September 1992

  • 15.09.92

    Ein Gerichtsurteil schafft öffentlich verwertbares Wissen, auch wenn es falsch ist. Beim Gerichtsurteil gibt es (wie beim Eigentum das Mein und Dein) Sieger und Besiegte, wobei Niederlage und strafrechtliche Schuld zwar zu unterscheiden, in der Sache aber nicht zu trennen sind. Der Sieger ist der Gerechtfertigte (der Rechtfertigungsbegriff hat das Christentum auch in dem Sinne verweltlicht, daß er den dem Weltbegriff immanenten Begriff des Sieges, des Sich-Durchsetzenden, endgültig ins Christentum mit aufgenommen hat: mit der Diskriminierung des Unterlegenen den Sieg der Kreuzestheologie über das Kreuz).
    Naturwissenschaftliche Erkenntnis gleicht dem Ergebnis eines Indizienprozesses.
    Das Wichtigste an der Geschichte der drei Leugnungen Petri liegt darin, daß die Leugnung kein simpler, ein für allemal definierter Tatbestand ist, sondern in den geschichtlichen Prozeß verflochten ist.
    Die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache ist nur auf dem Wege einer negativen Kosmologie (einer negativen Naturphilosophie) möglich.
    Sind aus dem liberum arbitrium (der Wahlfreiheit in der von Angebot und Nachfrage bestimmten Geldwirtschaft) die drei Freiheitsgrade des Raumes geworden? Fällt auch die Umkehr unter das liberum arbitrium?

  • 14.09.92

    Der Abgrund:
    – Zerfall der Argumentation (Begründung);
    – Abgrund, Grund und Fall;
    – Aufspannen des Himmels und Gründen der Erde;
    – Grund und Zweck (Ziel);
    – mit der Instrumentalisierung der Welt (Inertialsystem) werden die Gründe („Finalursachen“) subjektiv (Zerstörung des Antlitzes, Ursprung des Dezisionismus);
    – subjektiv, „ideologisch“, wird das parakletische Denken, das Eintreten für andere, insbesondere das Votum für die Armen und die Fremden; damit zerfällt die Argumentation;
    – Heideggers „Eigentlichkeit“: Zusammenhang mit der Entschlossenheit, dem In-der-Welt-Sein, dem Vorlaufen-in-den-Tod (Vorhandenheit und Zuhandenheit); Ontologie als Inertialsystem der Sprache.
    Zum Bild der Lokomotive: Wir sind Insassen und Energiepotential, Heizmaterial, zugleich: wir betreiben selber durch unsere Anpassung an das System der Reproduktion unseres Lebens die Maschine, die uns dem Abgrund zutreibt.

  • 13.09.92

    Wenn die Schlange „auf dem Bauche kriecht“, drückt sich darin nicht auch ein Verhältnis zu den Herrschenden, zu den Vornehmen, aus? Steckt darin nicht die Anerkennung hierarchischer Ordnungen? Stehen nicht aller Tiere unter Herrschaftsnarkose? Und ist die Schlange deshalb „das klügste aller Tiere“, weil sie die vollständige Unterwerfung repräsentiert?
    Der biblische Begriff der Umkehr ist nur verständlich im Kontext der Idee der Auferstehung der Toten. In diesem Zusammenhang nochmal nachlesen, in welchem Kontext die Umkehr von Mensch Welt Gott im „Stern“ sich begreift.
    Natur- und Weltbegriff sind Totalitätsbegriffe, die unsere Erfahrung organisieren. Der Naturbegriff usurpiert den Schöpfungsbegriff und leugnet die Idee der Auferstehung der Toten; der Weltbegriff usurpiert das Jüngste Gericht und leugnet die Idee der Schöpfung. Die ungeheure Bedeutung des paulinischen „Kauft die Zeit aus“. Durch den unreflektierten Gebrauch der Begriffe Welt und Natur werden die Schöpfung und die Idee der Auferstehung aus dem Bereich des Denkbaren ausgeschlossen. Aber ohne die Idee der Auferstehung der Toten ist auch die der Wahrheit nicht mehr denkbar.
    Starke und schwache Verben: Gesonnen und gesinnt. Hängt die Unterscheidung mit der von Name und Begriff zusammen, drückt darin ein Unterschied der Beziehung zum Objekt sich aus? (Der Duden ebnet die Differenz ein, indem er schwache Verben, nur weil auch ein Vokal sich ändert, mit zu den starken (= „unregelmäßigen“) Verben rechnet; vgl. insbesondere die sogenannten Modalverben, die „Präteritopräsentia“:
    – dürfen: es ist mir erlaubt,
    – können: die Kräfte, die Mittel reichen aus,
    – mögen: es kommt meiner Neigung entgegen,
    – müssen: ich bin gezwungen,
    – sollen: es wird von mir erwartet,
    – wollen: ich verspreche zu tun,
    – wissen: ich unterwerfe meine Erfahrung den Kriterien der Beweisbarkeit, oder: ich unterwerfe mich der Kontrolle der Anderen (die mich zum Anderen für Andere macht; Katalysator ist der Begriff des Seins, die „verandernde Kraft des Seins“);
    sie binden den transzendentalen Apparat an seinen Naturgrund im Subjekt zurück, geben ihn selber als ein Stück gegenständlicher Natur vor und repräsentieren die Formen der Bedienung, des Gebrauchs dieses Apparats, (den subjektiven Grund der „Tatsachen“); sh. Duden, Ziffer 216: sind das nicht Entfremdungs- oder Vergesellschaftungsverben, Verben, die die Subjektlosigkeit des Subjekts bezeichnen, gleichsam Repräsentanten der Welt oder der Natur, einer Autorität, des Schicksals, des Triebs, des Verstandes oder des Willens im Subjekt: Produkt des begrifflichen Banns, der Zerstörung des Angesichts, und Schuldgrenze zur Welt?).
    Die Präteritopräsentia: Setzt sich mit ihnen das Subjekt (anstelle der Tat) als vergangen, daher ihre grammatische Konstruktion? Sind sie die subjektiven Reflexionskategorien des Weltgeistes, gemeinsam mit dem Weltbegriff entspringende Reflexionsbestimmungen?
    Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird die unmittelbare Präsenz des gesehenen Objekt rekonstruiert; durch die Projektion ins Inertialsystem hingegen wird so etwas wie eine Präteritopräsenz hergestellt. Entsprechen dem in der Sprache die Modalverben?
    Transzendentallogischer Zusammenhang von Welt, Wissen und Natur mit der subjektiven Form der äußeren Anschauung (dem Raum und seiner Dreidimensionalität)?
    Ist der Konjunktiv (der heute ausgetrieben wird) die letzte Zufluchtsstätte des Subjekts in der Sprache?
    Wie hängt das Nomen „Würde“ mit dem Konjunktiv des Verbs „Werden“ zusammen (ähnlich wie der Infinitiv Sein mit dem gleichnamigen Possessivpronomen 3. Person Singular masculinum)?
    „Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Dieser Satz ist eine Tautologie und als solche schlicht nichtssagend: sie fällt nicht unter den Begriff der antastbaren Objekte, oder: auch die schlimmsten Verhältnisse (z.B. die Isolationshaft) lassen die Würde des Menschen unberührt. Der Satz soll aber offensichtlich den Eindruck erwecken, als solle damit die Maxime definiert werden, wonach die Würde des Menschen nicht angetastet werden darf. Dann jedoch dürfte es bestimte Urteile und auch Formen des Strafvollzugs, die zu oft den Satz bestätigen, daß Gemeinheit kein Tatbestand des Strafrechts ist, nicht geben.
    Gemeinheit als Erziehungsmedium: Heißt nicht für unsere Justiz Resozialisierung die Austreibung des Mitleids, die Fixierung ans Eigeninteresse? Das aber ist der Grund der Rückfallmechanik. So gerät unser Rechtswesen immer mehr in eine Verfassung, in der sie nur noch ihre eigene Existenzgrundlage: das Verbrechen, reproduziert.
    Wenn ich einen Imperativ durch einen Indikativ ersetze, dann verwandle ich ein Sollen in ein Sein, eine moralische Handlung in ein schicksalhaft ablaufendes Geschehen: ich verrate die Moral, um die Philosophie zu retten.
    Der Grundstein des babylonischen Turms ist das Sein, die Ontologie das dynamische Zentrum der Sprachverwirrung. Mit dem Namen des Seins zitiere ich Gewalt, den Ursprung des Gewaltmonopols des Staates. Aber insoweit ist auch die raf eine ontologische Sekte.
    Es ist eine Verharmlosung, den Nationalsozialismus nur als Rassismus zu verurteilen; so reduziert man ihn auf ein Bekenntnissystem, auf eine Konfession, und verbleibt im Bann der Logik, der er entspringt. Im Banne dieser Logik sind der Antisemitismus und die Trinitätslehre als Bekenntnisse gleichwertig und austauschbar. Zu verstehen ist er nur als Generalprobe des Antichrist.
    Die Frage, ob zwar nicht Jesus, wohl aber das Christentum den Teufel mit Beelzebub austreibt (vgl. die Geschichte mit den sieben unreinen Geistern), ist vielleicht doch sehr ernst zu nehmen. Und ebenso die Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohepriester, m.a.W. die, die Johannes „die Juden“ nennt, werden vom Grunde her mißverstanden, wenn man sie nur als historische Exemplare einer vergangenen und überwundenen Epoche ansieht: Gemeint ist die Kirche (mit ihren real existierenden Pharisäern, Schriftgelehrten und Hohepriestern).
    Wäre der Islam nicht verständlicher, wenn es stimmt, daß die Sprache des Koran, das Arabische, kein Futur kennt? Das islamische Schöpfungskonzept, wonach Allah in jedem Augenblick die Welt neu erschafft, schließt jede Zukunftsgarantie aus, setzt das Geschaffene der vollen Schöpfungsmacht eines Gottes aus, dessen Pläne undurchschaubar sind, und begründet ein Lebensgefühl, in dem der Zufall zentral ist (wie es dann auch im Namen des „Islam“ sich ausdrückt: Im Christentum ist der Zufall eine zu enträtselnde Chiffre der göttlichen Vorsehung, im Islam eine nur durch Unterwerfung zu ertragende Manifestation der göttlichen Schöpfungsmacht).
    Die Materie ist das Für-andere-Sein der Dinge; insofern hängt der Begriff der Materie mit der Geschichte der Sexualmoral und mit der ihres Objekts zusammen.
    In der Kirchengeschichte hat es zwei pornographische Epochen gegeben: die pornokratische Phase der Papstgeschichte und die kasuistische Phase der Moraltheologie. Beide Phasen sind Phasen der Herrschaftsgeschichte (die erste unmittelbar, die zweite als Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft). Beide sind Ausdruck der Verzweiflung an der Theologie. Die befreite Sexualmoral wird eine sein, die als Herrschaftsmittel gänzlich unbrauchbar geworden ist, weil sie sich im Hinblick auf die Idee der Auferstehung begreift. „Stark wie der Tod ist die Liebe“.
    Adornos Satz: „Die Deutung von Geist als Gesellschaft erscheint demnach als metabasis eis allo genos, unvereinbar mit dem Sinn der Hegelschen Philosophie allein schon darum, weil sie sich gegen die Maxime immanenter Kritik verfehle …“ (Drei Studien zu Hegel, S. 31) wäre zu berichtigen: Die Deutung von Geist als Gesellschaft läßt sich aus der Hegelschen Logik entwickeln, aus dem Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen.“ Dieses Für-andere-Sein steckt im Innern des Geistes als dessen gesellschaftliches Wesen drin und ist der materialistische Analyse und Interpretation fähig.
    Benjamins Satz: „Glücklich ist, wer seiner selbst ohne Schrecken inne wird“ enthält die Konsequenz, daß die Idee des Glücks die -nicht durch Rechtfertigungszwänge blockierte – volle Erinnerung der Vergangenheit (oder die Übernahme der Sünde der Welt) und die Idee der Auferstehung der Toten mit einschließt. (Vgl. hierzu das Bild der Lokomotive: diese Lokomotive kann nicht gestoppt, sondern nur aufgelöst werden; sie ist ein Phantom, aber ein reales.)
    Wenn Maria als Mittlerin aller Gnaden angesprochen wird, dann kann das eigentlich nur im Sinne des Liedes „Christi Mutter stand mit Schmerzen …“ verstanden werden. Gefährlich wird die Marienverehrung nur im Kontext der Mutterideologie, der schon in der Geschichte von der Hochzeit zu Kana die Grundlage entzogen wurde, als Jesus sagte: „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“, worauf Maria nicht ihm antwortete, sondern (in einer Form, die den Eindruck erweckt, sie habe ihn verstanden) die Diener der Gastgeber anweist: „Tut alles, was er euch sagt“.
    Die Geschichte der Zivilisation ist die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers: Das wäre aufzuarbeiten anhand der Geschichte des Naturbegriffs.
    Heidegger hat die Moral verraten, um die Philosophie zu retten.
    Es gibt Gerüche, die Erinnerungen wachrufen; es gibt aber auch Gerüche, die Verdrängungshilfe leisten.

  • 09.09.92

    Ist das Neutrum der Staub, aus dem und zu dem das Maskuline im Prozeß der Herrschaftsgeschichte wird?
    Sind Nominativ und Akkusativ nur im Männlichen unterschieden, im Femininum und im Neutrum hingegen gleich? Im Femininum lassen sich zusätzlich auch Genitiv und Dativ nicht unterscheiden.
    Gilt es eigentlich für alle modernen Sprachen, daß sie von den klassischen sich durch die Einführung des (geschlechtsbezogenen) Artikels (im Deutschen zusätzlich verstärkt durch die Großschreibung der Nomina), durch die stärkere Hervorhebung der Personalpronomina und durch den verstärkten Gebrauch der Hilfszeitverben unterscheiden? Der tiefste Fall wäre dann wohl die Verwandlung aller Verben in Nomina und Gebrauch des Generalhilfsverbs „tun“ (oder doch noch eine Stufe tiefer: „ich bin am arbeiten“ ü.ä.). Ist nicht doch der Adenauersche Satz doch sehr ernst gemeint gewesen: „Je einfacher reden ist eine gute Gabe Gottes.“ In diesen Zusammenhang gehört der fundamentalontologische Gebrauch der Begriffe Ereignis und Geschehen, die die gleiche Subjektlosigkeit, die schicksalhafte Subsumtion des Subjekts unter die Realität, bezeichnen.
    Der Artikel ist Ausdruck des Zerfalls der benennenden Kraft der Sprache, der Hereinnahme des tode ti in die Sprache, daß den Begriff von „diesem“ (deiktisch verstandenen, bei Kant dann durch seine Beziehung zu den subjektiven Formen der Anschauung bestimmten) Objekt trennt, das Objekt gegen den Begriff (gegen seinen Namen) isoliert. Für Aristoteles (wie später für Hegel) ist das tode ti der Einsatzpunkt der Philosophie (das Wasser des Thale).
    Wie hängen die Begriffe Eudaimonia (gutes, günstiges Schicksal), Glück (fortuna), Zufall und der augustinische Gnadenbegriff mit einander zusammen?
    Hat nicht Johann Georg Hamann schon eine Metakritik der reinen Vernunft geschrieben?
    Merkwürdige Doppelbedeutung des Verbums „heißen“: benennen und befehlen. Mit dem tode ti ist die benennende Gewalt als Grund des Gewaltmonopols (das Sokrates mit dem Trinken des Schierlingsbechers ausdrücklich anerkennt) an den Staat übergegangen.
    Wenn Befehlen mit Fehlen zusammenhängt, warum wird es dann stark (das Fehlen hingegen schwach) konjugiert, und worin liegt der Unterschied zwischen starken und schwachen Verben?
    Hängt der Sternendienst mit der Geldwirtschaft zusammen (als Ausdruck der Änderungen des Bewußtseins durch die Geldwirtschaft, seiner veränderten Stellung zur Objektivität)? Und ist die Ischtar/Astarte der Inbegriff der veränderten Konsumerfahrung, des Genusses? Dann würde die „Venuskatastrophe“ auf andere Weise, als Heinsohn et al. annehmen, zur Schuldknechtschafts-Katatrophe passen.
    Ist der Pharao die Personifikation des Sklavenhauses, und der Josefs-Roman seine Ursprungsgeschichte?
    Angesichts der Pogrome in der Bundesrepublik droht das sogenannten Asyslantenproblem den Rang der alten Judenfrage anzunehmen.
    Der ungeheure Exkulpationsbedarf, der seit dem Ende der Nazizeit auf Deutschland lastet, und dessen prädestinierter Repräsentant Kohl zu scheint, ist bis heute weder in seinen Ursachen, noch in seinen Folgen wirklich begriffen. Das Hochgefühl der Unschuld, das Kohl, Seiters und Schäuble beflügelt, wenn sie von „diesem ausländerfreundlichen Land“ sprechen, gehört mit zu den Ursachen der in den derzeitigen Pogromen sich manifestierenden verfolgenden Unschuld. Gleichzeitig halten sie den Topf des sogenannten „Asylantenproblems“ am Kochen, mit falschen Begriffen und Zahlen, mit dem Verwischen und Verschweigen der Ursachen. Die reale Situation und die realen Erfahrungen derer, auf die dieses unverantwortliche Gerede sich bezieht, soll nicht laut werden, wird verdrängt. Der Zerfall der Moral und die demoralisierende Gewalt, die dieser Bundeskanzler repräsentiert, wäre endlich zu benennen.
    Kohl hat immer schon die Technik der denunziatorischen Nutzung des Schuldverschubsystems beherrscht und genutzt. Man konnte darauf gehen, wenn er sich über andere empörte, dann war er selber gerade dabei, eben das zu tun, worüber er sich empörte. Sein politischer Erfolg beruhte nicht zuletzt auf dieser Technik. So hatte er immer das Instrumentarium parat, mit dem er sich abschirmen konnte gegen den Einblick in seine realen Absichten, sein Handeln und seine Vorhaben. Im Falle der deutschen Einheit ist ihm zusätzlich dieses Instrument als Geschenk in den Schoß gefallen: Alle Fehler kann er abwälzen auf den maroden Sozialismus und das, was er uns hinterlassen hat.
    Kann es sein, daß die SPD, daß insbesondere die Ministerpräsidenten, oder überhaupt die Landesregierungen, unter einem erpresserischen Druck stehen, der ihnen keine andere Wahl läßt, als mit den Wölfen zu heulen?
    Die Unwirksamkeit des Kabaretts liegt darin begründet, daß auch das Kabarett seine apriorischen Objekte und die zu diesem Objekt gehörende transzendentale Logik hat. Das, was heute passiert, liegt jenseits der durch diese Logik definierten Sphäre. Das läßt sich demonstrieren an einer Figur wie Kohl, dessen Statur mit den Witzen, die über ihn gemacht werden, nur noch gefestigt wird. Die Kohlwitze waren selbstreferentielle Produkte verzweifelter Ohnmacht, deren Bewußtsein in den Pointen explodierte und damit unschädlich gemacht wurde. Seitdem befördert das Kabarett die demoralisierenden Zustände, indem es sie anprangert.
    Deutlicher kann man die Absenz der eigenen Gewissens, das nur vom Schrecken und vom Schmerz der Opfer bewegt wäre, nicht demonstrieren: Diese Reaktion (der Hinweis auf die Wirkung der Ereignisse in Rostock und anderswo im Ausland) ist nur Ausdruck der Angst vorm Erwischtwerden, nicht die (allein moralische) Angst vor der Tat. Heute sitzen die Mescaleros in der Regierung.
    Die Technik der Nutzung der Gesetze des Schuldverschubsystems setzt ein Denken voraus, das den Gesetzen des Hinter dem Rücken gehorcht. Dafür ist politisches Denken, wie es scheint, besonders anfällig. In der altorientalischen Welt fand dieses Denken seine Abstützung und Absicherung in der Idolatrie, gegen die die jüdische Prophetie sich richtete. Heute funktioniert es aufgrund der Logik des Weltbegriffs.
    Die politische Ausbeutung des Vorurteils – heute des sogenannten Asylantenproblems – gehorcht der gleichen Logik wie die angeblich friedliche Nutzung der Atomenergie. Auch hier weiß man nicht, ob sie nicht eigentlich der Gewinnung spaltbaren Materials, das man für die Bombe benötigt, dient.

  • 08.09.92

    Witz und Empörung sind Instrumente zur Verhinderung der Geistesgegenwart, zur Einübung des Vergessens. Jeder Witz und jede Empörung macht uns ein Stück dümmer.
    Das kollektive Lachen (das Gelächter), die Verinnerlichung des Opfers und die Selbstauslöschung des Subjekts (oder: die falsche Versöhnung). Durch Einübung des Herrendenkens versöhnt der Witz die Menschen mit ihrem Objektsein.
    Wenn Gunnar Heinsohn die Schuldknechtschaft und das Tauschprinzip alternativ behandelt, das Tauschparadigma perhorresziert und abwehrt, so möchte er das Tauschprinzip nicht mit der Schuld der Schuldknechtschaft befleckt sehen: die Ökonomie soll (wie die Physik) schuldlos bleiben. Wie sie das bleiben kann, wenn nicht nur ihre Ursprünge, sondern auch ihr Bestehen seit ihrem Ursprung auf dieses gräßliche Institut der Schuldknechtschaft zurückweisen, ist nicht zu erkennen; das Konzept ist (wie im Kontext des christlichen Dogmas) nur zu halten durch Individualisierung (Personalisierung) der Schuld, durch Verdrängung des Schuldzusammenhangs. Die Lösung gleicht (antipodisch, aber nicht zufällig) der, die auch seinem Hexenbuch zugrundeliegt. Und es ist die gleiche Logik, die auch die Venustheorie beherrscht.
    Habermas verharmlost das Materialismusproblem, indem er das gesellschaftliche zu einem Kommunikationsproblem macht, mit der Vorstellung, daß Vernunft als Möglichkeit zum Konsens sich definieren lasse, und Konsens prinzipiell möglich sein müsse. Er verdrängt den Bruch, den die Heinsohnsche Schuldknechtschaft aufs deutlichste benennt, so wie die Physik seit je den Bruch zwischen schwerer und träger Masse verdrängt hat.
    Ohne die Schrift, und d.h. ohne diese Enteignung, Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Sprache, ohne ihre Entfremdung in der Schrift, hätte es keine Großreiche gegeben.
    Ist das Produkt des Bindens der Naturbegriff, und war es dieser Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, den es aber heute endlich zu lösen gilt?
    Das Christentum hat mit der Rezeption der Philosophie im Dogma das Ungleichnamige gleichnamig gemacht; die letzte Folge dieses Geburtsfehlers der christlichen Theologie ist die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes (in dem man Links und Rechts nicht mehr unterscheiden kann und der die benennende Kraft der Sprache endgültig kassiert). Heute erstickt das Christentum an dieser Folge.
    Die Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen: das ist der Ursprung der Opfertheologie, die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Opfers, das Unterbinden der Nachfolge, der Verzicht auf die Umkehr, die Verdrängung der Gottesfurcht. So wurde die Kirche zum Scheffel über dem Licht.
    Kafkas Wort, wonach es unendlich viel Hoffnung gibt, nur nicht für uns, sollte Anlaß sein, die Hoffnung, die es gibt, endlich auszuschöpfen.
    Hegels Bemerkung, die Natur könne den Begriff nicht halten, ist zunächst ein Einwand gegen den Begriff, dann aber auch einer gegen die Natur.
    Seit dem Universalienstreit ist Natur ein Totalitätsbegriff, aber zugleich ist der Begriff zum flatus vocis geworden.
    Das Haupt – und dann auch das Oberhaupt (der Häuptling, Sich oder Etwas Behaupten, auch die Enthauptung): eine Ersatzbildung für das Angesicht?
    Hängt Simon der Kananäer (der Eiferer, Zelot) mit Kana (Hochzeit von Kana, Verwandlung von Wasser in Wein; erneuter Besuch in Kana, Heilung des Sohns eines königlichen Beamten in Kafarnaum, die beiden „ersten Zeichen“ Jesu nach Johannes; Nathanael aus Kana, ein „echter Israelit“, den Jesus unterm Feigenbaum sah) zusammen?

  • 07.09.92

    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Das Urteil wird gefällt, und das Objekt fällt unter den Begriff.
    Gibt es einen etymologischen Zusammenhang zwischen dem Possessivpronomen 3. Person Singular und dem „Sein“ (wie zwischen dem „Mein“, der Meinung, der Gemeinheit und dem Allgemeinen)? Ist das nicht Hintergrund der Begriffe Welt und Wissen (in beiden ist das Mein der Anderen: das Sein, als Seins- und Begriffsgrund mit enthalten) sowie Grundlage des Naturbegriffs?
    Ist der deutsche Artikel gebildet aus den Personalpronomina 3. Person Singular in Verbindung dem der 2. Person: Der = Du-er, Die = Du-sie, Das = Du-es?
    Das Symbolum enthielt noch die Erinnerung an die Trennung der Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments. Im Bekenntnis wird diese Trennung verdrängt und vergessen, setzt sich die Subjektivität durch, die so überhaupt erst sich bildet, indem sie versucht, Herr über ihren Teil des Symbolums zu werden (Änderung des Sakramentsbegriffs). Im Bekenntnis wird das Subjekt Herr und Nutznießer des Opfers, verdrängt es die Gottesfurcht.
    Wenn sich im Wort vom Binden und Lösen das Lösen auf das „er weinte bitterlich“ bezieht, bezieht sich dann nicht das Binden auf die Geschichte der drei Leugnungen? Ist das Verfahren des Hahns (sein Krähen) in der Regel der correctio fraterna beschrieben (und sein Versagen vorausgesagt)?
    Hängt die Feste des Himmels, die die Wasser oberhalb von denen unterhalb trennt, mit dem Ich zusammen? Sind die subjektiven Formen der Anschauung gleichsam der subjektive Rest dieses Zusammenhangs, seine Spur im Ich? Und ist der Regenbogen nach der Sintflut der gegenständliche Repräsentant eines Ich, das sich durchs Fleischfressen (durch den Schrecken der Tiere) und durch Einbindung in hierarchische und durch Gewalt geprägte Gesellschaftsstrukturen bestimmt?
    Durch den Objektbegriff wurde die Vernunft in Isolationshaft gesetzt (transzendentale Ästhetik und Logik). Die Hegelsche Philosophie (Konsequenz hieraus) beschreibt aufs genaueste dieses Gefängnis, zu dem die Welt das Urteil spricht. Hierbei ist jedoch daran zu erinnern, daß ein Häftling die genaueste Kenntnis seines Gefängnisses beim Ausbruchsversuch erwirbt.
    Liegt nicht die Ambivalenz des messianischen Anspruchs Jesu in dem Wort „Ich bin’s“?
    Wenn die Feste des Himmels mit dem Ich zusammenhängt, haben dann die paulinischen Archonten etwas mit den sieben unreinen Geistern zu tun?
    Gehört die Trennung von Turm und König zu den Bedingungen des Ursprungs der Schrift und insofern zu den Ursachen der Verwirrung der Sprache?
    Die Sünde der Welt auf sich nehmen heißt begreifen, daß ich Anteil an der Auferstehung nur gewinnen kann durch die Hoffnung, die ich nur für andere hegen darf, hindurch. Und nur für andere, das heißt auch: für die Toten.
    Das Faktum des Todes hängt mit dem Faktum des Weltbegriffs, d.h. mit der Entfremdung des Denkens und des Dings, mit dem Begriff, der die Dinge von allen hinter ihrem Rücken begreift: mit der Vollendung der verinnerlichten Schicksalsidee im Prozeß der Aufklärung selber, zusammen. Wer die Partei der Welt ergreift, sich dem Gebot der Übernahme der Sünde der Welt entzieht, ergreift die Partei des Todes (vgl. Heideggers „Vorlaufen in den Tod“).
    Ist das Sumerische die Wasserscheide, die die indogermanischen Sprachen von den semitischen trennt (Turmbau zu Babel)?
    Problem des Sanskrit: Mit welchen gesellschaftlichen und religiösen Institutionen hängt diese Sprache zusammen? (Vgl. Rosenzweigs Konstruktion der indischen Abstraktionsgestalt des Mythos.)
    Das Produkt der Universalisierung der Welt ist die transzendentale Logik, die als Sprengung jeglicher Gestalt auch die griechische Kosmosidee sprengt (und zugleich das Außen-Innen-Paradigma begründet). Die Spenglersche Idee, daß die Stelle, die im griechischen Bereich die Götter- (und Heroen-)Statue einnimmt, in der modernen Welt durch die Musik besetzt ist, verweist genau auf diesen Zusammenhang.
    Drei Konsequenzen aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit:
    – die objektive Präsenz des sinnlichen Objekts im Licht,
    – die Richtungsabhängigkeit des Zeitmaßes und vor allem:
    – die Einheit der Zeit, die Konzeption des Raumes als Form der Gleichzeitigkeit, erweist sich als der Schock, der den Dingen erteilt wird und sie zu physikalischen Objekten überhaupt erst macht. Dieser Schock gründet in der mathematisch bedingten Trennung von Raum und Zeit, in der Konstituierung der Vorstellung einer homogenen Zeit.
    Wer den Witz erzählt, darf selbst nicht lachen (das gehört mit zur Technik des Unterlaufens der Geistesgegenwart, das die Wirkung des Witzes überhaupt erst ermöglicht); aber alle, die dann lachen, machen sich mit dem Witzeerzähler gegen das Objekt des Witzes gemein. Es sei denn, man lacht nicht mit und versucht (geistesgegenwärtig), den Trick zu durchschauen (der in der Verletzung des Gebots der Übernahme der Sünde der Welt liegt). Aber heißt das nicht auch, daß bisher die Christen mit der Konstruktion der Opfertheologie nur mitgelacht haben über das Opfer, anstatt Gethsemane zu begreifen? Das Christentum heute ist das zwangshaft schallende Gelächter, das das Wort Gottes übertönt. (Unterscheidet sich der jüdische Witz vom christlichen nicht durch das verzweifelte Bemühen, den Christen endlich die Technik des Witzes, den Trick, klarzumachen, indem es die Partei der Opfer ergreift? Hier ist der Erzähler selber zugleich das Objekt.)
    Im Witz ersetzt die Pointe den Beweis. Wo liegt die Pointe der Naturwissenschaften? Wer sie findet, kennt den Grund aller Pointen.

  • 06.09.92

    Wir akzeptieren die Gefängnisse, weil wir glauben, daß sie uns teilhaben lassen an der exkulpierenden Kraft des Richtens.
    Der Pharao ist das „große Haus“, in Babel ist der Turm (das große Haus) vom König von Babel getrennt, der aber ist der Luzifer, der so tief gefallen ist.
    Die Neugläubigen leben von dem Gefühl, daß sie endlich das Recht haben, über die Konkursmasse des Christentums verfügen zu dürfen. Beide Varianten des westeuropäischen Christentums, die feudale und die bürgerliche, sind mit dem Faschismus in Europa zu Bruch gegangen. Und der Bruch ist innerhalb der geschichtlichen Tradition des Christentums nicht mehr zu heilen.
    Wie ist das eigentlich mit den Frauen der Väter, mit Sara, Rebekka und Rahel: Sara lacht (Isaak: Er lacht); Isaak weint um Sara und heiratet Rebekka (was ist der „Schrecken Isaaks“?); Rebekka votiert für Jakob (den „Betrüger“), der dann im Kampf mit dem Engel zum „Israel“ wird; und Rahel weint um ihre Kinder.
    Der von Polikern immer wieder vorgebracht Hinweis auf das „Urteil des Auslandes“ verschiebt die Opferqualität von den realen Opfern auf die Nation (ähnlich schon im Gerede über Auschwitz: hier sei der deutsche Name befleckt worden – hier sind 6 Mill. Juden umgebracht worden), vom Opfer auf die Täter, macht die Täter zu Opfern. Nicht was die Nazihorden den Asylanten antun, sondern was sie uns, den Politikern antun, ist das Schlimme. Der Tod und der Schmerz, der Schrecken und das Weinen von Asylanten, von Männern, Frauen und Kindern, bleibt ebenso unerhört, wie im politischen Gerede in diesem unserm Lande der Tod und der Schmerz, der Schrecken und das Entsetzen der Opfer der Nazis bis heute unerhört geblieben ist; sonst wäre das, was jetzt passiert, nicht möglich.
    Wenn Kohl, Seiters, Schäuble & Co immer wieder betonen, dieses Land sei ausländerfreundlich, so ist das im Anblick des Schreckens und Entsetzens der Opfer, die es täglich anders erfahren, schlicht unerträglich. Aber genau das ist die wahnerzeugende Sprache des double bind, die vorgibt, über die Taten entsetzt zu sein, aber zugleich den Tätern Zustimmung signalisiert, indem sie so, als sei nichts geschehen, weiterhin über das „Asylantenproblem“ und eine Änderung des Art. 16 GG reden. Es wäre ein Zeichen für einen Rest politischer Moral, wenn solange, wie diese Pogrome andauern, das sogenannte Asylantenproblem aus der politischer Diskussion herausgenommen würde, und jeder, der weiter davon redet, öffentlich als Sympathisant der Täter erkannt würde.

  • 05.09.92

    Die Ontologie ist das Inertialsystem der Sprache (Beziehung zur Grammatik; Ursprung und Funktion der Hilfszeitwörter: Beziehung zum Materiebegriff; das Sein als Repräsentant der Funktion des Infinitivs).
    Anmerkungen (Leserbrief?) zur raf:
    – Verfolgung der raf auch zur Diskriminierung der Diskussion des politischen Problems, für das die raf steht;
    – raf selber hat durch ihr Handeln die Diskussion unterbunden, ihr den Boden entzogen, damit der politischen Rechten ungewollt in die Hände gespielt;
    – Einäugigkeit der Justiz: wenn Gleichbehandlung aller terroristischen Vereinigungen, müßten Millionen in Isolationshaft sitzen (kein Angehöriger der Justiz wurde wegen Teilnahme an Verbrechen der Nazis rechtskräftig verurteilt);
    – Distanzierung der Politiker von den Pogromen z.B. in Rostock nur mit dem Hinweis auf „das Ansehen im Ausland“: heißt das, daß „Asylanten“ straflos verjagt, verbrannt, erschlagen werden dürften, wenn „das Ausland“ zustimmen würde?
    – Die öffentlich, auch vor laufenden Kameras, demonstrierte rechte Mordlust wird nicht wahrgenommen, geschweige denn verurteilt (worauf bezieht sich und welchen Sinn hat der Straftatbestand der Volksverhetzung, wann greift er, ist er Teil des 129a?).
    – Rechtsradikalismus ist Einübung ins Unpolitischsein, Dummheitstraining, deshalb ist er der etablierten Politik so genehm (gewünscht wird nur, daß er nicht auffällt, insbesondere nicht „im Ausland“).
    – Rechts und Links lassen sich durch ihr Verhältnis zur dritten Welt definieren: die linke Staats- und rechte Ausländerfeindschaft (Funktion der Asyldebatte) lassen sich daraus herleiten.
    Eine Lokomotive, die auf den Abgrund (den sie rätselhafterweise selber erzeugt) zurast: das Personal verkleistert die Scheiben, damit die Passagiere nichts sehen; die raf erschießt das Personal, anstatt alles zu tun, um den Zug zum Stehen zu bringen; die Rechten bewachen die Türen, daß kein Unbefugter in den Zug hereinkommen kann, und überprüfen alle Insassen, ob nicht welche dabei sind, die wieder hinaus zu befördern sind. Das Recht, mit allem Komfort und unter unaufhörlicher Musikbegleitung in den Abgrund zu rasen, steht nur der zivilisierten Menschheit zu, als deren Kerube sich die Rechten begreifen.
    Die biblischen Reinheitsgebote waren geschlechtsspezifisch: wer war in welcher Weise davon betroffen?
    Jesus hat nicht gelacht, wohl aber geweint (gleichwohl dürfen auch in der christlichen Welt Männer Witze erzählen, aber nie weinen). Das Lachen konstituiert die Welt, das Weinen rührt an den Grund ihres Bestehens, hängt mit der „Erschütterung der Kräfte des Himmels“ und der Auferstehung der Toten zusammen (Petrus nach der dritten Leugnung: „… er ging hinaus und weinte bitterlich“); wann weinte Jesus?
    Die Lazarus-Geschichte: Maria weint, die Juden weinen, Jesus ist erzürnt und erschüttert, und dann weint er auch; dann erweckt er ihn zum Leben.
    Das Weinen ist eine Form der Wahrnehmung und Verarbeitung der verandernden Kraft des Seins, daß Lachen instrumentalisiert und benutzt die verandernde Kraft des Seins.
    Zum Thema Weinen gehört auch jener paulinische Satz, wonach die ganze Kreatur seufzt und in Wehen liegt: sie harrt auf die Freiheit der Kinder Gottes.
    Wie hängt der Taumelbecher mit dem Kelch des Leidens zusammen? Ähnlich wie Lachen und Weinen?
    Am Ende wird jede Träne abgewischt, der Himmel (die Feste zwischen den Wassern) wird erschüttert, der Tod, die Vergangenheit und das Meer werden nicht mehr sein.
    Der über den Wassern schwebende (oder brütende) Geist Gottes: Ist das nicht ein Hinweis auf etwas dem Weinen Vergleichbares im Schöpfungsprozeß (auf die Wasser, die dann von der Feste des Himmels geteilt werden und später durch die Sintflut die Grenze zur Physis markieren)? Und entspringt daraus (aus dem Brüten des Geistes über den Wassern) das Wort? Und rührt der erste Satz der Philosophie, das „Alles ist Wasser“ des Thales nicht auf eine höchst ambivalente Weise an den Ursprung der Philosophie (Zusammenhang mit der Sintflut, aber auch mit dem Zivilisationsgebot, wonach Männer nicht weinen?)? Und ist nicht die mythische Vorgeschichte der Philosophie, die Geschichte der Idolatrie, des Sternen- und des Opferdienstes, die Geschichte der Verdrängung des Weines? (Und gemahnt nicht der Topos der prophetischen Berufung („schon im Mutterleib …“) auf den Ursprung unterhalb der durchs Weinen bestimmten Grenze?
    Die sieben unreinen Geister, sind das sieben Gestalten des Gelächters? Und wie hängen Lachen und Weinen mit der Sintflut und dem Turmbau zu Babel zusammen?
    Solange das Weinen der andern noch als unerträglich verdrängt wird, bestehen der Bann und die schlimmen Verhältnisse weiter. Wir haben das Weinen in die Schulen, die Irrenhäuser und in die Gefängnisse verdrängt, in den Kasernen darf ohnehin nicht geweint werden.
    Jesu Rat an die Frauen von Jerusalem: „Weint nicht um mich, sondern weint um euch und eure Kinder“ verweist darauf, daß das Weinen über den schlimmen Zustand der Dinge und seine Wurzeln in uns das Entscheidende ist. Dieses Weinen („über“) ist das die verhärtende (objektivierende) Wirkung der Begriffe erschütternde und lösende Kraft, Anfang der Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache (des Logos). Im Weinen wird die Klage des Objekts über das ihm vom Begriff zugefügte Unrecht (über die Sünde der Welt) laut.
    Das Weinen ist Ausdruck jener Verlassenheit, die das Lachen in seinem Objekt erzeugt (Eli, eli …: Hier wird das Weinen Wort).
    Wortgewordenens Weinen: das ist es, was Texte wie die Adornos, Primo Levis, Nelly Sachs‘, Jean Amerys oder Paul Celans so kostbar macht.
    Werte sind auch insoweit Teil des Herrendenkens, als sie eher ans Lachen erinnern, das Weinen hingegen ausschließen.
    Das Weinen zerreißt die Urteilslogik. Es durchbricht in der Erschütterung und in der Kraft des Lösens die Grenze zur Physis, die Todesgrenze.
    Die Erschütterung des Weinens und die Erschütterung des Himmels, der am zweiten Tagen geschaffenen Feste, die die Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb trennt, bezeichnet einen Vorgang, der mit der Durchbrechung der Grenze zwischen Geist und Physis zusammenhängt, der an die Todesgrenze rührt.
    Zur Verleugnungsgeschichte: Das „Er ging hinaus“ und das „und weinte bitterlich“ gehören zusammen.
    Was ist der „Schweiß des Angesichts“, und wie hängt er mit dem Blutschweiß in Gethsemane zusammen?
    Verweisen die Symptome der Basedowschen Krankheit, die Vergrößerung der Schilddrüse und das Hervortreten der Augen, nicht auf ein zurückgestautes, verdrängtes Weinen?
    Ist die Schizophrenie, eigentlich jede Psychose, nicht nur ein gestörtes und verstörtes Weinen?
    Das Verständnis für die Rechten, überhaupt das Verständnis für Gewalt, gründet in dem Verständnis für die Notwendigkeit der Verdrängung des Weinens.
    Über das Konstrukt der Opfertheologie hängt die Bekenntnislogik mit dem Ursprung und der Geschichte des Naturbegriffs zusammen.
    Die Bezeichnung „persönlicher Gott“ wäre zu reflektieren: Die Anwendung des Personbegriffs auf Gott ist unzulässig; Gott ist gerade keine Person, durch die hindurch ER tönt. Wenn etwas Person genannt werden darf: das, durch das hindurch Gott spricht, so sind das die Engel und die Propheten.
    Die Welt ist der Inbegriff alles Wißbaren (unter Ausschluß dessen, was durch das Sieb der Beweislogik fällt), aber Wissen und Wahrheit sind nicht kompatibel, sondern durch den Schuldbegriff getrennt.

  • 04.09.92

    Das Verhältnis des Teils zum Ganzen ist eine dingbezogene Reflexionsform des raumbezogenen Verhältnisses von innnen und außen.
    Ist die sumerische Sprache das Ferment, der Katalysator des Ursprungs und der Trennung der indogermanischen und der semitischen Sprachen (Realbedeutung des Turms von Babel)?
    Der Satz des Thales, daß das Wasser der Ursprung von allem (Ursprung sowohl des Begriffs als auch des Gegenstandes: „aller Dinge“, welche Vorstellung den Begriff des Alls voraussetzt) sei, wird dementiert durch den biblischen Schöpfungsbericht, in dem dem Wasser (im Gegensatz z.B. zur Erde) jede eigenschöpferische Kraft abgesprochen wird: die Fische gehören zu den drei Dingen (mit Himmel und Erde und den Menschen), die Gott selbst geschaffen hat. Und wenn es in der Apokalypse am Ende heißt, daß das Meer nicht mehr sein wird, so heißt das auch, daß damit der Grund der Philosophie (die verandernde Kraft des Seins, das Herrendenken) nicht mehr sein wird. Mit dem Satz des Thales wird die vornachidische Urgeschichte endgültig verdrängt.
    Sind die Fische erschaffen, um das Problem des Wassers zu lösen?
    Wenn zur Erläuterung des „Stern der Erlösung“, seines Ursprungs, auf Rosenzweigs Erfahrung des Krieges hingewiesen wird (zuletzt noch bei Stephan Moses), so bedeutet das eine ähnliche Verkennung der Bedeutung des Todes im Systemzusammenhang des Stern wie im Falle der kirchlichen Apperzeption der Gethsemane-Geschichte (der „Todesangst Jesu“) im Systemzusammenhang der christlichen Theologie.
    Ist nicht das Angesicht der Erde gleichsam zersprengt in dem der Tiere, und ist die Benennung der Tiere deshalb der adamitische Ursprung der Sprache? Waren es nicht aus diesem Grunde die Tiere (Totems), an denen die ersten Religionen sich abarbeiten mußten (Zusammenhang mit dem Opferdienst)?

  • 03.09.92

    Das Hegelsche Absolute ist die Selbstreflexion des Subjekts im Objekt.
    Wer ist die Schwiegermutter des Petrus? Und wer sind Herodias und Salome, und wer die Fraus des Pilatus? Enthält nicht das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist den Schlüssel sowohl für das Wort vom Binden und Lösen als auch für die Geschichte von der dreifachen Leugnung?
    Heute ist die Kirche selber das Scheffel über dem Licht.
    In der Folge der Leugnung des Nachfolge-Gebots nimmt der Naturbegriff christologische Züge an (gerät die Christologie in den Bannkreis des Sündenfalls).
    Im Zuge jenes Säkularisationsprozesses, der seit dem Anfang der Dogmenbildung in der Geschichte der Theologie selber bewußtlos sich durchsetzt, hat die Idee Gottes dämonische Züge angenommen.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, Produkt der eigenen „Seitenansicht“ des Subjekts, sind die Repräsentanten der Gesellschaft im Subjekt.
    Wie hängen Raum und Zeit mit der Schrift (mit der Trennung von Konsonanten und Vokalen) zusammen? Ist die Vokalisation der Schrift eine Folge oder ein Begleitphänomen des Ursprungs der indogermanischen Sprachen (nach der Bildung des Futur II)?
    Die Antike brauchte die Götter (den Götzendienst), das Mittelalter die Vergangenheit als Legitimationsinstanz (Paradigma: „Karl der Große“).
    Hi 243: Den Esel der Waisen treibt man weg, pfändet der Witwe den Stier.
    Ps 686: Ein Vater der Waisen und ein Richter der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung.
    Ez 227: Vater und Mutter verachtet man in dir, den Fremden tut man Gewalt an in deiner Mitte; Waise und Witwe unterdrückt man in dir.

  • 02.09.92

    Hat der Turmbau von Babel etwas mit dem Ursprung der Schrift zu tun? Oder gibt es einen Zusammenhang des Ursprungs der Architektur mit dem der Schrift? Und ist Heideggers „Haus des Seins“ ein später Abkömmling des Turms von Babel? Und ist das Sein, dessen „verandernde Kraft“ Franz Rosenzweig bemerkt hat, ein Synonym der Verwirrung, die der biblische Name Babel bezeichnet? Hat der Turmbau von Babel etwas mit dem Ursprung und der Struktur der heute so genannten „sumerischen“ Sprache zu tun?
    Im Verhältnis von Architektur und Sprache reflektiert sich erstmals das Verhältnis von Raum und Sprache: Das Außen-Innen-Paradigma hat hier seinen Ursprung; und der Turmbau zu Babel ist die erste Gestalt dessen, was Kant später die subjektive Form der Anschauung genannt hat. Erinnert nicht jeder Turm seitdem an den von Babel?
    Das Außen-Innen-Paradigma ist ein politisches und ein architektonisches Paradigma.
    Zur Geschichte des Turmes gehört auch die Erfindung der Turmuhr und der Glocken, sowie die Domuhren, die nicht nur die Zeit, sondern auch den Stand der Sterne, des Mondes und der Sonne anzeigten. Aber auf der Kirchturmspitze sitzt der Hahn.
    Die Ziegel, aus denen der Turm zu Babel erbaut wurde: sind das nicht die Keilschrift-Ziegel? (Zusammenhang des babylonischen Turms mit dem Ursprung der Schrift, des Geldes, der Tempelwirtschaft, der Astronomie: schließlich der Idee des „Universums“, der „in eins gewendeten“ Welt: der Universitäten und des Wissenschaftsbegriffs.)
    Die biblischen Witwen und Waisen, sind das die gottlosen Staaten und ihre Bürger (Ninive und die 120000, die Rechts und Links nicht unterscheiden können)? Vgl. hierzu auch Jesaia (10. Kap.?). – Muß man zum Buch Jona nicht auch die übrigen Ninive-Stellen hinzunehmen (von Nimrod bis zur realen Zerstörung Ninives)?
    Zum Rousseauschen Begriff der Natur gehört die Vorstellung eines Bereichs der Freiheit von Schuld, eines Bereichs, in dem man dem zivilisatorischen (gesellschaftlichen) Schuldzusammenhang entronnen ist. Die Vorstellung einer natürlichen Unschuld und einer unschuldigen Natur stammt hierher; und der Schöpfungsbegriff in der Parole von der „Bewahrung der Schöpfung“ ist durch diese Vorstellung gefärbt.
    Natur als Abfalleimer (oder zum Ursprung des Begriffs der Materie): Die Funktion des Naturbegriffs war es, das Subjekt von der „Sünde der Welt“ zu entlasten. Die Natur wurde (im Ansatz bereits seit dem philosophischen Ursprung ihres Begriffs, explizit jedoch seit Rousseau) als ein Bereich der Unschuld, der Freiheit von den Belastungen und Pflichten des Lebens in der vom Geld beherrschten Gesellschaft (im Staat, dem Demiurgen, dem „Schöpfer“ der „Welt“), vorgestellt, als Folie für die Beschwernisse des urbanen Lebens; Aufgabe dieses Naturbegriffs war es, die „Sünde der Welt“ auf sich zu nehmen und die Sichtbarkeit dieser „Schuld“ gegen ihre realen Urheber abzuschirmen, diese so zu exkulpieren (ähnlich nehmen das Opfer, der Herrscher und am Ende der „Führer“ die Schuld aller auf sich: und exkulpieren sie damit – Zusammenhang mit dem Bekenntnisbegriff?). Und wenn im Naturbegriff (bis heute unbemerkt) auf diesem Wege die christologische Logik wiederkehrte und zugleich verdrängt wurde, so widerfuhr ihm das gleiche Schicksal, das er einmal seinem Erzeuger, dem Mythos, der Idolatrie, dem Sternen- und Opferdienst bereitet hat. Merwürdige Stellung des christlichen Dogmas in diesem Prozeß!
    Wie hängen rein und unrein (in der Bibel und in der Waschmittelreklame) mit Schuld und Unschuld zusammen; und weshalb ist die Materie dunkel?
    Eine Kritik der Naturwissenschaften ist ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht mehr möglich; aber auf diese Idee der Auferstehung der Toten können sich die Täter von Auschwitz nicht mehr berufen.
    Der Begriff der Erschaffung der Welt, der aus der Philosophie stammt, aus der aristotelischen Tradition, bezieht sich eher auf das zweite bara im Schöpfungsbericht, nicht auf das erste (die Erschaffung des Himmels und der Erde): auf die Erschaffung der großen Seeungeheuer am vierten Tag. Zu diesen „großen Seeungeheuern“ gehören sicher u.a. die großen Fische im Buch Jona und im Buch Tobit, wahrscheinlich auch die „153 großen Fische“ am Ende des Johannes-Evangeliums; dazu wäre noch hinzuweisen auf die Stelle in der Geheimen Offenbarung, in der die Wasser, an der die Hure Babylon sitzt, dechiffriert werden als „Völker, Sprachen, Stämme und Nationen“: sind nicht eben diese gemeint als die „großen Seeungeheuer“? Hier stellt sich die Beziehung zum Weltbegriff her, der das Erbe der Idolatrie, des Sternen- und des Opferdienstes angetreten hat und durch sie in die Geschichte der Völker, Stämme, Sprachen und Nationen verflochten ist.
    Völker, Stämme Sprachen und Nationen: sind das die Nachkommen Abrahams, die Söhne Jakobs, die Hebräer und die Israeliten?
    Wie hängt der Begriff der Nation mit dem der Natur zusammen?
    Die dritte Phase der Verleugnung ist die des „von allen Seiten hinter dem Rücken“: die der Geschichte der Naturwissenschaften (der unendlichen Welt) und des Kapitalismus. Beide werden beherrscht durch den ihnen einwohnenden Systemcharakter (Inertialsystem und Gravitationsgesetz, Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, Organisation politischer System: Ursprung der „Polizeywissenschaft“ – Subsumtion unter die Vergangenheit).
    „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott“ (Franz Rosenzweig: Stern der Erlösung): Die Idee Gottes schließt jede Vergangenheit, und damit jedes Wissen, von sich aus. Nur wer Gott sucht, erträgt das Nichtwissen, hält sich offen für eine Erkenntnis, die nicht im Wissen sich erfüllt. Wer in allem die Sicherheit des Wissens sucht (die Unsicherheit des Nichtwissens nicht erträgt) sucht eine Position hinter den Dingen (in ihrem Rücken) zu gewinnen und verrät mit Gott auch die Dinge (der Atheismus der Naturwissenschaft und des Kapitalismus).

  • 01.09.92

    Im Futur II verletzt die Sprache das Bilderverbot (oder sie transzendiert es, wie im Christentum).
    Haben Natur und Welt etwas mit dem Ja und Nein bei Rosenzweig, in der Konstruktion des „Stern der Erlösung“, zu tun? Dann wäre das Nein die Welt?
    Der Naturbegriff ist nach dem Verfahren der Rosenzweigschen Konstruktion nur durch die Umkehr hindurch auf die Theologie zu beziehen. Und die Rezeption des Naturbegriffs in der dogmatischen Theologie war der Sündenfall, oder zumindest ein Indiz des Sündenfalls der Theologie.
    Rousseau, der dem modernen Naturbegriff die Bahn freigemacht hat, hat zugleich seine Funktion kenntlich gemacht: Die Parole „Zurück zur Natur“ war motiviert und begründet im Zusammenhang der Flucht vor den Zwängen und Pflichten der Welt, dem Versinken in den Schuldzusammenhang. Genau darin lag die Verführungskraft der Rousseauschen Parole (und des Naturbegriffs seitdem).
    Merkwürdige Parallele zwischen den drei Verleugnungen und den drei Stufen der correctio fraternae, der „brüderlichen Zurechtweisung“. Relativiert oder widerlegt nicht gar die Geschichte der drei Verleugnungen die Regel der correctio fraternae?
    Die drei Verleugnungen (ihre objektive Strukturfolge) in der Geschichte der Schrift nachweisen (Kanon, Reflexion, „Sekundärliteratur“ als Ersatz der Kritik). Die Sekundärliteratur zerstört die Literatur (die Schrift) von innen; und diese Selbstzerstörung hat auch noch ihr Referenzfeld (in der Geschichte der Naturwissenschaften) und ihre Geschichte (und diese hat – im deutschen Idealismus – die kanonische Gestalt ihrer Selbstreflexion).
    Die zweite Stufe der Verleugnungen, das ist die des Zuschauers, der die Dinge von der Seite (oder von hinten) betrachtet (die Stufe der moralischen Neutralisierung des Subjekts durch die „Theorie“). Die dritte Stufe ist die des barbarischen Umschlags des Zuschauens von außen nach innen, Ursprung des barbarischen Innen. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Hier lernten sie es, sich in den Augen der Anderen (der Zuschauer) zu sehen, und das ist wohl immer noch der schwierigste Punkt im „Sozialisationsprozeß“ (Ursprung des Weltbegriffs und der Scham, deren Geschichte in die des Weltbegriffs verflochten ist). Hegels Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ ist ein spätes Echo des biblischen Satzes „Und sie erkannten, daß sie nackt waren“.
    Die Konstituierung des Bewußtseins einer (quasiräumlichen) homogenen Zeit, die grundsätzlich mit dem Erwachen des historischen Bewußtseins, endgültig aber erst mit der Konstituierung des Inertialsystems sich durchsetzt, verdankt sich dieser „Seitenansicht“ der Dinge; historisch fällt sie zusammen mit den kosmologischen (astronomischen) Konzepten der Antike und der Moderne.
    Der Begriff der trägen Masse konstituiert sich in der gleichen Bewegung, in der auch die Fallgesetze und die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts entdeckt werden.
    Der Begriff der Materie konstituiert sich im Kontext der „Seitenansicht“ der Zeit.
    Die Ableitung der Mikrostruktur der Materie aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit müßte bis zu dem Punkt möglich sein, an dem der Nachweis sich führen läßt, ob die mathematische Ableitung der mikrophysikalischen Naturkonstanten (Plancksches Wirkungsquantum, Elementarladung, Masse des Protons und Elektrons) möglich ist.
    Der Weltbegriff verdankt sich der Verinnerlichung des Opfers (oder auch: der Verinnerlichung des Schicksals). Und genau hier ist der Punkt, an dem sich die Beziehung zum Wort von Übernahme der Sünde der Welt durchsichtig machen läßt. Die Differenz zwischen der Hinwegnahme und der Übernahme der Sünde der Welt ist der Unterschied ums Ganze (Ursprung und Funktion der Opfertheologie, Zusammenhang der Opfertheologie mit der Konstituierung des Weltbegriffs; Naturbegriff als Inbegriff der nichtübernommenen Schuld). Die „Hinwegnahme“ ist der Grund der Ideologie, die das Christentum bis heute daran gehindert hat, sich selbst zu begreifen. Und die Geschichte dieser (bewußt- und hilflosen) Selbstbehinderung ist die Geschichte des Kampfes zwischen Orthodoxie und Häresie, die es ohne die Opfertheologie so nicht gegeben hätte.
    Mit dem Bischofsamt, im Amt des „Aufsehers“, wurde die Seitenansicht der Dinge in die Struktur der Kirche, in ihre hierarchische Struktur, mit installiert. Zusammenhang der Ämter in der frühen Kirche: Apostel, Diakon, Priester (Älteste) und Bischöfe (Aufseher).
    Ist die Hiob-Stelle, die in der Kabbala auf die dreifache Seelenwanderung bezogen wird, vielleicht auf die dreifache Leugnung zu beziehen?
    Die Konstruktion des Dualis im Hebräischen (mizraim, überhaupt die Endung im, z.B. in majim, schamajim, elohim u.ä.)?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie