Januar 1994

  • 20.01.94

    Die Juden sind Hebräer für die anderen (für die Welt), Israeliten hingegen für Gott und für sich selbst.
    Ist nicht die Argumentation beim Loretz deshalb unverständlich, weil er es nicht zulassen kann anzuerkennen, daß die Beziehung der Hebräer zu Israel auf einer Ebene liegt, die durch den szientifischen Objektivitätsbegriff neutralisiert, gegenstandslos wird. Ist nicht der ganze Eiertanz um die Frage, ob der Name der Hebräer ein Appelativum oder ein Gentilizium sei, dadurch verursacht, daß das Eingehen auf die Sache den wissenschaftlichen Objektivitätsansatz sprengen würde? Dieser Objektivitätsansatz macht sich gemein mit der Welt, für die die Israeliten Hebräer sind, die sie haßt. An dieser Konstellation krankt die gesamte historische Bibelkritik (die „Quellentheorie“, die nicht zufällig an der Beziehung der Begriffe Stämme, Sprachen, Völker und Nationen, in deren Kontext die Namen der Israeliten und Hebräer gehören, sich desinteressiert zeigt).
    Die „Völker“ (als Schicksalsgemeinschaften, die mit dem Ursprung des Weltbegriffs entstehen) sind die Heiden. Gleicht die Unterscheidung von Völkern und Nationen nicht der von natura und physis? Die Sprachen beziehen sich auf Babylon, die Völker auf die Völkertafel, die Stämme auf die Genealogien, und die Nationen? Kann es sein, daß zwischen Völkern und Stämmen und zwischen Nationen und Sprachen genetische Beziehungen bestehen?
    Da wird Israel zu einem völkisch-nationalen Begriff, da werden die „späten Bearbeiter“ (Loretz, S. 122) zu dummen Kerlen (die gleichen Redaktoren übrigens, die Franz Rosenzweig mit dem Namen Rabbenu ehrt), die die „Materialien“, mit denen sie umgehen, nicht mehr verstehen und sich von den „kritischen“ Wissenschaftlern vorrechnen lassen müssen, wie die Stellen, die sie nur, wie der Assistent das Buch seines Professors oder der Lektor das Manuskript eines Autors, redaktionell „bearbeitet“ haben, eigentlich hätten lauten müssen.
    Merkwürdig, daß der Widerspruch zwischen dem „Hebräer“ Abraham und der „aramäischen“ Verwandschaft, bei der Isaak und Jakob sich ihre Frauen holen, überhaupt nicht erwähnt wird. Er paßt in das Schema der Fragestellung, die sich in voreilendem Gehorsam dem apriorischen Antworthorizont anpaßt, nicht herein. (Vgl. Deut 265: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater …) Hierzu gehören Wendungen wie „er lebte als Fremder im Land“ oder auch die mit der Erinnerung an die eigene Vergangenheit als Fremde in Ägypten begründeten Regelungen für die Fremden in Israel.
    S. 125: Erinnert nicht das Alt-Zitat, im Namen der Hebräer schwinge „ein Ton der Selbstdemütigung“ mit, niemals aber ein „nationales Hochgefühl“, an das Argumentationsschema, mit dem heute die Erinnerung an Auschwitz abgewehrt wird?
    Ist die Trinitätslehre das dreidimensionale Gegenstück zur noesis noeseos des Aristoteles. Verhält sich die aristotelische Metaphysik zur euklidischen Geometrie wie die Trinitätslehre zum Inertialsystem (und zum kapitalistischen Wertgesetz)?
    Hatte nicht Sacharja nur die vier „apokalyptischen Reiter“, die erst in Johannes-Apokalypse durch den Hinweis auf den Einsturz des Himmels und die Märtyrer unter dem Altar ergänzt, vervollständigt werden?
    Hat der hebräische Sklave etwas mit dem Gottesknecht zu tun? Oder soll es deshalb keine hebräischen Sklaven geben, weil Israel der Knecht Gottes ist (ist Nietzsches Begriff der jüdisch-christlichen Sklavenmoral ein Hebraismus)?
    Nach der Selbstzerstörung der Welt (nach den Weltkriegen?) war das Innere „leer, gereinigt und geschmückt“.
    Verdankt sich nicht die Verdreifachung der altorientalischen Chronologie dem gleichen Mechanismus, dem in der Bibelwissenschaft die Quellentheorie sich verdankt?
    Hat nicht die historische Bibelkritik etwas mit Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern zu tun: Da werden Stoff, Farbe und Faltenwurf der Kleider untersucht und beurteilt; in Wahrheit aber ist der Kaiser nackt (und die zum Feigenblatt naturalisierte Schrift wird mit den nicht vorhandenen Kleidern verwechselt).
    Ist nicht das Stück Wut, das bei Heinsohn und Illig sich zeigt, der Drewermannschen Wut (die ihn an die Kirche bindet) vergleichbar: in beiden Fällen Ausdruck des blinden Flecks in der Theorie?
    Der Positivismus legt ein Minenfeld vor die Wahrheit.
    Wenn Jesus in seiner Botschaft an den Täufer mit den Blinden und Lahmen ein Detail aus der Geschichte der Eroberung Jerusalems durch David zitiert, gewinnen dadurch nicht beide Stellen prophetische Qualität? Von den Blinden und Lahmen, „die David in der Seele verhaßt waren“, heißt es da: „Sie werden dich (sc. David) vertreiben“ und „Es soll kein Blinder noch Lahmer in das Haus kommen“ (2 Sam 56ff).
    Die Strafverfolgung gegen den Stasi-Chef Wolff ist Heuchelei, aber die Nichtverfolgung wäre Zynismus. Wo liegt da die Lösung?
    Macht Heidegger nicht die gleiche Sorge, gegen die sich u.a. die Bergpredigt richtet, zum Existential?

  • 19.01.94

    Gilt der Name Israel nur im internen Gebrauch, oder gibt es einen Fall, in dem es von außen so genannt wird (Ex 19)? Wie verhalten sich die Hebräer zu Kanaan: sind nicht beides soziologische Bezeichnungen (ähnlich der Name Ägyptens, Mizrajim, und der des Pharao)? Wie steht es überhaupt mit dem biblischen Gebrauch des Namens Kanaan (mit der Sprache Kanaans und dem Land Kanaan): Hieß das Land und hießen die Völker so nur im Munde der Israeliten? War die Sprache Kanaans nicht die hebräische? Und ist es nicht ein Stück besonderer Infamie, wenn die Juden im christlichen Exil in die Rolle der Kanaanäer (der Händler) hineingepreßt und dann Hebräer genannt worden sind?
    Das Objekt ist das der Sprache entfremdete, zur Sprache äußerliche Ding: logisches Zentrum des Nominalismus, dessen historische Anwendung unvermeidbar rassistisch ist. Dabei ist selbst der Name der Deutschen ein sprechender Name (nur daß die Deutschen selber ihn nicht mehr verstehen: wie würden sie es sonst mit sich selbst und mit diesem Namen aushalten?).
    Hat der real existierende Sozialismus nicht genau das blockiert, was notwendig gewesen wäre: die Nutzung der Marxschen Theorie zur theoretischen Durchdringung der Gegenwart? Das Problem ist paradigmatisch bezeichnet in dem Streit zwischen Lukacs und Adorno, dem gegenseitigen Vorwurf: „Hotel Abgrund“ und „erpreßte Versöhnung“.
    Zur Realsymbolik des Falles Galilei: Ist nicht die Bibel das Fernrohr, durch das man den Mond am besten sieht, nur daß wir die Handhabung dieses Erkenntnisinstruments verlernt haben?
    (Ist die Bibel der Bogen in den Wolken, das Zeichen, daß es eine Sintflut nicht noch einmal geben wird? Ist der Staat der säkularisierte Himmel: die Feste zwischen den Wassern?)
    Die Ontologie und die Anbetung der Mathematik (die zivilisatorische Selbstanbetung des Subjekts). Liegt der Grundfehler (bei Thales und bei Einstein) in der Orthogonalität (der automatischen Beziehung der intentio recta auf die zu ihr orthogonalen Richtungen: Grund der Reflexion)?

  • 18.01.94

    Zu Orion und den Plejaden, „deren Verschwinden die Trockenheit anzeigt“, sh. Loretz, Ugarit, S. 164 (Anm. 535). – Kommen Orion und die Plejaden auch in „Saturn und Melancholie“ vor?
    Die Astrologie war eine an den Himmel projizierte Gesellschaftstheorie. Und das Verbot der Astrologie hängt sicherlich auch damit zusammen, daß mit fortschreitender Säkularisation die gesellschaftliche Reflexion mit einem Tabu belegt wurde.
    Der Name des Menschensohns ist antitotemistisch. Freud: „Totem und Tabu“ prüfen: Enthält es den Schlüssel zum Rätsel des apokalyptischen Tieres?
    Erst, wenn das „interesselose Wohlgefallen“, das kantische Prinzip der Kunst, aus der passiven in die aktive Form: in die Liebe übersetzt wird, wird die Grenze zur Theologie überschritten.
    Die Kabbalah unterscheidet sich von der christlichen Mystik dadurch, daß sie keine Vereinigungsmystik ist, daß sie die keusche Distanz zu Gott (die Distanz der Keuschheit) wahrt.
    Im Zuge seiner Hellenisierung hat das Christentum die Sprachwurzeln der Metaphorik durchschnitten; besiegelt wurde dieser Akt durch die Rezeption des Weltbegriffs: Liegt hier der Grund der Vereinigungsmystik, der Unkeuschheit der christlichen Theologie?
    Der Weltbegriff hat die Trunkenheit und die Unzucht im Kern, er ist in sich selber orgiastisch. Der Taumelbecher und die Hurerei bezeichnen eher ein logisches als ein moralisches Problem: einen herrschaftslogischen Sachverhalt (die „Sünde der Welt“).
    Die Probleme der Physik, der Naturwissenschaften, des Inertialsystems, sind allein mit Hilfe der drei evangelischen Räte zu lösen.
    Ist nicht die Josefs-Geschichte eine Erläuterung zu Hegels Satz, wonach die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern? Und gehört nicht die Josefs-Geschichte zur Urgeschichte der Marxschen Kapitalismus-Kritik?
    Nach Walter Benjamin ist die jeweils jüngst vergangene Mode das Veraltetste. Ist das nicht ein Kehrbild des anderen Sachverhalts, daß im historischen Prozeß das Allerälteste, der Anfang, sich nicht immer weiter von uns entfernt, sondern immer näher an die Gegenwart heranrückt?
    In der Konstitution und Begründung der subjektiven Formen der Anschauung steckt nicht nur ein psychologisches, sondern ein kosmologisches und politisches Problem zugleich.
    Hat das Bild von den vier apokalyptischen Reitern etwas mit dem anderen Bild von dem wie eine Buchrolle sich aufrollenden Himmel zu tun?
    Das Hosanna in excelsis im Sanctus ist falsch: Hier wird ein Hilfeschrei als Jubelruf mißverstanden.
    Oswald Loretz (S. 169) sieht in Ps 19A einen Widerspruch darin, daß, nachdem die Himmel und das Firmament laut die Herrlichkeit ihres Schöpfers verkünden, dann in V 4 – so Loretz – „folgende gegenteilige Behauptung aufgestellt“ wird:
    Keine Worte, keine Sprache,
    nicht vernimmt man ihren Laut!
    Er unterschlägt dabei, daß unmittelbar davor der Vers steht:
    Tag dem Tag sprudelt Worte,
    Nacht der Nacht kündet Wissen.
    Könnte es nicht sein, daß die Sprache dem Tag und (ebenso wie das Denken und das Wissen und gemeinsam mit ihnen) die Stummheit, die Lautlosigkeit, der Nacht zuzuordnen sind, daß das Wissen dem Schlaf entspricht, am Traum partizipiert? Ist das Wissen die „Kunde der Nacht“, die die Tage (siebenfach) voneinander scheidet (die Finsternis über dem Abgrund und das Warten auf die Morgenröte und den Hahnenschrei)?

  • 17.01.94

    Ist die Religion Kanaans eine Händlerreligion, und die Sprache Kanaans eine Händlersprache? Und war die Hellenisierung des Christentums nicht eigentlich eine Baalisierung?
    Die Dudensprache ist ein Sekretärinnen-Sprache: autoritär, nicht mehr verständlich zu machen, positivistisch, eine Sklavensprache. Sie schließt ein reflektiertes Verhältnis zur Sprache aus.
    Die Theologie befindet sich heute in der Situation des Kafkaschen Schauspieldirektors. Aber das Wechseln der Windeln ist sicherlich nicht in jeder Hinsicht eine angenehme Tätigkeit.
    Die Vorstellung einer creatio mundi ex nihilo scheitert eigentlich schon daran, daß dieses nihil als ein Absolutes vorgestellt wird: Vorher war nichts, und dann war die Welt. Aber das nihil absolutum gibt es nur unter der Voraussetzung der Raumvorstellung: als Vorstellung des leeren Raums, des Vakuums; im übrigen gibt es die Verneinung nur als bestimmte Verneinung. Aufgabe und der Zweck der Vorstellung einer absoluten Negation ist es, die Vergangenheit zu neutralisieren, die Last der Vergangenheit abzuwerfen. Ist dieses nihil nicht ein Deckbegriff der verdrängten Vergangenheit: der abgeworfenen Last, und diese Beziehung zur Vergangenheit eine logische Voraussetzung des Weltbegriffs? Wer ist dann der creator mundi?
    Die Bemerkung von Oswald Loretz, daß zum Hosianna ein Vokativ gehört (Hilf, o Sohn Davids, nicht: Hosianna dem Sohne Davids; vgl. Mt 219 und den hier zitierten Ps 11825f), löst das Rätsel, auf das Geza Vermes hinweist. Aber was bedeutet es, wenn ein Hilfeschrei zum Lobgesang (der Gekreuzigte zum Gott) umgefälscht wird? Wie verändert sich dadurch die ganze Palmsonntags-Geschichte? Drückt in dieser Veränderung nicht ein zentrales Moment der christlichen Ursprünge sich aus? Ruft hier nicht der eine Ertrinkende dem andern zu „Rette uns“, beide gehen unter, und der Untergang des einen wird von allen andern als Erlösung verstanden?
    Die Materie trägt den Namen der Mutter; sie ist Inbegriff der Reduzierung aller Dinge auf ihr Für-anderes-Sein. Das Goethesche „zu den Müttern“ ist eine Variation des Rousseauschen „Zurück zur Natur“. Und Natur trägt die Erinnerung an die Zweideutigkeit ihres Ursprungs an sich: sie ist als physis das Gezeugte und als natura das Geborene. Die Natur ist gleichsam das entfremdete Subjekt-Objekt der Materie. Lassen sich die prophetischen Gestalten der Unzucht: die Idolatrie und die Hurerei („unter jedem grünen Baum“ und „auf jedem hohen Berg“), auf die Ursprungsgeschichte des Natur- und Materiebegriffs beziehen, die selber wiederum einer projektiven Ableitung aus der objektivierenden Gewalt der Geldwirtschaft sich verdanken? Nicht zufällig ist Kanaan das Zentrum der Bibel (das Zentrum der biblischen Kritik und Verheißung).
    Zu Jes 178, 279: Sind die kanaanäischen Ascheren und Sonnensäulen Vorbegriffe von Natur und Welt? – Vgl. Loretz, Ugarit und die Bibel, S. 85.
    Der Weltbegriff organisiert die Erfahrung in einer Weise, durch die sie apriori gegen jede theologische Erkenntnis sich immunisiert. Ein anderer Ausdruck davon ist der Satz, daß das Christentum seit den Kirchenvätern Theologie hinter dem Rücken Gottes betreibt. Erst eine Theologie im Angesicht Gottes löst den Naturbegriff auf und sprengt den Weltbegriff.
    Läßt sich die Geschichte der drei Leugnungen (und das Moment der Steigerung in der Abfolge der drei Leugnungen) nicht als die Geschichte der Verwechslung von vorn und hinten (Urschisma und Entwicklung des Dogmas, oder die Verletzung des Armutsgebots), rechts und links (Islam und Scholastik, oder die Verletzung des Gehorsamsgebots) und oben und unten (Aufklärung und Theologie, oder die Verletzung des Keuschheitsgebots), die dann in der Selbstverfluchung endet, und d.h. insgesamt als die Geschichte der Rückkehr der sieben unreinen Geister beschreiben?
    – Die Austreibung der sieben unreinen Geister,
    – die Umkehr, die den Baum der Erkenntnis in den des Lebens zurückverwandelt,
    – die Verwandlung des steinernen in ein fleischernes Herz,
    – der neue Geist, den Gott in das Innere senkt,
    – die Gotteserkenntnis, die die Erde erfüllt wie die Wasser den Meeresboden bedecken,
    beschreiben einen Vorgang, ein Ereignis.
    Die Weigerung, barmherzig zu sein „wie euer Vater in den Himmeln barmherzig ist“, ist die Leugnung des Heiligen Geistes, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird.
    Die Naturwissenschaft als Kloß im Hals der Theologie: Wird hier nicht die Theologie wie die Gans gemästet, die Christen Jahr für Jahr zu Weihnachten schlachten?

  • 16.01.94

    Zur Beziehung von Scham und Blut sh. Vermes, Anm. 31, S. 260: Rabbi Nachman ben Isaak: „Wer seinen Nächsten in der Öffentlichkeit beschämt (erröten läßt), der ist, als hätte er Blut vergossen.“
    Anwendung von Mt 634: „Darum sorgt nicht für den anderen Morgen, denn der morgige Tag wird wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat“, auf die Schöpfungsgeschichte, das Sechstagewerk, und auf den „Tag des Herrn“. Geza Vermes rührt, ohne es zu bemerken, an den Grund der Prophetie, wenn er dazu darauf hinweist, daß Jesus „ein Mensch (war), für den die Gegenwart, das Hier und Jetzt, von einmaliger und unendlicher Wichtigkeit war“ (S. 264).
    Zur Bestimmung des Staubs (zu dem Adam wird, und den die Schlange frißt): Das Heideggersche „Man“ ist eine Emanation der Welt: die präziseste Bestimmung dessen, was die Propheten Unzucht nannten. Bezeichnend, daß das unpersönliche Man dann doch als männlich (und als Verkörperung des Universalen) erfahren wird.
    Das Geschwätz ist eine Erfahrungsverhinderungsmaschine (es gehorcht der dem Rechtfertigungszwang unterworfenen Bekenntnislogik).
    Wenn Israel der Augapfel Gottes ist, ist dann nicht der Antisemitismus (wie vor ihm der kirchliche Antijduaismus) ein Versuch, Gott blind zu machen: daß er’s nicht mehr sieht?
    Wenn der Antisemitismus Gott erblinden macht, hat dann das Christentum Ihn gelähmt? Drückt sich das darin aus, daß der erhöhte Jesus „zur Rechten des Vaters“ sitzt?
    Die Botschaft Jesu an den Täufer im Gefängnis („Blinde werden sehend und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt und und Armen wird die frohe Botschaft verkündet, und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt“, Mt 115) ist apokalyptisch (Zusammenfassung der Lösung der sieben Siegel und e contrario eine spiegelbildliche Beschreibung des apokalyptischen Weltzustandes).
    Als Zedekia, der letzte (vom König von Babel eingesetzte) König der Juden, nach Babel verbracht wurde, „schlachtete man (die Söhne Zedekias) vor seinen Augen; den Zedekia aber ließ er blenden und in Ketten legen. So brachte man ihn nach Babel“ (2 Kön 257). Hat diese Geschichte etwas mit Auschwitz zu tun: Ist „der König der Juden“ seitdem geblendet und in Fesseln, blind und lahm? Vgl. auch die „Blinden und Lahmen“ bei der Eroberung Jerusalems (2 Sam 56ff) und in der Botschaft Jesu an den Täufer („Die Blinden werden sehend, die Lahmen gehen, …“ Mt 115). -Ist hier die Richtung bezeichnet, in der das mit dem Lösen Gemeinte gesucht werden muß?
    Es gibt keine Erkenntnis, die nicht auch in Beziehung zur Gotteserkenntnis steht, und hier gilt der Satz: Der liebe Gott (und nicht der Teufel) steckt im Detail.
    Zu Geza Vermes: Der Nachweis, daß die Lehre der Kirche mit der Lehre Jesu nicht übereinstimmt, reicht nicht mehr. Zu ermitteln und herauszuarbeiten wäre die reale historische Beziehung beider zueinander; eine hierher passende Bemerkung zu den Elefanten: Ist nicht das Langzeitgedächtnis, soweit es von der Erinnerungsfähigkeit zu unterscheiden ist, und d.h. das Langzeitgedächtnis, dessen Objekt man nur ist, Ausdruck einer sehr tiefen Verletzung?
    Zur Unterscheidung von Mythos und Aufklärung: Wenn das Schicksal, nach der Benjaminschen Definition, der Schuldzusammenhang des Lebendigen ist, ist dann die Welt (und das wäre ebenfalls eine Definition) der Schuldzusammenhang des Toten (aber dieser Schuldzusammenhang ist einer, der in dem des Lebendigen gründet, und dessen realsymbolische Widerspiegelung das apokalyptische Tier ist)? Für uns sind nicht mehr die Götter unsterblich, sondern unsterblich ist nur noch die Sterblichkeit der Sterblichen: der Tod. Darin gründet der Naturbegriff.
    Vornehm und anständig, oder der Kern des Verblendungszusammenhangs: Der Vornehme spiegelt sich im Blick von unten, der Anständige im Blick von oben. Gemeinsam verstellen sie der Erkenntnis den Weg. Wenn die Vornehmen mit den Anständigen sich verbünden, siegt die Natur, wird die Welt gemein.
    Zur Raumvorstellung: Oben und unten bezeichnen das Verhältnis von Schöpfung und Auferstehung, rechts und links das von Gericht und Barmherzigkeit, und vorne und hinten das von Im Angesicht und Hinter dem Rücken.

  • 15.01.94

    Wenn Geza Vermes (in der Anm. S. 219) reklamiert, daß das Biographische in den Evangelien auf hellenistische Parallelen verweise, daß in der zeitgenössischen jüdischen Literatur (außer bei Philo und Flavius Josephus) keine vollständigen Biographien vorkommen, übersieht er da nicht die Biographien der biblischen Tradition, bei den Patriarchen, bei Moses, bei den Richtern u.a.?
    Gegen 2000 Jahre Christentum: Gibt es seit dem Kreuzestod nicht nur noch Kreuziger (Mittäter) und das unendliche Heer neuer Opfer, Erlöste aber erst im Falle der Parusie?
    Anm. 47, S. 224: Hinweis auf eine von einer irischen Synode im achten Jahrhundert beschlossene Verordnung, wonach eine Frau kein gültiges Zeugnis ablegen kann, da die Apostel selbst weibliche Zeugen (sc. Maria Magdalena als erste Zeugin der Auferstehung) abgelehnt hätten.
    S. 227: Nach Vermes „kann wenig Zweifel daran bestehen, daß … die Entwurzelung (des Christentums aus dem jüdischen Milieu) so radikal war, daß die nichtjüdische Kirche und alle Schriften, die für sie verfaßt wurden, als verläßliche Quelle für ein historisches Verständnis Jesu von Nazareth ausgeschlossen werden müssen“.

  • 14.01.94

    An der englischen Grammatik, insbesondere am Fehlen der impersonalen Satzbildungen, läßt sich ablesen, weshalb das englische Wissenschaftsverständnis empirisch ist: es gibt kein „es gibt“, wohl aber das „there is“. Hängen die Besonderheiten der Flexion im Englischen: die Neutralisierung des Artikels und des Nomens gegen Geschlecht und Kasus, aber auch der abweichende Gebrauch der Hilfsverben, und hierbei die Verwendung des Präfixes „be-“ (seine Beziehung zum Infinitiv to be), damit zusammen?
    Wie hängen die grammatischen Neubildungen im Lateinischen: das Futur II und das Supinum (supino: rückwärts beugen, nach oben kehren, umwühlen; supine: mit abgewandtem Gesicht; Supinum: das angewandte, gehandhabte Passiv, Ausdruck des subjektiven Zwecks als Grund der Instrumentalisierung), zusammen: Ist das Supinum nicht eine logische Folge aus dem Futur II, eine Zwischenstufe zum Neutrum? – Sind Griechisch und Latein nicht Verkörperungen zweier komplementärer Sprachlogiken des Herrendenkens (der Subjektlogik der Philosophie und der caesarischen Staatslogik), die dann im Inertialsystem sich zusammenschließen, von der Sprache sich ablösen und gegen die Sprache sich verselbständigen; in deren Folge ist die Sprache dann zu etwas Äußerlichem gegen die neutralisierte Dingwelt geworden: wurde ihre benennende Kraft zur Unkenntlichkeit entstellt.
    Das Futur II ist eine „Erfindung“ des Altlateinischen. Beschreibt es nicht die Struktur einer selffulfilling prophecy: Es wird gewesen sein? Hier hat Rom verinnerlicht, aus der Sternenwelt in die Sprache übertragen, was Babylon (die Chaldäer) mit der Astrologie begonnen hat (vgl. die sprachlogische Beziehung des Futur zum Supinum, zum Imperativ und zum Neutrum). Ist es ein Zufall, daß die wichtigsten lateinischen Kirchenväter Rhetoriker waren? Wenn Rosenzweigs Vergleich, wonach in der alten Welt die Rhetorik das war, was für die modernen Welt die Technik bedeutet, stimmt, waren dann nicht die Kirchenväter Sprachingenieure?
    Ist nicht die Beziehung von Raum und Objekt eine Verallgemeinerung der Beziehung von Begriff und Gegenstand; der Raum Konstituens des Begriffs durch Trennung vom Objekt (Trennung der Sprache von der Sache: Kreuzigung des Logos)? Und sind nicht Zeit und Materie (und der Naturbegriff) die Spuren der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (die im Inertialsystem sich vollendet)? – Über die Beziehung von Raum und Begriff (die in der Opfertheologie gründet) hängt die Geschichte des Begriffs: die Geschichte der Philosophie und Wissenschaft, mit der Geschichte der Architektur zusammen.
    Der Turmbau zu Babel, das Herniederfahren Gottes und die Verwirrung der Sprache: der gleiche Vorgang wird in der Prophetie als der Sturz Luzifers beschrieben.
    Wenn Stephanus den Himmel offen und „des Menschen Sohn“ zur Rechten Gottes stehen sieht (Apg 756), heißt das nicht auch, daß der Menschensohn jenseits des Tierkreises ist (vgl. Vermes, S. 149)? Und wenn es (S. 158) vom Menschensohn heißt, er habe seinen Namen erhalten, bevor die Sterne und Himmel erschaffen wurden, so bedeutet das nicht nur, daß er vor der Welt erschaffen wurde, sondern bezeichnet auch seinen Ort jenseits des Tierkreises.
    Zu bar nasch (Menschensohn), bar nascha (der Menschensohn) und bar enasch vgl. Vermes, S. 149 und 173f. enasch (mit Initial-Aleph) ist die Grundform von nasch wie Eleazar die von Lazarus; der als Suffix angefügte Determinant in nascha bezeichnet den bestimmten Artikel.
    Nach dem Hinweis in Anm. 50 auf S. 158 gibt es anstelle von Menschensohn auch den Namen „Sohn der Frau“. Wird hier der Samen des Weibes aus dem Fluch über die Schlange nach dem Sündenfall zitiert?
    Die Physik hat die Sensibilität zur Empfindlichkeit naturalisiert.
    Der Begriff der Naturalisierung entspricht dem der Verweltlichung: Auch das physei (in diesem Falle die Volkszugehörigkeit, die der Staat, der weltliche Gott, auch einem Fremden zuerkennen kann) ist ein thesei.
    Erinnern die gegenwärtigen Beziehungen der Medien zur Politik (die fortschreitende Ersetzung politischer Kritik durch Skandal-Berichte) nicht an gewisse symbiotische Beziehungen in der Natur, die man heute – im Kontext des Slogans „Erhaltung der Schöpfung“ – gerne ökologische System nennt, und zu deren Erhaltung Naturschutzgebiete eingerichtet werden? Gibt es nicht eine merkwürdige Konvergenz zwischen den Naturschutz-Interessen und dem Interesse an der Erhaltung exkulpierender System: dem Entlastungs-Interesse? Aber mit der Schuld-Entlastung wird auch das Erkenntnis-Interesse neutralisiert.
    Wenn man den Kafka-Satz vom Fehlläuten der Nachtglocke aufs Christentum bezieht, wird verständlich, was es mit dem Hahn in der Geschichte von den drei Leugnungen auf sich hat.
    Ist nicht Drewermanns Wort, die Psalmen seien altorientalische Rachegesänge, ein projektive Verarbeitung katholischer Ängste nach Auschwitz? Und ist nicht Drewermanns Haßbindung an die Kirche (die in der gegenwärtigen Verfassung der Kirche vorgebildet ist) ein strenger Beweis für die Verwechslung Gottes mit dem „Schöpfer der Welt“, die heute innertheologisch fast nicht mehr aufzulösen ist?
    Begründung der Gottesfurcht: Die Rechtfertigung ist das Instrument des Unschuldsverlangens, des Exkulpationstriebs; die Armen und die Fremden, die Juden und die Frauen sind seine Opfer (die Opfer unseres Exkulpationstriebs). Das Wort aus der Dialektik der Aufklärung von der Geschichte der Zivilisation als der Geschichte der Verinnerlichung des Opfers bezeichnet aufs genaueste den Grund dieses Zusammenhangs.

  • 13.01.94

    An die Dämonen, die ihn als Sohn Gottes ausrufen, richtet Jesus die Aufforderung zu schweigen (Lk 441, vgl. hierzu Vermes, S. 130); ist hier prophetisch die Kirche mit gemeint? Vgl. auch die entsprechenden Petrus-Stellen, insbesondere Mt 16 (die mit dem „Weiche von mir Satan“ endet).
    Zu Vermes, S. 138: Hat Jesus den messianischen Titel zurückgewiesen oder nur dessen öffentlichen Gebrauch? Erst diese Unterscheidung rückt die zentrale Bedeutung des Weltbegriffs (die Bedeutung des Johannes-Evangeliums) für das Selbstverständnis des Christentums ins Blickfeld.
    S. 139: Wichtig (und schlagend) die Ableitung der kirchlich-dogmatischen Messias-Auffassung aus ihrer Nützlichkeit in der jüdisch-christlichen Auseinandersetzung (Instrumentalisierung).
    Zu Mt 219.15 und dem Psalm-Zitat (Ps 11825) in dem Ruf „Hosianna dem Sohne Davids“: Muß man wirklich dem Dativ „dem Sohne Davids“ bei der „besten Wiedergabe des Gebetes“ im Aramäischen einen Akkusativ zugrundelegen (S 141)?
    Erst die zentrale Bedeutung des Weltbegriffs macht verständlich, weshalb die Auferstehungserfahrung zur Schlüsselerfahrung wurde.
    Die Instrumentalisierung des Mitleids (Medium der Logik des Weltbegriffs) ist kein Grund, das Mitleid zu verwerfen, wohl aber einer, klüger zu werden. Ist es nicht diese Klugheit, die die Welt haßt?
    Das genus, das Geschlecht, ist ein Attribut der dritten Person. Hängt damit die Stellung des „als Mann und Weib schuf er sie“ zusammen? Und drückt sich das im zweiten Schöpfungsbericht im Tiefschlaf Adams aus? (Gegen die Prämisse spricht, daß im Hebräischen das Geschlecht schon ein Attribut der zweiten Person ist.)

  • 12.01.94

    „…, die Rechts und Links nicht mehr unterscheiden können“: Welche apokalyptischen Reiter kommen von Nord und Süd?
    Der Begriff des Rassismus löst kein Problem, sondern bezeichnet eins, und zwar sowohl bei denen, auf die er angewandt wird, als auch bei denen, die ihn gebrauchen: Der Rassismus ist keine Konfession.
    Das Pater noster endet mit „et ne nos inducas in tentationem, sed libera nos a malo“; dem geht der Satz voraus: „dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris“. Hier ist eine klare Folge benannt: Nach der gegenseitigen Sündenvergebung folgt erst die Versuchung, in die uns Gott nicht führen möge, sondern dann erlöse Er uns vom Bösen (und begründe damit Sein Reich). Frage: Woher kommt der in den Kirchen heute gebräuchliche weitere Zusatz „Denn Dein ist das Reich …“? Wird hierdurch nicht das Ende des Gebets neutralisiert?
    Ist nicht die gegenseitige Abgeschlossenheit und Äußerlichkeit der Dinge, ihre mechanische Wechselbeziehung, ihre Verstrickung in die gegenseitige Abstoßung, ein Reflex, eine Folge der unendlichen Offenheit des Raumes?

  • 11.01.94

    Das Präteritum bezeichnet eine abgeschlossene, das Imperfekt eine noch nicht abgeschlossene Handlung. Wann wurde das Imperfekt zum Präteritum? Nach dem Verschwinden des Aorist (beim Übergang vom Griechischen zum Lateinischen)? Zusammenhang mit dem Ursprung des Futur II und der Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs (vom kosmos zum mundus; Voraussetzung des Inertialsystems)? Die Philosophie und als ihr logischer Ausdruck der Weltbegriff, und in der Praxis dann der Staat, schließt die Vergangenheit ab, macht die Natur zur Natur.
    Nach Hans Krahe (Indogermanische Sprachwissenschaft, II S. 83) geht das „Präteritum“ der starken Verben des Germanischen auf das indogermanische Perfekt zurück (Abstufung im Vokalismus der Wurzelsilben).
    Interessant (S. 86), daß das Futur eine spätere Bildung und vorrangig aus dem Konjunktiv hervorgegangen ist (das Futur II ist eine altlateinische Bildung). – Hängt der Zerfall des Konjunktivs im modernen Deutsch damit zusammen (das Futur läßt keinen Raum mehr zum Wünschen)?
    Zum sanskritischen Infinitiv auf -tum im Zusammenhang mit dem lateinischen Supinum I (i-tum, da-tum, S. 86): Hängt das mit dem deutschen Suffix -tum (Heiden-, Christen-, Juden-, Eigen-, Reich- und Deutschtum) zusammen: bilden die „-tümer“ das genetische Material, aus dem die apokalyptischen Tiere (die Ungetüme) hervorgehen? – Auch ein Beitrag zur Kritik der Gen-Technologie.
    Wie kommen die modernen semitischen Sprachen (auch das moderne Hebräisch) ohne das Neutrum aus (liegt hier nicht der Grund des Fundamentalismus in den islamischen und jüdichen Orthodoxien)?
    Zur Beziehung der grammatischen Strukturen zum Raum: Analyse der Präpositionen, der Prä- und Suffixe, der Deklination, Zusammenhang mit dem Ursprung der Urteilsform und der Trennung von Raum und Zeit (Sprache und Materie: die Materie ist das Grab der Sprache; auch hier erweist sich die Bedeutung der Idee der Auferstehung).
    Hängt nicht die Geschichte der Sprache (insbesondere ihre grammatische Durchbildung) mit der Geschichte der Scham zusammen: Ursprung der indogermanischen Sprache, Entwicklung der Deklinationen und Konjugationen, Ursprung des Neutrum, des Futur, der Casus? In der Sprache wird der Blick des andern antizipiert und in den grammatischen Formen reflektiert: der Bruch zwischen der benennenden Kraft und der mitteilenden Funktion der Sprache ist hier begründet.
    Dei Neutralisierung der Grammatik als Folge ihrer zweiten Verräumlichung (Begriffe als Markenzeichen, Löschung der Reflexionsbeziehungen, gleichgültiges Nebeneinander der Regeln und Vorschriften). Kritik der Naturwissenschaften, Kritik des Inertialsystems, als Voraussetzung einer Erneuerung einer zugleich historischen und spekulativen Grammatik (Befreiung der Grammatik vom Bann des Inertialsystems).
    Merkwürdige Funktion des Dativ, das sowohl den Adressaten des Schenkens bezeichnet als auch den eines Befehls, eines Handlungszwangs (das „Müssen“: er muß, es obliegt ihm). Auch die Unfreiheit steht im Dativ. Auflösung in der Idee der Liebe („Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner zu lieben fähig ist“)? Das „Lasse Dein Angesicht leuchten über uns“ erfüllt sich nur für die Liebenden.
    Fragen werden beantwortet, Probleme gelöst: Heideggers Begriff einer „absoluten“ Frage: einer antwortlosen Frage, ist das nicht die Abrogation der Sprache (Konsequenz des Vorlaufens in den Tod: der Kapitulation vor der nicht mehr benennbaren Natur)? Für absolute Fragen, für Fragen, die ins Problem zurückgestaut werden (wie die Seins- oder Judenfrage), gibt es keine Antworten mehr, sondern nur noch Endlösungen. Heideggers Philosophie, die die Asymmetrie im Verhältnis zum andern (Grund der Asymmetrie in der Sprache) durch das „Mitsein“ neutralisiert, darf keine Antwort mehr kennen.
    Die synthetischen Urteile apriori Kants beantworten keine Fragen, sondern lösen Problem: Im Bereich der Erscheinungen gibt es keine Fragen mehr, sondern nur noch (lösbare?) Probleme.
    Ehrt nicht die Majestätsbeleidung den König mehr als ihr Verbot?
    Im Angesicht Gottes ist nichts Vergangenes nur vergangen (deshalb gehört die Idee der Auferstehung zum Begriff des Angesichts).
    Gott hat nicht die Welt erschaffen, die Jesus dann entsühnt hat, sondern Gott hat Himmel und Erde erschaffen, die durch Verweltlichung (durch die Sünde der Welt) entstellt worden sind, während Jesus die Sünde der Welt auf sich genommen hat.
    Zu den neuen Vorschlägen zur Gesundheitsreform: Wird jetzt neben dem Wohnen auch die Gesundheit dem Punkt der Unbezahlbarkeit immer näher gebracht? Auch dies ein Nebeneffekt des Siegs der „freien Marktwirtschaft“ (die das Epitheton ornans „sozial“ längst aufgegeben hat).
    Gehört nicht zur Geschichte des Ursprungs der Schrift und des Geldes auch die des Ursprungs der Medizin (die Geschichte der Naturalisierung der physis)?
    Wie verhalten sich die sieben Siegel zu den sieben Plagen?
    Halsstarrigkeit, das steinerne Herz und die eherne Stirn, wie verhalten die drei sich zueinander (wie Orthogonalität, Verdinglichung und Stoß)? Grundlage ist die Trennung von Sprache, das Gesetz der Gleichnamigkeit des Ungleichnamigen, der Ursprung des Nominalismus. Entspricht der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen nicht das Gesetz von Projektion und Verschiebung, das Schuldverschubsystem: mit dem Selbstmitleid, das dem realen Mitleid, der parakletischen, empathischen Erfahrung, keinen Raum mehr läßt, im Kern (mit den eigenen Problemen können für uns die der anderen nicht konkurrieren; wegen der eigenen Leiden haben wir im Krieg die Leiden, die wir anderen zugefügt haben, nicht mehr gesehen). Gründet nicht der Konfessionalismus der Kirchen, der an die Stelle des Votums für die Armen das für die Kirche setzt, im Schuldverschubsystem, in der Logik der Identifikation mit dem Kollektiv und des kollektiven Selbstmitleids (der Logik der Vergöttlichung des Opfers)?
    Wird nicht unter dem Begriff der Blasphemie nur noch die eigene Empfindlichkeit (die pathologische Struktur des religiösen Subjekts) zwangshaft verteidigt und kultiviert, die wirkliche Blasphemie hingegen, die im Zustand der Welt liegt, und die Sensibilität hierfür verdrängt?
    Sensibilität ist eine intellektuelle Qualität.
    Zur Struktur des Konfessionalismus: Instrument der Exkulpationsautomatik, der Abwehr der „Schuldgefühle“, die ihren Ursprung in der Existenz der Armen und in dem Bewußtsein, daß diese Armut systemlogisch mit der Selbsterhaltung im Kapitalismus verknüpft ist, hat (Abwehr der Gottesfurcht). Der Faschismus ist die Orgie der Siege über die eigenen Schuldgefühle; nicht zufällig sind die apriorischen Objekte der faschistischen Wut, des faschistischen Vernichtungstriebs, die Armen, die Schwächsten, die Behinderten, die Fremden, die Toten, die Frauen, die Juden.
    Ist das Gravitationsgesetz (Grund der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen: der Verdinglichung der Sternenwelt, das naturale Äquivalent der Schuldknechtschaft in der Ökonomie) das steinerne Herz der Unendlichkeit?
    Solange wir versuchen, uns in den Trümmern, die die Katastrophen dieses Jahrhunderts hinterlassen haben, häuslich einzurichten, fördern wir nur die bevorstehenden, neuen Katastrophen, bei denen noch offen ist, ob sie mit den alten vergleichbar sein werden.
    Die Zusammenbruchstheorie von Rosa Luxemburg ist nicht widerlegt, sie ist durch den Faschismus bestätigt worden; nur daß dieser Zusammenbruch nicht zum Sozialismus geführt hat, sondern zu einem Modernisierungsschub, zu einer neuen Stabilisierung, deren theoretische Entschlüsselung bis heute nicht gelungen ist.
    Zusammenhang der Kronen der Könige mit den Kronen der Bäume: Als Kränze der Heroen (Lorbeer- und Dornenkranz), als Kapitäle der Säulen, die aus den Kronen der Bäume hervorgegangen sind. Sind die Kronen der Bäume die Luft-Wurzeln des Baums der Erkenntnis?
    Was ist der Unterschied zwischen
    – Krone und Diadem und
    – einem gekrönten und einem gehörnten Haupt?
    Ist nicht der zweite Schöpfungsbericht eine Ergänzung und Erläuterung des ersten? Sind Paradies und Sündenfall, und hier insbesondere die Erschaffung Adams, seine Benennung der Tiere und dann die Erschaffung der Eva, nicht ein Echo auf das „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, als sein Bild schuf er ihn, als Mann und Weib schuf er sie“?
    Hat es (im Schöpfungsprozeß) „eine Zeit“ gegeben, in der die Trennung von Vergangenheit und Zukunft noch nicht abgeschlossen war, und auf die das Kriterium der eindeutigen Zeitfolge deshalb nicht anwendbar ist? Wann wurde Hören und Sehen (Rechts und Links, Vergangenheit und Zukunft) getrennt: Wann sind aus den Pflanzen die Tiere – und mit ihnen die Welten – entstanden (am fünften Schöpfungstag: mit der Erschaffung der Seeungeheuer)?

  • 08.01.94

    Die Physik gehört (als Theorie der Außenwelt) zu den Konstituentien der Privatsphäre.
    Ist nicht die Welt zur Hölle geworden, und jede Religion heute ein Versuch, sich erträglich darin einzurichten? Aber: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen; d.h. die Natur wird nicht siegen. Dieser Satz ist die Antwort Jesu auf Jeremias‘ Wort vom Grauen um und um.
    Ist nicht das Buch Jeremias, so wie es überliefert ist, entsetzlich: Im Anfang die Zusage, daß Gott ihn schützen wird, und dann das Ende?
    Der versteinerte Himmel, der Himmel, wie er unter der Herrschaft des Inertialsystems erscheint (Lev 2619, Deut 2823), ist der Himmel als Objekt, von dem der Name des Himmels (Sein Thron) sich abgelöst und wie eine Buchrolle aufgerollt hat (Korrelat des steinernen Herzens).
    Das Gleichnamigmachen ist die Folge der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: Hinweis auf die Beziehung des Namens zur Zeit (Ausdruck der Asymmetrie von Vergangenheit und Zukunft)?
    Die Naturwissenschaften gehören zu den Konstituentien der dritten Leugnung.
    Heute sind alle in die Position des ohnmächtigen Zuschauers gebannt; deshalb müssen sie sich ablenken: so verstärken sie selber den Bann, unter dem sie stehen.
    Sind nicht die Hooligans angesichts der Unmenschlichkeit der Erfolgsreligion des Fußballsports fast schon wieder human, wenn sie sich an der Gemeinheit der anderen rächen?
    Faschismus ist explodierender Selbsthaß, dem der Zugang zur Selbsterkenntnis versperrt ist. Nur: dieser Selbsthaß ist nicht psychologisch, sondern „kosmologisch“, in der Konvergenz von realem und theoretischem Zustand der Welt, begründet. Er ist die reflexive Form des Hasses der Welt: die in der Anpassung an die Welt die Angepaßten selbst ergreift. Drückt seine Logik nicht im Begriff der Selbstverfluchung (im Zusammenhang der dritten Leugnung) sich aus: Wir selbst sind das Subjekt-Objekt (Teil und nach der Vergesellschaftung von Herrschaft auch Urheber) der Welt, die uns haßt. Die Selbstverfluchung liegt in der logischen Konsequenz des Weltbegriffs (nach der Verwerfung des Ecksteins Joh 129).
    Das Selbstmitleid oder die Sünde wider den Heiligen Geist wird weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben.

  • 07.01.94

    Ist die schechina das Reich Gottes? Und ist die Nähe des Reiches Gottes eine zeitliche?
    Die Umkehr ist das genaue Gegenteil all der Fluchtbewegungen, als welche die Religionen sich heute anbieten. Jede Fluchtbewegung führt nur in die Verstrickungen wieder herein, aus der nur die Umkehr herausführen kann.
    Das liberale Motto: Leistung muß sich wieder lohnen, wäre an seiner Umkehrung zu messen: Ist alles, was sich heute „lohnt“ damit als Leistung ausgewiesen? Interessante Fragen: In welcher Relation stehen die Geldbewegungen und Gewinne an der Börse zu den leistungsbezogenen „Personalkosten“ eines Unternehmens? Und in welcher Beziehung stehen sie zu den („arbeitsplatzschaffenden“) „Investitionen“, auf die sie ideologisch bezogen werden? Der spekulative Anteil an den Geldbewegungen im Spätkapitalismus (in dem u.a. die Leistungen des Staates, der Gesellschaft, die die Infrastruktur bereitstellen, mit gerechnet werden) verweist fast direkt auf dessen astronomischen Hintergrund.
    Wurden die Sparkassen erfunden, als man wegen der spekulativen Zirkulation für die effektiven Kredite (für „Investitionen“) billiges Geld brauchte? Haben Börsen- und Bodenspekulation nicht einen gemeinsamen (ökonomischen und transzendentallogischen) Grund?
    Irrationale (vom Leistungsprinzip abgelöste) Geldbewegungen finden statt im Show-Business (einschl. der Fernsehreligion, zu der auch der Sport gehört), im Bankengeschäft, insbesondere im spekulativen Geschäft (paradigmatisch das Termingeschäft: Brecht und die Getreidebörse, Herstatt-Krise, VW-Krise, Metallgesellschaft).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie