März 1993

  • 31.03.93

    Das Geld zerrinnt im Gravitationsfeld der Bedürfnisse wie die Zeit in der Sanduhr.
    Die JVA Weiterstadt sollte die Möglichkeit eines „humanen Strafvollzugs“ – was immer das sein mag – bieten. Frage: Wessen Vorstellung von einem humanen Strafvollzug und wessen Phantasie, liegen dem zugrunde? Wer ist in der Planungs- und Entwicklungsphase hinzugezogen und gehört worden? Sind ehemalige und noch einsitzende Strafgefangene hinzugezogen worden, Verteidiger (Strafverteidiger), Gefängnisseelsorger? Kann ein Strafvollzug human sein, der nicht von den Erfahrungen der Betroffenen ausgeht (aber gehört es nicht zum Wesen des Strafvollzugs, daß es die Erfahrungen der Betroffenen verdrängt)? Wird hier nicht Humanität mit dem Pflegeleichten verwechselt: Es soll der Verwaltung und den politisch Verantwortlichen möglichst wenig Probleme bereiten (deshalb das sterile Design, die Lage weitab von Wohngebieten, ohne unmittelbare Verkehrsanbindung, Cluster-Bau mit Kleingruppenstrukturen, die zwar von außen überschaubar und beherrschbar sind, im Innern jedoch die Kommunikationsschranken verstärken, die Kontakte im Innern und nach Außen erheblich einschränken: insbesondere für Angehörige und Verteidiger wäre die Anstalt nur noch schwer erreichbar). Aber nachdem das Ganze schon so teuer war, und jetzt zusätzlich unter dem durch den Anschlag der raf verstärkten Öffentlichkeitsdruck, sind diese Probleme, um die sich ohnehin niemand mehr kümmert, für die Öffentlichkeit endgültig tabu.
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Ohne diesen Grundsatz (der sich aus der deutschen Staatsmetaphysik herleiten läßt) könnte es keine Knäste, keine Polizei, keine Staatsschutz-Gerichte und keine Staatsanwaltschaft geben. Gemeinheit gehört zu den (Ab-)Gründen des Strafrechts und des Rechtsstaats.
    „Wenn die Welt euch haßt …“ Diese Erfahrung, in der die Erinnerung daran nachklingt, daß im Weltbegriff, in der Gestalt der Verknüpfung von Allgemeinheit und Öffentlichkeit, die er repräsentiert, das Urteil aller sich ausdrückt, wird durch den gleichen Weltbegriff, durch seine eigene Logik, unterdrückt, verdrängt, als erfahrungsfremde Natur, als Außenwelt abgespalten und neutralisiert. Das ändert am Sachverhalt nichts, hinterläßt nur ein Bewußtsein der Ohnmacht gegen die Welt, das dann an einer Theologie sich tröstet, die der Verantwortung für die Welt entsagt hat und sich damit begnügt, in Anlehnung an das allherrschende Prinzip der Selbsterhaltung in der Gestalt der Unsterblichkeit der Seele einen privaten Ausweg aus der Welt vor Augen zu stellen.
    Stadt und Haus, der König von Babel und der Pharao:
    – Ist die Stadt der Ort des Anschauens (Astronomie), das Haus der Ort des Denkens, des Begriffs (Pyramide)?
    – Und hat das „gedacht“ etwas mit dem Dach des Hauses, oder umgekehrt: hat das Dach, das den Blick zum Himmel versperrt, etwas mit dem Denken zu tun, mit dem Begriff, unter den eine Sache gebracht wird?
    „Es sind aber zwei Bedingungen, unter denen allein die Erkenntnis eines Gegenstandes möglich ist, erstlich Anschauung, dadurch dasselbe, aber nur als Erscheinung gegeben wird; zweitens Begriff, dadurch ein Gegenstand gedacht wird wird, der dieser Anschauung entspricht.“ (Kant, Kr.d.r.V., S. 119) Liegt die Unterscheidung von Anschauung und Begriff nicht der des Mathematischen und Dynamischen (Welt und Natur) zugrunde (und macht die Formulierung „dadurch ein Gegenstand gedacht wird, der der Anschauung entspricht“ nicht das projektive Element im Denken sichtbar)? Die Unterscheidung des Mathematischen und des Dynamischen ist keine Unterscheidung zwischen getrennten Objekten, von denen die einen mathematischer und die anderen dynamischer Natur wären, sondern die gleichen Objekten werden durch die Urteilsform in einen mathematischen und einen dynamischen Anteil aufgespalten, sie sind fürs Anschauen mathematisch (Teil der Welt), fürs Denken dynamisch (Teil der Natur). Entsprechen dem nicht die auch sprachlich unterschiedenen Erkenntnisbegriffe Kants, der feminine, natur- und objektbezogene (die Erkennnis) und der neutrale, welt- und begriffbezogene (das Erkenntnis)?
    Mit den subjektiven Formen der Anschauung hat Kant zwar das Wissen begründet, aber der Erkenntnis (durch Neutralisierung der Umkehr) den Weg verstellt.
    Sind nicht die Namen der Planeten Stationen einen genetischen Konzepts? Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag: Sonne, Mond, Merkur, Jupiter, Mars, Venus, Saturn. Die Reihe stimmt mit der nach Abständen von der Sonne geordneten Reihe nicht überein (1,(2, Mond),3,6,5,4,7). Ist nicht Venus der altorientalische, Saturn der jüdische Planet? Und wäre die Velikovskysche Hypothese nicht noch deutlicher zu machen, wenn man zur Venus-Katastrophe die Saturn-Katastrophe hinzunimmt?
    „Nimrod … wurde der erste Held auf der Erde. Er war ein tüchtiger Jäger vor dem Herrn.“ (Gen 109) Worauf verweist die Unterscheidung „auf der Erde“/“vor dem Herrn“? Hat Nimrod etwas mit dem Orion, und dieser etwas mit dem Ursprung des Heros, zu tun?
    Zur Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen: Ist das nicht der Versuch, der kopernikanischen Theorie von den Umläufen im Raum ein Konzept von ewigen Umläufen in der Zeit entgegenzusetzen, und zwar aus der immanenten Logik des Systems selber? Nietzsches Version der Lehre schließt jedenfalls an naturwissenschaftliche Spekulationen sich an?
    Hat nicht die Geschichte von den drei Leugnungen Petri auch einen kosmologiekritischen Hintergrund?
    Hängt nicht die Tatsache, daß Jesus in Gleichnissen redet (und handelt), mit Verschiebungen im prophetischen Erkenntnisbegriff nach dem Ursprung des Weltbegriffs zusammen? Die Kritik des Weltbegriffs ist die Voraussetzung (das Medium) der Rekonstruktion prophetischer Erkenntnis.
    Die komfortable Zweiteilung der Prophetie in Heils- und Unheilsprophetie ist ein Produkt ihrer christologischen Vergegenständlichung. Sie hat den Vorteil, daß sie die Vergangenheit stillstellt, indem sie die Heilsprophetie auf Christus, die Unheilsprophetie auf die Juden abstellt. Der Preis ist der kirchliche Antijudaismus; die Juden haben ihn zahlen müssen, weil die Christen glaubten, sich die Nachfolge ersparen zu können.
    Es gibt zwei Gestalten der christlichen Theologie. Die eine ist die paulinische; sie ist ein Theologie ex post. Die andere ist die johanneische (die Täufer-)Theologie, und das ist eine Theologie ex ante. Diese zweite ist verdrängt und unterdrückt worden, sie ist so interpretiert worden, daß sie präzise auf den Kopf gestellt worden ist. Das hat auch das Verständnis der paulinischen Theologie tangiert, sie entstellt. Die Täufertheologie besteht eigentlich nur aus zwei Sätzen:
    Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe.
    Und:
    Seht das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt auf sich nimmt.
    Auf den Kopf gestellt wurde die Täufertheologie durch ein doppeltes Mißverständnis (oder durch zwei falsche Übersetzungen):
    – Im ersten Satz wurde die freie Umkehr durch ein autoritäres Buße-Tun ersetzt;
    – im zweiten Satz wurde das Auf-sich-Nehmen (der Sünden der Welt) als Hinweg-Nehmen (als Entsühnung der Welt) verstanden. Dieses Verständnis widerspricht zwar jeder Erfahrung der Welt (und den Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium); der Widerspruch zur Erfahrung wurde dann jedoch durch einen Begriff des Glaubens überbrückt, der seitdem die ganze Theologie verhext.
    Was hier passiert ist, läßt sich wieder mit zwei Sätzen verdeutlichen:
    – Die Umkehr und das Auf-sich-Nehmen der Sünden der Welt fallen unters Nachfolgegebot;
    – das Buße-Tun und das Hinweg-Nehmen der Sünden der Welt (die „Entsühnung der Welt“ durchs „Opfer“ Jesu) leugnet die Nachfolge, ersetzt sie durchs Bekenntnis.
    Bedeutet das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht auch, daß das Licht dem Zeitablauf entzogen ist. Soweit das Licht dem Zeitablauf doch unterworfen ist, ist das Effekt, der dem Inertialsystem zuzurechnen ist, dieses System auf eine ganz neue Weise verzeitlicht (sic, B.H.). Den Schein des Überzeitlichen haben der Raum und das Inertialsystem allein vom Licht.
    Hängt die Geschichte mit dem tohu wa bohu, der Finsternis über dem Abgrund und dem Geist Gottes über den Wassern mit den sechs Richtungen im Raum zusammen? Wären Goethes „Leiden und Taten des Lichts“ nicht über die Farben hinaus auf die Kosmologie und den Evolutionsprozeß zu beziehen? Gehören zu den Leiden und Taten des Lichts nicht auch die Sterne, die Umläufe der Planeten, das Leben der Pflanzen, der Tiere und am Ende auch der Menschen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Evolutionsgeschichte und der Geschichte des Sonnensystems?
    Woher kommen die griechischen, lateinischen und deutschen Namen für Himmel und Erde (hängt Erde mit Er zusammen)?

  • 30.03.93

    Reichtum ist, was alle andern dem Reichen schulden.
    Der Gnadenschatz ist das von der Kirche verwaltete Erbe, daß Jesus durch seinen Tod erworben (oder produziert?) hat.
    Nordafrika und Irland: Die Selbstbegründung des Christentums in der Provinz verdankt sich zunächst handelskapitalistischen (Nordafrika ist kanaanäisch) und dann agrarischen Bedingungen (vermittelt durchs irisch-schottische Mönchswesen). Die Scholastik trägt bereits frühkapitalistische Züge. Sie erweist sich am Ende als zweiter, diesmal regressiver Durchlauf des Mythos.
    Die Rosenzweigsche Todesangst hat insofern etwas mit Getsemane zu tun, als sie, indem sie das All (das Universum) sprengt, sich in den drei Bruchstücken des Alls als Grund des Mythos wiedererkennt (Mensch, Welt, Gott).
    Das Inertialsystem ist die Vergegenständlichung der Hegelschen List.
    Zum Satz von Binden und Lösen gehört die apokalyptische Geschichte vom Millenarium. Das Millenarium selber bezeichnet die Zeit der Bindung. Aber diese Zeit ist auf tausend Jahre begrenzt: Für diese Zeit gilt das Wort vom Weizen und vom Unkraut.
    Liefern die alten Dogmatiken (von Brinktrine oder Diekamp) gleichsam den Stoff für das Volkslied „Es klappern die Mühlen am rauschenden Bach“?
    Ist nicht die gegenwärtige Welt ein Produkt der Instrumentalisierung des Sündenfalls (ein Produkt der Selbstreferenz der Instrumentalisierung)?
    Im Angesicht und Hinter dem Rücken: Muß man nicht heute auch die andere Bedeutung (deren Realsymbol das Fernsehen ist) mit hereinnehmen, daß die neue Unmittelbarkeit, als restlos produzierte und in sich vermittelte, ihre eigenen säkularen Mysterien in sich verbirgt: um sie begreifen zu können, müßte man die Vorgänge hinter dem eigenen Rücken begreifen; deshalb die zwanghafte Neigung zur Paranoia, die das Fernsehen produziert (und in den Projektionsangeboten, die es liefert, zugleich ausbeutet). Dieser Geheimbereich, der in der Stasi der DDR sichtbar geworden ist, ist allgegenwärtig; sein Wachstum kann (wie das der Banken oder das des Militärs) als Maß des Fortschritts angesehen werden. Aber das Fernsehen ist nicht nur der Schein des verlorenen Angesichts, die Ausbeutung und Vermarktung seines Verlusts: es ist eine Station (wenn nicht die letzte) auf der Bahn seines Sturzes, die von den Gesetzen der Scham bestimmt wird („und sie erkannten, daß sie nackt waren“).
    Wäre die Theologie seit Augustinus ohne das Konzept des Fegfeuers überhaupt zu retten gewesen: ohne die Instrumentalisierung und Relativierung der Dämonenfurcht? Das Fegfeuer ist Ausdruck des Katzenjammers nach dem augustinischen Konzept des seligen Lebens (Kater nach der Trunkenheit).
    Merkwürdiger Eindruck: Der Hinweis Teilhard de Chardins, daß alle Tiere Produkte hypertropher Selbstinstrumentalisierung (mit Zentralorganen wie Hörnern, Zähnen, Klauen, Hufen) sind, läßt sich aufs deutlichste demonstrieren an der Mimikri, an der vollständigen Anpassung an die Umwelt (Zeichnung und Farbe der Schmetterlinge, Federkleid der Vögel): an dem Eindruck, daß die Wahrnehmung der Umwelt (die Farben der Äste, Blätter, Blüten) in die Produktion des eigenen Gesehenwerdens mit einfließt. Erinnert das nicht an das „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, an die Selbstwahrnehmung im Blick der andern? Gibt es einen Zusammenhang von Selbstinstrumentalisierung und Scham, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung? Aber wer blickt sie an?
    Junge Tiere blicken intelligent, neugierig, aufmerksam; alte Tiere blicken dumm, verschlossen, enttäuscht, depressiv.
    Wie der Benjaminsche Begriff der Aura scheint dieses Phänomen mit der Objektivität des Angesichts zusammenzuhängen, die zerstört, zersprengt wird durch die kantische subjektive Form der Anschauung: den Raum.
    Die allverbreitete Verbrechensfurcht ist die projektive Verarbeitung der eigenen Schuldgefühle, die vom Besitz sich nicht ablösen lassen.

  • 29.03.93

    Fernsehen und Exkulpation: Unterhaltung hat u.a. die Funktion, Exkulpationsmodelle zu liefern, die eine Schuldabfuhr über Projektionsobjekte ermöglichen (erkennbar am Empörungsmechanismus).
    Der Begriff des Reiches erscheint im AT nur im Buche Esra und bei Daniel (in der Apokalypse!). Im NT spricht Mt vom „Reich der Himmel“ (basileia ton ouranon), Mk, Lk (und gelegentlich Joh und Apg) vom „Reich Gottes“ (basileia tou theou). Bei Paulus ist das Reich Gottes Gegenstand der „Erbschaft“, er kennt außerdem das „Reich Christi“ und das „Reich des Sohnes“: Am Ende wird der Sohn das Reich dem Vater übergeben. Das Wort Reich hängt mit reg- König zusammen, auch in der adjektivischen Verwendung (reich im Gegensatz zu arm). Änderung der Bedeutung des Reichsbegriffs in der paulinischen Theologie (Zusammenhang mit dem apokalyptischen Millenarium?)
    Der Antritt des Erbes setzt den Tod des Erblassers voraus. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die paulinische Theologie (für die das Reich Gottes – als „Reich Christi“, „Reich des Sohnes“? – Gegenstand einer Erbschaft ist)? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Martyrium des Stephanus?
    Der Name Imperium hängt mit parare, rüsten, sich zu etwas bereiten, zusammen: In ihm drückt sich das Moment der Verinnerlichung von Herrschaft aus.
    Die subjektiven Formen der Anschauung tasten die Selbständigkeit der Dinge an: Sie verwandeln sie in ein „Gegebenes“, rücken sie in ein Herrschafts- und Besitzverhältnis. Die Bildung der Vorstellung des Raumes ist ein Begleitprozeß des Prozesses der „ursprünglichen Akkumulation“: Untersuche unter diesem Aspekt den Josefs-Roman, die Exodus-Geschichte und den Namen des Pharao (Haus und oikos). Beziehen sich nicht Sodom und die anderen Xenophobie-Geschichten auf Konflikte zwischen Haus und Stadt, und ist nicht der Tempel (das Haus Gottes) ein Symbol dieses Konfliktes?
    Die ersten Städte in der Schrift (Vorgeschichte der Sprachverwirrung):
    – die Von Kain gegründete und nach seinem Sohn Henoch benannte Stadt (Gen 417),
    – Nimrod … wurde ein großer Held auf der Erde. Er war ein tüchtiger Jäger vor dem Herrn. … Kerngebiet seines Reiches war Babel, Erech, Akkad und Kalne im Land Schinar. Von diesem Land zog er nach Assur aus und erbaute Ninive, Rehobot-Ir, Kelach sowie Resen, zwischen Ninive und Kelach, die große Stadt (1012), und
    – die Stadt Babel, in der die Menschen einen Turm bauen wollten, der bis an den Himmel reicht (114).
    Und die ersten Häuser (Vorgeschichte des Tempels und des Gottesreichs):
    – Noah und sein ganzes Haus (71),
    – an Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters … (121),
    – das Haus des Pharao (1215),
    – die 318 Hausgeborenen des Abram (1414),
    – Abram: Erbe meines Hauses (wird Elieser von Damaskus) (152).
    Sind die toledot (des Schöpfungsberichts und der Genealogien) Haus-Geschichten?

  • 28.03.93

    Haben heute nur noch Böcke Chancen, Gärtner zu werden? Ist das Fachidiotentum (in Politik, Verwaltung, Justiz, Medizin, Erziehung) so weit gediehen, daß es von sich aus, aus seinen eigenen Prinzipien heraus: insbesondere aufgrund des objektivitätbegründenden Exkulpationsprinzips (aus Anpassungs- und Disziplinierungsgründen), kontraproduktiv zu werden droht? Das Exkulpationsprinzip ist der Kern des moralischen Trägheitsprinzips (Transformation der Handlungsprinzipien in Kriterein des Urteils: Kritik des moralischen Urteils und seines Ursprungs: der Dynamik der Empörung). Der projektive Kern der europäischen Aufklärung wendet sich gegen seinen eigenen Ursprung; der Weltbegriff wird zum Motor der Weltvernichtung. Das Denken wird von der Barbarei eingeholt, gegen die es einmal glaubte, die Zivilisation begründen zu können, ebenso von dem gleichen Naturbegriff, dessen Vergegenständlichung die Aufklärung begründete, und vom Materiebegriff, von dem es sich nicht mehr unterscheidet.
    Der Faschismus wurde bloß domestiziert, nicht aufgehoben.
    Radio und Fernsehen: Das Radio (das Organ der Führerreden und der „Sondermeldungen“) hat den faschistischen Hörer produziert, das Fernsehen bannt in die Trägheit des bloßen Zuschauens: es demoralisiert, indem es endgültig Information in Unterhaltung, Politik in Rituale verwandelt, und für das schlechte Gewissen die Exkulpationsmodelle und die Projektionsobjekte, das Drachenfutter, liefert.
    Wenn mit dem Geld die Organisationsform des Staates und grundsätzlich der Export der Armut verbunden ist, was bedeutet das für den Ursprung und die Bedeutung des Namens der Barbaren (und für die Begriffe Welt, Natur und Materie)?
    Welt, Natur und Materie: Welt und Natur sind objektbezogene Totalitätsbegriffe; bezeichnet der Begriff der Materie nicht einfach die innere Grenze des dritten Totalitätsbegriffs, des Wissens: das Nichtwissen als Objekt?

  • 27.03.93

    Die Beziehung des Wissens zur Vergangenheit wirft ein interessantes Licht auf das Problem des kantischen Apriori: Nur ein apriorisch konstituiertes Wissen ist zurechenbar, bringt das Wissen in einen ethischen Zusammenhang (Vorang der praktischen vor der theoretischen Vernunft). Gleichzeitig wirft es Licht auf den Begriff der Erbsünde: Auch Vergangenes, das mich in meinem Handeln bestimmt (das „Schicksal“), muß ich mir (als Sünde) zurechnen lassen. Aus der Beziehung des Wissens zur Vergangenheit ergibt sich zwanglos die Notwendigkeit der Umkehr, ihre Beziehung zur Erkenntnis und zur Idee der Wahrheit.
    Auch Gefängnisse sind Stützen der Begriffsbildung (die Isolationshaft ist ein Exzeß der transzendentalen Logik).
    Bezieht sich das Wort „Laß die Toten ihre Toten begraben“ (Mt 822) auf die Kirche?
    Liegt nicht die politische Bedeutung des biblischen Schöpfungsberichts darin, daß das Licht vor der Sonne erschaffen wurde? Verweisen die drei ersten Schöpfungstage nicht auf die Erschaffung der Gegenwart (das Licht), die Trennung von Vergangenheit und Zukunft (der Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments) und die Begründung der Geschichte (Trennung des Landes vom Meer)? Demnach bezeichnet der Satz des Thales „Alles ist Wasser“ genau den Ursprung des Inertialsystems (des begrifflichen Denkens): die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit.
    Die Sünden der Welt: das sind die Sünden der verweigerten Umkehr.
    Die Vertreibung der Taubenhändler (Joh 213: Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben) und der Geldwechsler: ist das nicht die Vertreibung der Kirchen und der Banken? Und ist heute nicht die ganze Welt zu einer Markthalle und Räuberhöhle geworden?

  • 26.03.93

    Die Euphorieeffekte, von denen Dirk Baecker (S. 120) spricht, sind Ursache sowohl der Fachidiotie als auch des politischen und weltanschauulichen Ghettodenkens; sie gründen im Schuldverschubsystem, sind Folgen der Exkulpierungsmechanismen. Das Problem heute sind nicht die Fehler, die wir machen können, sondern die Unmöglichkeit der Dinge, die notwendig sind. Der Weltbegriff, der darin darin gründet, daß er gegen die Notwendigkeit sich mit der Unmöglichkeit abfindet, bezeichnet nicht nur die Zivilisationsschwelle, sondern auch die Grenze, die die Erwachsenen von ihrer Kindheit trennt.
    Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ löst die Hegelsche Dialektik aus dem Bann des Raumes (des Pharaonischen). Die Lösung des Banns des Raumes (oder die Lösung der sieben Siegel) befreit das Angesicht.
    Der Export der Armut war das Geschäft der Banken; er hat die Banken – wie vorher die Universalisierung des Giroverkehrs -über Anpassungs- bzw. Modernisierungskrisen hinweggerettet. Um einen ähnlichen Effekt scheint es sich beim Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zu handeln. Aber wo ist das nächste Ventil für den wachsenden Schuldendruck, den die Banken verwalten: Schlägt die Schuldenproduktion (die Erzeugung der Armut als Kehrseite des spekulativen Reichtums) nicht jetzt auf die Ursprungsländer in den Metropolen zurück? (Und war nicht die Geschichte der Agrarmarktordnungen, mit der Überschußproduktion und dem daraus resultierenden Exportdruck als Äquivalent des Schuldendrucks: mit der Zerstörung des Welt-Agrarmarkts und der Vernichtung der Agrarproduktion in der Dritten Welt, ein Reflex und ein Ableger der Bankenentwicklung?) Ist nicht das Bankenwesen Kern und Modell projektiver Verarbeitung der Realität? (Grund des Begriffs der Barbaren, der Natur und der Materie; Grund des Staates: Wird das Problem der Schuldknechtschaft von Gunnar Heinsohn nicht noch unterschätzt; geht nicht der Weltbegriff als Projektionshilfe und -absicherung und die Zivilisation aus der Verinnerlichung der Schuldknechtschaft hervor?)
    Zu dem von den Kirchen so gerne zitierten Rat Jesu, wer ihm nachfolge, müsse Diener, dürfe nicht Herr und Meister sein:
    – Niemand kein zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon (Mt 624); und
    – in diesem Satz den Hinweis auf den deuterojesajaischen Gottesknecht (Jes 42ff) und zugleich das Zentrum der jesuanischen Weltkritik erkennen.
    Das Herrschaftsgebot im Schöpfungsbericht bezieht sich auf eine Herrschaft, die das Töten, das Fleischessen und die Angst noch nicht mit einschließt. Vgl. Jürgen Ebachs Untersuchung über den Schrecken der Tiere.

  • 25.03.93

    Entsteht der Staat mit dem Geld (mit dem Ursprung des Tauschprinzips)?
    Dirk Baecker, S, 60: Der Banken-Sektor ist der verschuldetste Sektor der modernen Wirtschaft. (Christologische Struktur der Banken – Modell des Naturbegriffs -: Sie nehmen die Schulden der Welt auf sich, erzeugen und nähren so die Ökonomie und verdienen daran, leben davon.)
    Der Hinweis auf den selbstreferentiellen und autopoietischen Charakter der Systeme ist ein objektiver Vorwand, um die realen Probleme dahinter auszublenden. Diese Probleme werden unkenntlich gemacht und entstellt durch ihre Subsumtion unter die selbstreferentiellen Kategorien des Systems.
    Merkur und Mars stehen auf der Welt-(Sonnen-)Seite, Venus und Jupiter auf der Natur-(Mond-)Seite.
    Ist das Verhältnis Leistung/Verdienst wirklich universal; gibt es nicht auch Leistungen, die das BSP nicht beeinflussen, und wäre es nicht sinnvoll zu überlegen, ob es nicht auch Bereiche gibt, in denen der Verdienst an den Umfang der Nicht-Leistungen zu knüpfen wäre, z.B. im Gesundheitswesen: wäre es nicht produktiver und zugleich kostengünstiger, wenn die Ärzte ihr Honorar für die Anzahl der Gesunden und die Dauer ihrer Gesundheit anstatt für die Behandlung von Krankheiten (Leistungen an Kranken) erhalten würden?

  • 24.03.93

    Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit geht in die Vorstellung der Richtung (Dimension) im Raum ein zeitliches Moment mit ein, das insbesondere das Prinzip der Umkehrbarkeit, der Reversibilität aller Richtungen im Raum affiziert. Es gibt weiterhin zu jeder Richtung eine Gegenrichtung, aber diese Richtungen sind nicht mehr unverändert umkehrbar.
    Sind die Längenkontraktion und die Zeitdilatation Produkt von Drehungen im Minkowskischen Raum-Zeit-Kontinuum?
    Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Keiner kann über seinen eigenen Schatten springen. In welcher Beziehung steht dieser Schatten zur Materie? Verweist die Finsternis über dem Abgrund auf den Ursprung der Materie? Bezeichnet der Begriff der Materie den Schatten, den das System in die Dinge wirft?
    Das Inertialsystem gleicht insofern einem selbstreferentiellen, autopoietischen System im Sinne Dirk Baeckers (Womit handeln die Banken, Ffm. 1991, S. 33ff), als der Realitätskontakt innerhalb des Systems nicht mehr zu bestimmen ist (diese Stelle nimmt im Inertialsystem das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ein). Die System sind nach außen abgeschlossen und blind: Isolationshaftsysteme, und wie diese durch Sichtblenden gegen jede Außenwahrnehmung abgedichtet (ist nicht das Fernsehen die Sichtblende, die heute die Privatexistenz gegen die Außenwelt abschirmt? Das Fernsehen instrumentalisiert heute in einem Maße die Information, daß es von einem Lenkungsinstrument nicht mehr sich unterscheiden läßt.).
    Ist nicht die Systemtheorie das Modell der vollständigen und restlosen Selbstinstrumentalisierung?
    Vor diesem Hintergrund wird die affektive Aufladung des Sinnbegriffs seit Heidegger in Deutschland (die von den Franzosen nicht wahrgenommen worden ist: sie haben Sinn weiterhin schlicht als Bedeutung verstanden) verständlich: In der Isolationshaft wird der Spalt, der allein noch einen Blick aus der Zelle auf den realen Himmel ermöglicht, zum Repräsentanten der ganzen Welt, die unerreichbar geworden ist (vgl. Heideggers eingeschrumpfte Repräsentationsbegriffe wie Eigentlichkeit, In-der-Welt-Sein, Mit-Sein u.ä.).
    Wie ist das mit den Samaritern (der barmherzige Samariter, die Samariterin am Brunnen) im NT?
    Num 3355: Wenn ihr die Einwohner des Landes vor euch nicht vertreibt, dann werden die, die von ihnen übrigbleiben, zu Splittern in euren Augen und zu Stacheln in euren Seiten. Vgl. hierzu:
    – Mt 74f: Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Laß mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und dabei steckt in deinem Auge ein Balken. (sh. auch Adorno: Balken als Vergrößerungsglas, Minima Moralia)
    – Gen 221: Heißt es hier, bei der Erschaffung Evas, Rippe oder Seite?
    Joh 1934: … einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus.
    Ps 1395: Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.
    Jer 203: Nicht mehr Paschhur nennt dich der Herr, sondern: Schrecken um und um. (Paschhur: ägypt. „Sohn des Horus“, hier ein Priester in Jerusalem, der Jeremias für eine Nacht in den Block legte.)
    Kann es sein, daß in biblischen Texten die „Seite“ primär auf die Linke sich bezieht, während die Rechte in der Regel als Rechte auch benannt wird? Sind das Geld und der Raum (und das Bekenntnis) die linke Seite?
    Haben Auge und Seite in Num 3355 etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung (mit Raum und Zeit) zu tun?
    Zu Auge und Seite vgl. auch Jos 2313 (Rücken und Auge), Ez 2824 (Dorn und Stachel), Hos 1314 (Scheol, wo ist dein Stachel), Apg 2614 (Saul, Waul, warum verfolgst du mich? Es wird dir schwer fallen, gegen den Stachel auszuschlagen), 1 Kor 1555 (Tod, wo ist dein Stachel), Off 910 (Sie haben Schwänze und Stacheln wie Skorpione).
    Sieben hellenistische Diakone: Philippus hatte vier prophetische Töchter, aber was hat es mit Nikolaus und den Nikolaiten auf sich (sind in dem Namen nicht nikä und laos enthalten)?
    Für den Kammerdiener ist der Held kein Held (Hegel), und: Mache dich nicht gemein mit den Spöttern (vgl. Ps 11 und 2 Pt 33). Erzieht nicht das Fernsehen die Menschen zu Kammerdienern und Spöttern?
    Welches sind
    – die sieben Todsünden,
    – die sieben Gaben des Heiligen Geistes und
    – die sieben Werke der Barmherzigkeit?
    Thomas a Kempis: Die Verwechslung der Nachfolge Christi mit der Nachahmung.
    Sind Himmel und Erde, tohu wa bohu und Abgrund und Wasser aufeinander bezogen: Enthüllt sich das tohu als Abgrund, und das bohu als Wasser? (Im Raum gibt es ebenso viele Richtungen wie Flächen, und ebenso viele Punkte wie Räume.)
    Zum Ursprung der casus: Entspricht nicht der Genitiv-Ökonomie eine Dativ-Religion und eine Akkusativ-Politik? Sind Geld und Bekenntnis ähnlich auf einander bezogen wie Raum und Zeit? Heißen nicht die Planeten jenseits des Saturn Uranus und Pluto?

  • 23.03.93

    Womit die Banken handeln: Ist es nicht schlicht und einfach fremder Leute Geld? Und sind die Banken nicht das Modell der repräsentativen Demokratie: Wie bei den Banken ihr Geld, so geben die Bürger bei der Wahl ihre Stimme ab; was dann mit beiden geschieht, darauf haben sie keinen Einfluß mehr, sie wissen es nicht einmal mehr (vgl. das Verhältnis von Kirche und Bekenntnis).
    Was im Planetensystem selbsttätig, nämlich durchs Gravitationsgesetz, zu funktionieren scheint, muß im Geld-Kosmos durch Zentralbanken reguliert werden. Hat der Dopllereffekt etwas mit einer im Kosmos eingebauten Inflationsrate zu tun?
    Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn: Die Zuordnung der Planeten zu den Wochentagen entspricht nicht der Reihenfolge ihres Abstands von der Sonne.
    Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der sogenannten Venus-Katastrophe in dem Satz liegt: Geld macht sinnlich. Und ist das nicht auch ein Hinweis auf das Verhältnis der Venus zum Merkur? Aber die Sinnlichkeit ist die Quelle der Gewalt und des Kriegs, die dann mit Hilfe des Rechts und des Staats zu domestizieren versucht worden sind. Aber sind diese Fortschritte nicht ebensosehr Rückfälle, Regressionen?
    Ist nicht das Schema Hure/Heilige ein Nachklang des astrologischen Verhältnisses von Erde und Venus? Und ist nicht dieses Echo im Namen des Materialismus festgehalten, in dem die mater anklingt, aber auch das Geld, der Egoismus und die Sinnlichkeit, die Sexualität? Merkwürdig, daß Jupiter und Mars eher idealistische Konnotationen mit sich führen: Ist nicht der Gegensatz Idealismus/Materialismus an den Gegensatz von Welt und Natur gebunden?
    Ist nicht das Rosenzweigsche Konzept der Umkehr der Versuch, das Ergebnis des Objektivationsprozesses von der Sünde der Instrumentalisierung zu erlösen? Und sind nicht in der Tat die Sünden der Welt die Sünden der Instrumentalisierung?
    Das Herrendenken sanktioniert den Schuldzusammenhang, macht ihn zur Natur. Dagegen steht das verteidigende, parakletische Denken, auch im Verhältnis zur Natur: als Kritik und Auflösung des Naturbegriffs.
    Mit der Trennung des jüdischen und christlichen Wegs, und der Anerkennung auch des christlichen Wegs, hat Franz Rosenzweig den Christen den Tikkun übertragen. Ist nicht Franz Rosenzweig Christ geworden, als er Jude blieb?
    Waren nicht die Schreiber die Herren und Verwalter der Sprache?
    Sind die Schafe mitsamt den Schäfern nicht ein entsetzliches Bild der Trägheit, und gehören dazu nicht die Hunde?
    Das „Alte Testament“ ist die babylonische Gefangenschaft der Tora. Und hatte Jesus nicht recht, als er sagte, daß eher Himmel und Erde vergehen werden, bevor auch nur ein Jota vom Gesetz vergeht (vgl. Lk 1617): Himmel und Erde sind (mit dem Weltbegriff: dem Konzept der creatio mundi und der Entsühnung der Welt durch den sogenannten Opfertod am Kreuz) vergangen. Damit war auch die Tora vergangen, domestiziert, zu einer Waffe des Antijudaismus geworden. Die Erben der griechischen Barbaren: für die Christen waren das die Juden, die Heiden, die Ketzer (und die Erben der Natur und Materie? – Himmel und Hölle, die Eucharistie und das verdinglichte Wort?).
    Haschamajim: Sind es nicht die Feuer der Kritik, die die unteren Wasser in die oberen, den Mythos in Segen verwandeln? Und bezieht sich darauf nicht das Wort vom Binden und Lösen? Die Gebete der Heiligen sind Gott ein süßer Geruch (Reinhold Schneider: Allein den Betern kann es noch gelingen …). Und: Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Und wie froh wäre ich, es würde schon brennen. (Lk 1249)

  • 22.03.93

    Ist der deutsche „Ernst“ (K.-H. Bohrer in der taz) nicht der tierische Ernst, und hängt er nicht mit der Bindung des Nationbegriffs an das Blut (mit der deutschen Staatsmetaphysik) zusammen?
    „Jede Schuld rächt sich auf Erden“ (an wem?). Diese mythische Beziehung von Schuld und Rache ist die Geschäftsgrundlage des Strafrechts, gewinnt ihre volle mythischen Gewalt aber nur unter den Prämissen der deutschen Staatsmetaphysik, die glaubt, die Politik von der Politik erlösen, befreien zu können, die den Schein erzeugt, Politik könne durch Verwaltung ersetzt werden (durch den Rechtsstaat), und der Schein der Unschuld reiche aus, die politische Qualifikation zu beweisen. Sie ist eine Folge der unaufgearbeiteten Vergangenheit. Zu dieser nicht aufgearbeiteten Vergangenheit gehört auch das Fehlen eines Friedensvertrages: die Krisen der „Wiedervereinigung“, aber auch die Krisen in der dritten Welt, die nach dem Zusammenbruch der staatskapitalistischen Länder des Ostens (nach dem Ende der direkten Bedrohung) auf andere Weise nach Europa zurückkehren, sich in Jugoslawien und jetzt in den aus der Sowjet-Union hervorgegangenen Staaten reproduzieren, lassen das Versäumnis spürbar werden: Es ist nicht gelungen, reale Grundlagen für die veränderten Verhältnisse zu schaffen, ja, der Mangel wird nicht einmal gefühlt. Und niemand scheint in der Lage zu sein, die Dinge vom Grunde her zu bereinigen: Aber ist das nicht vielleicht sogar objektiv unmöglich geworden? Alle schlittern in Katastrophen hinein und niemand weiß, weshalb.
    Ist nicht der Satz, der Staat sei der Schöpfer der Welt, insoweit umkehrbar (und auch umzukehren), als sich jetzt herausstellt, daß die Welt Schöpferin des Staates ist, die in ihm nur den Schein eines Herrn erzeugt, den sie aber dann in ihren Orkus mit hereinreißen wird, wenn die Dinge endlich selber Herr des Prozesses werden, in dem sie einmal entsprungen sind.
    Die jüngstvergangene Mode ist das Längstvergangene.
    Engholms Satz, daß man vor dem Einsatz der Bundeswehr außerhalb der NATO „die Familien befragen“ müsse, ist so brav, so privatistisch und so unpolitisch wie dieser ganze Mann. Hier läuft wieder einer in die Exkulpationsfallen hinein, in denen die Politik heute verkommt. Zu fragen wäre,
    – ob es überhaupt sinnvoll ist, in diesem Weltzustand (der zugleich keine andere Alternative zuzulassen scheint) noch Politik auf militärische Gewalt zu gründen,
    – ob den objektiven Aufgaben des Militärs (Sicherung der Einrichtungen und der Versorgung der Metropolen) das Institut einer allgemeinen Wehrpflicht noch gerecht werden kann, ob nicht eine Freiwilligen-Armee (eine Art Fremdenlegion der NATO) den Aufgaben besser gerecht würde.
    – Die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht aus anderen (staatspolitischen, „erzieherischen“) Gründen, zum Zweck der „inneren Stabilisierung“ des Gemeinwesens, ist objektiv nicht zu begründen, es sei denn, man würde offen für einen faschistischen Staat votieren.
    Es sind offensichtlich die naheliegendsten Gedanken, die keiner mehr offen auszusprechen (und in der Folge keiner mehr zu denken) wagt: Jeder hat Angst, von der Schubkraft des Bestehenden fortgespült zu werden. Das Denkbare ist zum Undenkbaren geworden. Aber sind die Probleme, die jetzt an allen Ecken und Enden der Welt aufbrechen, noch mit den Kurzschluß-Methoden einer Politik zu lösen, in der durch die wechselseitige Kontrolle aller sichergestellt wird, daß keiner mehr politisch zu denken wagt.
    Ist das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ (sic, B.H.) nicht das Gegenteil des Denkens: eine exkulpierende Instanz? Ist hier nicht die Leerstelle, in der dann die Nationalismen und die Bekenntnisse sich ansiedeln? Das Kind der illegitimen Beziehung beider ist der Faschismus.
    In der Studie über den autoritären Charakter gibt es einen Abschnitt mit dem Titel „no pity for the poor“; und die Studie insgesamt ist eine Studie über Xenophobie.
    Schlimm und verhängnisvoll, und ein Teil jenes Ärgernisses, von dem Jesus gesagt hat, es müsse kommen: „aber wehe denen, durch die es kommt“, ist das opfertheologische Konzept einer „Entsühnung der Welt“, die Lehre von der „Hinwegnahme der Sünden der Welt“.
    Die Philosophie oder das Herrendenken ist der Grund der Selbstzerstörung des Antlitzes.
    Sind die staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltungshierarchien, und in ihnen das Prinzip der Delegation der Verantwortung, nicht Formen der Säkularisation der andern Hierarchien, ihrer endgültigen Subsumtion unters Herrschaftsdenken. Die Vergesellschaftung von Herrschaft hat den Engeln den Existenzgrund entzogen, sie durch Regierungs- und Amtsräte ersetzt. Ist nicht die Verwaltung der Inbegriff der sieben unreinen Geister? Es käme in der Tat heute darauf an, die Theologie auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie weiterhin seßhaft zu verwalten.
    Hat der gordische Knoten, der Joch und Deichsel des Ochsenkarrens verbindet, etwas mit dem Ursprung der Schrift zu tun (des Aleph, Bet): Alexander hat diesen Knoten nicht gelöst, nur durchschlagen. Der Weltbegriff ist der durchschlagene Knoten (der den Objektivations- mit dem Vergesellschaftungsprozeß verknüpft). Im Kern dieses Knotens stecken die subjektiven Formen der Anschauung Kants.
    Durch die subjektiven Formen der Anschauung sind wir gleichsam exzentrisch an den Weltprozeß gefesselt.
    Für Israel war die Schrift die hebräische Schrift: Ausdruck der Fremdheit, die im Namen des Hebräischen anklingt. Ist nicht die Lösung des Rätsels des Namens der Hebräer ein Anfang der Lösung des Rätsels des Ursprungs der Schrift?
    Der Weg zu den Enden der Welt, die Bekehrung der Welt, bezeichnen einen Vorgang, der in der äußeren und inneren Welt zugleich sich abspielt.
    „Muß in einer historischen Welt nicht jemand genau so alt sein wie die Welt?“ (Levinas: Schwierige Freiheit, S. 164)
    S. 167 nennt Levinas das Bekenntnis ein „Beiwerk des bürgerlichen Komforts“.
    Der Weltbegriff unterwirft auch die Vergangenheit dem Bann der Herrschaft: er begründet und stabilisiert ein gleichsam kolonialistisches Verhältnis zur Vegangenheit. Hier werden Vergangenheiten immer nur überwunden; der Ausschluß der Trauerarbeit (des Eingedenkens) ersetzt das Sich-Hinein-Versetzen durch die Einfühlung in die Vergangenheit (den Historismus). Der Weltbegriff versiegelt das Grab, in dem die Toten auf die Erweckung warten.
    War nicht die Hexenfurcht auch die Furcht vor der Auferstehung der Toten (abzulesen an den Projektionen der Inquisitoren)? Aber die Alternative ist nicht die Leugnung der Auferstehung, die sich die Physik als Instrument geschaffen hat, sondern ein Verständnis, das die Erweckung der Toten Gott vorbehält. War die Hexenverfolgung von der Furcht vor den Toten bestimmt, dann war Auschwitz der Testfall (der Testfall des perfekten Verbrechens): der experimentelle Beweis dafür, daß es keinen Grund gibt, die Toten zu fürchten. Aber wie die Gräberschändungen beweisen, können die Rechten doch nicht so recht an das Ergebnis des Experiments glauben.
    Ist nicht die Schrift der Friedhof, auf dem die Toten der Auferweckung harren?
    „Name ist nicht Schall und Rauch.“ Ist nicht der Stern der Erlösung ein Versuch, in dieses Buch den eigenen Namen (Ich, mit Vor- und Zunamen) einzuschreiben?
    Die Anonymität des Apokalyptikers, sein Versuch, sich in fremde Namen einzuschreiben: Sind das nicht auch Versuche, im andern sich der der eigenen Auferstehung zu versichern? Und bezieht sich das „Wenn ich will, daß er bleibt, was geht’s dich an“ nicht auf den Namen des Johannes, des Apokalyptikers?
    Der Begriff der Erbsünde verweist auf den Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem des Erbes; Zwischenglied ist das Wort von den Sünden der Welt.
    Muß man sich die Sätze, mit denen die Philosophie die Logik demonstriert hat, nicht doch ein wenig genauer ansehen:
    Alle Menschen sind sterblich.
    Sokrates ist ein Mensch.
    Also ist Sokrates sterblich.
    Der Prämisse hat die Theologie seit je mit der Lehre von der Auferstehung wiedersprochen. Dem Schluß, daß Sokrates sterblich sei, wäre anzumerken, daß er nicht gestorben ist, sondern einem durch Rechtsspruch verordneten Selbstmord aus freiem Willen sich gefügt hat. Hat nicht dieser Tod, das dem Staat freiwillig dargebrachte Selbstopfer, mehr mit dem Ursprung und Charakter der Philosophie, auch mit dem sokratischen Daimon, zu tun, als bisher angenommen wurde? Zum Kreuzestod Jesu gehören die Worte „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ und „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“. Ist nicht der Selbstmord des Sokrates ein Paradigma der Philosophie seitdem, bis hin zum „Vorlaufen in den Tod“ Heideggers? Die affirmative Beziehung zum Tod gehört zu den Grundlagen des philosophischen Welt- und Selbstverständnisses.
    Die säuberliche Trennung der Seele vom Leib die dem christlichen Unsterblichkeitsverständnis zugrunde liegt, raubt ihm zugleich seinen Existenzgrund.
    Ist nicht das Geld der Goldgrund des Staates, politisch-ökonomischer Reflex des Sonnensystems, die säkularisierte Sonne selbst? Und sind nicht die Ministerien und die Verwaltung ein Abbild des Planetensystems? Die Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft, die Geschichte des Vergesellschaftungsprozesses insgesamt, hat in den Subjekten das Chaos hinterlassen, dessen Opfer sie zugleich geworden sind, weil sie es in den Ordnungen, die das Chaos produzieren, nicht erkennen können.
    Dorn, Horn, Zorn, Korn, vorn: Sind das Wörter, die sich nur zufällig reimen?
    Werden die verschiedenen Hörner (Ochs und Widder, Schofarhorn, Hörner des Altars, Hörner des Drachen) auch im Hebräischen durch das gleiche Wort bezeichnet?
    In welcher Relation stehen die Massen, die Entfernungen von der Sonne und die Geschwindigkeiten der Planeten?

  • 21.03.93

    Der Andere und der Fremde: Der Andere ist (wie das Eigentum) systemimmanent, die Welt Inbegriff des Andersseins (mit dem Sein als verandernder Kraft: Grund der grammatischen Struktur der indogermanischen Sprachen als Privateigentümer-Sprachen?), der Fremde hingegen ist wie der Arme systemtranszendent (deshalb ist Hegel zufolge die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug, um der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern: ist nicht der „Pöbel“ der aufgrund seiner Identifikation mit dem Aggressor xenophobe Repräsentant des Fremden im Innern der Privateigentums-Gesellschaft?).
    Die Welt wird definiert durch das Anderssein (als Produkt von „Ent“-Fremdung): als Inbegriff aller Gegenstände des Wissens und als potentielles Eigentum.
    Die Verwechslung des Fremden mit dem Andern (die in der Beziehung des Denkens zum Raum gründet) macht ihn zum potentiellen Eigentum, sie eröffnet und begründet eine Logik, die man als Mord-Logik bezeichnen kann.
    Die Hegelsche Philosophie ist als Welt-Philosophie die Philosophie der absoluten Entfremdung: Hier ist alles Fremde, das bei Kant noch unter dem Namen der Dinge an sich erinnert wird, getilgt.
    Barbaren, Natur, Materie: Der Begriff der Materie konstituiert sich im Verhältnis zum Inertialsystem, dessen Kern die Form des Raumes ist. Materie und Zeit scheinen „von außen“ in den Raum hereinzukommen, aber welches Außen gibt es gegen den Raum? Nur die zeitliche: die Zukunft und die Vergangenheit; wenn die Materie (das absolut Entfremdete) als Repräsentant der Zukunft, des Neuen, gefaßt werden kann, so ist die Zeit Repräsentant der Vergangenheit, die die Zukunft (die Materie) unter sich subsumiert und denaturiert. Fremdenhaß ist Haß auf die Zukunft (die nach einem Spruch an der Startbahnmauer „auch nicht mehr das (ist), was sie einmal war“). „Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 132)
    Die Sünden der Welt hinwegnehmen? „Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen (aufzuheben: athetäsin täs hamartias). … so wurde auch Christus nur ein einziges Mal geopfert (prosenechtheis), um die Sünden vieler hinwegzunehmen (aufzuopfern: to pollon anenengkein hamartias) …“ (vgl. Hebr 926ff)
    Ist nicht das Sünden-Vergeben (aus der Unfreiheit der Sünden Befreien) eine Folge des Auf-sich-Nehmen der Sünden der Welt?

  • 20.03.93

    Die Einheit der Welt ist die Einheit des Herrschafts-, Schuld-und Verblendungszusammenhangs. Die Welt bezeichnet den Herrschaftszusammenhang, der sich auf den Schuldzusammenhang der Natur und den Verblendungszusammenhang des Wissens stützt.
    Das Schicksal verurteilt zur Schuld, die Welt verurteilt zur Natur.
    Wenn einer das „ganze Gewicht seiner Persönlichkeit“ einsetzt, macht er sich dann schwer?
    Mene, mene, tekel, pharsin: Gewogen und zu leicht befunden. Bezieht sich das auf den Ursprung der Schrift (die Schrift an der Wand)?
    Banken: der sich auf sich selbst beziehende Schuldzusammenhang. Hat Hegel etwas über Banken geschrieben? Gibt es eine Geschichte der Kunden der Banken?
    Orientiert sich das Marxsche Konzept von Unterbau und Überbau nicht am scholastischen Konzept von Natur und Übernatur?

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