August 1994

  • 19.8.1994

    Zum Ursprung des Neutrum: Nur wenn die Geschlechtlichkeit des Menschen die zweite und dritte Person (die Unmittelbarkeit und die Reflexion) umgreift, ist die Sexualmoral mehr als ein Mittel des moralischen Urteils. Das „als Mann und Weib schuf er sie“ hat eine andere Bedeutung, wenn es nur auf die (vergegenständlichte) dritte Person sich bezieht, als wenn es das Du mit einschließt. Die Neuralisierung der zweiten Person ist der Abgrund, aus dem das moralische Urteil aufsteigt, während die Herrschaftskritik in ihm sich auflöst, gegenstandslos wird. Die Neutralisierung der zweiten Person unterwirft die Sprache der Urteilsform, macht sie zum Geschwätz, während die Einschränkung der Sexualität auf die dritte Person sie vergegenständlicht, in sinnliches Objekt und Gewalt aufspaltet (und so beide der Sprachfähigkeit entzieht). Hier liegt der Grund, aus dem die Frauenfeindlichkeit und der Sexismus der Bekenntnislogik sich herleitet.
    Adam erkannte sein Weib: Ist dieser Satz nur im Hebräischen möglich, ist er nicht unübersetzbar?
    War die Freudsche Wende (die Leugnung des sexuellen Mißbrauchs von Frauen und Kindern) nicht der Einstieg in die Projektion der eigenen Kastrationsängste auf das weibliche Geschlecht insgesamt? Liegt hier nicht in der Tat der blinde Fleck der Psychoanalyse? Und bezieht sich der Ödipus-Komplex nicht genau auf die Verarbeitung dieses Projektions-Mechanismus: Ist nicht Ödipus, der seinen Vater erschlägt und mit seiner Mutter schläft, Ursprung und Modell des freudschen Mythos von der Urhorde und dem Vatermord? Und ist nicht dieser Vatermord-Mythos (der die Urgeschichte des Christentums nach dem Urschisma symbolisch repräsentiert) die direkte Manifestation dieser Katastrationsängste (und war nicht Freuds Buch über Moses ein symbolischer Vatermord)?
    Liegt dem Zölibats-Gesetz nicht eine symbolische Logik zugrunde, die den Kreuzestod (mit der Opfertheologie und dem erhöhten Jesus) mit den Kastrationsängsten verbindet? War nicht die theologische Diskussion, deren Gewaltlösung das homousia war, symbolischer Natur, eine Diskussion, deren Verlauf durch die Verschiebung des Kreuzestodes in den Bereich der Kastrationsängste (dem Grund der Flucht der Jünger) determiniert war: in dem der Kreuzestod als radikalisierte (verinnerlichte) Beschneidung erfahren worden ist?
    Gibt es in anderen Sprachen eine Entsprechung zur deutschen Anrede unter Erwachsenen mit „Sie“ (und hat sie etwas damit zu tun, daß im Deutschen die Formen des Femininen als Pluralformen wiederkehren: Folge ihrer Vergegenständlichung, ihrer Transformierung in die dritte Person)? Die zweite Person singular findet nur im Intimbereich (im Privatbereich) und im Verhältnis zu Unmündigen Anwendung. Die Anwendung auf Fremde gilt als Ausdruck der Mißachtung (die zweite Person plural gilt nur als Ausdruck der Verachtung). Merkwürdig, daß im Englischen die zweite Person plural zur allgemeinen Anredeform geworden ist (und die alte Form der zweiten Person singular, das „thou“, verdrängt hat).
    Ist nicht der JHWH Elohim Sabaoth, der Dominus Deus Sabaoth, der Herr der Völker-Götter, und sind diese nicht die „Himmelsheere“ (unter Einschluß des Anklägers, des Widersachers)?
    In der transzendentalen Ästhetik hat Kant das Prinzip benannt, auf das die gesamte Philosophie verhext ist.
    Hängt die Feigenblatt-/Tierfell-Symbolik in der Geschichte vom Sündenfall mit der Geschichte der Opfer des Abel und des Kain zusammen (der Unterscheidung von Pflanzen- und Tier-Opfer)?
    Drachenfutter: Im Auslands-Report werden die Informationen aus der Dritten Welt so zubereitet, daß es dem Zuschauer möglich ist, die Katastrophen, zu deren Urhebern er gehört, nachdem sie mit dem Salz der Empörung gewürzt und im Kessel des Vorurteils aufgekocht wurden, im Fernseh-Sessel zu genießen.

  • 18.8.1994

    Der Gegenstand, und mit ihm sein Korrelat, der Weltbegriff (oder die Substanz als Subjekt), ist ein Produkt der Logik der Schrift.
    Der Gegenstandsbegriff ist ein projektiver Reflex der Nacktheit: Es geht nicht darum, Tatsachen zu bestreiten, sondern darum, ihre Konstitutionsbedingungen, und d.h. den gesellschaftlichen Schuldzusammenhang, in dem der Objektbegriff sich konstituiert, zu reflektieren.
    Die Scham macht stumm; deshalb sind Objekte namenlos (und Namen unfähig, ihr „Wesen“ zu bezeichnen).
    Sind die Menhire und Masseben nicht Denkmäler aus der Vorgeschichte des Tempels und der Schrift? Oswald Spengler hat auf die Beziehung der Musik in der modernen Welt zu den Statuen und Skulpturen in der Alten Welt hingewiesen. Kann es sein, daß, was die Statuen und Skulpturen im Hinblick auf den Ursprung und die Begründung der Schrift einmal waren, die Musik im Hinblick auf die Erfüllung des Worts: die Auflösung der Logik der Schrift, sein wird?
    Die prophetische Kritik der Götzenbilder und des Götzendienstes bezieht sich auf die „heidnischen“ Statuen und Skulpturen und den damit verbundenen Opferdienst. Sie haben eine Idee der Ewigkeit als Grundlage, die der Logik der Schrift, ihrer Fähigkeit, der Sprache Dauer zu verleihen, sich verdankt. Das Bilderverbot reißt die Schrift auf für den Blitz der Prophetie. (Gehört hierzu nicht das Ende des Hiobbuches: die Gottesreden aus dem Gewitter?)
    Ist nicht die Schicksalsidee die Verkörperung der Logik der Schrift, und sind nicht das Inertialsystem und das Relativitätsprinzip ihr Produkt?
    Ist das Tier aus dem Meer der Staat, das Tier vom Lande die Kirche?
    Konstruktion des Himmels: Kann es sein, daß, was draußen Wasser ist, durch Verinnerlichung Feuer wird?
    Ist nicht das kopernikanische System das Schwarze Loch, das die gesamte theologische Tradition in sich aufgesaugt hat?
    Die Opfertheologie, das „Gezeugt, nicht geschaffen“ und die homousia, das consubstantialis, stehen in einem durch die Bekenntnislogik vermittelten Zusammenhang. (Das consubstantialis ist der Grund aus dem die Lehre von Transsubstantiation, der theologische Kern der Eucharistie-Verehrung, hervorgegangen ist.)
    Heute bezieht die Theologie ihre Kraft allein noch aus der descensio ad inferos.
    „Das Objekt hat daher nicht Eigenschaften noch Akzidenzen, denn solche sind vom Ding oder der Substanz trennbar; im Objekt ist aber die Besonderheit schlechthin in die Totalität reflektiert“ (Hegel, Logik II, S. 361), aber in eine dreifache: Das Objekt ist der Kristallisationskern der drei Totalitätsbegriffe, des Wissens, der Natur und der Welt. Die Prädikate (die ich ihm beilege), die Eigenschaften (die das Ding hat) und die Akzidenzen (in denen die Substanz sich manifestiert) sind zusammengeschrumpft auf die gegeneinander neutralisierten Bestimmungen des dreidimensionalen Raumes.
    Ist die „Farbe rot“, die vor dem Hintergrund der Naturwissenschaften keine Eigenschaft des Dings mehr bezeichnet, sondern nur noch einen irrationalen psychologischen Tatbestand, nicht das logische Modell der Jungschen Archetypen (und sind diese nicht das Modell der kollektiven Bewußtseinssteuerung durchs Fernsehen)?
    Beitrag zur Wissenschaftskritik: Der Objektivierungsprozeß instrumentalisiert nicht nur die Objektwelt, sondern ebensosehr das Bewußtsein.

  • 17.8.1994

    Die Schrift entnimmt die Sprache dem flüchtigen Hauch der Stimme und konserviert sie. Aber was die Schrift konserviert, ist die vergangene Sprache.
    Wenn Stephanus den Himmel offen sah, während Paulus in den dritten Himmel entrückt war, drückt sich darin nicht die Beziehung beider zur Schrift aus.
    Wie würde das NT aussehen, wenn man es chronologisch ordnen würde (der Tod des Stephanus liegt vor den paulinischen Briefen, aber die Apostelgeschichte, die darüber berichtet, nach ihnen)?
    Unterstellen die Bezeichnungen Altes und Neues Testament nicht einen doppelten Todes- und Erbschaftsfall, und liegt nicht der erste Fehler in der Bezeichnung Altes Testament (die den Bund Gottes mit Abraham und dem Volk Israel in die Vergangenheit rückt)?
    Einsteins Raum: Die Naturwissenschaften insgesamt gründen im objektivierenden Seitenblick (ihre Gegenständlichkeit gründet in der Beziehung von Rechts und Links). Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird die Beziehung zu der durch die intentio recta definierten Dimension (zur Unmittelbarkeit des realen Sehens) und durch die Allgemeine Relativitätstheorie zur Dimension oben/unten rekonstruiert. Das Von allen Seiten der Naturerkenntnis (das den Naturbegriff begründet) kontrahiert sich zum Hinter dem Rücken, während das Hinter dem Rücken der Grund ist, aus dem die Umkehrung, die Vertauschung von Oben und Unten hervorgeht. Ist das die Nacht, die den Hahnenschrei und das Erscheinen des Morgensterns erwartet?
    Wer sein Leben retten will, wird es verlieren: Der schärfste Eiwand gegen das Christentum.
    Die narrative Theologie, die Haggada, bedarf zu ihrer Ergänzung der Halacha.
    Die Urteilsform grenzt die Barmherzigkeit aus, so wie die Form der Anschauung mit dem Gesehenwerden die Erinnerung ans Angesicht Gottes ausblendet.
    Gezeugt nicht geschaffen: Erst das Dogma hat das phallische Moment am Vatergott hervorgehoben und die Erinnerung an das „Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“ verdrängt.

  • 16.8.1994

    Ist nicht die christliche Lehre von der unsterblichen Seele nur wahr im Kontext der Lehre von der Auferstehung, und verhält sich nicht die Seele zur Auferstehung wie das Wort zu seiner Erfüllung?
    Hat die Vorstellung, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkommen wird, etwas damit zu tun, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollen wird (und ist darin nicht das Problem der Logik der Schrift bezeichnet)?
    Ist nicht die am zweiten Tag geschaffene Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt und dann von Gott Himmel genannt wird, das Realsymbol der Logik der Schrift?
    Es hängt mit der Logik der Schrift und ihrer realsymbolischen Beziehung zum Himmel zusammen, wenn der Ursprung und die erste Entfaltung der Astronomie zu den historischen Konstituentien des Staates (der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört. Haben die Wolken, auf denen der Menschensohn kommen wird, nicht auch eine politische Bedeutung?
    Hat der Menschensohn in den Wolken etwas mit dem Bogen in den Wolken zu tun (Zusammenhang mit der Blutsymbolik)?
    Die Heroen, die in der Schrift verewigt wurden, wurden an den Himmel versetzt (ihre säkularisierten Nachfahren sind die Stars).
    Wissenschaftskritik: die Hysterie der Alma Mater und die Idee der Barmherzigkeit.
    Jüdische Heidegger-Schüler waren Karl Löwith, Herbert Marcuse und Günther Anders (Stern), aber auch Hannah Arendt. Unterscheiden sie sich nicht doch erheblich von den Philosophen, die aus dem Neukantianismus kamen?
    Das Absolute ist die projektiv verschobene Erinnerung an den verdrängten Tod (der gekreuzigte Gott).
    Prophetie: der Blitz aus den Wolken der Logik der Schrift, ist das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht (das Votum für die Armen und die Fremden).
    War nicht die falsche Übersetzung von Joh 129, zusammen mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu, der Blitzableiter (die Selbstimmunisierung gegen die Prophetie)?
    Hat Off 132 (Panther, Bär und Löwe) etwas mit Hos 137f (und Dan 74ff) zu tun?
    Das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ gilt für die ontologische Tradition unserer Theologie.
    Die Philosophie, und in ihrem Kern die Ontologie, ist die institutionalisierte Verletzung des Bilderverbots. Sie gehorcht (und verfällt) der Logik der Schrift.
    Tertullian hat das „homousia“ mit consubstantialis übersetzt. Aber sind das nicht zwei verschiedene Dinge: ob der Sohn das gleiche Wesen wie der Vater hat, oder ob Vater und Sohn eine gemeinsame Substanz haben? Hängt das zusammen mit anderen logisch-begrifflichen Verschiebungen, z.B. der von den hypokeimenoi zu den personae in der Trinitätslehre? Kann es sein, daß diese Verschiebungen mit den (die innere Logik und den Bedeutungszusammenhang der Begriffe verändernden) begrifflichen Verschiebungen von physis zu natura (und von kosmos zu mundus) zusammenhängen? Gründet die lateinische Version in einem Rechtsverhältnis (einem in Geburt oder Adoption begründeten Erbschaftsverhältnis) der Personen zur gemeinsamen Substanz, während die griechische Version auf die Mitteilung des eigenen Wesens an den Sohn durch Zeugung (auf eine gleichsam biologische Vererbung) zurückweist? Steht zwischen physis und natura, kosmos und mundus der Staat (das Römische Reich und die Substituierung der Kosmologie durch Politik)?
    Wenn die Welt der Inbegriff aller Begriffe (und die Natur der Inbegriff aller Objekte) in Urteilen ist, das Ich aber „der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist“ (Hegel, Logik II, S. 220), wird dann nicht die Einheit der Welt durchs Du widerlegt? Ist der Weltbegriff monologisch und deshalb das Überzeugen unfruchtbar?
    Ursprung des Neutrum: Hat die Trennung von Natur und Welt die Geschlechtsbezogenheit der zweiten Person gelöscht?
    Alexander, Konstantin und die Dogmenentwicklung: Das Urteil zerschlägt den Knoten, der zu lösen wäre.

  • 15.8.1994

    Ohne das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das ins Nebeneinander ein Nacheinander hineinbringt, würde es kein räumliches Maß geben.
    Ist nicht die aristotelische Logik eine geometrische (flächenbezogene) Logik, die Hegelsche Logik hingegen eine Logik des Raums, des Inertialsystems?
    Die indogermanischen Sprachen, das indogermanische System der Konjugationen, setzen die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Zeit voraus.
    Hat nicht das Rosenzweigsche Bild der Umkehr, die Aufschließung der verschlossenen Elemente des Mythos, etwas mit dem Versuch, das Zeitkontinuum zu sprengen, zu tun? Vor diesem Hintergrund erweist sich die Sprache als Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung.
    Aus den Neuen Testament wird ein Neuer Bund, wenn wir die Vergangenheit nicht mehr als tot und uns als die Erben dieser toten Vergangenheiten begreifen. Fürs Neue Testament gilt das Wort: Laßt die Toten ihre Toten begraben (Lk 960). – Worauf bezieht sich das „Zurückblicken“ in Lk 962 („Niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes“)?
    Auch die Idee des Absoluten ist – wie die Begriffe des Ganzen und der Teile, der Kraft und ihrer Äußerungen, des Innen und des Außen – ein Reflexionsbegriff: er ist vom Begriff des Relativen nicht zu trennen. Es gibt keine absolute Wahrheit; das heißt aber nicht, daß es keine Wahrheit gibt, sondern nur, daß es in dem Bereich, in dem man von Absolutem sprechen kann, im Bereich des Urteils, keine Wahrheit gibt. Zur Idee der Wahrheit gehört die Reflexion der Urteilsform, die Reflexion des Schuldzusammenhangs dazu, aus dessen Verstrickung die Idee der Wahrheit, die die Idee der Versöhnung mit einschließt, zu befreien ist.
    Das Absolute ist zwar nicht der Gordische Knoten, wohl aber das Resultat des Durchschlagens des Gordischen Knotens. Die erste objektive Gestalt des Absoluten war Newtons absoluter Raum.
    Zu den drei evangelischen Räten:
    – der Gehorsam, der eigentlich das Hören meint, ist die Befreiung vom Bann des Sehens, der Anschauung;
    – die Keuschheit die Befreiung vom Bann der Herrschaft, der Bekenntnislogik;
    – die Armut die Befreiung vom Bann des Geldes.
    Die „Versöhnung über den Gräbern“ ist eine, die die Gräber endgültig schließen und zugleich die Gespenster bannen möchte.
    Das tode ti ist die Sammlung der Stecknadeln, mit denen die Schmetterlinge aufgespießt werden (die Orthodoxie als Schmetterlingssammlung).
    Für die Prophetie waren nur der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns assoziierte Symbole; die Johannes-Apokalypse hat den Becher der Unzucht, der Hurerei hinzugefügt. Liegt hier die Ermächtigung zur materialistischen Bibel-Lektüre?
    Fundamentalismus: Unfähigkeit zur Reflexion der Logik der Schrift. (Die Logik der Schrift transformiert das Verhältnis von vorn und hinten in das von links und rechts, die Unittelbarkeit in das der Reflexion.) Ist der Fundamentalismus das Tier vom Lande (es hat zwei Hörner wie das Lamm und redet wie der Drache)?

  • 14.8.1994

    Die Beziehung des Dings zu seinen Eigenschaften ist ein Reflex der Eigentumsbeziehungen, in denen das Ding sich konstituiert.
    Die Anschauung begründet das Gesetz der Eigentumsbeziehungen.
    Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen: Heute wird es per Fernsehen farbig ins Haus geliefert, und die Menschen ersticken unter der ihnen abgenommenen Last.
    Das Stalinsche Konzept vom Sozialismus in einem Land ist gescheitert, übrig geblieben ist nur das Prinzip des einen Landes: der Nationalismus oder die Bekenntnislogik.
    Gibt es eigentlich ein Äquivalent der Bekenntnislogik im Dingbegriff? – Wenn die Verdinglichung undurchdringlich und unaufhebbar wird, gibt es keine Alternative mehr zur Bekenntnislogik; dann gibt es nur noch die geschlossene Front der Richtenden und die kollektiven Rechtfertigungszwänge. Die Urform der Rechtfertigungszwänge aber ist die Form des Raumes, die Orthogonalität (im Bereich der Lehre die Orthodoxie). Darin gründet die logische Gewalt der Raumvorstellung und des Dogmas.
    In der Kollektivschuld-Diskussion war die Reflexion nahe an der Erkenntnis dieses Zusammenhangs; sie ist noch einmal abgewehrt worden durch die Erfindung der Kollektivscham.
    Der Ursprung der Raumvorstellung ist dokumentiert in dem Satz: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    Kann es sein, daß das Rätsel der Blutsymbolik sich löst im Namen des Blutackers: hakeldama. Darin steckt adama, der Acker, aus dem Adam, der Mensch, gebildet ist. – Erinnert nicht die faschistische Formel „Blut und Boden“ an den Blutacker?
    Wo liegt der Unterschied zwischen dem Verrat und der dreifachen Leugnung? Welche Jünger werden in der Abendmahlsgeschichte genannt (neben Judas und dem Jünger, den der Herr liebte), und an welchem Zeichen wird der, der Ihn verrät, erkannt („der, welcher mit mir die Hand in die Schüssel taucht“)?
    Es gibt kein Gerede, das nicht Ausdruck von Rechtfertigungszwängen ist; auf dem Feuer des Geredes werden die Vorurteile ausgekocht.
    Zur Logik der Schrift: Erst die Schrift konstituiert Öffentlichkeit. Und das immanente telos der Öffentlichkeit ist das Inertialsystem, das die Dinge entblößt.
    Die Entblößung hat mit der Subsumtion unter die Vergangenheit, mit dem prädikativen Urteil zu tun. – Das Prädikat ist die säkularisierte Prophetie.
    Philosophie heute, ist das nicht der Versuch, die Niagara-Fälle hochzuschwimmen?
    Verhält sich das Werk Kafkas zur Logik der Schrift wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zum Inertialsystem?
    Kritik der Linguistik oder die Logik der Schrift.
    Heiligung des Gottesnamens: Die Logik der Schrift verwandelt jeden Namen, auch den Gottesnamen, in eine Objektbezeichnung; deren Repräsentant in der Bibel ist elohim, der gleiche Name, mit dem auch die Götter der Völker benannt wurden. Das Tetragrammaton, das nicht ausgesprochen werden durfte (und im Christentum, entsprechend der Vokalisierung nach adonai, mit „Herr“ übersetzt wurde, bevor es in den Namen Jehovas oder Jahwähs von der Logik der Schrift eingeholt wurde), war die Selbstbezeichnung Gottes, das Subjekt des prophetischen Worts („Spruch des Herrn“). – Entsprach nicht dieser Selbstbezeichnung Gottes die Fremdbezeichnung des Volkes: Hängt das Tetragrammaton mit dem Namen der Hebräer, der zugleich der Name des Volkes und der Name seiner Schrift war, zusammen (Abraham war ein Hebräer, und Moses berief sich beim Pharao auf den „Gott der Hebräer“)? Bezeichnen die Gottesnamen in der Bibel nicht unterschiedliche Stellungen zur Objektivität, die nur gemeinsam den Gottesnamen bilden, der die Erkenntnis besiegelt und dessen Heiligung den Juden wie den Christen geboten wurde?

  • 13.8.1994

    Die Logik der Schrift begründet die Theorie, das Wort Gottes die Lehre. Das Dogma ist die Lehre in der Form der Theorie.
    Die Kritik der reinen Vernunft ist der Anfang der Kritik der Logik der Schrift.
    Gründen der Ursprung und die Geschichte der Sexualmoral darin, daß mit der Einführung des Neutrum (der dritten Person Neutrum, des Es) die zweite Person, das Du, geschlechtsneutral geworden ist: auf die abstrakte Person, auf die Eigenschaft, Eigentümer zu sein, reduziert worden ist?
    Über die grammatischen Strukturen sind die Herrschaftsbeziehungen in die Sprache mit eingegangen; das läßt sich sowohl an den Deklinationen nachweisen, als auch an den eingreifenden Veränderungen im Bereich der Konjugation. Das Neutrum ist ein Produkt der Logik der Schrift, und die flektierenden Sprachen sind ein Produkt der Anpassung der Sprache an diese Logik, die über die Flexionen in die Sprache eindringt, in ihr sich ausbreitet und entfaltet. Die erste Schriftsprache war eine agglutinierende Sprache. – Ist die Logik der Schrift die Logik des Eigentums?
    Die Erscheinungen und die Dinge, wie sie an sich selbst sind: Das Neutrum (die Quelle des Begriffs) ist das Zeichen an Stirn und Hand, das die Dinge in Eigentum verwandelt und dem Tauschprinzip unterwirft, sie in ein System verstrickt, in dem, was sie immer an sich selbst sein mögen, gegenstandslos geworden ist.
    Ist nicht das ad litteram bei Augustinus – Grund des fundamentalistischen Wortverständnisses – der Repräsentant der Logik der Schrift in der christlichen Theologie (und ist das homousia, das vorher da war, schon eine präventive Konsequenz aus diesem Schriftverständnis)? Nur auf der Grundlage dieses Schriftverständnisses war es möglich, die Prophetie zu neutralisieren, sich selbst aus dem Kreis der Adressaten der Prophetie herauszustehlen (und die sogenannte „Unheilsprophetie“ allein auf die Juden zu beziehen). Die Lehre, daß die Prophetie in Jesus sich erfüllt habe, schien es zu erlauben, sie insgesamt ins Vergangene (in das dann auch die Juden gehörten) abzudrängen. – Gibt es nicht ein Wörtlichnehmen der Schrift, das blasphemisch ist?
    Der Antisemitismus ist ein Blitzableiter, der am Ende den Blitz auf sich zieht.
    Gilt nicht das Verbot der Hexerei auch für die Logik der Schrift, die das reale Subjekt und Objekt zum Verschwinden bringt und beide durch ein Bildersystem ersetzt, durch eine Phantasmagorie, die durch den Weltbegriff sich ihren eigenen Grund erschaffen hat?
    Ist nicht die Geschichte von Sem, Japhet und Ham Symbol einer innersprachlichen Geschichte? Die aufgedeckte Blöße Noahs (des Trösters), in der das „und sie erkannten, daß sie nackt waren“ nachklingt und variiert wird, gehört zur Geschichte des Ursprungs des Urteils: des Ursprungs der von allen Attributen abgelösten Objektvorstellung. (Die Geschichte mit Sem, Japhet und Ham liegt vor der babylonischen Sprachverwirrung.)
    Was bedeutet beim Japhet der Hinweis auf den weiten Raum und die Zelte Sems?
    Steckt im Namen des Sem der Name des Namens (Sem – Nomen, Fama, Positus; Japhet – Dilatatus; Ham – Calidus, Calor: der Name, der Raum und die Hitze, die Wärme)? – Antisemitismus: Wer in diesem Lande die Dinge beim Namen nennt, setzt sich dem Vorwurf aus, ein Nestbeschmutzer zu sein.
    Das Licht ist ein Realsymbol der Prophetie.
    Durch das homousia ist die Verletzung des Bilderverbots zum Kern der christlichen Theologie gemacht worden.
    Ist die Unterscheidung von „Gottes Bild“ und „Seinem Bild“ (bei der Erschaffung des Menschen) nicht vorbezeichnet in der vorausgehenden Unterscheidung von „unserm Bild und Gleichnis“?
    Ist nicht die Idee der Allmacht Gottes ein islamisches Konstrukt, wie überhaupt die Bildungen mit All- (allmächtig, allwissend, allbarmherzig) auf den Koran verweisen? Durch das Konstrukt der creatio ex nihilo ist der Zusammenhang von Katastrophe im Begriff der Schöpfung verdrängt, die Schöpfung zu einem diktatorischen Akt geworden; darin ist der Gehorsamsbegriff angelegt, der das Hören halbiert, das dialogische Moment aus dem Hören (ähnlich wie die Theorie – die „Anschauung“ – das Gesehenwerden und mit ihm das Licht aus dem Sehen) austreibt.
    Das Ganze ist das Unwahre: Sind die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt nicht schon deshalb unwahr, weil sie den Anspruch erheben, abschließende Begriffe zu sein? Und ist nicht das Abschlußhafte dieser Begriffe, ihr Totalitätscharakter, vermittelt durch den Objektbegriff, durch seine Beziehung zur neutralisierenden Gewalt des Raumes? (Ist nicht in der logischen Konstruktion des Schlusses der Weltuntergang enthalten?)
    Heute ist von der Theologie nur noch das Retten übriggeblieben.

  • 12.8.1994

    Wie verhalten sich Fall und Grund (Abgrund)?
    Die Intensität der Rechtfertigungszwänge und der projektiven Strafbedürfnisse ist ein Maß für die Geschichte des Sündenfalls (für den Stand der Erbsünde).
    Die Ästhetik gründet in der projektiven Struktur der Erkenntnis. Diese projektive Struktur verbindet die transzendentale Ästhetik Kants mit dem ästhetischen Grund des Mythos und der Kunst, der Einbildungskraft und der Phantasie.

  • 11.8.1994

    Wie verhalten sich das Beschaffen und die Beschaffenheit zum Erschaffen?
    Wer hat eigentlich aus der kantischen Erkenntnis, daß das An sich der Dinge unerkennbar ist, die Dinge-an-sich gemacht? Diese Bezeichnung aus der Hegelschen Logik kommt so bei Kant nicht vor.
    Ist die Eucharistie-Verehrung, ihr Öffentlichkeitscharakter, die Quelle des Barock, und das Barock der Ursprung der Reklame? Hängt es damit zusammen, wenn – Adorno zufolge – die Reklame den Tod verschweigt?
    Fronleichnam, oder über das Verhältnis der Dinge an sich zu den Formen der Anschauung (Transsubstantiation; praestet fides supplementum, sensuum defectui).
    Ist nicht Kants Philosophie eine Fronleichnams-Philosophie: Im Kontext der Anschauung sind die Dinge an sich selbst nicht erkennbar.
    Was drückt sich in für die Portrait-Malerei konstitutiven Unterscheidung des en face vom Profil aus? – Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung finden beide Sichtweisen Anwendung. Hat die Seitenansicht, das Profil, mit dem Charakter und der Individualität zu tun, während das „Angesicht“ (der Anblick von vorn) auf das Verhältnis von Strenge und Güte verweist.
    Die diskriminierende Judentracht (der Judenhut und der gelbe Fleck) ist in der gleichen Phase eingeführt worden, in der die Lehre vom Fegefeuer feste Strukturen gewann (1180/1190). War nicht das Fegefeuer in der Realität eines für die Juden? Und ist nicht auch in dieser Hinsicht die Lehre vom Fegefeuer durch Auschwitz, das die Hölle war, widerlegt worden?
    Nach Einstein ist die Vorstellung eines unendlichen Raumes nicht mehr zu halten. Und die kantischen Antinomien der reinen Vernunft, gegen die Hegel alle List der Vernunft aufbringen muß, um diese Spur zu tilgen: sind sie nicht der erste Hinweis in der Philosophie auf die sieben Siegel?
    Ist mit der Vorstellung der Tiefenzeit nicht eigentlich die Zukunft (und nicht die Vergangenheit) gemeint? Sie soll die Nähe des Himmelreichs aus dem Blickfeld rücken. Die Vorstellung der Tiefenzeit ist ein Konstituens der Vorstellung des unendlichen Raumes: des Kelches, dessen Inhalt das All geworden ist (endet nicht die Phänomenologie des Geistes mit dem Hinweis auf den Kelch?).
    Mit der kopernikanischen Wende haben wir den Kelch wirklich getrunken.
    Beim Abendmahl waren nur seine Jünger und keine Frauen anwesend. Kann das damit zusammenhängen, daß der Kelch nur für den männlichen Teil der Jüngerschaft bestimmt war, während den Frauen die Salbung zugesprochen wurde?
    Kann man heute noch an einen Gott glauben, der uns freispricht, der uns rechtfertigt, ohne daß die Welt sich ändert?
    Sind nicht alle logischen und metaphysischen Kategorien, ist nicht die ganze Hegelsche Logik determiniert durch die Logik der Schrift?
    Wie hängt der Ursprung des Neutrum mit der Neutralisierung der Geschlechtsbezogenheit der zweiten Person zusammen? Liegt hier nicht der grammatische Ursprung der Hysterie?
    „Spruch des Herrn“: In diesem Wort benennt sich Gott: das Wort Gottes. Und dieses Wort ist der Blitz in den Wolken der Logik der Schrift.
    Die Logik der Schrift zerstört den Namen durch Neutralisierung. Grund dieser Neutralisierung ist die veränderte Beziehung der Schrift zu Zeit: das Verschwinden der Gegenwart. Darauf bezieht sich das Bilderverbot und das Gebot der Heiligung des Gottesnamens.
    Liegt der paulinischen Theologie nicht die Saulus-Geschichte zugrunde, wird sie nicht in dem Namenswechsel Saulus/Paulus so zitiert, als ob Rom (Paulus) das Erbe des Saulus antritt?

  • 10.8.1994

    Zur Begründung der Lehre vom Fegefeuer gehört es, daß aus dem Satz über die Sünde wider den Heiligen Geist (daß diese Sünde weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben werde) der Schluß gezogen wird: also gibt es eine „Vergebung in der künftigen Welt“. Ist dieser Schluß eigentlich zulässig? Und welche Rückwirkungen hat er auf das Verständnis des Satzes, aus dem er geschlossen wird? Kann es sein, daß der Nebeneffekt, das Wort über die Sünde wider den Heiligen Geist zu verwirren, gar nicht so unerwünscht war? Gehört nicht diese Verwirrung zu den Geschäftsgrundlagen der Kirchen?
    Nach Auschwitz scheint der katholische Mythos, dessen Ausgestaltung (von der Ohrenbeichte über die Eucharistie-Verehrung bis hin zum Zölibat) zu den Bedingungen der Geburt des Fegefeuers gehörten, insgesamt obsolet geworden zu sein.
    Im Krieg haben die Katholiken in dem Judenmord der Nazis nicht die eigene Verstrickung in diese Tat, sondern nur das empirische Modell dessen, was ihnen selbst nach dem Kriege drohte, wahrgenommen. Nicht das Entsetzen über die Tat, sondern die Angst vor einem vergleichbaren eigenen Schicksal und das Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein, bestimmte das katholische Nachkriegs-Bewußtsein in Deutschland.
    Und Auschwitz wirkte nach: Die Unfähigkeit, die Toten von Auschwitz in das durch die Lehre vom Fegefeuer (und durch Allerseelen) definierte Verhältnis zu den Verstorbenen mit hereinzunehmen, hat der Lehre vom Fegefeuer den Garaus gemacht; sie hat damit zugleich den gesamten Mythos implodieren lassen: Er ist in einem schwarzen Loch verschwunden. Der verzweifelte Versuch, die letzten Bastionen (das Zölibat und die verfaulenden Reste der kirchlichen Sexualmoral) noch zu halten, scheint nur dann noch gelingen zu können, wenn das, woran der Mythos einmal erinnerte, der Grund, aus dem er hervorgegangen ist, endgültig preisgegeben wird.
    Zu Hegels Logik: – In welcher Beziehung steht die Begriffspaare Form und Materie, Form und Inhalt, zum Symbol des Kelchs? Ist nicht die erste Form die kantische „subjektive Form der äußeren Anschauung“, die des Raumes, die alles andere zum „Inhalt“ macht (und für den Raum ist alles, was nicht Raum ist, das Andere des Raumes: sein Inhalt)? – Was ist der Inhalt des Kelches: die Trunkenheit (der Inhalt des Taumelbechers), der göttliche Zorn, der Wein und das Blut (die Todesangst in Getsemane), die Unzucht. – Und in welcher Beziehung stehen sie zur Logik der Schrift? Jedes Buch hat einen Inhalt, ähnlich dem Behälter, dem Krug, dem Kelch, dem Raum (dem Lager, Magazin, aber auch dem Tempel, der sowohl den Tempelschatz, die Vorräte, als auch in seinem Zentrum, im Allerheiligsten, den Namen Gottes oder sein Bild enthielt: im Tempel wurde die Schrift er-/gefunden). Die Logik der Schrift konstituiert sich in einer Konstellation von – Tempelreligion (Opferdienst und Vergegenständlichung Gottes, Ursprung des Geldes und der Schrift), – Ästhetisierung, – Vergegenständlichung (das Objekt gründet im Seitenblick, ebenso die Reversibilität der Richtungen im Raum, die Äquivalenz des Positiven und Negativen, die Vorstellung eines linearen Zeikontinuums, Konstituierung der Geschichte durch Vergegenständlichung des Vergangenen), – Abstraktion (die Unterscheidung von Nomen und Verb, Subjekt und Prädikat), – Neutralisierung der Dinge, Trennung von Natur und Welt (Ursprung des Weltbegriffs), – Privateigentum, Recht und Staat. Der Raum als die Form der Gleichzeitigkeit (der Synchronie) enthält in seinen Richtungen das Bild der Zeit, das (in der Reversibilität der Richtungen im Raum und in der Unendlichkeit ihrer Ausdehnung) die Totalität der Vergangenheit und der Zukunft mathematisch abbildet. Jeder Punkt im Raum ist das Denkmal einer unendlichen Vergangenheit und Zukunft.
    Was ist der Unterschied zwischen Tafel, Rolle und Buch?

  • 9.8.1994

    Die Trennung von Natur und Welt ist die Folge (das Ergebnis) des Durchschlagens des gordischen Knotens (des Knotens, der Joch und Deichsel des Ochsenkarrens verband). Durch diese Trennung wurde der Knoten festgezurrt, nicht gelöst. Ist Natur das Joch, die Welt die Deichsel? Nachdem der Knoten durchschlagen wurde, ist er nicht mehr einfach, sondern nur noch siebenfach zu lösen (Lösung der sieben Siegel, Befreiung von den sieben unreinen Geistern).
    Das Feuer ist die Grenze zwischen dem Inertialsystem und dem Wort (der Erfüllung des Worts), während das Wasser die Grenze zwischen dem mythischen Wort und der philosophischen Aufklärung (zwischen Mythos und Philosophie) war. Nach dem Licht des ersten Tags schuf Gott am zweiten Tag die Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt, und nannte sie Himmel. An dieser Feste befestigte er am vierten Tag die Leuchten.
    Zur Logik der Schrift: Das Problem des Autors ist ein Eigentumsproblem (das Prioritätsproblem und das Problem des Plagiats). Schrift gibt es erst in einer Privateigentumsgesellschaft (und die Prophetie rührt von innen, die Apokalypse von außen an die Grenze der Logik der Schrift; deshalb gehört zur Prophetie die Schöpfungslehre und zur Apokalypse die Vorstellung des Weltuntergangs).
    Zur Kritik des Naturbegriffs: Die Orthodoxie spricht das innere Geheimnis des Naturbegriffs aus. Das deus sive natura ist eine innere Konsequenz aus einer von der Bekenntnislogik beherrschten Theologie. Der Ursprung der Herz-Jesu-Verehrung fällt in die gleiche Phase wie die Einführung der Ohrenbeichte, des Zölibats, die Geburt des Fegefeuers, der Ursprung der Eucharistie-Verehrung.
    Hängt die Geburt des Fegefeuers zusammen mit dem neuen Bild der Maria Magdalena (der Büßerin)? Ist das Fegefeuer nicht ein Beleg dafür, was aus der Umkehr wird, wenn sie zur Buße verfälscht wird (wenn die Umkehr selber aus dem Blickfeld gerät)? Ist das Fegefeuer nicht nach Auschwitz obsolet geworden (wie es tatsächlich aus der kirchlichen Frömmigkeit verschwunden ist)? Wenn in der Apokalypse Paulus das Tier vom Lande ist, wer ist dann Petrus?
    In der Passionsgeschichte sind die Jünger geflohen, hat Petrus den Herrn dreimal verleugnet, nur die Frauen haben standgehalten.
    Geht nicht dem „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“ ein Verschließen der Augen (ein Verschließen des „Gesichts“) voraus? Orion und die Plejaden: das Siebengestirn wird gebunden, die Fesseln des Orion werden gelöst (Hiob 3831)?
    Die Unterscheidung Seines Bildes von dem Bilde Gottes bei der Erschaffung des Menschen: Ist das nicht schon die Unterscheidung der Juden und der Heiden (die Trennung der Prophetie von der Philosophie), und hängt das nicht mit der Trennung der Wasser unterhalb und oberhalb der Feste zusammen? Aber wäre dann nicht die Philosophie in der Tat der mystische Leib Christi?
    Hat die Kirche in der Eucharistie nicht die Barmherzigkeit wieder zurückgestaut ins Opfer? Ist nicht der christliche Begriff der Liebe ein blasphemischer Versuch, die Barmherzigkeit von der Gerechtigkeit zu trennen: eine Religion ohne Gottesfurcht zu etablieren? Und liegt das nicht in der Konsequenz des Konzepts von der Entsühnung der Welt?
    Die Ambivalenz der christlichen Tradition rührt daher, daß sie sowohl als Instrument der fortschreitenden Naturbeherrschung sich erwiesen hat als auch als Mittel ihrer Reflexion.

  • 8.8.1994

    Zur Logik der Schrift:
    – Der Unterscheidung der Namen der Barbaren und der Hebräer gründet in ihrer Beziehung zur Logik der Schrift.
    – Die Erfindung des Fegefeuers ist das Produkt der projektiven Verarbeitung einer Erfahrung, die in der Logik der Schrift begründet ist; diese projektive Verarbeitung war der Anfang der Verdrängung dieser Erfahrung (des Abgrunds zwischen dem Wort und seiner Erfüllung).
    – Hat der Begriff des Papiertigers (seine Unterscheidung vom realen Tiger) etwas mit der Logik der Schrift zu tun?
    Die Jenseits-Vorstellungen des katholischen Mythos (insbesondere die Vorstellungen von Hölle und Fegefeuer) drücken Aspekte der Beziehung von Welt und Natur vor dem Ursprung der modernen Naturwissenschaften aus; sie sind ein Teil ihrer Vorgeschichte.
    An der „Geburt des Fegefeuers“ ließe sich sehr präzise die Beziehung der Bekenntnislogik zur Geldwirtschaft und zum Ursprung des Trägheitsbegriffs demonstrieren. – Gehören hierzu nicht die Worte von den „Pforten der Hölle“ und dem „Schlüssel des Himmelreichs“?
    Das wirkliche Thema der Fegefeuer-Diskussion ist die Beziehung der Sprache zum Inertialsystem (oder zur Logik des Geldes und zur Bekenntnislogik): Ist nicht das Inertialsystem das Instrument, mit dem wir uns die Sprache vom Leibe halten (durch die pauschale Trennung von Begriff und Objekt, Sprache und Welt; Kritik der Linguistik)?
    Nationalsozialismus als Modernisierungsschub: Besteht nicht die sozialdarwinistische Kapitulation vor der Natur weiter, und unterscheidet sie sich von der direkten, brutalen Gestalt des Faschismus nur durch deren Verfeinerung, durch das höhere Maß an zivilisierter Gemeinheit?
    Steckt nicht im Schöpfungsbericht, in der bei der Erschaffung des Menschen zwischen „seinem Bild“ und dem „Bilde Gottes“ unterschieden wird, die Rechtfertigung einer Theologie „hinter dem Rücken Gottes“, einer Theologie, die die Vergegenständlichung Gottes mit einschließt. Aber diese Rechtfertigung ist nicht leicht zu nehmen; sie gehört zu den Implikationen des Kelch-Symbols.
    Kann es sein, daß der Akkusativ erst im Lateinischen zum Akkusativ geworden ist (mit all den grammatischen Konsequenzen, die das dann im Lateinischen hatte)? Und ist nicht die Trennung von ratio und intellectus ein Produkt der lateinischen Sprache (das im Deutschen in der Unterscheidung von Verstand und Vernunft nachwirkt)? Im Griechischen scheint es hierzu keine unmittelbare Entsprechung zu geben: Die Auflösung scheint in der griechischen archä zu liegen, in einem Begriff der Ursache, der (als Anfang oder Ursprung) von dem des Grundes noch nicht rein sich scheiden läßt, der erst im Lateinischen in causa und ratio auseinandertritt. In der archä klingt das Schuldmoment nach, das in der erst ratio neutralisiert und instrumentalisiert wird (und die Voraussetzung dafür schafft, daß der kosmos zum mundus „gereinigt“: die „Welt“ durch die christliche Erlösungslehre „entsühnt“ worden ist). Hat die ratio nicht etwas mit dem Beweis zu tun: mit der Hereinnahme des gerichtlichen Beweisverfahrens und der rechtlichen Funktion und Bedeutung des Urteils in die Philosophie (die so zur theologischen „Orthodoxie“ geworden ist)? Ist nicht erst in diesem Zusammenhang der griechische logos (mit dem der johanneische von Anbeginn verwechselt worden ist) zum Gegenstand einer theologisch instrumentalisierten Philosophie geworden?
    Der Sündenfall der Moderne ist eingetreten, als die Vernunft, der intellectus, von der Sprache aufs Prinzip der Selbsterhaltung umgeleitet wurde (als deren Ursprung die Geldwirtschaft und als deren gegenständliches Korrelat sich dann das Inertialsystem erwies). Das Konstrukt des Fegefeuers enthält die Erinnerung an den „brennenden“ Schmerz dieses historisch-gesellschaftlichen Prozesses; in der Notwendigkeit der „Reinigung durchs Feuer“ drückte die Erfahrung sich aus, daß das Gesetz der Selbsterhaltung nicht das Letzte ist.
    Das Inertialsystem (die Bindung des Denkens ans Anschauen) ist der Pfropf im Ohr der Vernunft (Grund der Umwandlung des Hörens in Gehorsam).
    Hegels Begriffe sind allesamt hypostasierte (durch Projektion ins Vergangene zu Eigenschaften vergegenständlichte) Tätigkeiten; die Urbegriffe wie Sein und Wesen sind Namen für Verbrechen wie „Mörder“ und „Dieb“; Hegels Logik ist das Gefängnis, in dem sie ihre gerechte Strafe verbößen. Wer die Welt auf ihr vergangenes Tun festnagelt, verrät um der Selbsterhaltung (und des Wissens) willen die Umkehr und schließt das Erbarmen und die Hoffnung aus.

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