November 1993

  • 04.11.93

    Jedes Machen zielt auf Verwendung, gehört zum Kontext der Instrumentalisierung. Nur die Schöpfung schafft Neues, ohne es zugleich der Vergangenheit zu opfern. Die Vorstellung, daß es die Natur schon richten wird, daß die kapitalistische Anarchie durch die Ordnungsfunktionen des Marktes sich bändigen lasse, bezeichnet diese Hölle.
    Wie läßt sich das Nachfolgegebot mit einer autoritären Kirchenstruktur vereinbaren? Jesu Gehorsam war kein Kirchengehorsam.
    Mit der theologischen Idee, daß Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen hat, wurde der Himmel geleugnet und zugleich der Naturbegriff so tief verankert, daß er fast unkritisierbar geworden ist.
    Das Antiweltliche Jesu drückt sich darin aus, daß er „zur Rechten des Vaters sitzt“: die göttliche Barmherzigkeit repräsentiert, die der Weltbegriff aus der Erde vertrieben hat. Deshalb: „Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“.
    Die vollendete Unbarmherzigkeit ist mehr als unbarmherzig: die vollendete Mordlust. Es gibt keine resurrectio naturae, nur eine renovatio faciei terrae.
    Die eudaimonia ist eine daimonia, deren Kehrseite verdrängt wurde. Merkwürdig: In der eudaimonia und im euangelion steckt das „oi“? Wie verhalten sich eudamonia und euangelion: wie die Dämonenlehre zur Engellehre?
    Enthält nicht die Bemerkung von Emmanuel Levinas über die Bedeutung des hebräischen Wortes chacham (der Weise) und seine Anwendung auf die griechischen Philosophen einen Hinweis auf die Unterscheidung von Weiheit und Einsicht in der Schrift? Und hat diese Unterscheidung etwas zu tun mit der der Klugheit der Schlangen und der Arglosigkeit der Tauben? Gehört die Arglosigkeit zur Einsicht (zum Grund der benennenden Kraft der Sprache)? (Vgl. Vier Taulmud-Lesungen, S. 15)
    Levinas, S. 29: „… alles, was im Judentum über Gott ausgesagt wird, (hat) durch die menschliche Praxis Bedeutung.“ (Vgl. hierzu Hermann Cohen, der darauf hinweist, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins, sind.) Darin gründet die Lehre von den Namen Gottes (und das Konzept der Heiligung des Gottesnamens). Deshalb ist die Instrumentalisierung des Namens der Tod der Theologie (zur Genesis des steinernen Herzens).
    Wer unterstellt, daß die Andern sich nicht ändern, gibt damit zu erkennen, daß er selbst sich nicht ändern wird. Er verwandelt das, was ist, in Natur, die sich ebenso wenig wie die Vergangenheit ändern läßt: Die Lehre von der Sündenvergebung ist ohne Natur-Kritik und ohne die Idee der Auferstehung nicht zu halten. (Mit der Verwerfung der Idee, daß die richtige Gesellschaft auch die Natur ergreift, hat Habermas die Idee der Versöhnung verworfen.)
    Zu Gen 127: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Weib schuf er sie.“ Ist das dritte „schuf“ das Resume der beiden ersten (hängt die Geschlechtsdifferenz mit der Differenz zwischen dem Possessivpronomen und der Genitivbildung zusammen)?
    Jonas im Bauch des Fisches: Hat Jesus deshalb Fischer als Jünger erwählt? Aber erst Tobias fängt mit Hilfe des Gabriel den Fisch, aus dem er die Mittel gewinnt, mit denen er Sara aus der Gewalt des Asmodai befreit und den Vater von seiner Blindheit heilt.
    Hängen die Sara und der Asmodai zusammen mit der neutestamentlichen Geschichte von Maria Magdalena und den sieben unreinen Geistern (ist der Asmodai der eine unreine Geist, der in die Wüste ging)?
    Ninive und Babel: Ninive ist die große Stadt, gegründet von Nimrod, dem großen Jäger vor dem Herrn, der selbst aus Babel kam; Babel beginnt mit dem Turmbau und der Verwirrung der Sprachen. Ninive (Assur) zerstört Israel, Babel Juda und Jerusalem; Israels Stämme sind verloren, Juda kehrt aus der babylonischen Gefangenschaft zurück.
    Wenn Franz Rosenzweig dem paulinischen Satz, wonach Gott am Ende alles in allem sein wird, den prophetischen Satz entgegenstellt, daß der Herr einzig sein wird und sein Name einzig (Sach 149), vergißt oder übersieht er dann nicht die logische Äquivalenz von Einzelnem und Allgemeinem?
    Ist nicht der Kampf gegen die Abtreibung ein mißverstandener Kampf für die Barmherzigkeit, deren hebräischer Name mit dem der Gebärmutter zusammenhängt?
    Hat das kreisende Flammenschwert etwas mit dem Logos (dem zweischneidigen Schwert aus dem Munde des Menschensohns) zu tun?

  • 01.11.93

    Sind Brot und Wein Symbole für Nomen und Verb (sind Wein – und die Trunkenheit -, sowie Wasser und Blut gemeinsame Symbole des Verbs; und ist das Nomen nicht das abgestorbene – gemordete -und wieder auferstandene Verb)?
    Die Nomina werden bestimmt durch Kasus (die „Fälle“), Geschlecht und Numerus, die Verben durch Modus, Tempus und Person.
    Hermann Cohen (Religion der Vernunft, S. 89, vgl. auch S. 120) weist zu 4 Mos 208: „… und redete vor ihren Augen mit dem Felsen, daß er sein Wasser spendete“, darauf hin, daß Moses nach rabbinischer Tradition sich verfehlte („Gott als Geist verleugnete“), weil er auf den Felsen geschlagen hat, anstatt ihm durch das Wort das Wasser zu entlocken.
    Adam, die Schlange und der Staub: Begriff und Vorstellung der Materie repräsentieren die zurückgestaute Kraft des Namens (und den Grund der Trunkenheit). Sie gründen in der selbstreferenziellen Struktur des Systems und konstituieren das projektive Moment in jeder begrifflichen Erkenntnis (keine Projektion ohne Mordlust).
    Der Grund repräsentiert die benennende Kraft in der Erkenntnis: So hängt er mit dem Begriff der Materie, der ihn zugleich neutralisiert, zusammen.
    Die Orthogonalität begründet die Negativität (das mathematische Element: die Ununterscheidbarkeit von Positivem und Negativem, von Richtung und Gegenrichtung) im Begriff der Dimension.
    Beziehen sich die „Attribute des Seins“ (Cohen, S. 109): die Einheit, die Allmacht und die Allwissenheit, nicht auf die transzendentalen Totalitätsbegriffe: Welt, Natur und Wissen?
    Das Opfer: eine Vorform des Tauschprinzips?
    Ist der Löwe der Typos der Geldwirtschaft (und das Lamm Typos des Schuldenopfers)?
    War das Opfer der Söhne und Töchter, die „durchs Feuer geschickt“ wurden, ein Opfer an den Drachen, und hängt es zusammen mit dem Staub, zu dem Adam wird und den die Schlange frißt?
    Ist der Adressat des Erstgeburtsopfers (siehe die Exodusgeschichte) nicht der gleiche Dämon, dem der Ursprung des Staates und der Philosophie sich verdankt?
    Die Ambivalenz des Lachens rührt her von seiner Beziehung zum Schmerz. Ist nicht heute alles Lachen projektives Lachen (der verdrängte, nicht der aufgehobene Schmerz): Schadenfreude (nach dem deutschen Sprichwort die „beste Freude“) ist das Gegenteil der Freude, ein Instrument der Selbsterhaltung der Ichschwäche. Setzt sich, wer sich das Lachen der Verzweiflung verbietet, nicht dem Irrsinn aus?
    Das wirkliche Objekt des Darwinismus ist nicht die Naturgeschichte, sondern die Wirtschafts- und Geistesgeschichte.
    Die Anwendung des Schiller-/Hegelschen Satzes „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ auf den Darwinismus führt zu dem Resultat, daß alle Tiere verurteilt sind und nur als Verurteilte (als Gattung) überleben.
    Hat das Joch des Jeremias etwas mit dem Gordischen Knoten (und mit Alexander) zu tun?
    Ist die Beziehung des ersten Teils des Stern der Erlösung zum Mythos in der Funktion des Naturbegriffs, seiner Bedeutung für die Konstruktion des Ganzen, begründet? Und ist deshalb der „Übergang“ zur Offenbarung nur mit Hilfe des Erkenntnisgebrauchs der Umkehr, die allein das projektive Moment im Anfang tilgen kann, möglich?
    Der Naturbegriff ist das Produkt der verweigerten Umkehr. Deshalb bezeichnet er aufs genaueste die „Pforten der Hölle“.

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