Zum Stern der Erlösung: Kritik des Systems heißt nicht Leugnung des Systems. Sie setzt vielmehr voraus, daß die Wirklichkeit kein Ensemble isolierter Fakten ist, sondern in sich selber systemisch strukturiert ist. Wer Kritik an Hegel übt, erledigt ihn nicht, so als ob es danach sich erübrige, mit Hegel noch sich zu befassen, sondern setzt voraus, daß die Hegelsche Philosophie Anteil an der Wahrheit hat, die allerdings nur durch Kritik zu gewinnen ist, und die ohne die Hegelsche Philosophie, an der sie sich abarbeitet, nicht zu gewinnen wäre.
Ist nicht die Rosenzweigsche Vorwelt eine nachkantische und nachhegelsche Vorwelt?
Nicht das Ja und nicht das Nein, sondern das Und ist bei Rosenzweig der Statthalter der Apokalypse. Zeugt nicht auch die Gelassenheit des Tons bei Rosenzweig noch von einer Verdrängung und von der Anspannung, das Verdrängte unten zu halten? Dieser „Ton“ verschweigt die jüdische Welterfahrung, die eine den Juden durch Christen zugefügte apokalyptische Welterfahrung ist.
Rosenzweig unterscheidet ein östliches, ein nördliches und ein südliches Christentum: die Orthodoxie, den Protestantismus und den Katholizismus. Was er nicht sieht – und das hängt damit zusammen, daß er die Apokalypse im Und verschweigt -, ist das „westliche“ Christentum: das okzidentale, „abendländische“ Christentum, das politische Christentum: seine politische Instrumentalisierung, das gleiche Christentum, daß in einer Folge von Eruptionen, von den Kreuzzügen bis Auschwitz, geschichtsnotorisch geworden ist.
Theologie im Angesicht Gottes: Hat nicht das Feuer dieser Sonne (das Leuchten des göttlichen Angesichts) die Sulamit des Hoheliedes schwarz gebrannt?
Anmerkung zum Trinitätsdogma (und zur Opfertheologie): Ham hat die Blöße seines Vaters offenbar gemacht; dafür wurde Kanaan, sein Sohn, verflucht.
Der Fluch über Kanaan, der ihn zum Knecht Sems und Japhets gemacht hat, ist mit der „Marktwirtschaft“ über die ganze Welt gekommen. Folgt nicht heute auf eine semitische und dann japhetitische Phase der Offenbarungsgeschichte eine hamitische? Ist nicht auch heute das gelobte Land nur im Kampf gegen ein Kanaan, das wir selbst sind, zu gewinnen (Rücknahme der projektiven Schriftauslegung, die sieben Völker Kanaans und die sieben Siegel)?
Januar 1995
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31.1.1995
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30.1.1995
Haben das unreflektierte Anschauen und die Reflexion des Gegenblicks etwas mit der Unterscheidung von kurzem und langem Gesicht (se’ir anpin und arich anpin, der Ungeduldige und der Langmütige, der streng Richtende und der Barmherzige, vgl. Scholem, Hauptströmungen, S. 296) in der Kabbala zu tun? Dann wären die Formen der Anschauung Instrument und Symbol der Ungeduld und des strengen Gerichts.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Äquivalent der Logik der Schrift im Subjekt. Die transzendentale Logik ist die logische Entfaltung dieser Formen.
Zur Ursprungsgeschichte des Neutrums: Das Neutrum (zusammen mit den es absichernden Formen der Konjugation) ist der Boden, aus dem der Objektbegriff erwächst (die erste sprachliche Gestalt der subjektiven Formen der Anschauung). Die am Präsens orientierten Formen der Konjugation sind das Modell und die Ursprungsgestalt der transzendentalen Logik.
In den sogenannten Staatsschutzprozessen wird der Grundsatz „in dubio pro reo“ so angewandt, als wäre der Staat der Angeklagte, von dessen Unschuld im Zweifelsfalle auszugehen ist. Alle Verfahren laufen so, als ob im Grunde alle wüßten, daß der Staat schuldig ist, während jedoch zugleich das Recht als Instrument eingesetzt wird, dieses Wissen in sich selbst und in den Andern zu unterdrücken. Nur in diesem Zusammenhang macht der Titel „Staatsanwalt“ Sinn. Zugleich wird der Zweck der Robe deutlich: Die Robe, das sind die Bäume, unter denen Adam, nachdem er erkannt hatte, daß er nackt war, sich versteckte; ohne Robe wären Ankläger und Richter nackt.
Auf die Frage, ob sie bei der Eidesleistung von der religiösen Eidesformel Gebrauch machen wolle, fragte heute eine Zeugin den Richter: „Wie ist es denn hier üblich?“
Daß die Justiz auf dem rechten Auge blind ist, ist nicht (personalisierend) als Gesinnung zu kritisieren, sondern aus ihrer Wurzel abzuleiten: aus der Bindung der Justiz an eine Staatsmetaphysik, in der am Ende die Gewalt des anklagenden Prinzips auf ihren Urheber zurückschlägt. Der zugrunde liegende Sachverhalt drückt sich in dem Titel Staatsanwalt aus. Ist nicht der Staatsanwalt der Verteidiger des Staats, und gehört nicht zur Vorgeschichte des Staatsanwalts das kirchliche Institut der Inquisition, deren Aufgabe es war, die Kirche gegen die Angriffe der Ketzer zu verteidigen?
Wenn die Generalbundesanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt ist, dann ist die Deutsche Bundesbank die vom Eigeninteresse freieste. Die Geschichte des Rechts und des Staates ist in der Tat von der Geschichte des Geldes und der Banken nicht zu trennen.
Je weniger die Politik in der Lage ist, Konflikte zu lösen, umso mehr muß sie nach außen den Eindruck erwecken, sie allein täte es. Das Gewaltmonopol des Staates löscht die benennende Kraft der politischen Sprache: Es ersetzt die Notwendigkeit der konkreten Begründung politischen Handelns durch Reklame, Geschwätz. -
29.1.1995
Ist die Astrologie der Traum des Nebukadnezar, den Daniel erst rekonstruieren muß, ehe er ihn auslegen kann?
Vater und Mutter ehren heißt, aus der Familienbande heraustreten.
Als subjektive Formen der Anschauung sind Raum und Zeit auf das Verhältnis von Vorn und Hinten bezogen, als Inertialsystem auf das Verhältnis von Rechts und Links. Erst in diesem Abstraktionsschritt werden die Unterschiede von Vorn und Hinten, Rechts und Links und Oben und Unten irreal, neutralisiert. Innerhalb der Form des Raumes sind diese Unterschiede nicht mehr rekonstruierbar, sind sie ihm äußerlich geworden.
Verhalten sich nicht Nebukadnezar und Alexander wie Konstantin und Karl der Große: Die ersten haben einen starken historischen Realitätsgehalt, die letzten verschwimmen in ihren Legenden. Die ersten begründen einen Staat, die letzten eine Zivilisation. War der Traum des Nebukadnezar ein Modell des konstantinischen Dogmas, der gordische Knoten ein Modell der Beziehung von Kirche und Staat?
Hängen nicht Bezeugen und Erzeugen ähnlich zusammen wie Bescheinen und Erscheinen, Bekenntnis und Erkenntnis (Stern der Erlösung, S. 379)?
Ist der Faschismus als Rassismus die mißlungene Versöhnung des Christentums mit seiner jüdischen Wurzel (S. 380).
Man sollte den gelassenen Ton des Sterns der Erlösung nicht falsch verstehen: In dem gleichen Ton ließe sich auch der innere Zustand einer Atombombe beschreiben, kurz bevor die kritische Masse erreicht ist. Objektiv, seinem Sachgehalt nach, beschreibt der Stern der Erlösung die Situation vor Auschwitz.
Der Universalismus der Theologie unterscheidet sich von dem der Philosophie dadurch, daß er nicht auf den Begriff der Welt sich bezieht, sondern auf die göttlichen Verheißungen.
Zum Angesicht Gottes: Das biblische Motiv, daß niemand Gott von Angesicht zu Angesicht sieht und überlebt, steckt auch in der Todesangst von Gethsemane und in der theologischen Tradition des Kreuzestodes, überhaupt in der Beziehung der Theologie zum Tod (in der Todesfurcht im Anfang des Stern der Erlösung). Wie verhält sich das Inertialsystem zum Angesicht Gottes?
Bezeichnet nicht die Beziehung des jüdischen zum christlichen Weg in der Geschichte nach Rosenzweig genau den Punkt, auf den die Apokalypse sich bezieht? Das Christentum, das Franz Rosenzweig beschreibt, ist eines, das die Apokalypse verdrängt hat. Aber ist nicht die Apokalypse die Gestalt der Offenbarung, die dem Christentum entspricht?
Wenn die Schlange auch sprachsymbolisch zu verstehen ist: als Symbol des Neutrum, und wenn der Hinweis darauf, daß die Schlange das klügste aller Tiere ist, ernst genommen wird, haben dann nicht die Tiere insgesamt etwas mit dem Neutrum zu tun? Hängt damit nicht die Beziehung der Tiere zum Weltbegriff und die Bemerkung Teilhard de Chardins, daß alle Tiere als Verkörperungen instrumentalisierter Verhaltenweisen sich begreifen lassen, zusammen? (Vgl. das Neutrum als weltkonstituierendes Sprachelement, Tiere als Totem und als Staatssymbole, den Tierkreis und die apokalyptischen Tiere.) Sind die Tiere nicht überhaupt Neutra, subjektlose Subjekte, Verkörperungen synthetischer Urteile apriori? Subjekt des Weltbegriffs ist das Tier, dessen Gattungen Verkörperungen der inneren Pluralität des Weltbegriffs sind. Der Akt der Benennung der Tiere durch Adam bezeichnet die Beziehung des Menschen zum Weltbegriff.
Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sich selbst im Blick der andern sehen: Ist das nicht der Schritt über die Philosophie hinaus (Name der Hebräer)? Wird damit nicht genau das bezeichnet, was die die Philosophie verdrängt? Indem die Philosophie den Blick des Andern verdrängt, wird sie selbst zur Verkörperung des Blicks des Andern: begründet sie den Weltbegriff. In dieser Bewegung entfaltet sich die Form des Raumes als subjektive Form der Anschauung. Damit verdrängt die Philosophie die Erfahrung dessen, der selber Objekt dieses Blicks ist (Ursprung des Begriffs der Barbaren). Symbol dieser Verdrängung ist das Durchschlagen des gordischen Knotens (dessen Lösung auch die Lösung des im Himmel noch Gebundenen wäre).
Das Verdrängte ist die Erinnerung ans Zukünftige: ans noch ausstehende Jüngste Gericht (ans Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht). Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (vgl. Rosenzweig, S. 381).
Die subjektiven Formen der Anschauung entspringen in der Abstraktion vom Gegenblick; aber genau dadurch werden sie zum Inbegriff des Gegenblicks (und zum Quellpunkt der transzendentalen Logik): zur Leugnung des göttlichen Angesichts.
Der Zeitcharakter des Christentums, das „Zwischen“, ist kein spezisch christliches Motiv, sondern ein sprachliches: Sein Sprachgrund ist das indoeuropäische Präsens, der Kern der indoeuropäischen Form der Konjugation, der Subsumtion der Verben unters Zeitkontinuum. Kern der hebräischen (semitischen) Konjugationsformen ist die Unterscheidung von Perfekt und Imperfekt.
Ist es nicht bedenkenswert, daß die Rosenzweigsche Phänomenologie des Christentums (unterm Stichwort des „ewigen Wegs“) als Beschreibung des Inertialsystems sich verstehen läßt? -
28.1.1995
Das Hohelied der Liebe hebt an mit dem „Köstlicher als der Wein ist die Liebe“ (12) und endet mit dem Satz „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (86) und „Große Wasser können die Liebe nicht löschen“ (87)?
Ist nicht die Kollektivscham das letzte Säkularisationsprodukt, der Endpunkt des Sündenfalls?
Die Übernahme der Sünde der Welt schließt jede projektive Schuldverarbeitung aus. Mit dem Rechtfertigungszwang entfällt auch jene Neugier, die sich selbst beweisen will, daß die andern auch nicht besser sind.
Der Verzicht auf projektive Verarbeitung der Erfahrung schließt auch die projektive Verarbeitung der Prophetie und der Apokalypse mit ein.
Das Buch Daniel, die erste Apokalypse, entsteht in Babylon. Es verweist auf die differentia specifica der apokalptischen Erkenntnis: Daniel legt den Traum des Nebukadnezar nicht nur aus, er muß ihn auch selbst finden und rekonstruieren.
Haben die drei Weisen aus dem Morgenland etwas mit den drei Jünglingen im Feuerofen zu tun?
Auschwitz ist insoweit „unbegreiflich“, als es keine Objektivationsmöglichkeit gibt. Jeder Vergleich mit anderen Untaten ist unzulässig. Aber das gilt für jede Untat.
Der kirchliche Begriff der Buße, der einem herrschaftslogischen Zusammenhang angehört, ist der Beweis dafür, daß die Kirchen die Sündenvergebung, die die Herrschaftslogik sprengt, bis heute nicht verstanden hat.
Der Satz, daß das Lamm die Sünde der Welt hinwegnimmt, steht im Futur, nicht im Präteritum. So fällt er unters Nachfolgegebot. -
26.1.1995
Theologie im Angesicht Gottes: Erst im Licht des göttlichen Antlitzes wird die Welt erleuchtet, wird sie im Licht der göttlichen Verheißungen durchsichtig.
Sind nicht alle Formen des Glaubens heute durchsetzt von Verlassenheitsängsten, und hat die Flucht der Jünger angesichts der Kreuzigung Jesu sich nicht im dogmengeschichtlichen Prozeß fortgesetzt? Ist der Fluchtpunkt der Geschichte der drei Leugnungen darin nicht vorgezeichnet?
Nach Franz Rosenzweig sind die Gebete der Einsamen immer in Gefahr, Gott zu versuchen, Aber ist es nicht die Geldwirtschaft, indem sie jeden auf das Gesetz der Selbsterhaltung fixiert, die die Menschen isoliert und in ihnen die Verlassenheitsängste induziert, und die die Gebete zu Gebeten der Einsamen macht? (Deshalb gibt es seit der „Liturgie-Reform“ der Kirche keine Liturgie und keine Gebete mehr.) Nicht die Verurteilung des „Egoismus“, sondern die Reflexion seiner Existenzbedingungen befreit von diesen Zwängen.
Die Selbstlegitimation des Bestehenden durch die Naturwissenschaften gründet in den Beziehungen der Naturwissenschaften zum System der Selbsterhaltung.
Identifikation mit dem Aggressor: War es nicht der Existenzbegriff, der die Philosophie aufs Prinzip der Selbsterhaltung vereidigt hat. Zu diesem Existenzbegriff gehört der Begriff der „Eigentlichkeit“.
Reflex der Selbsterhaltung in der Theologie ist die Bekenntnislogik.
Liegt die Bedeutung der Apokalypse nicht darin, daß die Kirche erst in dem Augenblick, in dem sie sich selbst im Bilde des Tiers erkennt, vom Bann der Bekenntnislogik sich befreit?
Ist es nicht die apokalyptische Gestalt der Offenbarung, vor der Franz Rosenzweig zurückgeschreckt ist? Das war die Schwelle, die er nicht hat überschreiten können. Deshalb wird der Stern der Erlösung mit dem dritten Buch des zweiten Teils und dann mit dem dritten Teil so hilflos. Der dritte Teil beschreibt die Wahrheit in der Gestalt ihrer vergangenen Zukunft, den liturgischen Jahreslauf als mythische Wiederkehr des Gleichen. Rührt diese Remythisierung im Jahreskreislauf der Liturgie nicht an das Rätsel der Astrologie?
Rührt der letzte Satz des zweiten Teils des Stern der Erlösung nicht an einen apokalyptischen Sachverhalt, und wird er nicht wahr, wenn er mit reflektiert wird? Diese Reflexion wird heute erzwungen durch die inzwischen eingetretene faschistische Katastrophe. Sind nicht zum Stern der Erlösung der Geist der Utopie und Lukacs‘ Geschichte und Klassenbewußtsein mit hinzuzunehmen?
Skinheads und Hooligans: Wäre nicht (vor allem im Hinblick auf die Selbstverständigung der Theologie) endlich zu begreifen, daß der Faschismus nur den Fluchtlinien der Bekenntnislogik gefolgt ist und diese bis zum bitteren Ende ausgezogen hat? Der Rechtsextremismus heute ist nur die real existierende Erinnerung an die Versäumnisse der Theologie: ein Exzess der Bekenntnislogik ohne Gott.
Zum Verständnis der Schrift als Komposition: Franz Rosenzweig nennt einmal Simson und Saul in einem Atemzug (S. 83). Hat nicht das Erblinden der Einwohner von Sodom im xenophoben Exzess außer mit dem Untergang Sodoms auch etwas mit rätselhaften Wort über die Blinden und Lahmen bei der Eroberung Jerusalems durch David sowie schließlich mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, zu tun: mit dem Hinweis darauf, daß die Blinden sehen und die Lahmen gehen?
Die Blinden sehen und die Lahmen gehen: Verweist das nicht auf den Zusammenhang des Trägheitsprinzips, des Inertialsystems, mit der Verwirrung der Optik bei Newton?
Theologische Erkenntnis kommt zu sich selber, wenn sie zur eingreifenden Erkenntnis wird. Hängt die Rosenzweigsche Trennung der Erleuchtung von der Liebestat (die nach Rosenzweig blind ist) nicht damit zusammen, daß er die apokalyptische Schwelle der Erkenntnis nicht zu überschreiten wagt? Die Erleuchtung, die die Liebe sehend macht, ist die apokalyptische. Darin steckt der dreifache Bezug des Symbols der Schlange, ihre Beziehung
– zum sprachgeschichtlichen Ursprung des Neutrum (die bei Rosenzweig anklingt, aber nicht im Zusammenhang begriffen wird),
– zur Ursprungsgeschichte der Astronomie (und zu den Seraphim), und
– zu Babylon, zur Ursprungsgeschichte der politischen Theologie.
Die Geschichte der modernen Naturwissenschaften beginnt mit der Hexenverfolgung und endet mit Auschwitz. Als Referenzsystem der Aufklärung gehört die Naturwissenschaft zu den Konstituentien der Projektionsfolie, deren die Aufklärung bedurfte, um davor ihre Leuchtkraft zu begründen: dem Begriff der Wilden, der die der Barbaren und der Heiden ersetzt hat. Wenn der Begriff der Barbaren als eine Inversion des Namens der Hebräer sich begreifen läßt, und der der Heiden (der „Völker“) auf den Namen der Christen verweist, worauf bezieht sich dann der Begriff der Wilden?
Die mythische Welt ist die verschlossene Welt, die erst durch Umkehr sich auftut: So entspringt – durch Umkehr
– Gottes Schöpfermacht seiner Freiheit, die Offenbarung dem Schicksal,
– des Menschen Demut seinem Trotz, seine Liebe dem Charakter.
Was geschieht der Fülle und dem Logos der verschlossenen Welt, wie findet der Begriff der Umkehr hier einen Ansatz und ein Ziel? -
25.1.1995
Der Dingbegriff ist ein Reflex des Präsens.
Symbolisiert das Herniederfahren Gottes beim Turmbau zu Babel den Ursprung der indoeuropäischen Sprachen? Und hat dieses Herniederfahren etwas mit der Inkarnation des Logos zu tun?
Zu Liebe und Barmherzigkeit: Zwar ist die Liebe stark wie der Tod, aber sie erreicht die Toten nicht mehr. Diese Grenze überschreitet nur die Barmherzigkeit.
Die Sünde der Welt auf sich nehmen heißt anerkennen, daß die Vergangenheit nicht nur vergangen ist, während die „Entsühnung der Welt“ gleichbedeutend ist mit Verurteilung der Vergangenheit: Sie macht sich das Todesurteil, das über die Vergangenheit ergangen ist, zueigen. Die Entsühnung der Welt ist das Werk der unbarmherzigen „Arbeit des Begriffs“ (oder auch des gnadenlosen Weltgerichts). Die Kurzformel dafür heißt Rechtfertigung. Und die Vergegenständlichung der Geschichte (die sie gegen die Erinnerungsarbeit immunisiert) ist die Vorausssetzung des Objektbegriffs, der Verdinglichung der Gegenwart (ihrer Immunisierung gegen die prophetische Erkenntnis). Sprachlicher Ausdruck dessen sind das Neutrum und das Präsens. Das Präsens ist der Riegel vor der Prophetie. Das Neutrum entzieht die Vergangenheit der Erinnerung und der Reflexion und begründet die Macht des Vergangenen über die Gegenwart. Hegels List der Vernunft gehört zu den Konstituentien des Neutrums, das in der Idee des Absoluten sich erfüllt. Erst im Kontext des Neutrum gibt es so etwas wie das hinterhältige Denken, die reservatio mentalis, den Betrug, die Verstellung.
Hurerei und Unzucht sind keine sexualmoralischen, sondern herrschaftskritische Kategorien, und nur als solche sind sie auch sexualmoralische. Man kann, ohne dem Fundamentalismus zu verfallen, die sexualmoralische Bedeutung von der herrschaftskritischen nicht trennen. Deshalb hat jeder Fundamentalismus sein Zentrum in der Sexualmoral.
Adornos Satz: „Erstes Gebot der Sexualmoral: Der Ankläger hat immer Unrecht“, ist eine Übersetzung des jesuanischen Satzes: „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“. Sind nicht alle Fundamentalisten Steinewerfer?
Ist nicht die Umkehr durch die Privatisierung der Buße in der Ohrenbeichte zum Herrschaftsmittel geworden (Zusammenhang mit der Ausbildung der Raumvorstellung)?
Die kritische Theorie der Frankfurter Schule war ein Dualis.
Die Geschichte der dreifachen Leugnung Petri ist ein Gleichnis, das sich auf die Beziehung der Erfüllung des Worts zur Logik der Schrift bezieht. (Sind nicht die Leugnungen Petri immer mit dem Verrat des Judas verwechselt worden?) -
24.1.1995
Die katholische Theologie sollte endlich Kant zur Kenntnis nehmen (und das, ohne ständig die Transzendenz mit dem Transzendentalen zu verwechseln). Das setzte voraus, daß sie den wissenschaftskritischen Impuls mit aufnimmt. Das experimentum crucis wäre die Naturwissenschaft. Damit würde sie sich allerdings der eigenen Geschichte als Legitimationswissenschaft begeben (sic, B.H.), die dazu ohnehin nicht mehr taugt.
War nicht die kirchliche Sexualmoral seit je Ursprung und Transporteur des „islamischen“ Religionsverständnisses (zum Begriff des Islam vgl. Stern der Erlösung, S. 191). Eine rigide Sexualmoral und ein fundamentalistisches Schrift- (und Geschichts-) Verständnis haben sich seit je wechselseitig fundiert.
Der Stern der Erlösung ist die erste konsequente Entfaltung der Idee, daß die theologische Idee der Wahrheit mit einer Änderung des Subjekts einhergeht, daß zur Theologie eine Idee der Wahrheit gehört, die ins Bestehende eingreift, weil sie die Umkehr mit einschließt. Aber: Ist die Umkehr bei Rosenzweig nicht schon eine sechsfache, und kommt sie nicht in die Nähe der Lösung der sieben Siegel?
Hat Rosenzweig die Theologie nicht doch nur bis zur Schwelle, die sie jetzt überschreiten müßte, geführt? Vgl. hierzu den Satz über das Verhältnis von Barmherzigkeit und Liebe (S. 193) sowie die Aussparung der Apokalypse (die Nicht-Reflexion der Beziehung von Gericht und Gnade). Die Schwelle, die Rosenzweig nicht überschritten hat, ist die Schwelle von Gethsemane. Ist nicht der Rosenzweigsche Koffer (Stern, S. 124) in Wirklichkeit der Kelch, und hat nicht das Gott Mensch Welt mehr mit der Trinitätslehre zu tun, als Rosenzweig weiß?
Hängt nicht die Verdrängung der Barmherzigkeit bei Rosenzweig, die er unterm Islam abhakt, mit der Verdrängung der apokalyptischen Dimension der Theologie zusammen: die Barmherzigkeit hängt über den Namen der Gebärmutter (und durch die projektive Beziehung der Hysterie zur Barmherzigkeit) mit den messianischen Wehen zusammen.
Die Form des Raumes, das ist das gegenständliche Korrelat der List der Vernunft, die bewirkt, daß mit jeder Umkehr der alte Zustand sich wiederherstellt. Die Zusage, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, bezieht sich hierauf.
Eine Erkenntnis, die nicht ins Bestehende eingreift, verdient diesen Namen nicht, aber mein Gefühl ist, daß Johann Baptist Metz sich seit einiger Zeit in die Ecke gedrängt fühlt und deshalb der Apologie verfallen ist. Bezieht sich nicht das Wort vom Binden und Lösen auf die Idee der eingreifenden Erkenntnis?
Ist nicht das Christentum immer wieder von seinen Vergangenheiten eingeholt worden, und das gerade von jenen, die es glaubte überwunden zu haben?
Die christliche Theologie hat eigentlich seit je alle Vorkehrungen getroffen, die es ihr ermöglichten, sich von der Schrift nicht angesprochen zu wissen. Das gilt für die ganze Breite von den Propheten bis Gethsemane.
Nicht die Ökumene (kein Multi-Kirchen-Konzern), sondern die Entkonfessionalisierung der Kirchen wäre das Ziel.
Ist nicht die in der Genesis vor dem ersten Schöpfungstag beschriebene Situation (wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes über den Wassern) ein Bild des gegenwärtigen Weltzustandes?
Wenn Auschwitz mit dem Kreuzestod zu tun hat, sind dann nicht auch wieder einmal die Jünger davon gelaufen (die dreifache Leugnung ließe sich hierauf beziehen)? Es ist vielleicht weniger wichtig, daran zu erinnern, daß in Auschwitz gebetet worden ist; wichtiger erscheint mir der Bezug zu dem Satz: Wer Euch anrührt, greift seinen Augapfel an.
Die verandernde Gewalt des Objektivationsprozesses hat sich zuerst in der Geschichte der Dogmenbildung, der opfertheologischen Verarbeitung der Erinnerung an den Kreuzestod, manifestiert.
Angst und Projektion: Sind es nicht generell unsere Ängste, die uns in die Projektion hineintreiben; ist nicht jede Projektion eine falsche Form der Angstverarbeitung? Gründen nicht alle Ängste in der Sünde der Welt. Die Aufarbeitung dieser Ängste, die Aufarbeitung des Empörungstriebs und seiner projektiven Wurzeln, sprengt die Herrschaft der Urteilsform über das Denken und begründet jene Sensibilität, die mit der Idee des Heiligen Geistes mehr zu tun hat, als das kirchliche Lehramt. -
23.1.1995
Der Kelch, oder Theologie hinter dem Rücken Gottes: Die Logik der Schrift abstrahiert vom dialogischen Wesen der Sprache; die subjektiven Formen der Anschauung abstrahieren vom Blick des Anderen; die Bekenntnislogik abstrahiert vom Angesicht Gottes.
Im Symbol des Weltbegriffs B=A hat Rosenzweig den systematischen Ort der transzendentalen Logik bestimmt. (Um Rosenzweig zu verstehen, wäre es wichtig, im tragischen Helden die Geburtswehen des Weltbegriffs und im mythischen Gott die Wasserscheide des Naturbegriffs zu erkennen.)
Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Steht nicht das Werden im Hebräischen in beiden Fällen im Imperfekt (oder ist der Imperativ vom Imperfekt nicht zu unterscheiden)? Geben Imperativ und Praeteritum den sprachlichen Sachverhalt eigentlich richtig wieder, ist er im indoeuropäischen Sprachbereich überhaupt reformulierbar? Führt nicht die indoeuropäische Form der Konjugation andere zeitliche Konnotationen mit sich als die hebräische?
Das indoeuropäische Präsens, zu dem es im Hebräischen keine Entsprechung gibt, ist ein Gegenwartsersatz (das grammatische Äquivalent des philosophischen tode ti). George Steiners „Von realer Gegenwart“ gibt sehr präzise die Intention des Kunstwerks (eigentlich jeder ästhetischen Repräsentation, auch der durch die subjektiven Formen der Anschauung) wieder, indem er aber diese Intention als erfüllt unterstellt, belastet er sie mit einem ästhetisch uneinlösbaren Anspruch (als dessen ironisch-blasphemische Realisierung das Fernsehen sich begreifen ließe). Er wäre einzulösen nur in theologischem Kontext.
Mit der kopernikanischen Wende, die Newton in seiner Optik nur vollstreckt hat, wird das Werk des ersten Schöpfungstages revoziert, fällt der Naturbegriff in den Bereich der Finsternis über dem Abgrund zurück.
Nicht unterschätzt werden sollte die chaotisierende Gewalt des Inertialsystems, die im übrigen erstmals drastisch sich anzeigt in der Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten und der Subjektivierung dieser sekundären Sinnesquelitäten. Das Inertialsystem produziert die chaotische Mannigfaltigkeit der „Empfindungen“, des „Gegebenen“, die sich in diesem Kontext überhaupt erst konstituiert. Daraus versucht die transzendentale Logik dann die Dingwelt wieder zu rekonstruieren. Dieser Rekonstruktionsversuch produziert, wie Kant in den Antinomien der reinen Vernunft festhält, eine Vorstellungstotalität, die in ihren Rändern merkwürdig ausfranst. (Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit werden die zerfransten Ränder gleichsam in den Kern des Systems zurückgenommen.)
Ist es eigentlich wirklich das gleiche Inertialsystem, das die Mechanik, Newtons Gravitationsgesetz und die Mikrophysik mit einander verbindet? Gründet der Nominalismus nicht darin, daß hier über die Gewalt der Logik des Systems Ungleichnamiges gleichnamig gemacht wird? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere nach ihrer Vergegenständlichung zum Inertialsystem, ein Realsymbol der Gewalt?
Hat die Verdreifachung der altorientalischen Vorgeschichte (Heinsohn) etwas damit zu tun, daß die Linearität der Zeit, die zugrundeliegende Konstruktion der „Tiefenzeit“, ein Reflex der Dreidimensionalität des Raumes ist? Ist die Ungleichnamigmachung des Gleichnamigen nicht die Rache der Logik der Aufklärung an der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen? Die Vorstellung der linearen, homogenen Zeit verdankt sich der Neutralisierung des Raumes (dem Realitivitätsprinzip und dem Inertialsystem), der Abstraktion von den Differenzen, durch die sich die Richtungen im Raum (vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) voneinander unterscheiden. Gestützt wird diese Abstraktion durch das, was man die exkulpierende Kraft der Objektivierung nennen darf. Es scheint der gleiche Effekt zu sein, den Peter L. Berger die Selbstlegitimation des Bestehenden genannt hat, die insbesondere über die Naturwissenschaften vermittelt ist.
Zur Rosenzweig-Kritik: Im Kontext seines Begriffs der Offenbarung, wenn das verschlossene Selbst im Kontext der Liebe Gottes als Seele sich öffnet und dabei als sündig sich bekennt, gerät seine Konstruktion in die Nähe des Erbaulichen (und des Autoritären). Die Sünde, die die Seele bekennt, wäre genauer zu bestimmen: als Sünde der Welt? -
22.1.1995
Was ergibt sich, wenn man im NT die Gehorsam-Stellen mit Hören übersetzt (gehorsam bis zum Tod am Kreuz)?
Zu Rosenzweigs Begriff der „historischen Aufklärung“ (sh. Stern der Erlösung, S. 108) – für ihn der Ausgangspunkt seiner Abkehr vom Relativismus – vgl. Hegels Bemerkung über den Begriff der Geschichte.
Die Objektivation des Vergangenen durch die historische Aufklärung zerstört die Erinnerung; sie neutralisiert die Vergangenheit, indem sie sie zu einem Objekt des Wissens macht. (Zusammenhang von Objektivierung, Instrumentalisierung und Vergesellschaftung: die historische Aufklärung ist eine politische, welt- und staatsbegründende Wissenschaft; sie hat gleichsam kosmogonische Bedeutung, verdrängt aber zugleich das Bewußtsein davon. Mit der Objektivierung der Vergangenheit beweist sich der Staat seine weltbegründende Macht.)
Zum Begriff des Eigentums: Jeder Staat hat seine Geschichte.
Kohls Berufung auf die Geschichte hatte vor einigen Jahren sein komisches Echo in einem Statement Boris Beckers, der in der Anfangsphase seiner Karriere nach einem gewonnenen Match einmal erklärte, die Bedeutung dieses Sieges werde man erst nach zwanzig Jahren ermessen können.
Die Schuld haftet wie eine Eigenschaft an der vergangenen Tat; ich kann nicht aufgrund einer noch nicht begangenen Handlung schuldig werden. Aber ich kann sehr wohl aufgrund der vergangenen Tat anderer schuldig werden: Auschwitz und Adam.
Hegels Kritik des heiligen Dings (des katholischen Eucharistie-Verständnisses) schlägt auf ihn selbst zurück. Das heilige Ding ist der Kern seiner Logik: die Quelle des Begriffs des Absoluten.
Der Atheismus, der im übrigen bis in die Kirche und in die Theologie hineinreicht, ist heute der Schlaf, aus dem man nicht geweckt werden will, der den Traum von der Religion nicht mehr ausschließt. Deshalb bedarf es des Hahns.
Der Fortschritt, dem die Konstruktion und die Ausstattung des Komfortzugs „Industriegesellschaft“ sich verdanken, ist zum Maß der Beschleunigung geworden, mit dem er dem Abgrund zurast. -
21.1.1995
Zum projektiven Denken: Der Grund der Finsternis liegt in der Vergangenheit; die Verfinsterung der Dinge gründet in ihrer Subsumtion unter die Vergangenheit. Das Licht, das die Vergangenheit wirklich erhellen würde, wäre das im Buch des Lebens noch verschlossene Licht. Dieses Buch wird lesbar, wenn „der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt“.
Zur Logik der Schrift: Das Buch ist das Grab des Autors. Gründet die Idee der Auferstehung nicht darin, daß auch die der Logik der Schrift unterworfene Sprache nicht endgültig tot ist, daß sie wieder zum Leben erweckt werden kann?
Verweisen die Totenerweckungen in der Schrift nicht alle auf die Beziehung der Logik der Schrift zur Erfüllung des Wortes? (Welche Erweckungsgeschichten gibt es: die vom Jüngling zu Nain, von der Tochter des Jairus und vom Lazarus?) Kann es sein, daß die Schrift (oder das Dogma?) am Ende als das leere Grab sich erweist (es war das Grab des Joseph von Arimathaea, „der ein Jünger Jesu war – freilich im geheimen, aus Furcht vor den Juden“ – Joh 1938)? Wird nicht erst in diesem Zusammenhang deutlich, was es mit dem Logos auf sich hat?
Wie verhalten sich Ereignis und Geschehen zueinander? Das eine ist reflexiv, das andere objektiv (es ereignete sich, es geschah). Gibt es eine sprachliche Beziehung des Ereignisses zum Eigenen, zum Eigentum, zur Eigentlichkeit?
Adornos Bemerkung, daß das Selbst in theologischem Zusammenhang gründet, wäre zu korrigieren: Wie der Begriff des Absoluten, zu dem es gehört, fällt es in die Ursprungsgeschichte des Staates (zusammen mit dem Eigentumsbegriff). Es gründet im Kontext der Ästhetik (vgl. Rosenzweigs Bemerkung über die Beziehung des Selbst zum Kunstwerk). Das Selbst ist ein Reflex der subjektiven Formen der Anschauung; deshalb scheinen sich diese der Reflexion zu entziehen (und deshalb mußte Hegel die Antinomien der reinen Vernunft, die Kant auf die transzendentale Ästhetik bezogen hatte, aus dieser herausnehmen und in Logik transponieren, was nur mit Hilfe des Konzepts der List der Vernunft möglich war; so wurde das Gesetz der Erscheinungen zum Begriff des Scheins).
Konstruktion der Ästhetik: Das Selbst ist der Reflex einer Erfahrung, in der einer sich als anderer für andere erfährt: Es gehört in den Kontext der Geschichte der Scham.
In der Jotam-Fabel kommen neben dem Dornenstrauch, der zum König wird, der Feigenbaum, der Weinstock und der Ölbaum vor.
Sind nicht die Bäume und Sträucher, unter denen Adam, als er erkannte, daß er nackt war, sich verbarg, die Ahnen der Bäume der Jotam-Fabel? – Nathanael stand unterm Feigenbaum, als Jesus ihn als „wahren Israeliten, ohne Falsch und Tadel“ erkannte.
Ist nicht das Inertialsystem der Dornenstrauch, und das durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierte Inertialsystem der „brennende Dornbusch“?
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Löst dieser Satz nicht das Rätsel des Absoluten? Ist das Absolute (der Schatten, den das Selbst auf Gott wirft) nicht die Grube, die wir andern graben, und in die wir dann selber hineinfallen? Hier erweist es sich, daß das Absolute die Reflexionsgestalt des Raumes ist. Hat die Grube nicht etwas mit dem Kelch und mit dem Richten zu tun? Nur das Gebot der Feindesliebe schützt vor dieser „Grube“.
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Diesen Effekt der List der Vernunft hat Hegel nicht begriffen.
Ist nicht die Natur die Grube, in die wir die Schöpfung gestürzt haben? Und ist der Satz von der Grube nicht auch auf die Kirche zu beziehen, wogegen allein das Wort steht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden (die Grube, die die Kirche den andern gegraben hat, war die Höllenvorstellung: das Äquivalent der Gottesfurcht im Schuldverschubsystem des Weltbegriffs, des Herrendenkens; sie ist ohne die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral, durch die sie dann nur noch auf andere sich bezieht – und auf den Urteilenden selbst nur insoweit, als er selbst als anderer für andere sich erfährt -, nicht zu denken: Unzucht ist der apokalyptische Name für den richtenden Gebrauch der Sexualmoral).
Die subjektiven Formen der Anschauung (die transzendentale Ästhetik) sind der Inbegriff der Grube, die wir andern graben, und in die wir selber hineinfallen.
Die Logik der Schrift abstrahiert von der dialogischen Struktur der Sprache (vom Hören), das Inertialsystem (das in den subjektiven Formen der Anschauung gründet) vom Licht, vom Gesehenwerden, vom Angesicht. Zur Logik der Schrift gehört als Projektionsfolie der Begriff des Barbaren, zum Inertialsystem der des Wilden (das Antlitz des Hundes). -
20.1.1995
Werden die Rekonstruktionen von Gott Mensch Welt im ersten Teil des Stern der Erlösung durchsichtig, wenn man sie auf den Raum, das Geld und das Bekenntnis bezieht? Es gibt nicht die Welt, sondern die Welt ist ein plurale tantum. Und es gibt auch nicht „die beste aller Welten“, sondern hier gilt: Was dem eenen sin Uhl, ist dem annern sin Nachtigall. Der Singular Welt (das Universum) ist Produkt einer Dezision. Und der Dezisionismus, den Christian Graf Krockow an Heidegger, Schmitt und Jünger wahrgenommen hat, hängt damit zusammen. Dieser Dezisionismus ist ebensowenig durch den Hinweis auf den Satz des Widerspruchs aufzulösen wie der Schmittsche Souveränitätsbegriff durch den Hinweis auf seine Folgen: die Begründung der Diktatur. Im Kern des Weltbegriffs steckt die Hegelsche List der Vernunft, ein Stück Betrug. Die Entfaltung dieses Betrugs zur Totalität: das wäre der Greuel am heiligen Ort. Ist nicht die Existenz unterschiedlicher Tiergattungen (nach Hegel Hinweis darauf, daß „die Natur den Begriff nicht halten kann“) der Beweis dafür, daß es die eine Welt nicht gibt? Was Rosenzweig im Stern der Erlösung so gelassen beschreibt, ist in Wahrheit ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Zu Illigs Fälschungstheorie: Ist die Phase, die dieses Bild der Vergangenheit produziert hat, sie zur Selbstlegitimation erfunden hat, nicht die gleiche Phase, die in die Kirchengeschichte als die pornokratische Phase eingegangen ist, und hängt nicht beides mit einander zusammen, ähnlich wie die pornographische Phase der kirchlichen Moraltheologie mit dem Ursprung des politischen Absolutismus (und mit dem Barock) zusammenhängt? Liegt nicht der Fehler Illigs – wie überhaupt der Heinsohn-Gruppe – darin, daß sie glauben, post festum feststellen zu können, es hätte auch anders laufen können? Sie unterschätzen die Gewalt der Schuldängste und der Rechtfertigungszwänge, denen auch der historische Erkenntnisprozeß unterworfen ist. Liefern Heinsohn und Illig nicht Reflexionsmaterial zum Problem des kontrafaktischen Urteils? Kommt Karl der Große eigentlich bei Thomas von Aquin vor? Theologie im Angesicht Gottes, das heißt: Aus dem Bann der Logik der Schrift heraustreten.
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19.1.1995
„Pleiten, Pech und Pannen“: Lachen tötet einen Gedanken, widerlegt ihn aber nicht. Dieser Satz gehört in den Kontext
– einer Kritik der subjektiven Formen der Anschauung (Lachen ist Grund der Form des Raumes im Subjekt; die objektivierende Wirkung beider ist identisch),
– der Rekonstruktion der Idee der Wahrheit,
– der Kritik des Naturbegriffs (der Naturbegriff leugnet die Auferstehung),
– der Kritik des Dogmas (durch ihre Verurteilung wurden die Probleme, die in den Häresien sich anzeigten, nur verdrängt, nicht aufgelöst; sie sind zur kritischen Masse im Innern des Dogmas geworden, die heute die Theologie zu sprengen droht: die Orthodoxie als Auslachen der Offenbarung),
– der Begründung der politischen Unwirksamkeit der Karikatur und des Kabaretts,
– der Kritik des Rechts (Urteil und Strafe als Mittel der projektiven Verarbeitung der eigenen Strafbedürfnisse).
Lachen unterdrückt die Kraft der Erinnerung und fördert das Vergessen. Die Kritik des Lachens ist ein Teil der Kritik der Gewalt.
In der Nacht sind nicht nur alle Katzen grau: Die projektiven Formen der Erkenntnis, zu denen es unterm Bann des Weltbegriffs keine Alternative gibt, schaffen die Finsternis, verdunkeln die Welt; Ausdruck dessen ist der Begriff der Materie. Instrument der projektiven Erkenntnisformen ist das Inertialsystem, in seinem Kern die mathematische Form des Raumes (als Instrument der Neutralisierung der Gottesfurcht, der Umkehr und der Barmherzigkeit Folge und Korrelat einer Opfertheologie, die auf den Begriff einer entsühnten Welt abzielt).
Die Form des Raumes ist das objektive Korrelat des Kelchsymbols.
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