), hat in einem Seminar nach dem Kriege an das ungeheure Gewicht der Frage erinnert, ob auf dem Leichenberg, den uns die Geschichte hinterlassen hat, der Gedanken an die richtige Gesellschaft überhaupt noch möglich sei.

  • 23.07.92

    Medizin und Astronomie gehorchen dem gleichen Entfremdungsgesetz. Und die ungeheure Gewalt der Physis, die im Krankenhaus erfahrbar wird, ist ein Reflex, ein Spiegelbild der unaufgeklärten Astronomie.
    Die Naturwissenschaften sind die letzte Manifestation des Engels mit dem kreisenden Flammenschwert.
    Ist die Vorstellung des Teufels als eines Versuchers oder Verführers („Einflüsterung“) islamischen Ursprungs, in das Christentum jedoch schon vor dem Ursprung des Islam eingewandert, wie überhaupt die Islamisierung des Christentums nicht durch den Islam verursacht ist, sondern ihm vorausgeht?
    Der Personbegriff durchschneidet die Wurzeln der Erfahrungsfähigkeit, die in die vorpersonalen Beziehungen zu anderen hinabreichen.
    Der „Sturm vom Paradiese her“ in Benjamins Thesen „Über den Begriff der Geschichte“: Ist das nicht nur ein anderer Ausdruck für „kreisendes Flammenschwert“ (das Planetensystem)?
    Zu den Aufgaben der Bundeswehr soll unter anderem auch die „Si-cherung des Zugangs zu den strategisch wichtigen Rohstoffen“ gehören: Auf dem Umweg über die sogenannte Verteidigungsgesetzgebung wird ein potentieller Eigentumsanspruch auf die Rohstoffe der Erde erhoben mit dem Hinweis, daß dieser Anspruch u.U. auch mit Gewalt geltend zu machen wäre.
    Hängt die Trinitätslehre mit dem prophetischen Votum für die Armen und die Fremden zusammen, wobei das Votum für die Fremden das parakletische wäre? Und ist das prophetische Votum für die Armen und Fremden das Modell der Beziehung von Praxis (Christentum) und Theorie (Heiliger Geist)? Bedeutet das, daß das christliche Dogma den Sohn leugnet?
    Schamlos und zynisch: Das Symbolum war in der Zeit der Kirchenväter als Sakrament noch Ausdruck der Scham, die scholastische Bearbeitung des Dogmas, seine Umwandlung in ein Objekt des öffentlichen Bekenntnisses war schamlos, die moderne Vergesellschaftung des Bekenntnisses, die das Dogma fundamentalistisch vergiftet hat, ist zynisch.
    Der Islam kapituliert vor der Welt, die für ihn deshalb in jedem Augenblick neu erschaffen werden muß, weil er sich in ihr in jedem Augenblick dem neu sich manifestierenden Willen Gottes unterwerfen muß.
    Der lange Schatten, den Auschwitz auf uns wirft, hat für uns den ersten Schöpfungstag, die Erschaffung des Lichts, zu einer vergangenen Zukunft gemacht (wenn Jesus das Licht ist, ist die Kirche zum Scheffel über dieses Licht geworden); wir sind ins Chaos vor der Schöpfung zurückgefallen. Seitdem darf der Schöpfungsbericht nicht mehr als Kosmogonie (miß-)verstanden werden; er ist zur Prophetie geworden.
    „Es gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren, und sie schämten sich“. An diesem Punkt erkannten sie, daß sie nicht nur ein Ich, sondern ein Du für andere waren; deshalb versteckten sie sich, als Gott in der Abenddämmerung sich im Garten erging. Die Scham ist Ausdruck und Folge des Ursprungs der Reflexion, die dem Essen vom Baum der Erkenntnis sich verdankt.
    Zum Problem des Todes: Der erste Tote in der Bibel ist das Opfer eines Mordes; und dieser Mord ist die Grundlage der Kulturentwicklung.
    Die Parteien- und Politikerkritik der von Weizsäcker, Hamm-Brücher und von Arnim wird verständlich eigentlich erst als Kehrseite dessen, daß eine inhaltliche politische Kritik, eine Kritik der politischen Ziele, mangels eines zureichenden öffentlichen Bewußtseins der politischen Realität völlig ausfällt, und zwar auch bei den Politikern selber: Indiz dafür ist das Leiden der Politiker an den Zwängen, die sie zugleich masochistisch genießen. Da gewinnt das Korruptionsproblem (die Frage der moralischen Integrität) unangemessene Bedeutung. Dazu gehört, daß sich seit dem Ende des Krieges Politik zunehmend in die Verwaltung verlagert hat. Heute beherrscht der Apparat (die „Sachzwänge“) die Politik, die er zugleich durch Korrumpierung an sich bindet. Das Verhältnis von Politik und Verwaltung ist die Parodie der Hegelschen Dialektik von Herr und Knecht. Der Knecht ist zum Herrn des Herrn geworden, jedoch ohne die Chance, sich real von ihm befreien zu können.

  • 21.07.92

    Das „memento mori“, auf das sich T.R.Peters mehrfach bezieht (ebenso die mehrfache Kombination „der Tod und die Toten“, „Tod und Auferstehung“, auch das Eucharistieverständnis) weist zurück auf das „memento homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris“, das sich wiederum der Fluch über Adam: „Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden“ bezieht. Hierzu aber wäre darauf hinweisen, daß dieser Fluch
    – sich nur an Adam, nicht an Eva richtet, und
    – in dem Fluch über die Schlange: „Auf dem Bauche wirst du kriechen und Staub sollst du fressen“, ein bedenkenswertes Echo findet (Adam nährt mit dem Staub, zu dem er wird, die Schlange).
    Vor diesem Hintergrund erscheint die Vermutung begründet, daß das memento mori weniger an den Tod, den man selbst erleiden wird, gemahnt als an den, den der erleidet, der ihn anderen antut (am Ende durch Anpassung an die Welt, durch die Nutzung und den Gebrauch der Todesmaschinerie, die die Welt für alle ist): Es wäre ein sehr präzises antipatriarchalisches memento. Rosemary Radford Ruethers These, daß nicht in der Sexualität, sondern im Sexismus (den die kirchliche Sexualmoral bewußtlos, jedoch mit wachsendem Zynismus fördert) die Erbschuld sich fortpflanzt, würde hier ihre Begründung finden. Auch die Gethsemane-Geschichte wird durchsichtiger. Aber welch ungeheure Bedeutung gewinnen dann
    – der Satz: „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hld 86) und
    – die jesuanische Übernahme der Sünde der Welt?
    Vgl. das alte Beispiel einer logischen Konklusion:
    Alle Menschen sind sterblich.
    Sokrates ist ein Mensch.
    Also ist Sokrates sterblich.
    Die Frage, ob es sich hier um einen induktiven oder deduktiven Schluß handelt, ist müßig: der Schluß ist nicht durch die Beziehung auf alle Menschen, sondern durch die auf Sokrates, dessen Denken (durch Berufung auf seinen Dämon: durch Verinnerlichung des Schicksals) die logische Äquivalenz von Einheit und Allheit (und damit den Begriff des Allgemeinen) überhaupt erst begründet hat, „wahr“.
    Bedeutung für die Abtreibungs-Diskussion: Nicht das letzte und schwächste Glied, sondern der Ursprung: die Solidarität mit der Welt (der Grund der logischen Äquivalenz von Einheit und Allheit), die alle zu Mördern macht, wäre zu kritisieren.
    Und Zusammenhang mit dem geschichtstheologischen Status des Islam: Erst im Islam ist Allah nicht mehr nur barmherzig, mächtig, weise o.ä., sondern der Allbarmherzige, der Allmächtige, der Allweise (Konsequenz aus der logischen Äquivalenz von Einheit und Allheit). Dagegen scheint die (blasphemische) Allwissenheit eine christliche Prägung zu sein; Grund dafür, daß heute alle mit sich identisch sein wollen: nur so werden sie Gegenstand des Wissens, dessen Herr allerdings nicht Gott, sondern der Dämon ist. Das haben bis heute außer dem heiligen Franziskus nur Benjamin und Adorno gewußt.

  • 19.07.92

    Der Beifall ist nicht so sehr Lohn für eine Leistung, als vielmehr Teil jenes verdinglichten Seligkeitsbegriffs, zu dem -nach Augustinus (dessen Predigten nach van der Meer nicht selten vom Beifall der Gläubigen unterbrochen wurden) – auch der Anblick der Qualen der Verdammten in der Hölle gehört. Im Beifall verpufft die Angstfreiheit, die die Musik verspricht; er stellt die Alltagssituation, in der sich niemand mehr diese Angstfreiheit leisten kann, wieder her. Im Beifall manifestiert sich explosiv und zugespitzt die ganze Problembreite des Lohns in der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft; des Lohns, der von der Moral und Theologie bis hin zum Arbeitsentgelt im Kapitalismus die Idee des Glücks (der Güte ohne Lohn, des richtigen Lebens, das seinen Lohn in sich selber hat) neutralisiert und zerstört. Seitdem glaubt niemand mehr im Ernst (sondern nur noch in dem demonstrativen Sinne eines Glaubens für andere, der dann zum Teil eines Herrschaftssystems und Gegenstand der wissenschaftlichen Theologie geworden ist) an die Unsterblichkeit der Seele oder an die Auferstehung der Toten.
    Liszt (und vor ihm in einigen Werken Beethoven, nach ihm dann allerdings potenziert der unsägliche Richard Wagner) hat den Beifall in die Musik mit hineinkomponiert.
    Das „Wissen um“ oder die Neutralisierung der Theologie (zu Tiemo Rainer Peters „Mystik Mythos Metaphysik“, S. 70): Mit dem Hinweis auf die IX. der Benjaminschen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ spricht Peters von „einem memorativen Wissen um den Tod und die Toten“. Mit dieser Formulierung neutralisiert er den theologischen Sinn des Eingedenkens, der Erinnerung, und transportiert ihn ins sterilisierte Begriffs-Labor einer Wissenschaft, die aufs peinlichste jede Berührung mit einer Sprache meidet, die vielleicht doch in Gefahr geriete, ihre benennende Kraft (und im Begriff der Erkenntnis selber deren Beziehung zum Gebet) wiederzugewinnen. Die Erinnerung haftet am Namen, das „Wissen um“ verweist auf das namenlose, vergegenständlichte Korrelat des Begriffs. Diese (memorativ vergegenwärtigte) Vergangenheit unterscheidet sich von der erinnerten dadurch, daß in ihr der „Anspruch“ an die „schwache messianische Kraft“, die „uns wie jeder Generation vor uns mitgegeben“ ist (These II), bereits gelöscht ist. Vergangenes wird gewußt, aber erst das „Wissen um“ die Vergangenheit, das dem Eingedenken sich in den Weg stellt, neutralisiert sie, raubt ihr die theologische Kraft. Das „Wissen um“ leugnet um einer Gewißheit willen, die sich an die Stelle des Gewissens setzt, den Grund der Lehre von der Auferstehung der Toten. Auch das ist eine Methode, mit Auschwitz (der Massenreproduktion des Kreuzestodes, der bis heute nur der Abstieg zur Hölle, aber keine Auferstehung folgte) fertig zu werden.
    Das Christentum hat seit je „Vergangenheiten überwunden“: den Mythos, die jüdische Tradition, die Häresien (und heute auch Auschwitz?). „Überwunden“ aber hat es damit eigentlich nur die Erinnerung der Schuld, die ihm in den Gestalten des Heidentums, der Juden, der Ketzer (und schließlich auch der Frauen: in der Geschichte vom Sündenfall ist allein der Fluch über Eva mit einer Verheißung verknöpft, während Adam nur die Schlange nährt) vor Augen stand. Die Überwindung aber war seit je ein anderer Name für Verdrängung: jedenfalls ist die Erinnerung dessen, was die Kirche in ihrer Geschichte alles überwunden hat, bis heute nicht ins theologische Selbstverständnis der Christen (und ins christliche Verständnis der Theologie) mit eingegangen. Deshalb war Theologie seit je bloß apologetisch, Rechtfertigung: Theologie hinter dem Rücken Gottes, und aus dem gleichen Grund dogmatisch; und das Bekenntnis war der Institutionskitt, der die Gemeinschaft der Gläubigen bei der Stange hielt; beide sind Produkt der Kraft des Bindens, die der Kirche mitgegeben ist. Theologie im Angesicht Gottes hingegen (der Anfang der Kraft des Lösens, die der Kirche verheißen ist) wäre nicht mehr apologetisch, sondern prophetisch; das Bekenntnis würde das der Erbschuld (und den Anteil der Kirche daran: die bis heute verweigerte Übernahme der Sünde der Welt ) mit einschließen, es wäre endlich Teil der Gottesfurcht, die nach der Schrift der Anfang der Weisheit ist.
    Notwendig wäre eine sprachliche Analyse der Theologie beider christlichen Konfessionen heute (z.B. Wendungen wie Theologie als „Rede von Gott“, „Vollzug“ von Gedanken innerhalb der Theologie – so als handele es sich um eine Art Strafvollzug – u.ä.). Trotz oder wegen der Logos-Theologie ist auffällig, wie niedrig der Level der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit ist. Gründe scheinen zu sein:
    – der Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung, der eine Kritik des positivistische-gegenständlichen Wahrheitsbegriffs fast unmöglich macht,
    – insbesondere in Deutschland der unabweisbare Exkulpations- und Rechtfertigungsdruck nach Auschwitz und Faschismus,
    – der geschichtslogische Stand des Bekenntnisbegriffs (zusammen mit der Rezeption des lutherischen Rechtfertigungsbegriffs im Katholizismus): als Folge der Verinnerlichung und Verdrängung der häresienbildenden Kraft,
    – Theologie hinter dem Rücken anstatt im Angesicht Gottes,
    – Rückwendung der im Entstehungsprozeß des Dogmas entsprungen projektiven Gewalt gegen das Subjekt der Theologie selber: die Kirche,
    – Unauflösbarkeit des Komplexes Opfertheologie, Gnadenlehre und Heilsverwaltung, nach Verdrängung der Nachfolgeidee (Zusammenhang von Logosidee und Übernahme der Sünde der Welt, von Sprach- und Schuldreflexion),
    – im Katholizismus auffällig die Verwechslung von transzendent und transzendental (ontologisches Mißverständnis der transzendentalen Logik), das positivistische Dogmen- (und Wissenschafts-)verständnis, die Unfähigkeit zur Erkenntniskritik.
    Zum Problem des Atheismus: Heideggers Frage, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, unterstellt, daß ein Nichts im Sinne seines Satzes (wenn auch nicht sich denken, so doch) sich vorstellen lasse. Und kein Zweifel, vorstellen läßt es sich nur in Anlehnung an die Vorstellung des leeren Raumes, ähnlich wie in dem Satz: Wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren. Schwierig wird’s jedoch, wenn man sich alles fortdenkt (von allem abstrahiert), bleibt dann nicht doch der leere Raum, auch das Vorher und Nachher, die leere Zeit? Der Arme hat nichts, aber ist dieses Nichts nicht doch schon ein bestimmtes Nichts, das Nichts an Nahrung, Kleidung, Haus und Freunden? Noch bestimmter wird das Nichts der verschuldeten Länder der Dritten Welt: Sie haben nichts, um ihre Schulden (und die Zinsen für ihre Schulden) zu bezahlen. Der Arme hat nicht einmal Schulden (denn er hat niemanden, der ihm zuvor etwas leihen würde), während das Nichts der verschuldeten Länder, die verbrauchten Kredite, immer noch die Beziehungen zu den Gläubigerbanken voraussetzen. Das Nichts, das Heidegger vor Augen steht, setzt voraus, daß es sich auf ein All bezieht, das sich hinwegdenken läßt. Aber diese Voraussetzung ist durch den „Stern der Erlösung“ widerlegt. Dieses All, das Universum, von dem unsere Universitäten ihren Namen haben, konstituiert sich erst im Kontext des bürgerlichen Subjektbegriffs, der ohne die Vorstellung, daß dem Begriff „alle Objekte“ in der Realität etwas entsprechen muß, nicht zu halten ist.
    Eigentumsabgrenzungen:
    1. die Grenze einer Fläche (der abgegrenzte Acker, die Nation),
    2. die Oberfläche eines Dings (als Außengrenze der Identität zählbarer Einzelobjekte, das Tier) und
    3. das Gewicht (bei Massengütern, unabhängig von der Identität der Einzelobjekte).
    Das Geld vereinigt alle drei Grenzbestimmungen:
    – Sein Geltungsbereich bestimmt sich nach 1. (die Grenzen einer Nation, zu deren essentiellen Souveränitätsbestimmungen die Währungshoheit gehört);
    – als zählbare Einheit bestimmt sich die einzelne Münze nach 2. (durch ihre dingliche, jedoch als zugleich massenhaft bestimmte Identität, ohne benennbare Einzelidentität),
    – während ihr „Wert“ sich durch ihre Beziehung zur (namengebenden, benennenden) Münzeinheit, die grundsätzlich als Gewichtseinheit definiert ist, bestimmt.
    Geldwirtschaft und „Zerstörung“ der benennenden Kraft der Sprache (Turmbau zu Babel, Ursprung und Geschichte des Nominalismus). Der Sündenfall und die Bedeutung des Gravitationsgesetzes für die Geschichte des Geldes (wie hängt der Wittgensteinsche Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit dem Stand der Geschichte des Kapitalismus zusammen?).
    Horror vacui: Die Vorstellung des leeren Raumes hat kein objektives Korrelat. Ich muß den Raum erst in Gedanken leermachen (ihn zugleich aus seinen mathematischen Voraussetzungen rekonstruieren), um ihn mir als leer vorstellen zu können. Welches Interesse aber habe ich an dieser Operation, wer ist in welcher Weise an dieser Operation beteiligt, und was bewirke ich damit: was richte ich damit an? Welchem Schrecken setze ich die Dinge aus? Gleicht die Vorstellung des leeren Raumes in ihrer Wirkung aufs Objekt nicht dem zynisch-obszönen Witz (dem Herrenwitz), der alle anderen auf Kosten seines Objekts zum Lachen bringt, der Produktion des Gelächters (das im übrigen – wie die Vorstellung des unendlichen Raumes – seine Wirkung nach außen und nach innen zugleich und auf gleich verheerende Weise entfaltet)? – Vgl. Büchners Lenz und Nietzsches Fröhliche Wissenschaft.
    Es gibt den zynisch-obszönen Witz nur als Herrenwitz (als Frauen- oder Damenwitz ist er unvorstellbar); hängt das genetisch und geschichtstheologisch mit dem männlichen Confessor (und seiner Beziehung zur Virgo) zusammen? Der zynisch-obszöne Witz ist ein Bekennerwitz (mit einer bekenntnislogischen apriorischen Objektbeziehung); für das schallende Gelächter sind Frauen nur Objekt, sie sind aufgrund ihrer Stimme zum schallenden Gelächter nicht fähig (ist die weibliche Stimme die der Panik, des passiven Schreckens – Grund der Mode als Identifikation mit dem Status des Objekts einer Aggression, der Anpassung an den Zwang zur öffentlichen Ausstellung des eigenen Körpers?).

  • 17.07.92

    Im liberum arbitrium ist sowohl das Inertialsystem (das Futurum II und die „Freiheitsgrade des Raumes“) als auch das Marktparadigma (die Wahlfreiheit) und zusammen damit die Geschichte des Trennung von Begriff und Objekt, die Geschichte des Nominalismus, bereits enthalten.
    Der Faschismus war der katastrophische Teil eines Modernisierungsschubs, dessen Frühgeschichte in den Ursprung des Begriffs des liberum arbitrium zurückreicht.
    Die Grammatik der Brüder Grimm?
    Funktion und Bedeutung der Flöte in der Anfangsgeschichte der modernen Musik: Stadtpfeifer Ambrosius Bach, Friedrich der Große und die Flöte, jemandem die Flötentöne beibringen, der Rattenfänger von Hameln.
    Kriterien der wissenschaftlichen Erkenntnis sind die Unabhängigkeit der Erkenntnis
    – vom Ort (die Homogenität und Isotropie des Raumes),
    – von der Zeit (Wiederholbarkeit oder die Homogenität der Zeit) und
    – vom erkennenden Subjekt (Erkenntnis muß von jedermann nachvollziehbar sein).
    Diese dreifache Unabhängigkeit macht sie für die theologische Erkenntnis unbrauchbar.
    Könnte es nicht sein, daß, anstatt daß die kopernikanische Theorie und ihre Begründung durch das Gravitationsgesetz die Homogenität und Isotropie des Raumes (seine Unendlichkeit) beweisen, diese die Voraussetzungen und das Medium definieren, in denen jene als Spiegelbild eines ganz Anderen sich auskristallisieren und vergegenständlichen (Folgen der Universalisierung und Instrumentalisierung der Welt).
    Der Islam ist eine Weltreligion; die Welt, die das Subjekt dieser Religion ist, ist eine, die jeden Augenblick neu erschaffen werden muß; und der Gott, der diese Welt erschafft, bezeichnet die Leerstelle, in die dann Herrschaft (der Staat, der nicht von der religiösen Gemeinschaft, die als Kirche sich konstituiert, getrennt zu denken ist) eintritt. Der Islam ist die Unterwerfung unter ein Weltgesetz, das weder eine Erhaltung der geschaffenen Welt, noch eine Vorsehung kennt, sondern in jedem Augenblick der Manifestation der vollen Schöpfermacht gewärtig sein muß. Der Islam ist das Prinzip der abstrakten Negation der Selbsterhaltung (er setzt die abstrakte Negation an die Stelle der konkreten Umkehr). Selbsterhaltung und Erhaltung der Welt (die sich am Ende auf das bürgerliche Realitätsprinzip und die Erhaltungssätze der Mechanik reduzieren) gehören zusammen. Die Welt ist sozusagen das jeden Augenblick neu zu konstituierende und zu begründende Urteil aller anderen, als deren Inbegriff der islamische Monotheismus zu verstehen ist. Es ist der alte Schicksalsbegriff, der hier wieder erscheint, aber jetzt als ein durch den Schöpfungs- und Offenbarungsgedanken vermittelter.
    Der Schlüssel zum Verständnis der drei großen Buchreligionen liegt im Christentum; erst ein selbstaufgeklärtes und selbstbekehrtes Christentum (nach seiner Befreiung von den sieben unreinen Geistern) würde das Rätsel aller drei Religionen lösen. Die Übernahme der Sünde der Welt (die Hinwegnahme wird erst am Ende sein) ist der genaueste und der aufklärendste Ausdruck für die Konstruktion des Weltbegriffs, dessen unreflektierte Gewalt über das Bewußtsein Grund der Selbstverblendung der drei Religionen ist.
    Ist nicht die Konzeption des modernen Naturbegriffs Ursprung und Grund der Konsolidierung der dritten Leugnung? Dieser Naturbegriff ist eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff, der bis zur Konzeption des Naturbegriffs als eines Totalitätsbegriffs offen gehalten werden konnte, jedenfalls der Theologie (allerdings um den Preis der Häresienbildung) nicht im Wege stand. Erst in der gleichen Phase, in der die häresienbildende Kraft aus der Kirche entschwunden ist, entspringt dieser Naturbegriff, gegen den die Kirche dann als hilflos und wehrlos sich erweist. Sie wird hier auf ein Problem ihres eigenen Ursprungs gestoßen, das sie bis heute nicht zu reflektieren bereits ist. Daran droht sie zu ersticken.
    Der Levinas’sche Begriff der Asymmetrie: Ich bin ein Du für andere, aber dieses Du ist mir verborgen und unzugänglich. Zwischen diesem Ich und Du liegt die ganze (durch Verinnerlichung entfremdete) Welt; und die „Übernahme der Sünde der Welt “ ist der einzige Weg, dieses Verhältnis durchsichtig zu machen.
    Der Weltbegriff induziert den blinden Fleck im Subjekt, an dem heute die Welt zugrunde zu gehen droht.
    Die (durch die kopernikanische Astronomie vermittelte) Vorstellung einer homogenen Zeit ist die moderne Gestalt des Sternendienstes (Zeit als Schema der mathematischen Naturwissenschaft, der Subjektivität und der Herrschaft).
    Nicht Natur und Geschichte, sondern Natur und Welt (Ilias und Odyssee). Oder: Geschichte ist die Geschichte der Welt als Naturprozeß.

  • 04.07.-13.07.92

    Krankenhausaufenthalt:
    Ist nicht der Weltbegriff Produkt der Verletzung des gesamten Dekalogs (insbesondere des 4. und 8. Gebots)?
    Die Opfertheologie, die Vorstellung von der Wiederholbarkeit des einen Opfers, hat die christliche Theologie an den Mythos gebunden. Der Preis war die Vergöttlichung des Geopferten (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs).
    Gesellschaftlicher Zusammenhang von Schuld: Täter – Opfer; Vater (Herr) – Sohn (Knecht); Schuld/Schulden; Schuld – Bekennntis -Rechtfertigung; Schuld gibt es nur vor jemandem (vor Gott); kann Robinson schuldig werden? Schuld ist ein gesellschaftliches Phänomen, auch als ontologisches.
    Vermittlung des christologischen Naturbegriffs durch den modernen Kunstbegriff (W.B. I 1, S, 64 – Novalis). Bedeutung des Naturschönen.
    Ist nicht die Religion gleichsam der verwesende Rest des mythischen Opfers, sein christlicher Umkehrpunkt das Martyrium (Zeugenschaft)? Verinnerlichung des Opfers im Bekenntnis (mythischer Ursprung des Bekenntnisses: Notwendigkeit einer letzten Summa contra gentiles).
    Außen und Innen: Auch die Funktionalität der modernen Architektur steht unterm Primat des Außen (Rasenmäher und Plätschern beim Krankenhaus nur für den zerstreuten Besucher (Betrachter), aber gegen die Bedürfnisse der Patienten, die ohnehin nur Objekte sind – Gewöhnung als Gewöhnung ans Objektsein, an die Entmündigung, die die Ärzte bereits voraussetzen – Ansätze beginnender Paranoia).
    Im Krankenhaus die Bedeutung des Satzes erfahren: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Hölle des Selbstmitleids).
    Die Stationsärztin, die bis heute kein Wort mit mir gesprochen hat, erklärt an meinem Bett mit allen Details meinen „Fall“ dem Chefarzt: So erfährt man, wie es um einen steht (vgl. die zweite Leugnung Petri).
    Außen und Innen: Naturwissenschaft als Produkt der Veräußerlichung und Verinnerlichung des Kosmos zugleich (= Weltanschauung). Das Innen ist das Außen des Außen.
    Ist nicht der Begriff der Weltanschauung im Sinne eines Genitivus subjectivus zu verstehen (Welt als Subjekt, nicht Objekt der Anschauung)? – Aus diesem Grund gibt es Weltanschauungen nur im Plural.
    Ist nicht die Anschauung die Leugnung des Angesichts?
    Erst die durchinstrumentalisierte Welt ist frei für nicht mehr kritisierbare subjektive Zwecke; sie ist „ideologiefrei“, weil es jedem offen steht, in ihr seine Interessen und Zwecke zu verfolgen. Hierbei wird nur die „Kleinigkeit“ übersehen, daß diese „Offenheit“ nur für den geringeren Teil der Menschheit real und gegeben ist; für alle anderen ist sie eine geschlossene Welt, ein Gefängnis, ein Irrenhaus, Grund des universalen Hospitalismus (Verhältnis von Raum und Geld!).
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes und das Tauschparadigma verdrängen den Widerspruch (kein Reichtum ohne Armut, keine Materie ohne Energie).
    Pharao, das „große Haus“: Hängt der Name des Pharao mit der geschichtsphilosophischen Bedeutung des Hauses (der Architektur mit dem Toten im Innern) zusammen? Ist das „Haus des Seins“ pharaonisch und ontologisch (der babylonische Turm hingegen instrumental)?
    Benjamin zufolge können „Gestalten keiner Dichtung je der sittlichen Beurteilung unterworfen“ sein (I 1, S. 133). Gilt das nicht mit fortschreitendem Objektivationsprozeß auch bereits für die Lebenden?
    S. 189: „von Haus aus“.
    Pharao: Haben die Juden sowohl die institutionellen Grundlagen (Josef) als auch die äußere, architektonische Realisierung des Pharaonentums (das Sklavenhaus) geschaffen? Ist der Josef-Roman das früheste Dokument der Dialektik von Herr und Knecht (aber anders als die Hegelsche)?
    Walter Benjamin I 1, S. 332f: Der neudeutsche Kult der Trägheit des Herzens (acedia).
    Rührt Benjamins Theorie der Allegorie nicht auch an den Ursprung der Schrift (S. 339f, 351)?
    Schrift und Vergesellschaftung: Mit der Schrift beginnt die Zivilisation (Modell und Ursprung der Beziehung von Begriff und Gegenstand, des Objektivations- und Vergesellschaftungsprozesses).
    Schlange als Bild der Zeit (S. 346): Seid klug wie die Schlangen.
    Benjamin II 1, S. 351: die „fallende Sucht“; wie verhält sich die Epilepsie zum Mond und zur Mutter?
    S. 352: Dummheit und Bosheit bereits Grundlage der herrschenden Politik, der Herrschaft überhaupt (keine Alternative dazu?). Der subjektlose Gemeinheitskern der Öffentlichkeit: Ontologie der Strudel, in dem die Moral versinkt.
    Ist die Eucharistie nicht mehr nur Zeichen, sondern bereits Ersatz der Nachfolge? Bezieht sich darauf der Satz vom Zusammenhang des unwürdigen Essens mit dem Gericht (1 Kor 1127)?
    Die islamische Polygamie verweigert die Erfahrung des ehelichen Konflikts ebenso wie die Verarbeitung dessen, worauf sich das vierte Gebot bezieht (den Ödipuskonflikt).
    Sabotiert der Islam (die Ergebung in den „Willen Allahs“) die Spontaneität und die Aufmerksamkeit?
    Ist der Islam die verdinglichte Version des jüdischen „Monotheismus“ (die jüdische Religion als Fall), und deshalb gleichsam „von Haus aus“ fundamentalistisch? Kein Ausweg aus dem Sexismus (Pascha: Herrschaft und Selbstmitleid)? Islam als Gottesfurcht-Vermeidungsstrategie, als scheinhafter Ersatz der Gottesfurcht?
    Ist der Islam nicht auch Ausdruck einer erschütternden Hilflosigkeit (wie jeder Fundamentalismus, und jede zum Terrorismus neigende politische Bewegung, einschließlich der durch den unaufgearbeiteten Faschismus bestimmten herrschenden Politik)? – Läuft nicht die Art, wie die Kinder des Pakistani ihrem Vater jeden Wunsch erfüllen, noch bevor er ihn überhaupt äußern kann, auf eine ganz sublime Entmündigung (Infantilisierung) des Vaters hinaus? Er ist nicht mehr fähig, die einfachsten Dinge selbst zu tun. So rächt sich die Familie an ihrem „Oberhaupt“. (Oder: Die arme, klagende Kreatur rächt sich für das, was ihr angetan wurde, an ihrer Umwelt.)
    Der Islam scheint eine Erlösung der Welt nicht zu kennen (deshalb der Freitag als Wochenfeiertag: der Tag vor dem Sabbat). Der Islam kennt Erlösung nur als individuelle Erlösung (Belohnung oder Bestrafung); deshalb ist er mehr noch als das Christentum auf die unerlöste Sexualität (und damit an die Frauenfeindschaft) fixiert. Paradigma der Erlösung ist die unio mystica oder die Rückkehr ins Paradies (den Garten mit den Flüssen) als reine Regression. Wenn die Welt nicht erlösbar ist, ist es auch die Frau nicht (Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem Patriarchat und der Frauenfeindschaft).
    Vgl. hierzu die Entrüstung, mit der der Autor von „Jesus starb in Indien“ auf die Salbung Jesu durch eine „Prostituierte“ reagiert (überhaupt die Empfindlichkeit gegen „Schande“, gegen eine Beeinträchtigung des Rufs, des öffentlichen Ansehens: deshalb darf Jesus nicht am Kreuz gestorben sein.)
    Zusammenhang von Nationalismus und Befreiungsbewegungen:
    – Konsequenz daraus, daß es ohne Geldwirtschaft (als subjektiver und objektiver Nationalitätsgrund) nicht geht, der Sozialismus hieran seine Grenze findet.
    – Grund des Wiederauflebens religiös-politischer Kräfte (Nordirland, Islam, Jugoslawien, GUS).
    – Grund für das theoretische Gewicht und die Bedeutung einer Analyse des Geld- und Bankenwesens.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes setzt die ganze Welt unter Laborbedingungen, sterilisiert sie gleichsam, unterwirft sie dem Herrenblick, bringt das Andere zum Verschwinden.
    Mit der Verdrängung des Sterbens aus der Erfahrung schwinden die Toten aus der Erinnerung. Die Welt wird vom Sterben und von den Toten nicht mehr berührt: sie wird steril (durchs Inertialsystem zum universalen Labor).
    Der Personalismus in der Philosophie trat auf, als die Seele (und mit ihr der Gedanke der Unsterblichkeit und des seligen Lebens) aus dem Bewußtsein verdrängt wurde. Aber niemand (auch die „Gläubigen“ nicht) hat’s gemerkt, weil alle andere Ziele haben.
    Ist die Erschaffung der „großen Seeungeheuer“ der Hinweis auf die Erschaffung des Bösen? Vgl. auch Hiob: den Ankläger und Behemoth und Leviatan.
    Hat die Sara (im Buch Tobit) etwas mit Maria Magdalena zu tun (die sieben in der Brautnacht verstorbenen Männer mit den sieben unreinen Geistern)?
    Die Trennung von Begriff und Objekt, Geist und Materie, dient auch der Erhaltung und Absicherung von Herrschaft, schließt den Gedanken einer Änderung der Gesellschaft (und der Natur) vom Grunde her aus. Kein Zufall, daß jede Namenslehre in Gefahr steht, magisch mißverstanden oder mißbraucht zu werden (Beziehung der Astronomie zur Schrift?).
    Was bedeutet es, wenn die Schrift der Magie das Ende bereitet hat (Ausnahme: das Verhältnis von Kabbalah und Magie)?
    Herrschaft ist Herrschaft über die Vergangenheit. Keine Änderung ohne Änderung der Vergangenheit (Beziehung der Herrschaft zur Sternenwelt).
    Man kann nicht die Menschheit, um sie zu befreien, abschaffen. Die Wahrheit ist nicht durch Unwiderleglichkeit (gegen die Häretiker), sondern durch ihre Ausbreitungsfähigkeit (daß alle in ihr sich als gemeint wiederfinden) zu bestimmen. Die alltägliche Erfahrung, daß die Menschen über ihr unmittelbares Eigeninteresse hinaus nicht mehr ansprechbar sind, ist kein Anlaß zur Empörung, sondern zur Trauer. Empörung verwandelt auch die Wahrheit in ein Moment des gleichen bornierten Eigeninteresses, über das sie sich empört, macht sie zur Ideologie, die dann keinen anderen Weg mehr kennt außer dem der Gewalt, die die Wahrheit durch Unwiderlegbarkeit zerstört.
    Es ist ein an der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens geschulter böser Scharfsinn, der uns die Ursprünge des kirchlichen Christentums heute anders wahrnehmen läßt. Dagegen hilft keine Apologie.
    Zu Kants Bemerkung über das Verhältnis von Natur- und Weltbegriff die transzendentale Logik (Deduktion der synthetischen Urteile apriori) vergleichen: Der Ursprung der Unterscheidung und ihre Folgen sind hier ablesbar.
    In Benjamins Wort von der „Erektion des Wissens“ (I 1, S. 131) klingt sowohl die Erinnerung an der Turmbau zu Babel als auch ein Hinweis auf den Ursprung und die Geschichte der modernen Naturwissenschaften mit an. Diese Erektion des Wissens begründet den Weltbegriff.
    Gründet das Gefühl in der Trauer? (S. 139)
    Der Weltbegriff gründet in der gleichen objektiv vermittelten Abstraktion, der auch der Ursprung der Schrift sich verdankt.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie