Zu Heideggers Begriff des „Daseins“: Wird damit der Mensch nicht als einer definiert, auf den man zeigen kann? Vgl. hierzu Hegel: „Das Dasein ist als bestimmtes Sein wesentlich Sein für anderes.“ (Grundlinien der Philosophie des Rechts, 71, S. 78)
Ist es nicht komisch und blasphemisch zugleich, wenn dieser Papst seinen Badezimmer-Unfall und das daraus folgende Leiden theologisch aufwertet, und d.h. in letzter Instanz mit dem Kreuzestod auf eine Stufe stellt? Dies ist nun wirklich das Ende einer immer schon vom Selbstmitleid durchtränkten Leidensmystik, Korrelat einer Opfertheologie, gegen die an das Wort zu erinnern ist: Barmherzigkeit, nicht Opfer. Dieses Konstrukt steht in der kirchlichen Tradition der Vergesellschaftung des Staubes und Privatisierung der Wehen.
Wer Privatereignisse (und dazu gehört auch das „Sein“, wie überhaupt die Ontologie das Modell dieses Verfahrens bereitstellt) mit Bedeutungsmacht auflädt, ist in der Hybris gefangen: in der Hybris der Schamlosigkeit. Das Problem der Scham ist ein Problem des Takts, der Sensibilität (hier gründet die Logik des Greuels am heiligen Ort, des Greuels der Verwüstung). Das Werk der Verdrängung und des schlechten Gewissens, es gründet im Bereich des Schuldverschubsystems, zu dem die vom Tauschprinzip beherrschte (oder die staatlich organisierte) Welt geworden ist.
Hat die Zornesröte ihren Ursprung in der Schamröte, ist der Zorn die zum Handeln sich kontrahierende Scham?
Das Schuldverschubsystem, der zur Wut neutralisierte Zorn oder die transzendentale Logik des Geschwätzes (Hereinnahme des Objekts in die Urteilsform unterm Gesetz der subjektiven Formen der Anschauung).
Gräberschändung: Kontrafaktische Urteile sind taktlos (Emanationen der Wut); sie brauchen die Vergangenheit, die sich nicht wehren kann, als Projektionsfolie der eigenen Verdrängungswünsche und Rechtfertigungszwänge.
Geschichtsphilosophie: Dem Blitz des Matriarchats folgte der langanhaltende Donner des Patriarchats.
Aleph, Beth, Gimmel: Was haben der Ochse, das Haus und das Kamel miteinander zu tun (wo gibt es Kamele in der Bibel, wer waren die Midianiter, wer hat Joseph nach Ägypten gebracht)?
Gibt es eine Affinität der Logik der Schrift zum Symbol (oder zur Logik des Symbols) des Stiers?
Das Tier von der Erde hat zwei Hörner wie ein Widder und redet wie ein Drache: Ist das Gottessohn-Bekenntnis nicht auch das Bekenntnis der Dämonen, und ist Petrus, der Jünger, der auch dieses Bekenntnis ablegt, nicht auch der Einzige, zu dem Jesus sagt: Weiche von mir, Satan?
Wie verhalten sich die sieben Werke der Barmherzigkeit zur Lösung der sieben Siegel, und in welcher Beziehung stehen beide zu den sieben Sakramenten (zu den sieben Planeten)?
Die Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern: Ist das nicht ihre Befreiung von der kirchlichen Versteinerung der Herzen?
In welcher Beziehung steht das Verhältnis von Form und Materie zum Kelch und seinem Inhalt? Ist im Bilde des Kelches nicht doch alles eingeschlossen, was einen Inhalt hat: von Raum und Zeit (von den subjektiven Formen der Anschauung) über den Begriff bis hin zu den Gemeinschaften wie Kirche und Nation, alles, was sich äußerlich auf einen Inhalt bezieht?
Mai 1994
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31.5.1994
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30.5.1994
Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (mit dem Inertialsystem) setze ich auch die Gegenwart als vergangen: Das ist die Voraussetzung des gesamten historischen Abstraktionsprozesses. (Der Historismus setzt die Ausdehnung des Raumes über das ganze Universum voraus: Das Interesse an der Astronomie ist das Interesse an der logischen Durchgestaltung des Natur- und Geschichtsverständnisses, es ist identisch mit dem Interesse des Staates an seiner Selbstbegründung, mit seinem Legitimationsintersse.) Der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit korrspondiert das Heideggersche Vorlaufen in den Tod“: Ich setze mich als gestorben (und mache so die Todesangst gegenstandslos).
Liegt die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum nicht darin, daß der Begriff des Eigentums auf die Anerkennung durch andere (das Recht und den Staat) abzielt, während der Besitz nur das Nutzungsrecht des Dings bezeichnet?
Hängt das Suffix „-tum“ (in Eigentum, Reichtum, Christentum etc.) mit dem Ursprung des Dingbegriffs zusammen?
Wurde die Todesstrafe, als sie abgschafft wurde, nicht in das reine Funktionieren der gesellschaftlichen Mechanismen, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, verlegt (Vergesellschaftung als kalte Exekution der Todesstrafe)?
Zur Begründung der Sprachphilosophie gehört die Umkehr des Satzes „Der Ursprung ist das Ziel“: Das Ziel ist der Ursprung. Das Matriarchat liegt nicht vor dem Patriarchat, sondern ist ein Teil der in der Katastrophe des Ursprungs des Patriarchats aufblitzenden Utopie: Der Gedanke daran, daß es auch anders sein könnte.
Double-bind-Falle Dritte Welt: Wir zwingen ihr die Verhältnisse auf, die die Barbarei hervorrufen, die wir dann zugleich verurteilen.
Die Illusion, Richter über die Geschichte zu sein, gründet darin, daß wir uns selbst von den Untaten, die wir in der Vergangenheit verurteilen, heute durch Delegation an andere (an Gefängnisse, Schlachthäuser, Irrenhäuser und an die Diktaturen der Dritten Welt) freisprechen. Wir machen uns die Hände nicht mehr schmutzig.
Wir brauchen die Sünde der Welt nicht mehr „auf uns (zu) nehmen“, sie lastet auf unsern Schultern.
Sind wir nicht der Verführung erlegen, uns als „Spätgeborene“ als Erben derer, die je gesiegt haben, der Herrschenden, zu begreifen. So sitzen wir uns selber im blinden Fleck.
Kohl ist in der Tat ein Historiker, aber einer, der sein Handeln im Blick der „Geschichte“ (die einmal ihr Urteil fällen wird) sieht. Die Logik dieses Konstrukts ist der Grund seines politischen Handelns und seines demagogischen Talents. So einer kann in der Tat durch „reines Zusehen“ (durch Aussitzen) Politik machen und durch Zuwarten die Opposition in die Fallen locken, in denen er sie dann unschädlich machen kann. Kohl ist der zum reinen Punkt zusammengeschrumpfte und dann wieder aufgeblasene Hegel. Sein karrierewirksamste Qualifikation: Er beherrscht die Technik des kontrafaktischen Urteils.
Zum kontrafaktischen Urteil:
– Hegels Kritik des Sollens und der Satz aus der Rechtsphilosophie („das Wirkliche ist vernünftig …“),
– Nietzsches Essay „vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Kritik der Machtanbetung des Historikers, die Lehre von der ewigen Wiederkunft und vom Übermenschen),
– Benjamins geschichtsphilosophische Thesen,
– die Konversion Rosenzweigs (die Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
– kontrafaktische Urteile und ideologische Geschichtsschreibung (Kollektivscham, Exkulpationsstrategien und Geschwätz),
– die Selbstverblendung der Politik in Deutschland (im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“), Kohls Demagogiekonzept und die Instrumentalisierung des kontrafaktischen Urteils: Ick bün all do.
Der, der wiederkommt, muß das unbedingt derselbe sein, der einmal da gewesen ist?
Die Materie ist der Reflex der Totalisierung des Raumes im Objekt (wie unterscheiden sich die Beziehungen der Zeit und der Materie zum Raum?).
Die Römer haben dem Staub den Namen der Mutter gegeben (Materie), damit jedoch die Erinnerung an die messianischen Wehen verdrängt. Aber diese „Mutter“ war tot, und so sind die Mütter zu Hexen, zu Herrscherinnen des Totenreichs, geworden.
Im Griechischen heißt die Materie „hyle“ (Holz, Wald); hängt das damit zusammen, daß der Naturbegriff im Griechischen auf das Zeugen anstatt auf die Geburt verweist? Im Christentum wurde das Zeugen in die Trinitätslehre mit hereingenommen und vergöttlicht.
Wenn die Propheten schon im Mutterschoß berufen waren, heißt das nicht auch, daß sie im Namen der Barmherzigkeit berufen worden sind? Wie diese Barmherzigkeit aussieht, ist der Verkündigungsgeschichte zu entnehmen, dem Magnificat („die Mächtigen stürzt er vom Thron“).
Was in der Sprachlogik des Hebräischen, in ihrer Grammatik, fehlt, erscheint in ihr als Symbol (die Schlange). Versuch, die griechische und die hebräische Sprache anhand des Modells dieser Beziehung zu vergleichen?
Die Heiligung des Gottesnamens setzt die Kritik des Dogmas (und der Bekenntnislogik) voraus und schließt sie mit ein.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Pforten der Hölle. Gründet nicht
– der Raum in der Beziehung von Vorn und Hinten (in der Abstraktion vom Angesicht),
– das Geld in der von Rechts und Links (in der Abstraktion von der Barmherzigkeit) und
– die Bekenntnislogik in der von Oben und Unten (in der Abstraktion vom Himmel)?
Und bilden sie nicht genau in dieser Folge den Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang?
Ist nicht durch den Begriff der Schöpfung im Deutschen die Schöpfungslehre zu einem Teil des Trinkens aus dem Kelch geworden, und ist dieser Schöpfungsbegriff nicht eher aufs Kreditwesen bezogen als auf die Theologie? Ist er nicht eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff (aus dem Begriff einer creatio mundi ex nihilo)? Aber: die Schöpfung ist geschaffen, nicht geschöpft (und die Erschaffung ist etwas anderes als die Erschöpfung). – Aus welchen sprachlichen Wurzeln stammen das hebräische bara, das lateinische creare und das griechische ktizo?
Die Kirche hat den Staub vergesellschaftet und die Wehen privatisiert (nach und aufgrund der Rezeption der griechischen Philosophie). -
28.5.1994
Die Erfindung der Schrift und die Entfaltung der darin verborgenen Logik war der erste und wahrscheinlich entscheidende Schritt im
historischen Objektivationsprozeß, der in die politische, wirtschaftliche und religiöse Geschichte der Menschheit verflochten ist. Nicht das technische Problem der Abbildung der Sprache in der Buchstabenschrift war das entscheidende, sondern der Paradigmenwechsel. Es gibt Gründe dafür, anzunehmen, daß die Entwicklung der Schrift zusammen mit dem Ursprung der Mathematik, der Entdeckung der Zahlen und der Strukturen des Raumes, erfolgte, und daß der Ursprung der Geldwirtschaft und die Entwicklung der Astronomie eine nicht unbedeutende Rolle dabei spielte. In diesem Abstraktionsprozeß, der in der indischen und chinesischen Entwicklung gleichsam abgebrochen, nicht zu Ende geführt wurde, wurden Welten bewegt.
Mit der Schrift legt sich die Logik des Andersseins über die Sprache.
Das Anschauen, das uns zu Richtern über das wehrlose Angeschaute macht, ist der Kelch des göttlichen Zorns.
Theologie ist ein der Rationalitätskontrolle unterworfenes Wunschdenken, dem die Sexualmoral das Wünschen ausgetrieben hat.
Paßt nicht das Josef-Bild, das die Kirche transportiert, das nur unter dem Blickwinkel der Karriere gesehen wird, während die Geschichte seines Handelns in Ägypten verdrängt wird, paßt das nicht als Korrelat zum Gethsemane-Verständnis, in dem der Kelch nur auf das private Schicksal eines Jesus, der mit Nachnamen Christus heißt, bezogen wird, auf seine private Todesangst (während die Angst um sein Werk merkwürdig unreflektiert bleibt, im Dunkel gehalten, durch das Getöse des Triumphalismus zum Schweigen gebracht wird)? Aber steckt nicht in jeder Todesangst mehr als nur die Todesangst; ist nicht die „Privatisierung“ der Todesangst selber schon Produkt einer gesellschaftlich verwurzelten und sehr tief verinnerlichten Abstraktion, die nicht mehr beim Namen genannt werden darf? Steckt in der Gethsemane-Geschichte nicht auch die Angst vor dem im Kreuzestod sich manifestierenden Mißlingen, die symbolisiert (und verstärkt) wird durch den Schlaf der drei Jünger?
Ist nicht das „in Ägypten kann man leben“ (Publik-Forum von gestern) eine Falle, eine Falle, die Josef selber mit aufbaut, und in die dann das Volk Israel hineingerät?
Dann kam ein Pharao, der Josef nicht mehr kannte: Hat das etwas mit dem Josef des NT zu tun, der ebenfalls nach der Kindheitsgeschichte vergessen wird, nicht mehr erscheint (sogar von Jesus, auch da, wo er seine Angehörigen, seine Mutter und Geschwister, nennt, nicht mehr erwähnt wird), zu tun?
Beide Josefs-Geschichten sind Geschichten, in denen Träume wichtig sind. Die Träume in Ägypten sind die Träume Josefs, die Träume des Mundschenks und des Bäckers und dann die Träume Pharaos; die Träume des Josef von Nazareth sind seine eigenen, aber auch sie führen nach Ägypten (und wieder zurück). – Vgl. hiermit die apokalyptische Zuspitzung der Träume Nebukadnezars, die derart sind, daß er selber sie nicht ins Bewußtsein heben kann, sie vergessen hat, und Daniel soll nicht nur die Träume erläutern (wie Josef die des Pharao), sondern er soll dem König den Traum selber zurückholen, Erinnerungshilfe leisten.
Wenn die geltenden Asyl-Gesetze die Abschiebung von Kindern und die der Familien von Asylsuchenden (und die Trennung von ihnen) ermöglicht, widersprechen sie dann nicht dem Grundgesetz, das die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt (und es kann ja wohl nicht sein, daß hier nur die deutschen Familien gemeint sind: er müßte doch wohl in alle Rechtshandlungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes eingreifen, auch ins Asylrecht)?
Anfrage an den neuen Bundespräsidenten: Solange er Präsident der Bundes-Verfassungsgerichts war, unterlag er dem Prinzip „Wo kein Kläger, da kein Richter“; er durfte nicht von sich aus tätig werden. Aber welche Befugnisse hat der Bundespräsident, ist er nicht auf andere Weise Hüter der Verfassung; ist er nicht in den Fällen, in denen er als Richter zuwarten mußte, zum Handeln verpflichtet?
Unterscheidet sich das Damaskus-Erlebnis des Paulus (seine Berufung zum Apostel: zum Zeugen der Auferstehung) nicht entscheidend von den anderen Erscheinungen des Auferstandenen, die alle vor seiner Himmelfahrt liegen, während das Damaskus-Ereignis danach folgte?
Ist nicht Paulus nur zu retten, wenn man seine kosmologische Soteriologie mit akzeptiert (die Archonten und das Seufzen der Kreatur)? Nicht Paulus, sondern der seit den Kirchenvätern hellenisierte und durch Luther modernisierte Paulinismus sind Teil der Geschichte des Sündenfalls der Kirche. Zu hellenisieren war Paulus nur um den Preis der Logik des Terrors, die Luther dann verinnerlicht hat (Modernisierung durch die Glaubens- und Rechtfertigungslehre, deren Preis die Verteufelung der Bauern und der Juden war).
Zum Staub (als Vorbegriff der Materie): Verweist das „aus Staub bist du gemacht, und zu Staub wirst du wieder werden“ im Kontext der staubfressenden Schlange nicht auf die Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft im Inertialsystem und im Bilde des apokalyptischen Tieres? Die Schlange frißt die zur Vergangenheit gemachte Zukunft? Dazu paßt es, wenn man die Schlange als Symbol des Neutrum und des Weltbegriffs begreift.
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27.5.1994
Die Sexualmoral besiegelt die Unfähigkeit zu lieben (das Geschwätz ist die Vergesellschaftung des Wölfischen). – Die Mathematik oder das Lachen und das Weinen (Grenze zwischen Mathematik und Sprache); – die Feste des Himmels oder Wasser und Feuer. Es gibt nicht nur eine Logik, sondern eine Gruppe, eine Konstellation von Logiken, in deren Zentrum der Weltbegriff steht: – die Logiken der Schuld, der Herrschaft und der Verblendung, oder – die Bekenntnislogik, die Logik des Geldes und die Logik der Anschauung. Natur, Materie und Autismus (der Feminismus als Ausbruchsversuch aus dem Käfig des Autismus). Die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“ ist nicht identisch mit „adaequatio intellectus et rei“. Zwischen diesen beiden Wahrheitsdefinitionen liegt die Geschichte der Trennung von Ding und Sache (die Geschichte der mittelalterlichen Eucharistieverehrung und des Ursprungs des Inertialsystems). Gibt es nicht diese generelle Beziehung zwischen Sprache und Symbol (wie die zwischen Schlange und Neutrum), und ist nicht der babylonische Turm die Ursprungsgestalt der Reflexion dieser Beziehung; das Bild, in dem die Prophetie den Ursprung der indogermanischen Sprachen erkannt haben? Ist der Stier das Symbol der Schrift (es gibt eine Logik der Schrift, ebenso wie eine Logik des Geldes und die Bekenntnislogik, die daraus sich herleiten)? – Vgl. hierzu die Geschichte vom „goldenen Kalb“, die zur Sinai-Geschichte und als Kontrapost zu den mosaischen Gesetzestafeln dazugehört; auch das Stier-Gesicht in der Ezechiel-Vision (sh. auch die Apokalypse). Der Nominalismus wird durch die Logik der Schrift, die zunächst auf die Astronomie zurückweist und am Ende das Inertialsystem aus sich entläßt, ebensosehr begründet, wie dann auch widerlegt. Die Schrift ist die Verkörperung des Hinter dem Rücken (sh. die Gottes-Offenbarung an Moses). Zum Kelchsymbol gehört neben Gethsemane („Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen“) und der Antwort auf die Frage der Zebedäussöhne („könnt ihr den Kelch trinken? – ihr werdet den Kelch trinken …“), das Wort an Petrus („soll ich den Kelch nicht trinken …“), aber als Grundlage auch die prophetischen und apokalyptischen Bilder (Taumelkelch, Kelch des göttlichen Zorns, der Becher der Unzucht – der Becher der Hure Babylon) sowie dann am Ende bei Hegel die Definition des Wahren in der Phänomenologie des Geistes („das Wahre ist der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“) und der ungeheuerliche Schluß dieses Werkes („aus dem Kelche dieses Geisterreichs schäumt ihm seine Unendlichkeit“). Die Formen der Anschauung und das Inertialsystem haben sowohl mit dem Symbol des Kreuzes als auch mit dem des Kelches zu tun (das Kreuz, Bild der Orthogonalität: mit dem Ursprung des Inertialsystems, Repräsentant des Subjekts, des Herrendenkens, der Last, die der Objektivationsprozeß dem Subjekt und den Dingen aufbürdet; der Kelch, das Bild des „Behälters“, des Inertialsystems: des unerschöpflichen Brunnens, aus dem wir die „Naturerkenntnis“ schöpfen: sie zu Objekten unserer Vorstellungen machen, Referenzsystem der Vergewaltigung und Verdinglichung des Objekts). Das Kreuz symbolisiert den Weltbegriff, der Kelch den der Natur (die „Naturerkenntnis“ ist das Trinken aus dem Kelch des göttlichen Zorns: so haben die Naturwissenschaften in der Tat etwas mit der Religion zu tun)? Das Absolute ist ein Konstrukt aus Schicksal und Scham (Begriff und Anschauung, Kreuz und Kelch). Bezieht sich nicht die Konstellation von Kreuz und Kelch außer aufs Inertialsystem auch aufs Geld und auf die Bekenntnislogik? Oder: gehört nicht auch das Dogma zum Unrat im Becher der Hure Babylon?
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26.5.1994
Die drei Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt definieren die Randbedingungen des projektiven Erkenntnisbegriffs. Die Trinitätslehre ist das Inertialsystem der dogmatischen Theologie, und die Opfertheologie das ihre Objektivität vermittelnde Glied. Ähnlich wie die homousia den letzten Akt der Einbindung der Theologie in die Philosophie, in den Aufklärungsprozeß, bezeichnet, ähnlich bezeichnet das filioque den Übergang dieser Theologie zur modernen Aufklärung. Das homousia symbolisiert die Verinnerlichung des Mythos, des Schicksals, das filioque die mit der Verinnerlichung der Scham verbundene Aufspaltung von Ding und Sache. Läßt nicht die Differenz zwischen der augustinischen und der lutherischen Gnadenlehre durch die Differenz zwischen der politischen Begründung des Terrors und seiner Verinnerlichung durch die lutherische Glaubens- und Rechtfertigungslehre sich bestimmen? Joh 1811: „Da sprach Jesus zu Petrus: Stecke das Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch, den der Vater mir gegeben hat, nicht trinken?“ Gehört nicht Hyam Maccoby noch zur Legitimationsgeschichtsschreibung, steht sie nicht unterm Bann des gleichen Rechtfertigungsprinzips, gegen das sie ankämpft: des paulinischen? An seinem Werk ließe sich der Zusammenhang von Rechtfertigungszwang und Bekenntnislogik demonstrieren. Der Bann des Bekenntnislogik gründet darin, daß die Geschichte als unwiederbringlich vergangen gesetzt wird; genau dadurch gerät sie in den Bannkreis der Vergangenheit, der der Bekenntnislogik zugrundeliegt. Es käme darauf an, die Geschichte aus dem Bann des Schuldverschubsystems zu lösen. Kommt Johannes (der Apostel/Evangelist) bei Paulus und Paulus bei den andern Aposteln oder in der Apokalypse vor (nur in 2 Pt)? Und hat diese Frage nicht Ähnlichkeit mit der andern, ob die Philosophie in der Prophetie und die Prophetie in der Philosophie vorkommt (Taumelkelch und Barbaren)?
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25.5.1994
Unsichtbar gewordener (gemachter) Terror (Objektivität und Gemeinheit): Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, und das aus beweisrechtlichen Gründen. Grund ist das Problem der Nachweisbarkeit, das Beweisproblem; Gefahr besteht u.a. (außer aus Gründen, die in der Beweislogik selber liegen) aufgrund der Manipulierbarkeit des Beweisrechts durch – Einschränkung der Verteidigerrechte, – Einflußnahme auf die Zeugen (Kronzeugenregelung), – Einschränkung der Zugriffsmöglichkeit der Gerichte auf Beweismittel (Recht der Verwaltung, Dokumente als geheime Verschlußsache einzustufen, sie so als Beweismittel unverwendbar zu machen), – Einbindung der Ermittlungsorgane in die hierarchisch organisierte staatliche Verwaltung (Weisungsbefugnis der vorgesetzten Behörden), – Einflußnahme schon im Vorfeld: durch Übertragung polizeilicher Befugnisse (Ermittlungsaufgaben) auf Geheimdienste, Verfassungschutzorgane (Modell Gestapo, Stasi). Lassen sich hieraus Kriterien entwickeln zur Ermittlung der potentiellen „Brutstätten der Gemeinheit“ in staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen (Knäste, „geschlossene Anstalten“, hierarchisch organisierte Körperschaften wie Kirchen, Schulen, Verwaltung, Polizei und Militär, die obersten Ermittlungsbehörden)? Der Menschensohn auf den Wolken des Himmels: Sind diese Wolken Gewitterwolken (wie im Buch Hiob), und die Blitze Vorankündigungen des göttlichen Lichts, das das der Sonne ablösen wird? Das Inertialsystem, als dessen philosophische Reflexion die kantische Philosophie sich erweist, ist selber der Kern des Abstraktionsgesetzes der Philosophie insgesamt. Erst vor diesem Hintergrund wird die ungeheure Bedeutung der einsteinschen Entdeckung: des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit erkennbar. Das aristotelische tode ti kommt im Inertialsystem zum Begriff seiner selbst. Hegels Analyse des Hier und Jetzt in der Phänomenologie des Geistes kann man lesen als das philosophische Gegenstück zum Relativitätsprinzip. Aber genau hierauf bezieht sich auch das apokalyptische Symbol der sieben unreinen Geister und die Geschichte mit Maria Magdalena, aber dann auch das Wort von dem Lamm, das die Sünde der Welt auf sich nimmt und würdig ist, die sieben Siegel zu lösen. An dieses Lösen erinnert das Wort vom Binden und Lösen (und sein kosmischer Reflex im prophetischen Wort vom Orion und den Plejaden), wie überhaupt die Apokalypse erst durchsichtig und verständlich wird vor diesem Hintergrund: als Lösung des Problems der Geschichte der Säkularisation und des Profanen.
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24.5.1994
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Lassen aus diesem Satz die Rechtsinstitute sich bestimmen, die vor allem in der Gefahr stehen, zu Brutstätten der Gemeinheit zu werden (Kriterium: Problem der Nachweisbarkeit und gesellschaftliche Vorurteilsstrukturen; Institutionen im Schatten der gesellschaftlichen Exkulpations-, Rache- und Verdrängungsbedürfnisse; GBA, die Staatsschutzsenate und Knäste)?
Roman Herzog und das Stichwort „Entkrampfung“: Sie wäre wünschenswert, wenn sie auf die Verstrickung ins Schuldverschubsystem sich beziehen würde, auf die Fähigkeit, der Vergangenheit ohne Rechtfertigungszwänge und dem unerledigten raf-Problem ohne paranoide Ängste (die der Wirksamkeit des gleichen Schuldverschubsystems sich verdanken, das sie zugleich verstärken) sich zu stellen. Hinzu käme, daß wir angesichts der Scheußlichkeiten der aufbrechenden Ausländerfeindschaft und der alten Vorurteile endlich aufhören, auf die Wirkung dieser Vorgänge im Ausland zu verweisen, und das eigene Gewissen entdecken würden; das würde jedoch bedeuten, daß wir nicht nur den Rechtsextremismus verurteilen, sondern (auch in der Politik) unsere Solidarität mit den Opfern: den hier lebenden Ausländern und den anderen bedrohten Gruppen (eigentlich allen Minderheiten: Juden, Obdachlose und Behinderte, aber auch jene, die das gemeinsame Vorurteilsobjekt der staatlichen Gewalt und der Rechten zu werden dohen: die Linke), öffentlich und wirksam manifestieren.
Es gibt eine Last, von der man sich nur befreit, wenn man sie auf sich nimmt, während jeder Versuch, sie abzuwerfen, sie vermehrt. In der Unkenntnis dieser Logik liegt der Grundfehler jeglicher Apologetik.
Zu Hyam Maccoby: Hermann Cohen hat die Attribute Gottes als Attribute des Handelns, nicht des Seins, definiert. Wer die paulinischen Selbstzuordnungen (Hebräer, Israelit, Benjaminit) als Seinskategorien auffaßt, muß sie als „Fälschungen“, als „Selbsttäuschungen“ begreifen; aber könnte es nicht sein, daß sie (nach dem Bild der in den Weinstock eingepfopften wilden Weinreben) als Glaubens-, Ziel- (und Handelns-) Kategorien aufzufassen wären, was dann das paulinische Gesetzes-, Glaubens- und Rechtfertigungsverständnis in ein neues Licht rücken würde? Ist die Frage, ob Paulus ein Benjaminit war, eine Frage der Stammeszugehörigkeit (eine „Rassenfrage“), oder bezieht sie sich auf eine paulinische Wahl: auf eine Tradition, der er aus theologischen Gründen glaubt, sich zuordnen zu können (und zu müssen)? Hat Paulus die Theologie insgesamt zur Verkörperung eines wahrhaft ungeheuerlichen Wunschdenkens (das zu seiner Absicherung dann der Vergöttlichung Jesu bedurfte) gemacht? Sind wir hier nicht im Kern des Problems der Fälschungen in der Geschichte (die nicht zufällig ihre Brennpunkte in der Geschichte der Mystik und der Apokalypsen haben), ihres nicht immer aus betrügerischer Absicht zu erklärenden, immer aber legitimationsbegründenden Gebrauchs (in der Schrift reflektiert im Symbol des Kelchs).
Der Glaube schließt die Treue ein und ist das Bindeglied zwischen Hören und Tun („Bewährung“ der Wahrheit): Er „versetzt Berge“. Das Christentum ist auch der Versuch einer Verkörperung des unerhörten Anspruchs, über den eigenen Schatten springen zu können, die Grenzen der Gattung und des Todes (durch Übernahme der Sünde der Welt) zu durchdringen und zu überschreiten.
Is 2222: Die in Mt 1618 und 1818 zitierte Stelle wurzelt in 2 Kön 18.
Was bedeutet es, wenn Paulus in Athen erstmals von „Gott, der die Welt geschaffen hat“ spricht, und ihn zugleich den „Herrn“ und nicht den Schöpfer „des Himmels und der Erde“ (Apg 1724) nennt?
Hängt Kirche mit kyrios, kyriakä (dem Herrn gehörig) zusammen; wäre dann nicht ekklesia mit Gemeinde zu übersetzen?
Die Pyromanie des Christentums: Wer den Anblick der Qualen der Verdammten in den Feuern der Hölle als Ingredientien der Seligkeit im Himmel begreift, hat der Pyromanie (die dann an den Juden, Ketzern und Hexen sich austobte) die Tür geöffnet, gehört zu denen, die diese Feuer entfacht und in Gang gehalten haben. Aber dies waren nicht die Feuer, von denen Jesus wünschte, sie brennten schon.
Zur Theorie des Feuers: Die Logik der Fälschung ist positivistisch nicht aufzulösen.
Sind nicht Staatsschutzverfahren in der Regel kurze Prozesse, die nur endlos hinausgezogen werden? -
23.5.1994
Die rabbinische Interpretation von Dt 2123 (vgl. Hyam Maccoby, Mythmaker, S. 67f) ist ein eindeutiges Verdikt über das katholische Kruzifix. „Ein Fluch ist der Gehängte“: Das kann nicht für den Gehängten gelten (die paulinische Interpretation ist magisch), wohl aber für die, die ihn gehängt haben oder ihn (über Nacht oder über den Sabbath hinweg) hängen lassen. Die Christen haben diesen Fluch auf sich gezogen, indem sie ihn zum antisemitischen Symbol gemacht und in ihre Kirchen und in ihre Wohnzimmern hereingenommen haben. Kann es sein, daß das apokalyptische Bild vom „Tier von der Erde“ (Offb 3117) auf Paulus sich bezieht (es hat zwei Hörner „wie ein Lamm“ und „redet wie ein Drache“, die Zahl dieses Tieres ist die „Zahl eines Menschen“; hat diese „Menschenzahl“ etwas mit dem messianischen Namen des „Menschensohns“ zu tun: durch Umkehr – wie verhält sich die „Zahl“ zum „Sohn“)? Repräsentiert Paulus (und seine Theologie) den Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen? Klärt nicht die These, daß Paulus ein Heide war (in jedem Fall kein Pharisäer, kein rabbinischer Schriftgelehrter), eine Reihe von Problemen in seiner Theologie, vom Gesetzesverständnis über den Glaubensbegriff bis zur Rechtfertigungslehre? Insbesondere die paulinische Interpretation des Gesetzes ist fast ein Beweis für die Maccobyschen Thesen, die dann auch das Problem seines Namens (Saulus/Paulus) in ein neues Licht gerückt haben – sh. hierzu S. 95f. Durch Paulus ist das Christentum zur Weltreligion geworden, hat es die Fähigkeit gewonnen, die Welt zu durchdringen (ist damit jedoch selbst von der Welt durchdrungen worden). Was hat es mit dem „dritten Himmel“ auf sich (2 Kor 122, mit dem Problem der Selbstanonymisierung: hier schreibt Paulus von sich selbst in der dritten Person)? Ergeben sich die Affinitäten der Paulinischen Theologie zur Gnosis und zu den Mysterienreligionen der Spätantike nicht von selbst aus der Logik des Maccobyschen Konzepts (liegt die Lösung im Problem des „dritten Himmels“: er hatte die Herrscher der Planetenwelt, die „Archonten“, über, nicht unter sich)? Vorausgesetzt (und mit eingeschlossen) ist in der Stufe des dritten Himmels – das Licht (und der Ursprung des Angesichts), – die Erschaffung der Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt, und – daß auf der Erde das Trockene hervortritt und die Wasser an einer Stelle sich sammeln. Ist es nicht fast unerheblich, ob die Prämissen der Maccobyschen Konklusionen zutreffen; das Ergebnis stimmt: die paulinische Theologie ist so konstruiert, als wäre Paulus ein Heide, kein Jude und erst recht kein „Pharisäer“, gewesen. Ob er nun Jude oder Heide war, ist auch eigentlich uninteressant. Ist nicht die paulinische Theologie eine Theologie für Proselyten, geprägt von der Angst vor der Beschneidung (war Paulus beschnitten, und welche Bedeutung hat die Geschichte mit dem Nasiräer-Gelübde – Apg 2123ff)? Hängt die Archonten-Lehre mit der Angst vor der Beschneidung (und die Beschneidung mit dem „kreisenden Flammenschwert“ des Cherubs vorm Eingang des Paradieses) zusammen: mit der Verdrängung der Astrologie und der Beziehung der „Theologie hinter dem Rücken“ zur kopernikanischen Wende (mit der Verheißung, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, und dem bis heute unerledigten „was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“)? Aber hat nicht das Lösen ein Echo in der paulinischen Theologie, in dem Satz, daß die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet? Eine verrückte Frage: Hat Tarsus etwas mit Tarschisch zu tun (und ist Paulus der Jona redivivus)? Gibt es nicht gewisse Parallelen zwischen dem Schiffbruch vor Malta und dem Versuch des Jona, mit dem Schiff nach Tarschisch zu fliehen, und seiner Geschichte mit diesem Schiff? Im Kern der paulinischen „invention of Christianity“ stand die Erfindung des Glaubens: die Ablösung des „Glaubens“ von seiner Beziehung zur realen Erfahrung, die ihm den Schein der rechtfertigenden Kraft verleiht, seine Einbindung in die Bekenntnislogik durch Verletzung des Bilderverbots im Kern der neuen Gestalt der Subjektivität (durch Verinnerlichung des Opfers). „Ohne Ansehen der Person“: Wie verhält sich die Person zum Angesicht? Ist nicht das Ansehen der Person das vergesellschaftete (und so blasphemisierte) Angesicht, das in rechtlichen Zusammenhängen (in denen der Personbegriff sich konstituiert) als Maske (als Charaktermaske und als Pokerface) gegen das Gesehenwerden sich verschließt? Durch seinen Ursprung in der Maske verweist der Personbegriff auf magische (patriarchalische und sexistische) Ursprünge. In der Person wird nicht das Angesicht, sondern die gesellschaftliche Rolle (die „Persönlichkeit“) und die Unerkennbarkeit der Absichten angesehen: deshalb setzt Gerechtigkeit das Absehen vom Ansehen der Person voraus.
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21.5.1994
Sind die Pforten der Hölle die der Scham?
Hodie si vocem ejus audieritis: Es ist ein Unterschied, ob man diesen Satz mit „wenn ihr seine Stimme hört“ oder mit „wenn ihr auf seine Stimme hört“ übersetzt.
Wer ohne den Trieb, die Welt zu ändern, den Intellekt verteufelt, appelliert an den Bauch und an die Macht.
Die Demut der Materie: Der Objektbegriff ist das verdrängte Erbe des Gotteslamms, das die Sünde der Welt auf sich nimmt. Das Kreuz, an das es geschlagen wird, enthält alle drei Arten der Todesstrafe
in sich: das Enthaupten (Johannes), das Kreuzigen (Jesus) und das Steinigen (Stephanus), während das Verbrennen erst in seiner Konsequenz und außer ihm liegt. Nur weil das Christentum der Reflexion des Feuers sich entzogen hat, mußte es die Juden, die Ketzer und die Hexen verbrennen.
Das ungeheure Bild des Rocks aus Fellen: Erinnerung an
– das goldene Vlies und die Argonauten,
– den Rock Jesu am Kreuz, über den die Soldaten das Los geworfen haben,
– die Geschichte der Scham und der aufgedeckten Blöße (und den Ursprung des Weltbegriffs),
– den Hinweis bei den Kirchenvätern, die in diesem Rock die Kirche symbolisiert sahen.
Und hat der Rock aus Fellen etwas mit dem Gotteslamm zu tun?
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit enthält (vor dem Hintergrund und im Kontext der hegelschen Bemerkung über die „empirischen Erscheinungen der Fortpflanzung des Lichts) den Beweis, daß die Aufklärung an ihrem Ursprungsort, in der Geschichte der Naturwisenschaft, zu dem Scheffel geworden ist, hinter dem das Licht verschwunden ist.
Liegt nicht dem Konzept der creatio mundi ex nihilo, der Beziehung des Schöpfungsbegriffs auf den Weltbegriff, der Prozeß der Verinnerlichung der Scham zugrunde?
Der Hinweis des Eleasar von Worms auf die symbolische Bedeutung der Dornen und Disteln, die er als das Gesetz der Profangeschichte versteht, wird deutlicher noch, wenn man ihn allgemein auf das Gesetz des Profanen (das die Gewalt und die Herrschaft von Menschen über Menschen mit einschließt) bezieht. So schließt er sich mit dem Theologisch-politischen Fragment Walter Benjamins zusammen. Hier ist das Bindeglied, das die Dornen und Disteln mit den subjektiven Formen der Anschauung (der Abstraktion vom Gesehenwerden), primär mit der Form des Raumes und mit dem Inertialsystem (der Leugnung des Angesichts), verknüpft. -
21.5.1995
Worauf gründen Domestikation und Dressur von Tieren? Setzen sie nicht voraus, daß Tiere in einem gleichsam noch diffusen Bannkreis von Herrschaft leben, dem erst die Menschen Identität geben können? Und hängt es damit zusammen, daß domestizierte Tiere auf eine signifikante Weise ihr Aussehen (ihre Erscheinung im Blick der Andern) ändern? Während vorher die Welt (der Inbegriff des Angeblicktwerdens) eine feindliche Welt war, vor der man durch Anpassung an die Umgebung sich verbergen mußte, scheinen domestizierte Tiere ein eher auffälliges Aussehen zu bevorzugen, das ein Wiedererkennen durch den menschlichen Herrn ermöglicht. Jedes Lachen ist ein Urteil, das vom sprachlichen Urteil dadurch sich unterscheidet, daß es durch seine Stummheit der Reflexion sich entzieht. Lachen ist positivistisch: Es entzieht insbesondere sein Objekt der Reflexion. Deshalb ist das Kabarett herrschaftsstabilisierend. Das Lachen enthält die ganze Bekenntnislogik in sich: Sein Objekt ist sein Feindbild, es erzeugt das Kollektiv der Lacher und verfolgt jede Abweichung wie eine Häresie, und es ist – wie der confessor – männlich. Oikos und polis: – Babel ist eine Stadt, Ninive die große Stadt; der Pharao in Ägypten ist das große Haus. Gibt es im biblischen (vorhellenistischen) Ägypten überhaupt Städte? Es gibt das Sklavenhaus Ägypten, und es gibt die babylonische Gefangenschaft (und hierzu das Wort des Jeremias: Betet für das Wohl der Stadt). – In Israel gibt es Stämme, dann das Haus Israel, das Haus Juda, auch das Haus Josef; es gibt Städte, die den Namen des Hauses tragen: Bethlehem; und es gibt die Stadt Jerusalem mit dem Tempel, die aber, wie auch andere Städte, kanaanitischen Ursprungs ist. Mein ist die Rache, spricht der Herr; Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer: Ist nicht Gott, und sind nicht Opfer und Gebet Institutionen zur Transformation von Rache in Barmherzigkeit. Der Historismus steht in der Tradition der Kosmogonien. Geschichte ist Weltgeschichte. Der Gesang der Vögel verhält sich zur Sprache wie die Farbe der Blumen zum Licht. Die Taube löst die Erstgeburt der Armen aus, das Lamm die Erstgeburt des Esels. Abraham schlachtet das Kalb, aber opfert den Widder (mit dem er seinen Erstgeborenen, Isaak, auslöst). Die Regelungen für das Stier- und Rindopfer finden sich in der Thora, aber die Opfer selber gibt es erst in den Auseinandersetzungen der frühen Propheten mit der Baalsreligion und in der Königsgeschichte. Daß der Himmel am Ende wie ein Buch sich aufrollt, verweist das nicht auf das Ende der Logik der Schrift und den Beginn der Erfüllung des Worts; und ist das nicht das Ende des Gehorsams und der Anfang des Hörens? Das Entscheidende an der Kritik des Weltbegriffs ist nicht, daß es eine Ära beendet, sondern daß es einen Spalt öffnet für den bis heute versäumten Anfang. Körper und Person: Wodurch unterscheidet sich die juristische Person von der Körperschaft des öffentlichen Rechts?
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20.5.1994
Die Systemkonstrukte der Philosophie (Neuscholastik: Metaphysik, Erkenntnistheorie, Ethik; Kant/Cohen: Logik, Ästhetik, Ethik; Hegel: Logik, Naturphilosophie, Philosophie des Geistes) lassen aus den Varianten der Urteilsform, aus einem logischen Grundmodell, sich herleiten. Die Neuscholastik geht aus von einer verdinglichten, dem Urteil äußerlichen Dingwelt; Kant verwandelt sich die Welt in eine durch die apriorische, verdinglichte Urteilsform vermittelte Welt der Erscheinungen; Hegels Philosophie ist das Resultat der Selbstreflexion des Dingbegriffs und der Urteilsform.
Das Problem liegt in der kantischen „transzendentalen Ästhetik“; deren Reflexion wird gehemmt, wenn nicht verhindert, durch ihre exkulpatorische Funktion: Sie schirmt das Subjekt ab gegen den Abgrund des Mythos.
Das Rosenzweigsche „und“ schließt die Idee des Absoluten aus (widerlegt die Idee des Absoluten).
Zu den drei Grundstückskäufen:
– Abraham kauft das Grundstück/die Höhle Makpela von dem Hethiter Ephron (Gen 23),
– Jakob kauft ein Grundstück bei Sichem von den von den Söhnen Hamors (Gen 3319),
– David kauft die Tenne des Jebusiters Arauna (2 Sam 2418).
Der Kauf erfolgte
– als Erbgrundstück für das Begräbnis Saras,
– für die Errichtung eines „Malsteins“ und den Bau eines Altars („El, Gott Israels“),
– für den Bau eines Altars, um der Seuche im Volke Einhalt zu gebieten (an der gleichen Stelle, an der auch die „Bindung Isaaks stattgefunden hatte, erbaute dann Salomon dem Herrn einen Tempel – Gen 222, 2 Chr 31).
Ist nicht die Philosophie, die sich in der Prophetie wiedererkennt, die Erfüllung sowohl der Philosophie wie auch der Prophetie?
Nach Auschwitz sind gesellschaftliche Naturkatastrophen nicht mehr undenkbar, aber auch die Vorstellung, daß Rechtfertigungszwänge und Legitimationsbedürfnisse die Fälschung der Erinnerung (auch der historischen Erinnerung) begründen können (Problem der Chronologie, der Fälschungen im Mittelalter, aber auch des logisch überdeterminierten Versuchs, synchrone Ereignisse in diachrone umzuformen: entspricht nicht die Logik der Evolution und der Tiefenzeit der Logik der Selbstbegründung des Inertialsystems)? Ist der Verdacht so unbegründet, daß die heute herrschenden wissenschaftliche Anschauungen zur Astronomie und zur Vorgeschichte (Orientalistik, Evolutionstheorie, Geologie) eines Tages als projektive Konstrukte eines universalen Exkulpationstriebs sich erweisen werden (gleichsam als Parodie auf die Umformung einer symbolischen in eine zeitliche Folge in der Bibel: Abraham, Moses, David)? Vgl. hierzu Rosenzweigs Konstrukt einer prophetischen Beziehung der „Vorwelt“ (des Mythos, der Philosophie) zu ihrer Erfüllung in der „allzeit erneuerten Welt“ der Theologie, der Schöpfung/ Offenbarung/ Erlösung (die Philosophie als Prophetie der Prophetie).
Die Offenbarung ist die Kontraposition zur Verdrängungsgeschichte, während die Philosophie zu ihren Stabilisatoren gehört (Begriff der Barbaren, der Natur und der Materie).
Das Feuer, die Scham, die Gattung und der Tod. Aber: „Stark wie der Tod ist die Liebe“.
Empfindung und Selbstmitleid: Produkte der verinnerlichten Scham (der Trennung von Ding und Sache). Die Empfindung ist der Tod der Sensibilität.
Die Kritik der Naturwissenschaften müßte in einer Theorie des Feuers sich erfüllen, und das in einem sehr physikalischen Sinne: Sie müßte einschließen die Lösung des Rätsels der Planckschen Strahlungsformel (die diese Theorie des Feuers bereits enthält), und in der Folge daraus der Mikrophysik und ihrer Konstanten insgesamt. Sie müßte auch mit einschließen die Auflösung des „Himmels“-Problems (im hebräischen Namen des Himmels ist der des Feuers enthalten), das auf die Logik der Scham (der Erkenntnis der Nackheit, der Selbsterfahrung im Blick der Andern, der Konstituierung der farbigen Außenseite der Dinge, der Beziehung des Begriffs der Barbaren zum Namen der Hebräer, des brennenden Dornbuschs als „brennende Innenerfahrung“ des Profanen) zurückweist. Auf die gleiche Logik der Scham, die die subjektive Form der äußeren Anschauung, die Selbstbegründung der Raumvorstellung, als Verdrängungs- und Exkulpationslogik determiniert (der Raum tabuisiert die Scham durch Abstraktion vom Gesehenwerden). Die im naturwissenschaftlichen Objektbegriff (dem Grund und Modell des wissenschaftlichen Objektbegriffs überhaupt) institutionalisierte aufgedeckte Blöße tabuisiert die Scham: zurück bleibt nur das Brennen. Das Feuer der Hölle ist der mythische Ausdruck der brennenden Scham; der Anblick dieses Leidens, der nach theologischer Tradition zur seligen Anschauung Gottes dazugehört, ist in der Tat durch den Begriff der Anschauung Gottes determiniert (der die Abstraktion vom Gesehenwerden mit einschließt: und die Scham, die Gottesfurcht, als ein unlöschbares Feuer in die Hölle projiziert; mit der Gottesfurcht wurden die Juden in die Hölle projiziert; so wurde in den Juden die Gottesfurcht, in den Hexen die göttliche Barmherzigkeit verbrannt). Wie hängt das Lukacs’sche „Grand Hotel Abgrund“ (Theorie des Romans, S. 17) mit der augustinisch-thomistischen Tradition der kirchlichen Seligkeitslehre (vgl. Thomas von Aquin, S.Th., Suppl. q. 94) zusammen?
Sind Kafkas Tiergeschichten Produkte der Schamreflexion (der säkularisierten Gottesfurcht: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns)?
Ist die Astrologie eine Verkörperung und erste Entfaltung der Logik der Scham: der verschlossene und vom Cherub bewachte Eingang zum Paradies, auf den sich per Umkehrung dann das Wort bezieht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden? -
19.5.1994
Zu Jürgen Ebach, Kassandra und Jona: – Zum „Grand Hotel Abgrund“ (S. 114): Nicht Adorno hat das Wort als „auf sich bezogen (nicht miß-)verstand[en]“, sondern Lukacs selber hat es, nach der Kritik Adornos an Lukacs‘ „Wider den mißverstandenen Realismus“ (beide 1958), auf Adorno bezogen, in dem Vorwort zur Neuausgabe der „Theorie des Romans“ (1962, S. 17): „Ein beträchtlicher Teil der deutschen Intelligenz, darunter auch Adorno, hat das ‚Grand Hotel Abgrund‘ bezogen, ein – wie ich bei Gelegenheit der Kritik Schopenhauers schrieb – ’schönes, mit allem Komfort ausgestattetes Hotel am Rande des Abgrunds, des Nichts, der Sinnlosigkeit. Und der tägliche Anblick des Abgrunds, zwischen behaglich genossenen Mahlzeiten oder Kunstproduktionen, kann die Freude an diesem raffinierten Komfort nur erhöhen‘. (Die Zerstörung der Vernunft, Neuwied 1962, S. 219)“ – Wer sich des Ekels erinnert, mit dem Adorno auf den Begriff Kunstgenuß reagierte, und wer dazu die argumentative Lukacs-Kritik Adornos im „Monat“ (November 1958) gelesen hat, dem fällt es schwer, diesen Text auch nur versuchsweise für eine „berechtigte“ Kritik zu halten. – Zu „Rechts und links nicht unterscheiden können“ (S. 116): An dieser Wendung, scheint mir, ließe sich etwas von dem sichtbar machen, was prophetische von philosophischer Erkenntnis unterscheidet: wer nur tief genug (und zwar genau an der Stelle, die die Philosophie mit dem tode ti verwischt, im Kern der Aktualität) in die Sache eindringt, trifft in ihr auf Einsichten, die aus der Sache heraus prophetische Qualität gewinnen. Ist nicht das „noch nicht“, das die Assoziation der Kinder nach sich zieht, durch ein „nicht mehr“ zu ersetzen: Ninive, die große Stadt, ist ein Ort, an dem man verlernt hat, rechts und links (die Barmherzigkeit und das Gericht) zu unterscheiden. Rechts und links nicht unterscheiden können, das ist auch das Resultat der Ausbildung der Raumvorstellung, in der alle Richtungen gleichwertig geworden sind und, im Bann der mathematischen Logik des Raumes (der Logik der subjektiven Form der äußeren Form der äußeren Anschauung), nicht mehr sich unterscheiden lassen. Diese Raumvorstellung (die Newton mit dem Attribut des Absoluten versehen hat) stellt die Distanz zur Welt überhaupt erst her, durch die sie als eine Totalität der Erscheinungen im kantischen Sinne „erkennbar“ wird, sie macht sie gegenständlich, aber um den Preis, daß die Richtungen im Raum: vorn und hinten, rechts und links, oben und unten, anhand objektiver Kriterien nicht mehr sich unterscheiden lassen (Ursprung des Nominalismus: Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen, Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache – Inertialsystem und Gewalt). Als Form der Anschauung trennt der Raum das Sehen vom Gesehenwerden: wird er zum Tabu über die Scham, in deren Reflexion die benennende Kraft der Sprache sich erneuert. Der Begriff der Anschauung Gottes ist hamitisch; sein Objekt ist die aufgedeckte Blöße: das Absolute (nicht Gott); zu seinen Folgen gehört das Urteil über Kanaan: die im Weltbegriff sedimentierte Herrenfurcht. Mit dem Begriff der Anschauung Gottes hat die Kirche die Gottesfurcht neutralisiert und ihrem Grund, dem Angesicht Gottes und dem göttlichen Gericht, den Schrecken genommen (zur Anschauung Gottes gehört die Freude beim Anblick der Qualen der Verdammten, der Preis für die Verdrängung des göttlichen Angesichts, Folge des Versuchs, die Idee des seligen Lebens unter Abstraktion von der Umkehr zu konstruieren). Unterm Bann des Weltbegriffs wurde die Umkehr aufgespalten in Bekehrung und Buße, ist sie in die mythischen Kreisläufe der Gewalt: des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs, eingebunden worden.
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