Ist die benennende Kraft der Sprache wiederzugewinnen und zu halten ohne die Idee der Auferstehung der Toten, ohne die Beziehung von Logos und Schuld (Übernahme der Sünde der Welt) und ohne die Idee der Schöpfung durchs Wort?
August 1992
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29.08.92
Ist nicht die aus der Zeit des Hexenwahns stammende Vorstellung vom Verkehr der Hexen mit dem Teufel ein Abkömmling, ein spätes innerchristliches Echo des hieros gamos? Darin das projektive, auf die Dämonisierung der Theologie selber zurückweisende Moment erkennen, würde den Bann wirklich lösen.
Das Quantenprinzip und die daraus ableitbare Mikrostruktur der Materie ist eine unmittelbare Folge aus dem durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit berichtigten Inertialsystem (Spur der Differenz zwischen dem Raum des Inertialsystems und dem Anschauungsraum).
Heinsohn wagt es nicht, dem Hexenwahn ins Antlitz zu schauen. Statt dessen zeichnet er eine Karikatur des Wahns (das Bild des Wahns, wie es aus der Sicht der Opfer sich darbietet, als Karikatur), um so das Problem zu neutralisieren. Ähnlich – und in der gleichen Richtung verhängnisvoll – verhält es sich, wie mir scheint, mit seiner Antisemitismustheorie. Beides scheint zusammenzuhängen mit dem sektiererischen Grundzug, gleichsam der Ketzer-Logik, die seine Darstellungsweise und sein Beweisverfahren beherrscht. Die Ketzer-Logik ist ein abgespaltener Teil der Bekenntnis-Logik; sie versucht, den Status der Orthodoxie im Kampf gegen die Orthodoxie zu gewinnen (die Orthodoxie bei dem von ihr selbst erzeugten falschen Namen zu nehmen): hier ist die zentrale Kategorie die des Scharfsinns (nicht zufällig eine der Kriminalistik, dem Detektivischen, dem Bereich Verbrechensverfolgung angehörige Kategorie).
Der König war seit dem Ursprung dieser Institution Erbe des Opfers. Ihm wurde die Schuld aufgelastet, die die ersten Bürger noch nicht zu tragen vermochten; und dafür wurde er geehrt. Aus dieser magischen Tradition, scheint mir, stammt der rationale Kern des Satzes von der Übernahme der Sünde der Welt (ausgesprochen vom gleichen Johannes, der den Herodes wegen seiner Beziehung zur Frau seines Bruders angreift und deshalb auf Verlangen der Frau hingerichtet wird – vgl. auch das Jesus-Wort über Johannes: „Was seid ihr gekommen zu sehen …?“). Heute, angesichts der vollendeten Vergesellschaftung von Herrschaft, wäre endlich diese Königstradition mit zu vergesellschaften (als Antwort auf die „Verinnerlichung des Opfers“, die die DdA als Teil des bürgerlichen Subjektbegriffs erkannt hat). Das christologische Dogma, die Vergöttlichung des Opfers, und sein das Bewußtsein insgesamt verhexender Abkömmling: der moderne Naturbegriff, liegen in dieser unaufgeklärten Königstradition, genauer: in der mythologischen, der heidnischen, nicht in der jüdischen Königstradition.
Ist das Geld die Eucharistie des mythischen Königs (und deshalb der Kapitalismus reiner Kult ohne Dogma)? Gleicht nicht die Logik der Eucharistie der des Geldes? Und was hat Pilatus in der Messe zu suchen?
Materie ist eine Kategorie der Geld-Mystik (die Substanz des corpus mammonis mysticum).
Den biblischen Schöpfungsbericht als ein Stück politischer Theologie lesen: das dürfte auch dem „kosmologischen“ Gehalt des Schöpfungsberichts näherkommen als jeder Versuch einer naturwissenschaftlichen Interpretation.
Ist das Licht, das am ersten Tag allein durchs Wort geschaffen wurde, das gleiche, das auch dem Visionsbegriff zugrundeliegt: eher ein sprachlicher als ein optischer Sachverhalt, Grund der benennenden Kraft der Sprache, ihres „Objektbezugs“? Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ ist ein Beispiel für dieses innersprachliche „Sehen“, von dem die erkennende Kraft der Begriffe sich herleitet (woran erkennt ein Kind, daß Bernardiner und Dackel Hunde sind?), und das in der metaphorischen Sprache fortlebt (Zusammenhang der Metaphorik mit dem Angesicht: in der Metaphorik werden nicht nur die Dinge von uns, sondern auch wir von den Dingen erkannt).
Der Weltbegriff steht in der kainitischen Tradition.
Die formalisierte Logik zerstört die Grundlagen der Argumentation (der logischen Grund-Folge-Beziehung): das rührt daher, daß in der Argumentation etwas von der benennenden Kraft der Sprache noch sich manifestiert, die dann durch die Einbeziehung in die Zwangslogik der Beweisführung und deren „verandernde“ Kraft neutralisiert wird. -
28.08.92
Die eigentliche Botschaft, die die Naturwissenschaften nach draußen vermitteln, liegt nicht in dem, was in populärwissenschaftlichen Büchern steht, sondern in der Grunderfahrung, daß die Welt aus Material und den Mitteln seiner Bearbeitung besteht und die Natur das natürliche Objekt der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist.
Heinsohn spricht zentrale Probleme der Menschheitsentwicklung (Ursprung des Geldes und der Sexualmoral) an, löst sie aber auf eine Weise, die den Autor und den Leser entlastet, indem sie ihn aus dem Schuldzusammenhang herausnimmt und Sündenböcke (vorge-schichtliche Naturkatastrophe, kirchliches Interesse an Menschenproduktion) zur Abdeckung der Lücken im System, des Defizits anbietet (ausgeklammert wird generell der patriarchalisch-frauenfeindliche Aspekt). Nicht zufällig erinnert sein Verfahren an das der Aufklärung, die immer schon mit Hinweisen auf Natur und Priestertrug Rationalitätsdefizite begründete. Hier scheint auch der Grund der Notwendigkeit und der Qualität seines polemischen Talents zu liegen. In dem bevölkerungstheoretischen Ansatz seiner Erklärung der Hevenverfolgung liefert er durchschlagendes Material für das Verständnis der Funktion der Sexualmoral insgesamt, wehrt aber dann im Hinblick auf Reich dessen „funktionalisierenden Ansatz“ ab (und behält damit von Reich nur den Slogan einer Zigarettenreklame übrig: Genuß ohne Reue). Und die unbesehene Gleichsetzung der präurbanen Methoden der Verhütung mit den technisch-industriellen, die heute sich durchsetzen, verweist auf die Schwächen seines Ansatzes. Das Vorurteilsmoment im Hexenwahn, das sehr früh seine eigene trieb- und realökonomische Schubkraft gewann, bleibt außerhalb seines Gesichtskreises und wird auch bewußt dort gehalten. Damit aber bleibt auch der Grund und der Stellenwert des Sexualtabus (sein Rationalitätskern im patriarchalischen Herrendenken) unbearbeitet. Seine Polemik zehrt vom Gestus des Jüngsten Gerichts (einer verkürzten Version des Hegelschen Weltgerichts), mit einer durchgebildeten Sündenbock-Dämonologie (in der der verdrängte Rationalitätskern der kirchlichen Sexualmoral wiederkehrt).
Muß Heinsohn das Vorurteilsmoment im Hexenwahn leugnen, weil dessen Erkenntnis an die eigenen Verdrängungen rührt? Und geht es nicht in der Naturkatastrophen-Theorie und im bevölkerungspolitischen Ansatz seines Hexenverfolgungs-Konzepts um die Neutralisierung des gleichen Problems (des Problems der Gemeinheit und ihres Ursprungs im Kontext des Patriarchats, der Entstehung des Privateigentums, des Weltbegriffs)?
Die biblischen Genealogien sind wohl auch aus ihrer Verknüpfung mit dem chronologisch-biologischen (Zeugungs-)Kontext herauszulösen:
– Abraham entstammt der Linie Arpachschad (und nicht Aram), aber seine Verwandten sind Aramäer (er selbst ein Hebräer).
– Die Stammbäume des Kain und des Seth sind teilidentisch, unterscheiden sich u.a. durch die Reihenfolge (vgl. insbesondere Henoch und Enosch, auch Lamech!).
Gilt der Satz „Niemand kennt die Zeit und die Stunde außer dem Vater, der im Himmel ist“ außer für die Zukunft auch für die Vergangenheit (Verhältnis von vergangener Zukunft und zukünftiger Vergangenheit)? Und sind unter diesem Vorbehalt nicht auch die Genealogien (die toledoth, einschließlich des Sechstagewerks) zu lesen?
Haben die sieben unreinen Geister etwas mit den sieben Engeln der Gemeinden (die Adressaten, nicht Boten der apokalyptischen Botschaft sind: aber wessen Boten sind sie?) in der Apokalypse zu tun? Und gibt es eine gemeinsame Beziehung beider zu den sieben Diakonen (die ersten Märtyrer: ein Apostel und ein Diakon, Jakobus und Stephanus)?
Das hypostasierende, verdinglichende Denken, das die Erneuerung der Theologie heute verhindert, wird durchs Dogma und durchs Bekenntnis und ihre gemeinsame Logik abgesegnet und stabilisiert. -
26.08.92
Heinsohns Bemerkung, Norbert Elias habe den Prozeß der Zivilisation „evolutionistisch verrätselt“, drückt nur seine eigenen Verdrängungsmechanismen aus. Wenn er, was er „Verrätselung“ nennt, als Begriff eines realen Prozesses akzeptieren würde, ließe sich sein konkretistisches Konzept („Naturkatastrophe“) so nicht mehr halten. (Merkwürdig, daß Heinsohns Verdrängungsansätze insbesondere im Feld der Bevölkerungstheorie sich manifestieren.)
Die Idee des stellvertretenden Leidens ist sinnvoll nur im Kontext des Nachfolgegebots. Der Gedanke, daß ein anderer durch oder für meine Schuld leidet, ist ohne die Idee der Gottesfurcht unerträglich. Auf keinen Fall ist mir das Produkt dieses Leidens gleichsam zum Konsum (zum Genuß: hier, nicht in der Sexuallust, liegt das Substrat der Erbschuld) gegeben. Mit der Konsumtheorie des stellvertretenden Leidens (der Opfertheologie) schaffen wir uns die Armen und die Fremden aus den Augen: bereiten wir ihren Mord vor.
Das trinitarische Dogma und seine begriffliche Ausgestaltung ist wahr und blasphemisch zugleich (ebenso wie die modernen Naturwissenschaften).
Die Seele und die Person sind amputierte Gestalten des Antlitzes. Als Person macht sich auch die Seele noch unsichtbar (versteckt sie sich hinter der Maske).
Der Personausweis ist ein Verwandter des Fahndungsplakats, Ausdruck davon, daß der Staat apriori seine Bürger unter Anklage stellt, aus der er nur durch sein Bekenntnis zum Staat, durch nationalistische Identifikation mit dem Aggressor Staat herauskommt.
Ist die Dornenkrone nicht ein anderes Symbol für den gleichen Sachverhalt, auf den auch der Kelch verweist?
Das Gravitationsgesetz ist ein Ersatz für die Waage (die es real nicht gibt), um das „Gewicht“ der Erde, des Mondes, der Sonne und der Planeten zu bestimmen (Ursprung des verdinglichenden Denkens).
Die letzte Zeit wird das Gesicht eines Hundes tragen: Hängt das mit jener Erfahrung zusammen, die man mit Hunden (und mit Skinheads) macht, die aggressiv werden, wenn man sie anblickt? Babylon hatte den Hund als Symbol.
Die Fortpflanzungsentscheidung war seit je Teil eines ökonomischen Kalküls (Heinsohn, S. 200). Sie ist heute völlig irrational geworden. Werden Kinder nur noch aus Selbstmitleid gezeugt? Es wächst das Gefühl davon, welche Schuldenlast wir den Kindern aufbürden, welches Schuldenerbe wir ihnen hinterlassen.
Der Gläubiger ist einer, der im Vertrauen auf die „Ehrlichkeit“ (sprich Bonität) des Kreditnehmers diesem einen Kredit gegeben hat. -
25.08.92
Merkwürdige Konstruktion in der Heinsohnschen Erläuterung des römischen Instituts der Adoption: Hier lebt der Mann (der Eigentümer) nicht in seinen Söhnen, sondern in seinem Eigentum (in seinem Werk) fort: der Adoptionssohn ersetzt den biologischen Sohn. Wie hängt das mit dem Gegenbild des proles zusammen, der nichts anderes besitzt als seine Nachkommenschaft (und in seiner Karriere über den Kolonen zum Feudalherrn das erste Beispiel für die Dialektik von Herr und Knecht liefert)? Erst der moderne Bürger verwaltet sein Eigentum im Interesse seiner Erben? In welcher Beziehung steht die Adoption zur Vergöttlichung der Cäsaren (zu den orientalischen Gottkönigen)?
Merkwürdig auch die Affektfreiheit bei der Darstellung der Kindestötung (als Mittel der Familienplanung – Abblendung des Zusammenhangs mit dem Kinderopfer?), und die Ironisierung des Prinzips der „Heiligkeit des Lebens“; hierzu paßt es, wenn Heinsohn über die pauschale Verurteilung der Hexenverfolgung (und ihrer kirchlichen und politischen Urheber) hinaus mit keinem Wort auf den Punkt zu sprechen kommt, der die Hexenverfolgung in der Tat mit dem Holocaust (und den Hexenwahn mit dem Antisemitismus) verbindet: das Problem des Ursprungs jener Gemeinheit, die die Formen der Verfolgung (Inquisition, Folter, Scheiterhaufen: die handwerkliche Vorstufe des industriellen Holocaust) öberhaupt erst möglich macht und als deren Opfer Menschen bestimmt, die wie Frauen und Juden zu den Schwachen, jedenfalls nicht zu den Herrschenden gehören; was müssen Menschen zuvor sich selber antun, um das andern Menschen antun zu können.
Hegel nennt den Staat den sterblichen Gott. Diesen Gott aber beten die Kirchen immer noch an, und sie bemühen sich verzweifelt, nicht wahrzunehmen, daß er sterblich ist. Dieses verdrängte Problem (oder die Verdrängung dieses Problems) soll die Opfertheologie lösen (die dadurch blasphemisch wird).
Es scheinen bestimmte Namen zu sein, die im NT mehrfach auftauchen: Johannes, Simon, Judas, Josef, Jakobus?
– Berufungsgeschichten gibt es von Simon und Andreas, Johannes und Jakobus, Philippus und Natanael, Matthäus (Levi).
– Natanael taucht nur als „echter Israelit“ unter dem Feigenbaum auf (aber als Jünger angeworben durch Philippus).
– Hat der Apostel Philippus mit dem späteren Diakon Philippus zu tun? Sein Name ist hellenisch („Pferdefreund“). – Philippus-Stellen: Berufung des Natanael, Brotvermehrung, „zeig uns den Vater“, Vermittler der Bitte des Griechen (über Andreas – auch ein griechischer Name!); als Diakon: Predigt in Samaria, Bekehrung des äthiopischen Kämmerers, lebt später in Cäsarea, hat vier prophetische Töchter.
– Die Brüder Jesu sind Jakobus, Simon, Josef, Judas?
Der Danielsche Nebukadnezzar frißt am Ende wie ein Ochse Gras, seine Haare wurden so lang wie Adlerfedern und sein Nägel wie Vogelkrallen (Dan 425ff). Ist er das Vorbild für den vegetarischen Antichrist?
In der Verfolgung der raf agiert der Staat aus eigener Betroffenheit (und Wut), angesichts des Fremdenhasses, der Ausländerfeindschaft (der rechtsradikalen Skinhead-Szene) fürchtet er sich vor dem Ansehensverlust im „Ausland“ („Schändung des deutschen Namens“). Die vielfach dokumentierte Mordlust läßt ihn kalt. Am Schutz der Menschen ist er nicht interessiert. -
24.08.92
Worauf beziehen sich die von Heinsohn (S. 49) aufgeführten Stellen über pharmakeia = Zauberei? Sie gehören zu einem Verworfenheitskatalog, zu dem auch Unzucht, Mord u.ä. gehören. Bezieht sich der Begriff der Zauberei nicht eher auf den dämonischen (instrumentalisierenden) Gebrauch des Opfers (der sich u.a. im Handel fortsetzt)? Und entstammt der Hexenwahn (wie auch die kirchliche Sexualmoral, in deren Geschichte sie hereingehört) nicht der patriarchalischen, verdinglichenden Umdeutung dieses Begriffs der Zauberei?
Im Kontext der Auslegungsgeschichte des Begriffs der Zauberei (d.h. im Kontext der Geschichte der christlichen Sexualmoral, der Hexenverfolgung und der gegenwärtigen Abtreibungskampagne) läßt sich präzise bestimmen, was das Neue Testament die Sünde wider den heiligen Geist nennt.
Dämonisch ist der Hexenwahn: diese Art der projektiven Zauberei-Unterstellung.
Unsere Theologie heute ist die Gestalt gewordene Prophetie-Empfängnis-Verhütung. Und das kirchliche Lehramt ist (als Gottesfurcht-Vermeidungs-Institut) ein einziges Präservativ, ein Theologie-Verhüterli. Wirksamstes Instrument dieser „Empfängnisverhütung“ ist der verdinglichte (dogmatisch sich objektivierende) Wahrheitsbegriff.
Mit dem Beginn der Hexenverfolgung verliert die Kirche, zusammen mit der prophetischen, ihre häresienbildende Kraft. Und die neue Orthodoxie: das sind (als Gestalten subjektloser, technisch verdinglichter Prophetie) die Naturwissenschaften, zu deren Vorgeschichte die Judenfeindschaft, der Kampf gegen die Häresien und die kirchliche Frauenfeindschaft als Ursprungsbedingungen dazugehören.
Heinsohn und Götz Aly/Susanne Heim: Merkwürdig, daß sowohl die Hexenverfolgung als auch der Holocaust (die größten gesellschaftlichen Naturkatastrophen) fast zwanglos aus bevölkerungspolitischen Konzepten (aus dem Versuch, das Armutsproblem durch technologische bevölkerungspolitische Konzepte zu lösen) sich herleiten lassen.
Christologie, die Vergöttlichung des Opfers, oder der schizogene Naturbegriff. Die double-bind-Strukturen reichen in die Trinitätslehre und den Naturbegriff zurück und enthüllen sich der Kritik als symbiotische Herrschafts- und Exkulpierungs-Instrumente.
Natur, Pan und Panik, oder die Installierung des Schreckens.
Der Raum und das Lachen: Hegels Philosophie wird vom Gelächter eingeholt (vgl. Derridas Hinweis auf Bataille). Das Gelächter als Reaktion auf Hegels Begriff der Aufhebung entspricht dem Lachen in Büchners „Lenz“ und dem Ursprung der Lehre „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ Nietzsches. Dieses Gelächter bringt das Hegelsche Absolute zu Fall. Aber das hat Hegel selbst gesehen; Heine hat es notiert. Und das Hegelsche Weltgericht ist nur ein anderer, emphatischer Ausdruck für die lakonische Feststellung Wittgensteins: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“
In der Ausländerfeindschaft, im Fremdenhaß (im sogenannten Asylantenproblem), explodiert die kirchliche Tradition des Kampfes gegen die Heiden und gegen die Häresien. Die zentrale Funktion des Namens der Barbaren im Prozeß der philosophischen Begriffsbildung hat in der Kirche (für das Selbstverständnis des Glaubens) der Name der Heiden übernommen, der nach Bildung der National- und Volkskirchen dann leicht mit dem der Ausländer (den Nachfahren der Häretiker und der Andersgläubigen) verschmelzen konnte.
Aus Angst vor der Wahrheit pflegen die Kirchen heute den autoritären Charakter, dieses Theologie-Verhütungs-Instrument. Zu seinen Konstituentien gehören die Xenophobie und das „No pity for the poor“.
Das Gebot der Feindesliebe ist ein Riegel vor der Paranoia (und sprengt den Natur- und Weltbegriff). Zur Übernahme der Sünde der Welt: das verdinglichende, objektivierende Erkenntnisgesetz bedient sich des Weltbegriffs als Exkulpierungsmittel. Das Gebot der Feindesliebe, die Übernahme der Sünde der Welt und das Arglosigkeitsgebot sind drei Seiten ein und derselben Sache.
Die Velikovsky-Heinsohnsche Venus-Theorie, das Naturkatastrophen-Konzept, das den altorientalischen (vorweltlichen) Sternen-und Opferdienst und seine Funktion im Prozeß der frühgeschichtlichen Staatenbildung begründen soll, ist ein entstellter Hinweis auf das in der Bibel mit den Begriffen Unzucht, Hurerei und Zauberei bezeichnete Problem. Und mir scheint, die Velikovsky-Heinsohnsche Theorie gewinnt einen Teil ihrer Plausibilität daraus, daß sie das Eingehen auf den patriarchalisch-frauenfeindlichen Anteil dieser Geschichte überflüssig macht (konsequenterweise muß Heinsohn genau diesen Aspekt dann auch aus der Geschichte der Hexenvervolgung wegerklären). Zumindest als Resonanzboden der Wirkung einer frühgeschichtlichen interstellaren Naturkatastrophe müßte dieser gesellschaftliche Aspekt der Naturkatastrophe im Kontext der Entstehung der Großreiche mit reflektiert werden. Die mit der Venustheorie verbundene Chronologie-Revision wird damit nicht nur nicht hinfällig, vielmehr wird so erst das Hintergrund-Problem sichtbar, das da mit drin steckt: Die projektive Ausgestaltung (Verzerrung) der altorientalischen Geschichte, die Verdreifachung von Staaten, Dynastien und Völkern spiegelt einen vergleichbaren Vorgang im gleichzeitigen Erkenntnisprozeß der Naturwissenschaften (im neunzehnten Jahrhundet). Auch hier wird gleichsam ein überflüssiger Reichtum an Fakten und Objekten geschaffen, vor dem wir heute ebenso staunend wie begriffs- und hilflos stehen. Mir scheint das historische Chronologie-Problem hängt mit dem erd- und naturgeschichtlichen durch die gleichen Erkenntnismechanismen, denen der Ursprung beider Probleme sich verdankt, zusammen. Könnte es nicht sein, daß der historischen Verdreifachung (die vor allem sprach-und schriftgeschichtlich aufzulösen wäre) eine Verdreifachung im naturgeschichtlichen Bereich nicht nur entspricht, sondern sogar zugrundeliegt: Auch hier wird in einen langen (quasiharmonischen) Evolutionszeitraum zurückprojiziert, was in anderen, (von außen gesehen:) katastrophenähnlichen Prozessen in einer ganz anderen chronologischen Folge durchsichtig zu machen wäre, wenn es gelingt, die Reflexion des Referenzsystems des naturwissenschaftlichen Objektbegriffs (des Inertialsystems) und seiner Beziehung zur Sprache in die Erkenntnis mit einzubringen.
Ist das Chronologie-Problem ein Umkehr-Problem, ein Problem der Selbstbesinnung des Herrendenkens? (Zusammenhang mit den sieben unreinen Geistern?)
An Heideggers Begriff des „Vorlaufens in den Tod“ ist zu ermessen, was am Ereignis des Kreuzestodes und seiner kirchlich-theologischen Rezeption aufzuarbeiten, welche Erinnerungsarbeit zu leisten wäre. Die Verwechslung des Kreuzestodes Jesu (der für seine Henker um Vergebung bittet) mit dem Tod des Sokrates (der sich mit seinen Richtern identifiziert, selber das Urteil vollstreckt) bezeichnet einen wichtigen Aspekt des Problems der Beziehung von Theologie und Philosophie (und der Opfertheologie als Brennpunkt dieses Problems).
Die ironische gemeinte Bemerkung Heinsohns, „die Rauschmittel als Ziel der Hexenverfolgung zu behaupten, käme der These gleich, daß in Deutschland die Juden ausgerottet wurden, um die Spitzenleistungen in Physik und Mathematik zu eliminieren“ (S. 65), trifft gar nicht soweit daneben, wenn man nur das Wort „Spitzenleistungen“ durch den konkreteren Hinweis ergänzt, daß hier in der Tat mit Einstein, Weil und Minkowski die Naturwissenschaften der Grenze ihrer Selbstaufklärung in einer für den Einbruch der Barbarei gefährlichen Weise nahe gekommen waren. Dem hat dann die deutsche Sektion der Kopenhagener Schule mit Mühe und insoweit auch mit Erfolg entgegengearbeitet, als es seitdem ernsthafte theoretische Fortschritte in den Naturwissenschaften nicht mehr gegeben hat (der nächste Schritt nach der zu vermutenden Vollständigkeit des theoretischen Instrumentariums kann nur noch der der Selbstaufklärung sein). -
23.08.92
Zur Kritik der Ontologie: Das Sein als Kopula im Urteil ist das Konstituens der Welt.
Ist die Kirche nicht genau in die Tradition derer eingestiegen, die im Johannes-Evangelium „die Juden“ genannt werden? Und welche Rolle spielt hierbei der Hebräer-Brief (die Hohepriester-Passage)? – Was hat es mit dem Hebräer-Evangelium auf sich?
Die beiden Formen der Einsteinschen Relativitätstheorie berühren genau den Punkt im naturwissenschaftlichen Konzept, an dem es dem apokalyptischen Begriff dessen, der „war, nicht ist und wieder sein wird“, entspricht. Durch die Identität von träger und schwerer Masse wird auch das Inertialsystem ins Fallgesetz mit einbezogen. Aber die Schwerkraft ist ortsabhängig, die Lorentz-Transformationen und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sind richtungsabhängig; beide beziehen sich demnach getrennt auf die beiden Konstruktions- bzw. Reflexionselemente des Raumes: die Orthogonalität und die Linearität (die die metrische Struktur des Raumes bestimmende Beziehung von Winkel-und Längenmaß, der Grund der Beziehung von Raum, Zeit und Materie, der Trennung von Begriff und Objekt und zugleich der elementaren mathematischen Strukturen und Operationen). Hier ist der Realgrund dafür, daß es im Bereich des Schicksals keine mögliche Beziehung zur Unschuld oder zum Glück gibt.
Die Vorstellung des unendlichen Raumes, die die Dinge für uns zum Objekt macht, indem sie den Abgrund hinter den Dingen eröffnet, leugnet (und sprengt, vernichtet) mit den sinnlichen Qualitäten der Dinge (mit ihrer Beziehung zum Licht) das Angesicht.
Wie ist das Wort von den „vielen Wohnungen im Hause meines Vaters“ (Joh 142) zu verstehen? -
22.08.92
Das Staunen Gunnar Heinsohns darüber, daß die gleiche israelitische Geschichte, die einmal Maßstab war für die altorientalische Chronologie, dann daraus gestrichen wurde, während die so entstandene Chronologie im übrigen unverändert beibehalten und dann antisemitisch genutzt wurde, paßt sehr genau zusammen mit jener merkwürdigen Geschichte, in der die christliche Theologie (die dogmatisch verstandene Orthodoxie) objektiv zu den Entstehungsbedingungen der modernen Naturwissenschaften gehört – wobei der moderne Naturbegriff ohne die christologische Logik (die den Täter exkulpierende Logik der Vergöttlichung des Opfers) nicht zu denken ist -, nicht den Naturbegriff in Frage stellt, sondern durch ihn hindurch die Theologie so verhext, daß sie, zur Unkenntlichkeit entstellt, ohne Gefahr des Einspruchs bestritten werden kann.
Die Astronomie gehört seit je zu den staatsbegründenden Wissenschaften (Kopernikus, Bodin, Kolumbus und die Hexenprozesse).
Wo liegt die Differenz zwischen einer gesellschaftlichen und einer realen Naturkatastrophe? In ihren Auswirkungen auf die Opfer kann sie nicht liegen. Worin lag die Bedeutung des Erdbebens von Lissabon für die Geschichte der europäischen Aufklärung? Lag sie nicht darin, daß es sich hier um eine Katastrophe handelte, die keinen Schuldigen brauchte?
Die subjektiven Formen der Anschauung sind die subjektiven Formen der Anschauung der anderen; in ihnen bezieht sich das Denken auf das Denken der anderen; sie sind die Statthalter der anderen im Subjekt (Medium der Vergesellschaftung des Subjekts). Darin liegt ihre große Bedeutung für die philosophische Begründung des Wissenschaftscharakters der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Hier lernt das Subjekt sich selbst von außen (in den Augen der anderen) sehen. Das gehört in die Geschichte vom Sündenfall: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
Das, was im Objektivationsprozeß nach innen verdrängt wird, wird verdrängt vor der Gewalt des Äußeren, vor der das Subjekt schon kapituliert hat. Diese Kapitulation ratifiziert das Ende des Prozesses: das Barbarisch-Werden und schließlich das Verschwinden dessen, was unterm Begriff des Inneren falsch begriffen wird. Die Idolatrie und der Ursprung des Weltbegriffs bezeichnen den Anfang dieses Prozesses.
In der Diskussion der transzendentalen Logik gab es die Frage nach der transzendentalen Ableitung dieser Schreibfeder, die Aufforderung an den transzendentalen Idealismus, ihre Existenz aus den Voraussetzungen der reinen Vernunft zu konstruieren. Mit diesem Beispiel wurde auf den auch durch den transzendentalen Idealismus nicht aufgehobenen Wert der Empirie hingewiesen. Aber dahinter steckt ja doch auch noch ein anderes: Ist die „Ableitung“, die „apriorische Konstruktion“ einer Schreibfeder so denkunmöglich? Wäre sie nicht doch zu leisten durch eine Erinnerungsarbeit, die mit der Schreibfeder die ganze Geschichte der Schrift und ihrer Stellung im Lebensprozeß der Gesellschaft (Zusammenhang der Schrift und ihrer Techniken mit der Urgeschichte des Staates und der Zivilisation, des Geldes, der Sprache, des Mythos, der Philosophie, der Prophetie) und den Stand dieser Geschichte in der Gegenwart, in der die Schreibfeder (dann der Füllfederhalter, die Schreibmaschine, die elektronische Textverarbeitung) ein wichtiges Indiz für die Stellung des Bewußtseins zur Objektivität und für die geistigen Produktions- (und Erinnerungs-)Bedingungen ist.
Die Ezechielstelle über Jerusalem (Vater ein Amoriter, Mutter eine Hetiterin) mit Abraham-Melchisedek, mit Davids Eroberung Jerusalems und dem Hebräer-Brief vergleichen?
Die Frage, ob das Tausch-Paradigma oder das Schuldknechtschafts-Paradigma wichtiger sei für die Gesellschaftserkenntnis, scheint mir der anderen Frage vergleichbar zu sein, ob der begriffliche Zusammenhang der Mechanik besser durchs Relativitätsprinzip oder durchs Gravitationsgesetz zu bestimmen sei. Beide Aspekte gehören zum Begründungszusammenhang ihres Objektbereichs und zum Konstitutionszusammenhangs ihres objektbegründenden Referenzsystems. – Bedeutung der Relativitätstheorien Einsteins, die zwar nicht die Lösung bieten, aber die bis heute genaueste Darstellung des Problems.
Zur Kritik der Naturphilosophie: Bezeichnet nicht der Naturbegriff seit je den Mülleimer der Philosophie: Mit dem Naturbegriff wurde der Widerspruch zugedeckt, der von der Arbeit des Begriffs nicht abzulösen ist. Wer diesen Mülleimer öffnet, muß damit rechnen, daß, was er darin sieht, nicht mehr mit der Philosophie zusammen sich anschauen läßt. Mit der Auflösung des Rätsels des Naturbegriffs löst sich die Philosophie selber auf. Seit ihrem Ursprung hat die Philosophie den Naturbegriff als Mittel ihrer Selbstkonstituierung benutzt; sie hat ihn damit der Reflexion entzogen und ihm zugleich eine Last aufgebürdet, die er zu tragen nicht imstande ist.
Wenn man die hegelsche Philosophie – das Autodafe der bisherigen Philosophie, wie Franz von Baader sie genannt hat – als die Selbstverständigung der Geschichte des Herrendenkens begreift, und wenn man das Herrendenken als die Außenseite der Theologie begreift, dann ist Adornos negative Dialektik Theologie.
Der Nationalsozialismus, die Rassenideologie, enthält wie jede Ideologie (oder auch wie jeder Wahn) einen rationalen Kern. Diesen rationalen Kern mit aufzuarbeiten, ihn mit zu reflektieren, heißt auch: ihn dadurch, daß man ihn reflektiert, ihn ins Bewußtsein hebt, zu neutralisieren, ihm seinen wahnhaften Charakter zu nehmen.
Die Tatsache, daß die hebräische Sprache kein Futur kennt, hängt mit dem Bilderverbot zusammen. Umgekehrt hängt die Existenz der futurischen Formen in den sogenannten indogermanischen Sprachen mit der Ausbildung des mythischen Denkens, mit der Geschichte der Säkularisation des mythischen Denkens durch Verinnerlichung des Schicksals, des Ursprungs und der Entfaltung des begrifflichen Denkens zusammen, bis hin zum Ursprung des Weltbegriffs, des Inertialsystems und der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Der Schritt über die vorgriechische Geschichte hinaus wird präzise bezeichnet durch die Bildung des Weltbegriffs, mit dem Naturbegriff gleichsam als Abfalleimer.
Die Wiedergewinnung des messianischen Element ist ohne die Kritik der Christologie und ihres Zusammenhangs mit dem philosophischen Naturbegriffs nicht zu leisten.
Die Entdeckung des Blutkreislaufs und die Entdeckung des kopernikanischen Systems sind gleichzeitig; sie stehen in einem Schuld-und Systemzusammenhang mit dem anatomischen Ursprung der modernen Medizin und der gleichzeitigen Geschichte der Hexenverfolgung.
Kann es sein, daß der Begriff der Arier kein stammesgeschichtlicher, sondern ein herrschafts- und sprachgeschichtlicher (Ursprung der staatenbegründenden Sprache) und damit primär ein soziologischer ist?
Ist das Wasser, dieses flüssige Element, ein Symbol der Zeit, genauer: der Zeit, wie sie im Zusammenhang mit dem Futur II und dem Inertialsystem sich darstellt (der Fähigkeit, die Zukunft als vergangen zu denken)? Und wird dieses „flüssige Element“ im Relativitätsprinzip (in dem der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie gemeinsamen Prinzip) benannt? Das würde die Einsteinsche Theorie erst in den Zusammenhang ihrer realen Bedeutung stellen: So wäre sie unmittelbar auf Thales („Alles ist Wasser“) und auf den biblischen Schöpfungsbericht (Geist Gottes über den Wassern, Scheidung der Wasser durch die Feste). – Die Festkörperphysik und die Gastheorien sind Objekttheorien, während die Flüssigkeitsphysik eine Systemtheorie sein müßte. Der speditionelle Begriff des Massengutes rührt ebenso wie der damit verwandte Begriff der flüssigen (nicht festen) Materie an den Grund des philosphisch-naturwissenschaftlichen Massenbegriffs.
Der Arzt als magischer Helfer: diese Vorstellung ist ein Produkt der exkulpatorischen Delegation der eigenen Verantwortung für die eigenen Physis und die Gesundheit an einen Sündenbock; auch ein Versuch, schuldlos zu erscheinen (exkulpatorisches Element in der Krankheitslust).
Das unbekehrte Christenum ist verinnerlichte Idolatrie, die so zum Ferment des Bösen wird: daher die Bedeutung der Teufel, Dämonen, unreinen Geister und die Höllenvorstellung im Christentum.
Der Weltbegriff ist ein Begriff der Herrschaftsgeschichte, nach der Vergesellschaftung von Herrschaft, nach der Implantierung der subjektiven Formen der Anschauung im Subjekt, fast nicht mehr kritisierbar.
Die Marxsche These (aus den Thesen über Feuerbach):
Bisher haben die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert, es käme aber darauf an, sie zu verändern,
genauer bestimmen:
Bis jetzt steht die Philosophie unter dem logischen Gesetz des Weltbegriffs, es käme aber darauf an, sie aus dieser Verstrickung zu lösen.
Mit der Reformation hat die Kirche ihre „häresienbildende Kraft“ verloren. Seitdem schmort sie in ihrem eigenen Saft.
In dem in traditionellen Darstellungen der Logik beliebten Beispiel eines logischen Schlusses:
Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist ein Mensch.
Also ist Sokrates sterblich.
wird unterschlagen, daß Sokrates sich dem Verfahren eines amtlich verordneten Selbstmords unterworfen hat. Er hat die Todesstrafe, die die polis über ihn verhängt hat, selber vollstreckt und den ihm nach seiner Verurteilung überreichten Schierlingsbecher getrunken. Das, so scheint mir, ist das Modell für das Heideggersche „Vorlaufen in den Tod“, die durch den Tod vollzogene Identifikation mit dem Kollektiv (Hegels „Substanz als Subjekt“); dieser Tod ist die Grundlage des Herrendenkens. Und die Heideggersche „Eigentlichkeit“ ist die Schrumpfform des philosophischen Unsterblichkeitsgedankens. Aber in dieser Konstruktion steckt zugleich das Echo aus der Geschichte vom Sündenfall: Wenn ihr von diesem Baume eßt, müßt ihr sterben, sterben. Hier wird der Tod als eine Konsequenz an eine Gestalt der Erkenntnis geknüpft, die seitdem der Grund ist für die Instrumentalisierung der Welt: die Erkenntnis des Guten und Bösen. Es ist der gleiche Prozeß, in dem über die Gestalt des sokratischen daimon und durch die Verinnerlichung der mythischen Schicksalsidee das Subjekt glaubt, aus dem mythischen Schuldzusammenhang heraustreten zu können und sich als „philosophisches Subjekt“ und als Teil der („zivilisierten“) Welt konstituiert. Die verinnerlichte Struktur des Schicksal ist zum Wesen des Begriffs geworden, unter dessen Herrschaft die Welt als Welt sich konstituiert. -
20.08.92
Der naive Objektivismus will auf die Vorteile des Schuldverschubsystems nicht verzichten: Der exkulpatorische Gebrauch des Objektbegriffs ist die zentrale Verführung des Katholizismus, Substrat und Medium der Leugnungsgeschichte (wäre heute nachzuweisen an der kirchlichen Abtreibungskampagne). Er hält aber auch die katholische Kirchenkritik in seinem Bann, macht sie so konfliktunfähig (und gegen die kirchliche Autorität ebenso hilflos wie die Kirche heute gegen die Naturwissenschaften).
Die Welt ist als der Inbegriff aller Urteile über die Welt der Inbegriff des Wissens von der Welt. Und die Natur ist der Inbegriff aller Objekte dieses Wissens (der selbstentfremdeten Subjektivität).
Die Kritik der Sexualmoral ist der Schlüssel zur Befreiung der Theologie vom katholischen Posivismus (Schlüssel zur Kritik des Weltbegriffs).
Das Innen als Außen des Außen ist die Folge des allseitigen Außen (dritte Verleugnung und Selbstverfluchung). -
19.08.92
Es ist schon eine merkwürdige Sache, daß das Passiv und das Futur mit dem selben Hilfszeitwort, nämlich „werden“, gebildet werden. Auch das zukünftige Handeln, insofern es vorausgesagt werden kann, ist ein passives Handeln (ein durch die Voraussage bereits bestimmtes Handeln, kein Handeln aus Freiheit). Aber diese „Voraussage“ ist nicht die der Prophetie.
Im Deutschen wird das Futur II auch als Ausdruck einer bloßen Vermutung (in einem Satz, der sich auf ein vergangenes Ereignis bezieht, von dem ich keine sichere Kenntnis, kein Wissen, habe) gebraucht: „Er wird um diese Zeit in der Stadt gewesen sein.“ D.h. der Satz: „Er war um diese Zeit in der Stadt“ drückt nicht nur ein vergangenes Ereignis, sondern auch mein Wissen darum aus.
Die Innenwelt ist die Außenwelt der Außenwelt.
Nach Gen 1413 war Abram (nicht Abraham) ein Hebräer. Und „er nahm die Verfolgung auf bis nach Dan“ (1414), d.h. nach einer Region, die von seinem Urenkel den Namen hatte.
Die Lehre von der Auferstehung der Toten eröffnet eine Beziehung zur Vergangenheit, die Theologie überhaupt erst möglich macht. Die Vorstellung, daß die Vergangenheit nicht abgeschlossen ist, gehört zu den Grundvorstellungen der Theologie. Aber die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten ist eine Hoffnung, die wir nicht für uns, sondern für andere hegen.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Existenz von … sind zwei Seiten ein und desselben Sachverhalts.
Das Bekenntnis des Namens Jesu ist identisch mit der Übernahme der Sünde der Welt . Wer dem sich entzieht, leugnet ihn: Und die Geschichte dieser Leugnung ist in der Petrus-Geschichte festgehalten.
Der Verzicht auf das moralische Außenurteil, auf das Urteil über andere, die Übernahme der Sünde der Welt und die benennende Kraft der Sprache.
Für die vier Wesen, die nach allen Seiten Augen und Flügel haben, ist gleichsam nach allen Seiten vorn und oben, gibt es kein hinten und kein unten.
Die Idee der Ewigkeit schließt die Vergangenheit von sich aus. D.h. zum Ewigen gehören auch die unabgegoltenen vergangenen Hoffnungen: Die Idee der Ewigkeit ist demnach ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht zu halten.
Die Derridasche Dekonstruktion beruht auf einem Konstrukt, das den Sündenfall vor die Schöpfung setzt (vgl. Die Schrift und die Differenz, S. 311).
Zum Unterschied zwischen Präfixen und Suffixen: Präfixe machen das Objekt zum Material einer Bearbeitung (Gegenstand einer Tätigkeit), Suffixe zum Instrument (unterschiedliche Beziehung zur Zeit: Imperfekt und Perfekt; im Perfekt gründet die Trennung von Objekt und Begriff)? -
18.08.92
Zu den stadt- und zivilisationsbegründenden (und damit zu den natur- und weltkonstituierenden) Institutionen gehören das Geld, die Schrift und die (Opfer-)Religion (Tempelwirtschaft, Idolatrie, Sternen- und Opferdienst). Die Ergründung ihrer Ursprünge ist ein notwendiger Teil der heute notwendigen Selbstreflexion. Insbesondere die Rätsel des Naturbegriffs werden sich erst lösen, wenn das Rätsel der Schrift zusammen mit denen der finsteren Mysterien des Geldes gelöst ist (oder das des Verhältnisses von Sprache und Mathematik, in dem die Geschichte des Opfers sich verbirgt).
Wie verhalten sich mit den biblischen Wesen bei Ezechiel und Johannes, die „überall voll Augen“ sind, zu einer Natur, die nur noch von allen Seiten hinter ihrem Rücken wahrgenommen wird? (Sind Brust und Stirn so etwas wie der Rücken von vorn?) Und haben diese Wesen nicht sechs Flügel (entsprechend den sechs Richtungen im Raum)?
Der Ankläger im Buche Hiob, der dann vertreten wird durch Hiobs Frau und durch seine Freunde, ist das nicht die Welt (das Subjekt der hegelschen Philosophie)? Und in welcher Beziehung steht die Geschichte von den drei Leugnungen zum Buche Hiob? -
17.08.92
Erkenntnis und Sexualität: Wie verhalten sie sich zu Begriff und Name?
War mit der Lokalisierung der Erbsünde in der Sexuallust nicht eigentlich die unio mystica, der Selbstgenuß im Objekt, gemeint? Und hängt das nicht wiederum mit Struktur und Funktion des Begriffs zusammen, mit dem mythischen Element im Begriff?
Mit der Exkulpation des durch Alkohol enthemmten Triebtäters wird eigentlich die positivistisch enthemmte Vernunft (im Recht wie in den Naturwissenschaften) exkulpiert (Alkohol als Zivilisationsdroge). Die Vorstellung, daß der Mann, wenn der Trieb ihn überwältigt, seiner selbst nicht mehr Herr ist, ist ein bedeutender Akt der Selbsterkenntnis.
Zentrales Element jeglicher Enthemmung (und jede Enthemmung ist Enthemmung von Gewalt, Ursprung der Gewalt-, der Mordlust) ist die Paranoia, oder genauer: das Herrendenken und die davon unablösbare Paranoia. Darauf bezieht sich die Arglosigkeit, die einzige Kraft, die diesen Zusammenhang auflöst. Herrendenken und Paranoia ist die Subjektseite und Objektivation und Instrumentalisierung die Objektseite des gleichen Sachverhalts.
Ist das Objekt des Satzes „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ nicht die Kirche, die sich mit der vom Nachfolgegebot getrennten Opfertheologie auf die Seite der Täter gestellt hat (Ursprung im Urschisma, Folge: Antijudaismus und die bis heute unaufgearbeitete Geschichte der Häresien).
Symbol unserer Medizin: die Halbtoten am Tropf sind die ertragreichste Einnahmequelle.
Die durchs System der Marktwirtschaft in die Dritte Welt induzierte Hunger- und Schuldenkrise (Arbeitstitel für eine Zivilisationsgeschichte: Geschichte der Schuldknechtschaft) beginnt auf die Erste Welt zurückzuschlagen:
– in der nicht mehr beherrschbaren Arbeitslosigkeit,
– in der Krise des Wohnungsmarktes, der im Interesse des Wohnungsbaus, seiner „Rentabilität“, hinzunehmenden Obdachlosigkeit,
– im Agrarmarkt (generell im Rohstoffbereich: auch bei Kohle und Stahl, im Montanbereich, der zusammen mit dem Agrarbereich zu den ersten Objekten einer EG-Marktorganisation gehörte), und schließlich
– im Problem der sogenannten Gesundheitsreform (Überwälzung der Kosten der explodierenden Gewinnerwartungen des medizinisch-industriellen Komplexes auf die „Objekte“ des Gesundheitswesens: die Patienten).
Seit dem Turmbau zu Babel sollten eigentlich alle Türme suspekt sein (auch Glocken sind Symptome der Sprachverwirrung: waren vielleicht nicht doch schon vorsorglich die Glocken gemeint, als die Kirche die Erbsünde in der Sexuallust lokalisierte?). Aber woher kommt der Ausdruck „türmen“; hängt er möglicherweise mit der mittelalterlichen (oder schon antiken – vgl. die Türme im Buch der Richter) Funktion der Türme als Fluchtstätten zusammen? Und ist das Heideggersche „Haus des Seins“ der letzte Nachfahre des Turms von Babel (vgl. Rosenzweigs „verandernde Kraft des Seins“), und das „Vorlaufen in den Tod“ seine Form des „Türmens“?
Bezeichnen die „sieben unreinen Geister“ den Zustand der Sprache heute?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie