Juni 1993

  • 18.06.93

    Kann es sein, daß, wenn auch die Gottesfurcht, die Umkehr und das Nachfolgegebot beim Paulus nicht vorkommen, sie aber dennoch die Grundlage seiner Theologie sind und diese anders nur mißverstanden werden kann? Aber ist dann dieses Mißverständnis nicht die Grundlage der kirchlichen, dogmatischen Bekenntnis-Theologie?
    Hat die augustinische Vorstellung, daß zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick des Leidens der Verdammten dazugehört, etwas mit dem Hegelschen Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, zu tun? Und weist das nicht darauf hin, daß die Rezeption der paulinischen Theologie von Anfang an durchs Tauschprinzip verhext war? Ist nicht das entsetzliche Mißverständnis der paulinischen Theologie noch eine Schicht tiefer anzusetzen, als Hans-Joachim Schoeps es tut, nämlich als die Verfälschung eines völlig unverständlich gewordenen symbolischen Konstrukts durch den Tauschprinzip-Realismus. Das wäre insbesondere anhand der Christologie und der Opfertheologie zu demonstrieren. Es käme vor allem darauf an, endlich die Kelch- und Blut-Symbolik genauer herauszupräparieren, sie aus der „Metzger-Theologie“ herauszulösen, und endlich von den kannibalischen Aspekten der Eucharistie-Lehre loszukommen.
    Zu dem Satz „Ein Fluch Gottes ist der Gepfählte“ gehört auch das Wort vom Zornesbecher und Taumelkelch. Beides hängt mit dem Problem der Scham (der Schande), dem „Hinter dem Rücken“ und der Übernahme der Sünden der Welt zusammen.
    Die wirklich gefährlichen Sätze, wonach Sühne nur durch das Blut geleistet werden kann, und daß Erlösung die Reinwaschung durch das Blut einschließt, daß Erlösung (nur?) auf die Vergebung der Sünden abziele (anstatt auf die Rettung der Welt), begründen die ungeheuerlichen Mißverständnisse, von denen die Kirche und ihre Lehre seitdem nicht mehr losgekommen ist.
    Durch den Tauschprinzip-Realismus ist das Erlösungskonzept, das etwas ganz anderes meinte: nicht die Erlösung von der „entsühnten“ Welt, sondern die Rettung der Menschen mit der Welt, in ein Herrschaftsinstrument umgewandelt worden.
    Der von Schoeps zitierte Satz aus der rabbinischen Tradition, wonach „die Tore der Umkehr … niemals geschlossen“ sein werden (S. 313), ist die jüdische Entsprechung zum dem christlichen „Die Pforten der Hölle werden sie nie überwältigen“.
    Die Mathematik erinnert an die Geschichte von Hase und Igel: Die Mathematik ist der Igel, der, wo der Hase auch hinrennt, rufen kann: Ick bün all do. Und der Hase rennt sich die Seele aus dem Leibe. Aber sollten wir nicht doch endlich die Partei des Hasen und nicht die des Igels ergreifen?
    Nach Wahlen gab es immer die „Elefanten-Runden“, welche Bezeichnung den Sachverhalt sehr genau traf: Sind nicht Elefanten dickfellig, empfindlich und nachtragend? Aber verstärkt sich heute nicht der zusätzliche Eindruck, daß Kohl immer mehr dazu neigt, sich mit Elefanten-Babys zu umgeben? Eine physiognomische Beurteilung des männlichen Teils des Kabinetts Kohl (die FDP-Minister eingeschlossen) wäre zweifellos vernichtend. Man weiß eigentlich nicht mehr, mit welchen Organen diese Politiker hören (genau so, wie es immer unerfindlicher wird, weshalb Bundestagsdebatten in den Medien übertragen werden).
    Der Fehler des Julian Jaynes („Ursprung des Bewußtseins“) liegt darin, daß er das Produkt des entfremdeten Bewußtseins, das Unbewußte, in den Ursprung des Bewußtseins hineinprojiziert, eine Rückkoppelung vornimmt, die so nicht zulässig ist.
    Ist nicht das apokalyptische Tier, sind nicht die verschiedenen Gestalten des apokalyptischen Tieres aus sprachlichen Sachverhalten zu rekonstruieren, und zwar genauer aus den Mechanismen der Vergesellschaftung und Instrumentalisierung der Sprache, mit der Mathematik im Kern? Ihr Platzhalter im Subjekt sind die kantischen subjektiven Formen der Anschauung. Die subjektiven Formen der Anschauung gewinnen diese Funktion erst durch die Trennung des Anschauens vom Licht, nach dem Herauspräparieren des Angeschautwerdens aus dem Anschauen, nach dem Herauspräparieren der Scham und der Schuld und deren gegenständliche Neutralisierung im Begriff der Materie: durch die Zerstörung des Angesichts; bezieht sich hierauf nicht das biblische Symbol des Blutes? Das Verbot des Blutvergießens und das des Genießens von Blut meint eigentlich das Verbot, sich jener Paranoia zu überantworten, aus der der Materiebegriff entspringt (Zusammenhang mit dem Naturbegriff und mit dem Gebrauch des Namens der Barbaren). Wer Blut genießt, trinkt vom Taumelbecher des göttlichen Zorns. Hier liegt die Lösung des Rätsels der Genesis der Mordlust. Was der neue Katechismus „bedauerliche Vorkommnisse“ nennt, sind die Folgen davon, daß die Kirche den Kelch getrunken hat.
    Der Tauschprinzip-Realismus ist transzendentallogisch in den subjektiven Formen der Anschauung begründet, verstärkt durch die These, daß diese der kritischen Reflexion sich entziehen. Er läuft auf die dann ebenfalls nicht mehr reflektierbare Konsequenz hinaus, daß Umkehr nicht möglich sei, und auf die Leugnung des Satzes, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden. Unter dem Gesetz dieses Tauschprinzip-Realismus steht schon das augustinische „ad litteram“. Es steht schon unter dem Gesetz des Nominalismus, der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache.
    Wer vor der Gottesfurcht flieht, kann sich aus der Unschuldsfalle nicht mehr retten. Zu Paulus und zur dogmatischen Tradition der Christologie und Opfertheologie: Zu klären wären ihre Beziehungen zur Gottesfurcht, zur Umkehr und zum Nachfolge-Gebot.

  • 17.06.93

    Zu Schoeps, S. 271: Ist Auschwitz das Werk der Engel Elohims?
    Es sollte auch in der Kirche endlich zur Kenntnis genommen werden, daß die Kirche in den materiellen Lebensprozeß der Gesellschaft verflochten und nicht darüber erhaben ist (Grundlage dieser Kenntnisnahme ist die Kritik des Weltbegriffs).
    Ist die Trinitätslehre, wie sie zuletzt im neuen Katechismus der Kirche wieder vorgestellt wird, nicht eine logische Konsequenz aus der Lehre von der creatio mundi ex nihilo? Die mit der Trinitätslehre verbundene, biblisch jedoch völlig unbegründete Vorstellung eines „innertrinitarischen Prozesses“ als eines „seligen Lebens Gottes in sich selber“ ist Produkt einer zwangsläufigen (vom affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs nicht abzulösenden) Ästhetisierung der Theologie (Instrumentalisierung der Gottesidee zum „Gottesbild“), und trägt die damit verbundene Vorstellung der seligen Anschauung Gottes (als Teilnahme und Einbeziehung in diesen „innertrinitarischen Prozeß“) nicht voyeurhafte Züge? Liegt hier die früheste Antizipation des Fernsehens und des Sports: des gegenständlichen Korrelats einer von Schuld und Verantwortung befreiten, dafür nur noch identitätssüchtigen Gesellschaft von Zuschauern, von Massen-Voyeuren? Davon sind die Instrumentalisierung der Sprache und das Geschwätz, deren Zusammenhang mit dem Voyeurhaften (der Fixierung an das Aufdecken der Blöße und der Verstrickung in die Knechtsgesinnung) offenkundig ist, nicht mehr trennen.
    Die moderne Astronomie hat uns zu Voyeuren des Kosmos gemacht (Modell der Entpolitisierung der Gesellschaft).
    Tauschprinzip und Inertialsystem: Das erste ist tatsächlich ein aktiv an die Dinge herangetragenes Prinzip, das zweite ein System, das sich hinter dem Rücken dieser Tat bildet (und den Täter in seine Verstrickungen mit einbezieht). Beide sind aufeinander bezogen wie das „Richtet nicht“ und das „damit ihr nicht gerichtet werdet“. Das Tauschprinzip war der verborgene Motor der Naturerkenntnis, in deren Rücken sich (mit Beginn der Zivilisation) der Weltbegriff gebildet hat.
    Hat die Form des Raumes die Trinitätsspekulationen abgelöst (und neutralisiert)? berith und diatheke sind beides Rechtsbegriffe; der eine begründet die Partnerschaft, der andere die Erbschaft. Hiermit hängen die Differenzen der jüdischen und der christlichen Theologie (und die zentrale Bedeutung der Vater-Sohn-Beziehung in der christlichen Theologie) zusammen. Ist die Testamentsbeziehung (und in ihrem Konstext die Vater-Sohn-Theologie) nicht im Weltbegriff begründet, der selber auf den Begriff des Erbes zurückweist? Die Trinitätslehre (deren Funktion dann die mathematische Form des Raumes übernimmt, die Kant als subjektive Form der Anschauung der transzendentalen Logik insgesamt zugrunde legt) konstituiert die Identität der Welt. Hinweis: Die Form des Raumes, das Geld und das Bekenntnis begründen die Subjekt-Objekt-Identität, sie neutralisieren das Herr-Knecht-Verhältnis und machen sie zu logischen Zentren des Objektivationsprozesses: der Feind-, Verräter- und Patriarchats-Logik.
    Die Fähigkeit zur Schuldreflexion und ihre Einbeziehung in den Begriff der Erkenntnis begründet den Aktualitätsbezug, der jede wirkliche theologische Erkenntnis definiert (und u.a. Adornos Begriff einer „eingreifenden Erkenntnis“ begründet).
    Auch wenn man das Urteil über die Bedeutung der paulinischen Theologie für den Ursprung und die Geschichte der Kirche offenläßt, bleibt doch festzuhalten, daß die dogmatisch verdinglichte Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die aus Paulus herausgelesen worden ist, die wirkliche Erkenntnis und die ungeheure Bedeutung dessen, was hier sich zugetragen hat, eher versperrt.

  • 16.06.93

    Hat nicht das Inertialsystem den Charakter eines Gesellschaftsvertrages, und sind nicht „Tatsachen“ Tatsachen nur innerhalb des Geltungsbereichs dieses Vertrages?
    Nicht das Inertialsystem allein, sondern das Inertialsystem, das Gravitationsgesetz und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (zusammen mit seinen mikrophysikalischen Metastasen) markieren die Todesgrenze der Erkenntnis und der Vergegenständlichung (Zusammenhang mit der Dreidimensionalität des Raumes und mit dem Verhältnis von Begriff, Erscheinung und Gesetz).
    Vertrag und Testament: Partner und Erbe. Von wem stammt der Begriff des Testaments (diatheke) und die Namen des „Alten“ und „Neuen Testaments“? – Von Paulus, sh. 2 Kor 314 (hä palaia diatheke).
    Verträge bedürfen des Schwurs (der Anrufung Gottes, der „Religion“), Testamente setzen das Recht voraus (den Staat und den Weltbegriff). Das Recht erweist sich in diesem Zusammenhang als Erbe des Mythos. Der Sohn ist Erbe; sitzt er deshalb zur Rechten des Vaters?
    Sind nicht Gottesfurcht, Umkehr und Nachfolge bei Paulus sakramentalisiert und zum Glauben konfessionalisiert worden?
    Zu welchem Bedeutungsumfeld gehört, welche Konnotationen hat der Begriff nomos (Brauch, Sitte, Gesetz, wörtlich: Zugeteiltes); und wie verhält er sich zum lateinischen lex (Gesetzesvorschlag, Gesetz, Verordnung, wörtlich: Wortformel)? Gibt es eine Ähnlichkeit mit der Beziehung von physis und natura (Zeugung und Geburt), kosmos und mundus (Schmuck und Gereinigtes)?
    Hätte Gott nur „alles, was ist“ erschaffen, wozu brauchte es dann den Glauben, die Hoffnung und die Liebe?
    Hat das Prasseln, mit dem Petrus zufolge der Himmel am Ende vergeht (2 Petr 310), etwas mit dem Geräusch, mit dem nach Ezechiel die Gebeine der Toten zusammenrücken, „Bein an Bein“ (Ez 377), zu tun?
    Verhalten sich die Schmetterlinge (die Insekten) zu den Blüten wie der Hund zum Mond? Denkmale der Beziehung „von Angesicht zu Angesicht“?
    Muß man nicht generell, wie in der Geschichte der Bindung Isaaks, zwischen den Boten Elohims und den Boten JHWH’s unterscheiden? Und waren nicht die Fremden in Sodom Boten JHWH’s (die dann im Hebräer-Brief zitiert werden)? Sind die Herrscharen des Gott Sabaoth Engel Elohims oder Engel JHWH’s? Hat die Versuchung Abrahanms etwas mit der Versuchung Hiobs (und der Ankläger im Hofstaat Gottes etwas mit dem Engel Elohims) zu tun, und diese etwas mit der Versuchung Jesu (und der Teufel etwas mit dem Ankläger)? Und in welcher Beziehung stehen dazu die Kerubim und Seraphim (die Schlangenwesen), und die paulinischen Archonten?
    – Abraham heiratet Sara ohne Vermittlung; für Isaak wirbt der Knecht Abrahams um Rebekka; Jakob, der dann den Namen Israel erhält, muß selbst Dienste leisten, um Lea und Rahel zur Frau nehmen zu können.
    – Abraham, der Hebräer, lebt als Fremder in Kanaan, in Ägypten und bei den Philistern; und der Pharao und Abimelech begehren seine Frau. Isaak lebt als Fremder in Kanaan und bei den Philistern, und Abimelech begehrt seine Frau. Jakob lebt als Fremder in Kanaan; sein Sohn Josef wird Vertreter des Pharao und holt ihn und seine Söhne nach Ägypten, wo die Israeliten dann zu Sklaven des Pharao werden.

  • 15.06.93

    Der Aktualitätsbezug, das „Heute, wenn ihr seine Stimme hört“, und mit ihm der Begriff des Ewigen wird durch die Rezeption der Philosophie neutralisiert. Theologie im Angesicht Gottes ist nur im Kontext dieses Aktualitätsbezugs möglich. – War nicht die Vergegenständlichung der Theologie: das Konzept einer Theologie, die nur hinter dem Rücken Gottes möglich war, ein Entlastungsversuch, Grund und Folge eines subjektivierten Erlösungsbegriffs, der dann das Verständnis der Auferstehungslehre apriori ausschloß?
    Man muß lernen, mit den Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen.
    Zum Naturbegriff: Kritik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit durch Wiedergewinnung der vergangenen Zukunft: durch Erinnerungsarbeit.
    Die Sünden der Welt auf sich nehmen, das heißt: Sich selbst als Kern einer Aktualität begreifen, durch die die Erkenntnis prophetische Qualität gewinnt. Die Sünden der Welt sind der Grund des Schuldzusammenhangs der Natur.
    Historische und prophetische Gleichzeitigkeit unterscheiden: Ursprung und Ende der modernen Aufklärung, der modernen Naturwissenschaften und des modernen Kapitalismus sind mit der Hexenverfolgung und mit Auschwitz nicht nur historisch gleichzeitig.
    Der Syrer Naaman sollte siebenmal in den Jordan eintauchen; dann werde er vom Aussatz geheilt. Nach Schoeps wurde Gehazi, der untreue Diener des Elisa, in der jüdischen Tradition als ein Typos des Paulus angesehen!
    Was bedeuten die Namen Elisa, Naaman und Gehazi? – „Gott hat geholfen“, „lieblich“, – ? -.
    Das Rätsel des Felsens lösen.

  • 14.06.93

    Hans-Joachim Schoeps hat „die ganze Theologie“ des Paulus auf die Auferstehung Jesu zurückgeführt; sie sei „zunächst nichts anderes als ein Umdenken aller überkommenen Vorstellungen und Begriffe auf dieses Ereignis hin“ (Paulus, S. 177). Nicht zufällig erinnert das an Metz‘ Bemerkung über die Theologie nach Auschwitz (ein bis heute nicht eingelöster Hinweis). Durch seinen Tod und seine Auferstehung ist „Christus des Gesetzes Ende“ (Röm 104): Denn „das Gesetz ist Herr über den Menschen, solange er lebt“ (Röm 71). Durch die sakramentale Teilnahme an Tod und Auferstehung Jesu, durch Taufe und Eucharistie, sind die Christen dem alten Äon abgestorben und frei vom Gesetz. Die ungeheure Zweideutigkeit der paulinischen Theologie gründet darin, daß das Gesetz mit der Thora identifiziert wird; übersehen wird dabei, daß das Gesetz ein Form- und Strukturelement des Weltbegriffs ist, und die Identifikation der Thora mit dem „Gesetz“ selber schon Folge seiner Verweltlichung (und Instrumentalisierung) ist, daß diese Identifikation mit dem Weltbegriff gemeinsam entspringt und mit ihm fortbesteht, und daß u.a. die rabbinische Theologie ein Versuch war, die Thora aus dieser Verstrickung (des Hellenismus) zu lösen. Als Teil des Rechts ist das Gesetz ein Strukturelement der staatlich organisierten Gesellschaft von Privateigentümern; es ist das gleiche Recht, das im Römischen Reich nur für Römische Bürger gilt, zu denen auch Paulus gehört (der auch Gebrauch davon macht). An die Stelle der Welt, zu deren Konstituentien das Gesetz gehört, hat Paulus die Thora gesetzt (und in diese Falle ist dann die Gnosis hineingetappt). Die Zweideutigkeit der paulinischen Theologie rührt nicht zuletzt daher, daß die Identifikation von Thora und Gesetz wie der Ursprung der Philosophie (des Begriffs) projektive Züge trägt und der Umwandlung des Christentums in eine „Welt-“ (und damit in eine römische Staats-) Religion vorgearbeitet hat. Eher als an der Thora ließe sich heute der Zusammenhang von Tod, Entfremdung (Objektivation und Instrumentalisierung) und Gesetz an den Naturwissenschaften demonstrieren, zu deren historisch-genetischen Voraussetzungen die paulinisch instrumentierte Theologie, insbesondere die Opfertheologie, gehört. Paulus und seine Theologie leben von der damals schon fatalen „Gnade der späten Geburt“: für beide sind das Leben und die Lehre Jesu (die konsequenterweise seitdem im Dogma und im Bekenntnis nicht mehr vorkommen) vergangen, seine Auferstehung hat im Kontext dieser Theologie mit der Bergpredigt, mit Feindesliebe und der Arglosigkeit der Tauben, nichts mehr zu tun. Paulus hat
    – die „Übernahme der Sünden der Welt“ durch die Lehre vom Sühneopfer in eine Hinwegnahme („Entsühnung“ der Welt) und
    – den (objektiven) parakletischen Begriff der Barmherzigkeit durch die (subjektivistische) Gnadenlehre
    verfälscht, damit die Unterscheidung von Rechts und Links (Jon 411) aufgehoben und der Gottesfurcht, der Umkehr und der Nachfolge den Grund entzogen.
    Aber gab es eine Alternative hierzu? Hat Paulus nicht die Möglichkeit des Überwinterns der zum Dogma verdinglichten Lehre in einer sich verfinsternden Welt geschaffen?
    Paulus, der Verzicht auf Herrschaftskritik, die Spiritualisierung des Christentums und das Inertialsystem (was hat es eigentlich mit den Präfixen in den Begriffen Ge-setz, Be-griff, Er-scheinung auf sich?).
    Ist die Opfertheologie als Instrumentalisierung des Kreuzestodes bei Paulus nicht ein Produkt der projektiven Verarbeitung seiner eigenen Vergangenheit (seiner Beteiligung an der Steinigung des Stephanus)? Und hat Paulus nicht sein eigenes Erlösungs- und Rechtfertigungsbedürfnis in das Christentum hineinprojiziert? War nicht sein Christentum in der Tat eines für Heiden, die es dann auch bleiben konnten?
    Weder die Gottesfurcht, noch die Umkehr, noch die Nachfolge kommt bei Paulus vor; zugleich hat er die Weichen so gestellt, daß mit der Verdrängung der Herrschaftskritik zwangsläufig die Sexualmoral ins Zentrum der christlichen Ethik gerückt wurde.
    Ist nicht die Glossolalie, zu der das Pfingstwunder bei Paulus wird (verkommt), eher eine Widerlegung der paulinischen Theologie? Die Glossolalie verhält sich zum Pfingstwunder wie der Begriff der Barbaren zum Namen der Hebräer.
    Ist nicht die Abtreibungsdiskussion eine Folge des ungelösten Paulus-Problems (bezeichnet er sich selbst nicht einmal als eine Fehl-/Mißgeburt und mit welchem griechischen Wort)?

  • 13.06.93

    Hebräer und Barbaren: Ist nicht der Name (der Hebräer) durch höhnische Verdoppelung zum Begriff (der Barbaren) geworden? Und ist nicht das „Christentum“ seit Antiochien in diese „barbarische“ Tradition (des Begriffs) anstatt in die „hebräische“ (des Namens) eingetreten?
    Dornröschen: Sind Christen nicht die, die den Weltuntergang verschlafen, und ist nicht die Theologie der (Alp-)Traum, der ihren Schlaf schützt und der Hahn (in der Geschichte von den drei Leugnungen) der Prinz, der sie aufweckt?

  • 11.06.93

    „Wo Es ist, soll Ich werden.“ Das Unbewußte verhält sich zum Bewußtsein wie das Nicht-Ich zum Ich: Es ist Teil eines transzendentalen Systems; es gibt kein Unbewußtes ohne Bewußtsein, kein Es ohne Ich (kein Objekt ohne Begriff, keine Natur ohne Welt). Was beide trennt, hat einen Namen: das Urteil (biblisch: Baum der Erkenntnis). Freuds Aufforderung zieht seine Kraft aus dem, was einmal Umkehr hieß.
    Die Beweisführung Julian Jaynes‘ zieht ihre Kraft aus der Zweideutigkeit des Begriffs des Bewußtseins: Er setzt das Unbewußte, daß sie doch erst in der Beziehung zum Bewußtsein (in einer bestimmbaren geschichtlichen Periode) konstituiert, als vom Bewußtsein getrennte Natur, das dann zwangsläufig (wie der Rassismus der Nazis) in der Biologie anzusiedeln ist.
    „Wenn die Welt euch haßt“: Der Haß der Welt konstituiert die Natur; so leugnet der Weltbegriff die Schöpfung. Aber der Naturbegriff leugnet die Auferstehung: der Haß der Welt, in dem er sich konstituiert, trifft die Fähigkeit zu hören, auf die die Idee der Auferstehung sich bezieht, tödlich. Der evangelische Rat des Gehorsams, der diese Fähigkeit zu hören (das „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“) meinte, ist erst durch die kirchlich-theologische Rezeption des Weltbegriffs (durch den kirchlichen Selbsthaß) zum bloßen Gehorsam, dem christlichen Pendant des Islam, verkommen. Deshalb ist die Idee der Auferstehung grundlos geworden. Aber hier wird erstmals deutlich, worauf sich der Satz von der „Sünde wider den Heiligen Geist“ bezieht: auf die Identifikation mit dem „Haß der Welt“.
    Ihr Natursein ist der Grund, weshalb die Schöpfung seufzt und in Wehen liegt.
    Der theologische Kompromiß der creatio mundi war keiner, sondern hat die Opferfalle (den Naturbegriff) eröffnet, aus der die Theologie sich bis heute nicht hat befreien können. Aber: die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen!
    Schelers Wertphilosophie wird aufs genaueste durch die Umkehrung eines Sprichwortes getroffen: Viele Breie verderben den Koch.
    Wer ist in einem Karussel vorn und wer ist hinten?
    Stand das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, in der Tradition des kreisenden Flammenschwerts? Mit der Durchschlagung des Knotens wurde das Retten gegenstandslos.
    Die Kirche, die zu den Urhebern der Verweltlichung der Welt gehört, ist die Kirche der dreifachen Leugnung.
    „Verflucht beim Herrn sei der Mann, der es unternimmt, Jericho wieder aufzubauen. Seinen Erstgeborenen soll es ihn kosten. wenn er sie neu gründet, und seinen Jüngsten, wenn er ihre Tore wieder aufrichtet.“ (Jos 626) „In seinen Tagen baute Hiel aus Bet-el Jericho wieder auf. Um den Preis seines Erstgeborenen Abiram legte er die Fundamente, und um den Preis seines jüngsten Sohnes Segub setzte er die Tore ein, wie es der Herr durch Josua, den Sohn Nuns, vorausgesagt hatte.“ (1 Kön 1634) -Jericho ist die Palmenstadt?
    Zur Abtreibungsdiskussion vgl. Mt 2415ff: Wenn ihr den Greuel am heiligen Ort stehen seht, der durch den Propheten Daniel (927, 1131, 1211, H.H.) vorhergesagt worden ist – der Leser begreife -, dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen; … Weh aber den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen. Betet darum, daß ihr nicht im Winter oder an einem Sabbat fliehen müßt. Denn es wird eine so große Not kommen, wie es noch nie eine gegeben hat, seit die Welt besteht, und wie es auch keine mehr geben wird. Und wenn jene Zeit nicht verkürzt würde, dann würde kein Mensch gerettet werden; doch um der Auserwählten willen wird jene Zeit verkürzt werden.
    Urknall-Theorie: Die Physiker projizieren ihre eigene Dummheit in die Dinge. Bei den globalen Theorien werden alle Differenzierungen, ohne die Detailforschung nicht mehr denkbar ist, vergessen; übrig bleiben der leere Raum und die Frage, wie die Materie da hinein gekommen ist. Im Hinterkopf haben sie die „christliche“ Vorstellung der creatio mundi ex nihilo, und zu diesem „nihil absolutum“, wie Kant es genannt hat, fällt ihnen nur der leere Raum, in dem „nichts drin“ ist, ein. Aber physikalische Anfänge gibt es nur innerhalb des Systems, in dem alle physikalischen Begriffe, Erscheinungen und Gesetze überhaupt erst sich konstituieren, und das absolute Anfänge per definitionem ausschließt: im Inertialsystem, während ein realer kosmischer Anfang auch den des Raumes und der Zeit mit enthalten müßte.

  • 10.06.93

    Apg 231 (ähnlich 2416): „Bis zum heutigen Tage lebe ich vor Gott mit völlig reinem Gewissen.“ Wie kann Paulus das sagen nach seiner Beteiligung an der Steinigung des Stephanus und seiner Rolle bei der Verfolgung der jungen Gemeinde? Siehe hierzu die Anmerkung in der Jerusalemer Bibel: „Das gute Gewissen bildet einen wichtigen Begriff der paulinischen Ethik: 1 Kor 44, 2 Kor 112, 1 Tim 15.19, 39, 2 Tim 13, vgl. Hebr 1318.“
    Nur in seiner (hebräischen) Rede an das Volk in Jerusalem nach seiner Festnahme im Tempel (Apg 21f) hat sich Paulus zu seiner Beteiligung an der Ermordung des Stephanus bekannt, nur hier hat er den Namen des Stephanus erwähnt, aber in keinem seiner Briefe (vgl. aber 1 Kor 159: „Denn ich bin der geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe“). Stephanus (die „Krone“) sah vor seiner Steinigung „den Himmel offen, und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“, während Paulus „bis in den dritten Himmel entrückt“ (2 Kor 122), „in das Paradies entrückt wurde“ (ebd. 124). Was ist hier unter dem „dritten Himmel“ zu verstehen?
    Haben Name und Schicksal des Stephanus etwas mit der Dornenkrone zu tun, und der Name des Paulus mit 1 Kor 159 und Eph 38 („der Geringste von den Aposteln / unter allen Heiligen“)?
    Paulus-Themen:
    – Rechtfertigung durch den Glauben;
    – wie steht er zur Opfertheologie?
    – Bekenntnis, Christologie und Herrschaft (Autorität, Verhältnis zu den Frauen),
    – die projektive Reflexion des Verhältnisses von Gesetz und Gnade,
    – aber auch seine Erlösungskosmologie (Alle Kreatur seufzt und liegt in Wehen; seine Lehre von den Elementarmächten, den Archonten).
    Zentral scheint
    – seine ambivalente Beziehung zu den Juden zu sein (von der Verfolgung der Gemeinde bis zu seinen Auftritten in den Synagogen und seiner Beziehung zu Petrus, Jakobus und Johannes und zur Jerusalemer Gemeinde) und
    – sein zweideutiges Verhältnis zu den Römern (Sergius Paulus; seit wann ist er Römischer Bürger; seit wann heißt er Paulus?).
    Das „Gewissen“ bei Paulus scheint eher die praktische Vernunft zu bezeichnen als das Bewußtsein vergangener Schuld. Das paulinische „gute Gewissen“ ist das Gegenteil eines sanften Ruhekissens.
    Die paulinische Gnadenlehre wird erst dann verständlich, wenn der Begriff Gnade durch den der Barmherzigkeit ersetzt wird (und Glaube durch Treue sowie Rechtfertigung durch Gerechtmachung).

  • 09.06.93

    Lk 86: „Ein anderer Teil fiel auf Felsen (epi tän petran), und als die Saat aufging, verdorrte sie, weil es ihr an Feuchtigkeit fehlte.“ Und 813: „Auf den Felsen (epi täs petras) ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort freudig aufnehmen, wenn sie es hören; aber sie haben keine Wurzeln: Eine Zeitlang glauben sie, aber in der Zeit der Prüfung werden sie abtrünnig.“ – Ist das nicht eine Erläuterung zur dritten Leugnung Petri (vgl. auch die anderen Fels/petra-Stellen, insbesondere die petra skandalou in Röm 933 und 1 Petr 28)?
    Hängt das Simon Barjona (Mt 1617, jedoch nach Joh 142 „Sohn des Johannes“) mit dem „Zeichen des Jona“ (Mt 1239) zusammen (und ist nicht das Buch Jona ein postapokalyptisches Buch)?
    Der „Taumelbecher“ der Propheten bezeichnet einen sprachlichen Sachverhalt: Die Trunkenheit der Sprache, gegen die die Wissenschaften sich durch das Verfahren der Definition der Begriffe abzusichern suchen, das sie dann in diesen „Taumel“ hineinreißt; sie ist eine Folge der Instrumentalisierung der Sprache. Die Geschichte des Nominalismus („Name ist Schall und Rauch“) ist die Geschichte des wachsenden Bewußtseins dieser Instrumentalisierung; ihre Wurzeln liegen im historischen Objektivationsprozeß und in dessen Apriori: der transzendentalen Logik, der Subsumtion der Wahrheit unter die Urteilsform (Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand).
    Instrumentalisierung der Sprache in Religion und Politik (Bekenntnis und Dogma; katholischer Positivismus; Sprachregelung, Ernennungsvollmacht). Das „Bekenntnis des Namens“ real nur ein anderer Ausdruck für die „Heiligung des Namens“ (für die Nachfolge), anders bleibt es bloß ein Feigenblatt (Sündenfall, Nathanael unterm Feigenbaum, Gleichnis vom Feigenbaum).

  • 08.06.93

    Die Heußsche Erfindung der Kollektivscham war ein genialer Trick, sich selbst und allen anderen die Erinnerungsarbeit: die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, zu ersparen; sie gehört zu den Wurzeln des Ausländerhasses heute. Seit der Erfindung der Kollektivscham nehmen die Deutschen sich selbst nur noch im Blick, der sie von außen trifft, wahr, im Blick der Anderen: der Nachbarn, des Auslands, der Welt; seitdem gehört die paranoide Frage, wie das Ausland (die Welt) sie sieht, zu den gleichsam existentiellen Grundfragen der Deutschen. Zur unbewußten (aber stringenten und handlungswirksamen) Logik des Ausländerhasses gehört es, daß man mit der Beseitigung der „Ausländer“ (wie früher mit der „Endlösung der Judenfrage“, mit der Juden-Vernichtung) glaubt, sich von dieser lästigen Instanz befreien zu können. Zur Logik dieses Syndroms gehört das Bild von der „Asylantenflut“, die das Deutschtum – wie die Scham das Selbst – überschwemmt. (Gehört zur Keuschheit nicht vor allem die Fähigkeit zur Reflexion der Scham: die Fähigkeit, auf dem Meer zu wandeln: schamfrei zu werden, nicht schamlos und nicht unverschämt?)
    Zum „Deutschtum im Ausland“ gehörten einmal die „Volksdeutschen“, die, sofern sie sich „zum Deutschtum bekennen“, heute als Rücksiedler (damit am Ende auch alle schön beisammen sind) die Chance erhalten, endlich „heimzukehren ins Reich“.
    Die Kollektivscham: der blinde Fleck, der die Stelle markiert, an der sich einmal das Selbst befand, drückt sich am deutlichsten aus in der grammatischen (Un-)Logik des „Wir Deutschen“; sie bringt das Deutschtum und seine Beziehung zum Volks-, Eigen-und Heiligtum auf den Begriff.
    Zur Genesis des Behemot: Im Paradies waren die Menschen nackt, „aber sie schämten sich nicht“. Jedoch nach dem Sündenfall heißt es nur: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie bedeckten ihre Blöße, aber die Scham wird nicht mehr erwähnt. Wurden die Tiere, die der Scham nicht entrinnen konnten, damals paranoid (Fell, Flucht und Aggression, Hörner, Zähne, Klauen)? Gott aber gab den Menschen ein Fell von Tieren: die Möglichkeit, die Scham zu reflektieren (Ursprung der Mode).
    Die „Volksdemokratien“ kannten das „Volkseigentum“: Durch die Einbindung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel in die Schicksalsgemeinschaft des Volkes anstatt ins Prinzip der freien kollektiven Selbstbestimmung ist sie zum Kern der Selbstzerstörung der vergesellschafteten Produktionsmittel geworden. Der Appell ans Volk war seit je der Appell an die anderen: an die Verantwortungslosigkeit aller. Und die Verführung, die vom Namen des Volkes ausgeht (und im Begriff des Volkstums kulminiert), liegt in seiner exkulpierenden Kraft: Deshalb werden Urteile „Im Namen des Volkes“ gefällt. Entsprechen nicht den realsozialistischen „Volksdemokratien“ in den Marktwirtschafts-Systemen die „Volksparteien“ (Verkörperungen der Politik-Verdrossenheits-Automatik)?
    Der Weltbegriff ist nur solange zu halten, wie die Vergangenheit nur als vergangen (oder die Natur nur als Natur) verstanden wird. War der Knoten, den Alexander nur durchschlagen, nicht gelöst hat, der der Bindung der Gegenwart ans Vergangene (Grund des Naturbegriffs)? Und hat nicht das Lösen (Mt 1619 und 1818) etwas mit der (von der Kirche bis heute verweigerten) Erinnerungsarbeit zu tun?

  • 07.06.93

    Kleingärtner: der tägliche Kampf gegen das Unkraut.
    Ist das Ungetüm der Allgemeinbegriff zu den -tümern? Haben die beiden Präfixe im Ungetüm mit den beiden Rosenzweigschen Negationen des Nichts in den Anfangs-Konstruktionen des Sterns der Erlösung zu tun? M.e.W.: Ist das Ungetüm die Rosenzweigsche Vorwelt (oder: die Rosenzweigsche Vorwelt der Realrepräsentant des Ungetüms), ist es das letzte Realsymbol des Mythos?
    Zum Ungetüm gibt’s kein Positivum. Es gibt wohl ein Gedröhn, ein Gedöns und ein Getue, aber kein Getüm.
    Steckt nicht im -tum (-tüm) neben dem domus auch das Taumeln? Sind die -tümer insgesamt der Inbegriff des Taumelkelch?
    Unter einem Ungetüm stellt man sich so etwas wie einen Saurier vor: ein Wesen, das vor Kraftprotzerei verteidungsunfähig geworden ist. Ist es nicht das Modell Babylon? Und steht nicht Babylon als Warnfigur vor den -tümern (vor den Volks-, Brauch-, Juden-, Christen-, Heiden-, Deutsch-, Eigen- und Heiligtümern)? Kehrt nicht in den -tümern die Vorgeschichte als Schein der Erfüllung der Geschichte wider?
    Das Ungetüm erinnert auch an Goliat.
    Der Rechtsradikalismus heute, der sich an der Ausländerfeindschaft festmacht, holt das „Deutschtum im Ausland“ ins Inland zurück. In der „volkstümlichen Musik“ mag man das Bild dieses „Inlands“ erkennen.
    Wie hängen Gehorsam, gehören und gehorchen zusammen, wenn nicht über den Begriff des Eigentums? Und macht nicht die Kirche in der Abtreibungsfrage so etwas wie ihre Eigentumsrechte geltend?
    Erinnerungsarbeit: Sich wie ein Maulwurf in der Sprache bewegen (vgl. Kafka: Der Bau).
    Ist nicht die Gewinnermentalität bei Kindern („ich bin der Erste“, „ich der Zweite“ … „das sind die Letzten“) Ausdruck von Ängsten, die wir nicht mehr wahrnehmen, weil wir in die Kindheit (wie auch in die Natur) nur noch die Freiheit von unseren Ängsten (die Freiheit von den gesellschaftlichen Pflichten) hineinprojizieren? Aber dies ist die Freiheit, die dann am Ende den Ruheständler zum Vollidioten macht.
    Sind in der Stelle „Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht“ das „es werde“ und das „es ward“ auch im Hebräischen unterschieden (vgl. den Sohar, in dem beide Stellen mit „es werde“ wiedergegeben werden)? Wenn nein, könnte es dann nicht auch heißen „Und Gott sprach: Es ward Licht, und es werde Licht“? Und würde das nicht auch den späteren Satz „Und Gott nannte das Licht Tag“ genauer bestimmen?
    Ist das Licht nicht die aufgehobene Vergangenheit, und ist das „Es ward Licht und es werde Licht“ nicht ein prophetischer Hinweis auf den im brennenden Dornbusch offenbarten Gottesnamen?
    Hat das Lösen etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun?
    Walter Benjamin hat einmal die messianische Zeit durch die Sekunde ausgedrückt. Im Alten Testament war die messianische Zeit durch den Tag (Tag JHWH’s) bestimmt, im Neuen Testament durch den Tag und die Stunde (Niemand kennt den Tag und die Stunde …). Das ist bei Walter Benjamin auf die Sekunde zusammengeschrumpft.
    Hat die Selbstverfluchung in der Geschichte von den drei Leugnungen etwas mit dem Greuel am heiligen Ort zu tun? Ist nicht der neue Katechismus die dritte Leugnung, festzumachen
    – an der Bedeutung der Trinitätslehre im Katechismus,
    – an der Stellungnahme zur „Übernahme der Sünden der Welt“ und
    – an der Erläuterung der Bitte um Heiligung des Namens?
    Hat der Saulus unter den Propheten etwas mit dem Paulus unter den Aposteln zu tun?
    – Kommt Paulus außer in der Apostelgeschichte und in seinen eigenen Briefen sonst noch vor (z.B. in einem der anderen Apostelbriefe, oder in der Apokalypse)?
    – Wie stehen Paulus und der Hebräerbrief zueinander?
    – Was hat es mit der Frage der „Echtheit“ der Paulusbriefe auf sich, wo liegt die Grenze zwischen den echten und den anderen? Nach Reclams Bibellexikon (S. 388) sind
    . 7 Briefe echt (1 Thess, Gal, 1 und 2 Kor, Röm, Philem, Phil),
    . 2 unklar (2 Thess und Kol),
    . 4 von P.-Schülern (Eph, 1 und 2 Tim und Tit).
    . Hebr wurde zwar von der Alten Kirche Paulus zugeschrieben, „doch widersprechen dem stilistische und inhaltliche Gründe eindeutig“ (ebd. S. 203). Als Verfasser wurden vermutet z.B. Lukas, Apollos, Barnabas.
    – Welche Apostel (außer Petrus und den „Säulen“) werden bei Paulus genannt?
    – Woher kommt der Name Paulus: Ist es generell sein römischer Name, ist es seine Selbstbezeichnung als Christ, wie nennen ihn die Andern? Was bedeutet der Name: ist es nur ein üblicher römischer Name, oder meint er so etwas wie den „Geringsten unter den Aposteln“?
    Nach Reclams Bibellexikon (S. 389) trug Paulus „neben seinem Geburtsnamen Schaul zum Zeichen des seiner Familie eigenen röm. Bürgerrechts den lat. Beinamen (cognomen) Paulus“ (Hervorhebung H.H.); nach dem Kleinen Pauly (Lexikon der Antike, Bd. 5, Sp. 137) „nahm Paulus unter dem Eindruck der Begegnung (mit dem römischen Prokonsul in Zypern L. Sergius Paulus, H.H.) das Cognomen des Proconsul an“. Vgl. hierzu Apg. 137ff, insbesondere 139, wo erstmals von „Saulus, der auch Paulus (heißt)“ die Rede ist; voher heißt er nur Saulus, danach nur Paulus. Kann es sein, daß Saulus erst hier (mit dem Namen Paulus) auch die römische Staatsbürgerschaft angenommen hat (vgl. dagegen Apg 2227f: … als Römer geboren)? Was ist sonst von L. Sergius Paulus bekannt?

  • 06.06.93

    Ursprung der Flexionen in der sumerischen Sprache: Sind nicht die Prä- und Suffixe insgesamt Determinaten? Hängt nicht die Bildung der Flexionen, die ja auch Kombinationen von Prä- und Suffixen sind, mit diesem Ursprung in den sumerischen Determinanten zusammen?
    Drogen und Alkoholismus: Kann es sein, daß der Drogenkonsum im Sinne der Bikameralitätstheorie die linke Hemisphäre des Gehirns außer Funktion setzt, der Alkohol (als reine Zivilisationsdroge) die rechte? Der Drogenkonsum führt hinter die Zivilisationsschwelle zurück, der Alkoholkonsum macht sie erträglich und stabilisiert sie (Taumelbecher). Aber wie steht es dann mit dem Rauchen: Leugnet es die Gebete der Heiligen?
    Nur dort, wo die Sprache nicht mehr hinreicht, bedarf es der Gewalt; aber was mit Gewalt (mit Hilfe des Rechts) durchzusetzen ist, ist nicht die Moral, sondern ihr Schein.
    Die Bekehrung ersetzt nicht die Umkehr.
    Der Raum als subjektive Form der Anschauung ist die höhnische Kälte, mit der wir heute die Welt ansehen; und die kantische Philosophie (die Kritik der reinen Vernunft) war der Anfang des Bewußtseins, und damit der Heilung davon.
    Taub, blind und besessen: Hat das etwas mit leer, gereinigt und geschmückt, und haben beide mit den drei evangelischen Räten, Armut, Gehorsam und Keuschheit zu tun? Heilt nicht der Gehorsam die Taubheit, die Armut die Blindheit, und befreit die Keuschheit von der Besessenheit (und diese Besessenheit ist eine siebenfache)?
    Zu den Grundproblemen der Europäischen Gemeinschaft gehört das Währungsproblem. Aber um dieses Problem zu begreifen, wäre es notwendig zu ermitteln:
    – Welche Sparten der Wirtschaft profitieren von der Währungsstabilität und welche werden benachteiligt und müssen den Preis zahlen;
    – oder umgekehrt: welche Sparten profitieren von einer inflationären Geldpolitik und welche werden davon benachteiligt. Hieran ließe sich das Problem des Ex- und Imports der Armut demonstrieren, oder die Wahrheit des Hegelschen Satzes, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern. Jede Geldpolitik ist eine Marktorganisationspolitik und wie diese interessengebunden.
    Der Gedanke, daß mit der Wissenschaftsorganisation und mit dem Kanon der Wissenschaften auch ein gesamtgesellschaftlicher Verdrängungsapparat produziert und tradiert wird.
    Jesus und der Tempel:
    – Nach seiner Geburt wurde er im Tempel „dargebracht“,
    – der zwölfjährige Jesus „lehrt“ im Tempel,
    – und der erwachsene Jesus „reinigt“ den Tempel von Händlern und Geldwechslern, und bei seinem Tod reißt der Vorhang vorm Allerheiligsten entzwei.
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Sie erkannten, daß sie Objekt für andere waren, und darauf reagiert die Scham, sie ist eine Objektreaktion.
    – In der Rosenzweigschen Konstruktion des Sterns der Erlösung vertritt der Mensch die Stelle des Objekts (die Welt die Stelle des Begriffs und Gott die der Indifferenz beider).
    – Scham, Materie, Feigenblatt und Tierfell: So, nämlich über den Begriff der Scham und über die Geschichte seiner naturgeschichtlichen und politischen Konnotationen, hängen der „Materialismus“ und das Keuschheitsgebot zusammen.
    Nochmal zur Scham: Sind die seit Heuß begeistert sich schämenden Deutschen der Nährboden für den heute ausbrechenden Fremdenhaß? Wurde nicht mit der „Kollektivscham“ die Selbstwahrnehmung im Blick der Anderen (aus dem die Rechtsradikalen heute ausbrechen möchten) kanonisiert. Der Schambegriff hat die produktive Verarbeitung der Schuld unmöglich gemacht. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn kein Mitglied der Regierung Kohl bis heute den Mord zur Kenntnis genommen hat, sondern nur die Schande für den deutschen Namen und das Urteil des Auslands.

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