Ist nicht der Selbsthaß der Rechten der Abgrund, gegen dessen Sog diese Gesellschaft keine Abwehr- und Widerstandskräfte mehr zu mobilisieren vermag? Diesen Abgrund hat die Politik eröffnet.
Das Adjektiv „christlich“ ist das Letzte, das an den Ursprung und die Intention des Christentums noch erinnert.
Wer sagt, daß das Christentum es in 2000 Jahren nicht geschafft habe, die Menschheit zu verbessern, und daß man es deshalb mit einmal mit etwas anderem versuchen sollte, sieht nicht, daß er mit diesem Argument auf eine Logik hereinfällt, die genau in der christlichen Tradition wurzelt, gegen die sich wendet.
Merkwürdiges Suffix „-tum“:
– Christentum, Judentum, Heidentum, aber nicht anwendbar auf die einzelnen Konfessionen, oder auf Islam, Buddhismus, Hinduismus und andere Religionen;
– Mönchtum, Sektierertum;
– Deutschtum (Volkstum, Brauchtum!), aber nicht anwendbar auf Engländer, Franzosen, Italiener und andere Nationen;
– Heiligtum, Eigentum, Heldentum und die merkwürdigste Bildung: Reichtum (dagegen Armut, dessen Suffix nicht nachgewiesen werden kann);
– Königtum, aber Königreich; Herzogtum, Fürstentum, aber Grafschaft; Papsttum;
– Altertum (aber Mittelalter, Neuzeit);
gibt es einen Zusammenhang mit „Ungetüm“ (wie ist dieses Wort konstruiert: Verknüpfung von un- und ge- wie in Ungeheuer, mit dem es sinnverwandt ist; Zusammenhang auch mit Unwesen)? Hängt dieses Suffix mit der Verinnerlichung des Schicksals, dem Ursprung des Weltbegriffs, mit der sprachlichen Wasserscheide, die die Zivilisation von der Vorgeschichte trennt, zusammen?
Dieses Suffix
– könnte aus der Vereinigung der Suffixe -heit und -keit entstanden gedacht werden; und es
– ist (deshalb?) nicht bedeutungsneutral, es scheint an eine bestimmte Bedeutung des Stammnomens anzuknüpfen, nur auf bestimmte Bedeutungsstrukturen anwendbar zu sein;
– wie verhält es sich zum -wesen (dem verwaltungsspezifischen Suffix: Bauwesen, Zoll-, Vermessungs-, Planungswesen, das nicht zufällig ans Unwesen erinnert)?
Vergleich mit dem englischen -dom (kingdom): Zusammenhang mit domus (Haus); Denkmal der pharaonischen Tradition in der Sprache?
Das Problem, die dogmatische Tradition des Christentums wieder zum Sprechen zu bringen, ist deshalb so schwierig zu lösen, weil das Bewußtsein, hier auf ein finsteres Geheimnis zu stoßen, zu nahe gerückt ist.
Die Übernahme der Sünden der Welt schließt heute die Reflexion auf die kirchliche Identifikation mit dem Aggressor mit ein. Durch die Sünden der Welt ist die Kreatur dazu verurteilt, Natur zu sein.
Denkmäler sind Mäler des Nichtdenkens, Verkörperungen von Denkverboten: Sie sollen nur noch, wie die mittelalterlichen Fassaden und das kleindeutsche Fachwerkunwesen, die Stadt schmücken.
Das „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“ steht in der Nähe des anderen Satzes „Ich will nicht, daß mein Wort leer zu mir zurückkommt“. Der Deuteronomist beantwortet das „Heute …“ mit dem Schema Jisrael.
Das „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ gehört zum Zeichen des Jonas: Wer Rechts und Links nicht unterscheiden kann (sc. die Kirche), weiß nicht, was er tut. Jesus sitzt zur Rechten des Vaters, aber der Papst, sein Stellvertreter, und die Kirche, sein Leib, tun so, als säße er zur Linken.
Juni 1993
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05.06.93
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02.06.93
Merkwürdig, daß zur Erklärung der Zivilisationsschwelle konkretistische Ansätze (Velikovsky/Heinsohn: Venus-Katastrophe, Julian Jaynes: Bikamerale Psyche) gelegentlich weiterhelfen können.
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01.06.93
Heute in der Frankfurter Rundschau ein Überblick über neue Beiträge in psychoanalytischen Zeitschriften, u.a. über einen Aufsatz von S. Hirschauer („Konstruktivismus und Essentialismus“ in der Zeitschrift für Sexualforschung 4), zu dem es heißt: Im Sinne des Konstruktivismus spricht Hirschauer dem Geschlechstunterschied die Naturseite ab und erklärt die Geschlechter zu rein gesellschaftlichen Konstrukten, …“ – Der Naturbegriff ist selber ein gesellschaftliches Konstrukt, zusammen mit dem Weltbegriff entsprungen und mit ihm gemeinsam in den historischen Prozeß verstrickt. Deshalb ist die Geschichte der Sexualität ein Seismograph der historischen Auseinandersetzung mit der Natur (der Geschichte als Herrschaftsgeschichte: der Geschichte von Welt und Natur). Die Entschlüsselung dieser Geschichte löst den Bann, dem das Christentum mit dem Paradigma der Sexualmoral verfallen ist. Voraussetzung ist die Kritik des Weltbegriffs und – in der Konsequenz des Nachfolgegebots – der Verzicht auf den theologischen Gebrauch des Naturbegriffs (der Müllhalde des projektiven Denkens).
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