April 1995

  • 30.4.1995

    Verhalten sich nicht Objekt und Begriff wie Angesicht und Name?
    Daß die Distanz zum Objekt (nach der Dialektik der Aufklärung) durch die Distanz vermittelt ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, gehört zu den Wurzeln des Weltbegriffs und verweist auf die vom Weltbegriff nicht abzulösende Herrschaftsstruktur. Im Erkenntnisapparat drückt sich das in den subjektiven Formen der Anschauung aus.
    Hic et nunc: Während die Unendlichkeit des Raumes ein Binneneffekt ist: ein in der über die Beziehungen der Punkte im Raum sich fortpflanzender Effekt der Struktur des Raumes (jeder Raumpunkt, jedes Hier, ist Ursprung des ganzen Raumes), ist die Vorstellung des Zeitkontinuums ein Außeneffekt: Sie bildet sich in der Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit, in einem Akt, in dem ich mich an das Ende einer an sich unendlichen Zeitreihe oder das (in der Zeit verschiebbare) Jetzt (und mit ihm die Vergangenheit) absolut setze, damit aber zugleich die Zukunft (ihre Differenz zur Vergangenheit) auslösche. Durch ihre Objektivation mache ich die Vergangenheit erst zur Vergangenheit, tilge ich die Erinnerung an die Auferstehung. Diesen Frevel sucht die Erinnerungsarbeit zu heilen. Diese Erinnerungsarbeit verhält sich zur Objektivation der Vergangenheit wie das Gericht der Barmherzigkeit zu seinem Objekt: zum gnadenlosen Weltgericht.
    Gegen die Objektivation der Geschichte (gegen das Gericht über die Vergangenheit) richtet sich der Satz: Mein ist die Rache, spricht der Herr.
    Im Inertialsystem erweist sich die wirkliche Funktion und Bedeutung der kantischen subjektiven Formen der Anschauung, die zum Inertialsystem erst dann sich verselbständigen (und zugleich ihre innere Logik freilegen), wenn die subjektiven Formen der Anschauung nicht mehr auf das eigene Anschauen, sondern auf das Anschauen der Andern, das in der eigenen sich spiegelt, bezogen werden: Jeder Raumpunkt, nicht nur der, an dem ich selber mich befinde (und dieser eigentlich erst durch Reflexion auf die Logik seiner Reproduktion außer mir), ist Ursprung des Inertialsystems. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Vergesellschaftung der Erfahrung und des Denkens im Subjekt, das Instrument der „Veranderung“, deren Produkt die Erscheinungen sind, die Kant dann auch von den Dingen, wie sie an sich selber sind, unteschieden hat. Die verkürzte Form der Logik, die das Reich der Erscheinungen organisiert (der Logik der Veranderung), drückt in den kantischen Totalitätsbegriffen, insbesondere in den Begriffen Natur und Welt, sich aus.
    Ist nicht die Spenglersche Sicht zu radikalisieren: Das „organische“ Wachsen der Kulturen ist kein pflanzenhaftes Wachsen (ist nicht in eine Folge von Kreisläufen einbezogen), sondern die Evolution und die Bildungsgeschichte des Tieres (vgl. Hegels Satz, daß „die Natur den Begriff nicht zu halten“ vermag und seine Begründung: Eigentlich dürfte es keine verschiedenen Arten geben, sondern innerhalb der Logik einer aus der Idee frei entlassenen Natur nur ein Tier).
    Die paulinische Gesetzeskritik gewinnt ihre ungeheure Bedeutung, wenn man sie aus dem antijudaistischen Kontext, in den die kirchliche Tradition sie versetzt hat, herauslöst und sie auf ihren Grund zurückführt: Das Gebot wird verfälscht, wenn man es zum Gesetz macht. Vgl. hierzu
    – Cohens und Levinas‘ Bemerkungen über die Attribute Gottes (die Cohen zufolge Atttribute des Handelns, nicht des Seins, sind, und nach Levinas im Imperativ, nicht in Indikativ stehen (der Satz: Gott ist barmherzig, bedeutet: sei auch du barmherzig),
    – Adornos „erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“ (der Ankläger – der „Widersacher“ – macht aus dem Gebot für mich ein Gesetz für alle: aus der Richtschnur des Handelns einen Maßstab des Urteils für andere),
    – Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar (und zum Vergleich Jer 3134),
    – das deuteronomistische Wort vom Rind und Esel (Joch und Last),
    – den Begriff der „Erbsünde“, der nicht auf die Sexuallust, sondern auf die Urteilslust (die das Gebot für mich in ein Gesetz für alle transformiert), zu beziehen ist,
    – den Begriff des Gesetzes selber, der die Sünde von der Tat auf das Urteil über die Tat verschiebt (von der Handlung aufs Erwischtwerden), und seine Funktion bei der Begründung des Rechts und der Selbstbegründung des Staats,
    – das projektive Erkenntniskonzept, den Objektivationsprozeß, die Begriffe Natur und Materie, den Weltbegriff, insgesamt auf den philosophischen Erkenntnisbegriff,
    bezieht. Hier erst wird die Gnadenlehre konkret.

  • 29.4.1995

    Thales hat recht: Alles ist ist Wasser; aber wurden diese Wasser nicht durch die Feste (die Gott dann Himmel nannte) in die oberen und unteren Wasser geschieden? Die Wasser oben und die Wasser unten: Sind das Prophetie und Philosophie, oder (unterm Bann der Philosophie) deren Spiegelung in den Begriffen Welt und Natur (die infolge dieser Spiegelung: nämlich aufgrund der damit verbundenen Seitenvertauschung, Rechts und Links nicht mehr zu unterscheiden fähig sind)?
    Hitler war nicht der Antichrist, aber die Generalprobe (Karl Thieme): Mit der Verweltlichung der Welt ist in der Theologie eine Scheidung eingeleitet worden, die bis heute nicht begriffen worden ist, nämlich die Scheidung der theologischen Gehalte von der Herrschaftsmetaphorik, mit der sie durch die Tradition verschmolzen sind. Im Faschismus hat die religiöse Herrschaftsmetaphorik (die heute in den großen Buch-Religionen selber im Fundamentalismus sich zu reetablieren sucht) von ihrem theologischen Grunde sich gelöst und sich verselbständigt. Ist es nicht selber wiederum erschreckend, daß die Kirchen bis heute nicht fähig waren, im Faschismus das Spiegelbild ihrer eigenen Herrschaftsverstrickung zu erkennen (weil sie dem Schrecken davor nicht glaubten standhalten zu können)?
    War nicht Adam Urheber und Zeuge jenes Teils der Schöpfung, der unter dem Namen des Sündenfalls überliefert worden ist?
    Nirgends drücken die Rechtfertigungszwänge drastischer sich aus, als in dem Satz: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Dieser Satz gehört in den gleichen Zusammenhang wie der Wunsch der Kinder, nicht so zu werden wie ihre Eltern (oder auch wie das Argument: wenn mich meine Kinder einmal fragen: warum hast du nichts getan, dann will ich darauf antworten können). Das „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“ gehört zu einer Logik, der zufolge nicht die Tat, sondern das Erwischtwerden (durch die Außenstehenden: das „Ausland“, oder durch die Nachgeborenen: die Kinder oder die „Geschichte“) das Schlimmste ist.
    Die List der Vernunft, das mögliche Urteil über das Handeln (die Rücksicht auf die Wahrnehmung der Anderen) zur Richtschnur des Handelns zu machen und durch die Antizipation dieses Urteils sich unangreifbar zu machen, steht unter dem Gesetz der Logik der Scham. (Hat diese Scham nicht etwas mit dem Schatten zu tun, den z.B. in den Naturwissenschaften das Inertialsystem auf die Dinge wirft?)
    Zu den logischen Partikeln gehören auch das Und, das Oder, das Entweder/oder, das Aber, das Sowohl-als-auch, aber auch die Relativpronomen (als Derivate des bestimmten Artikels). Eines der verhängnisvollsten logischen Partikel ist das Ja, aber („Ich habe ja nichts gegen die Ausländer, aber …“).
    Hat das Unkraut in den Evangelien die gleiche Bedeutung wie die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (und in den Anspielungen darauf in der ganzen hebräischen Bibel)? Stammen nicht die Unkrautvernichtungsmittel von dem gleichen Hersteller, der auch das Gas für Auschwitz geliefert hat?
    Ist nicht der private Atombunker, den C.F. von Weizsäcker sich vor Jahren gebaut hat, fast schon der Beweis dafür, daß das Wort von der zivilen Nutzung der Atomkraft eine Rechtfertigungslegende der deutschen Atomphysiker nach dem Kriege war (der dann gelungene Versuch, von ihrer Beteiligung an der Entwicklung der Bombe in Deutschland abzulenken: vgl. die unterschiedlichen Versionen des Heisenberg-Besuchs bei Nils Bohr während des Krieges und die Folgen dieses Besuchs)? Aber hat dieser moralische Rechtfertigungslegende dann nicht auch ganz wesentlich zur Legitimation der „zivilen Nutzung“ der Atomkraft (deren Probleme doch eigentlich von Anfang an offen zutage lagen) beigetragen? Sind nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtfertigungszwangs die AKW’s mit Stammheim, Bad Kleinen (Hogefeld-Prozeß), Startbahn 18 West (und Startbahn-Prozeß) und schließlich mit der Entwicklung im Vatikan unter Johannes Paul II und Ratzinger vergleichbar?
    War nicht schon die Weizsäckersche Formel der Sonnenenergie ein technischer Beitrag zur Entwicklung der Bombe?
    Die Entwicklung der AKW’s (der „zivilen Nutzung“ der Kernenergie), die Ereignisse in Stammheim, an der Startbahn, in Bad Kleinen u.ä. sind Belege dafür, daß am Ende die Version als historische Wahrheit sich durchsetzt, die im Interesse der Herrschenden liegt. Und ist die „historische Wahrheit“, wenn man von ihrem Rechtfertigungszweck absieht, nicht fast schon gleichgültig: Werden diese Dinge nicht in jeder Version zu Belegen für die Wirksamkeit der geradezu irren und selbstzerstörerischen Logik des Rechtfertigungszwangs auf beiden Seiten und zu Instrumenten der Verhinderung einer Erinnerungsarbeit, die den freien Blick auf die Dinge überhaupt erst ermöglicht?

  • 28.4.1995

    Auch: Das tun die Andern doch auch; was andere können, wirst du doch auch wohl können; ich auch. Die Reflexion auf den anderen, die in dem Wörtchen „auch“ drinsteckt, gehört zu den Implikationen des Weltbegriffs. Es ist die Logik des „außengeleiteten Charakters“, die in politischem Zusammenhang das Gewissen durch das Ausland (oder die Geschichte) ersetzt. Ist das „auch“ nicht der Statthalter des Inertialsystems in der Sprache? Wie steht es überhaupt mit jenen Sprachpartikeln, die als logische Partikel fungieren, zu denen neben Und und Oder das Sowohl-als-auch und das Ohnehin gehören.
    Kritik der Informatik als Gesellschaftskritik: Verweist nicht die Schwierigkeit, Computerprogramme in Gebrauchsanweisungen zu erklären, auf einen Mangel in den Programmen selber? Gleichen diese Schwierigkeiten nicht den Problemen, die heute bei der Formulierung von Rechts- und Verwaltungstexten (Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, behördlichen Formularen) auftreten? Hängen diese Probleme damit zusammen, daß in der Technik wie in der Gesellschaft die Beziehungen zwischen Intention und Resultat, Ziel und Nebenwirkungen, immer undurchschaubarer werden? Der Rückzug auf den Positivismus löst das Problem nur subjektiv (er schafft zur unzulänglichen Tat das gute Gewissen), nicht objektiv, er verschärft es nur.
    Heute eine Meldung in der FR: Der Asylantrag eines russischen Offiziers, der sich geweigert hat, am Tschetschenien-Krieg teilzunehmen, und dem in seiner Heimat wegen Desertation die Todesstrafe droht, ist abgelehnt worden. Nach diesem Rechtsverständnis sind Bürger Leibeigene ihres Staates, hat der Staat ein Eigentumsrecht an seinen Bürgern, das ihm ein anderes Land auch im Rahmen des Asylrechts nicht streitig machen darf.
    Kritik des Personbegriffs: Der Personbegriff hat sich erst im Kontext der staatlichen Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern konstituiert; er bezeichnet genau diesen Sachverhalt: die Eigentumsfähigkeit, durch die er in die staatlichen Institutionen eingebunden wird (nur deshalb gibt es juristische Personen, nach Scheler auch Gesamtpersonen). Wenn der Personbegriff (beispielsweise im Kontext der christlichen Mission) auch auf Menschen in nicht staatlich organisierten Gemeinschaften angewandt wurde, war das nicht schon ein erster fundamentaler Akt zur Vorbereitung der kolonialistischen Unterwerfung (ihrer Eingliederung in staatliche Strukturen)? Vor allem aber: Hat nicht die Einführung des Personbegriffs in die (lateinische) Trinitätslehre durch Tertullian der christlichen Theologie die entscheidende Wendung gegeben, durch die sie fähig wurde, zur Legitimationsgrundlage des Römischen Reiches zu werden? Hat nicht die Theologie mit der Rezeption des Personbegriffs sich selbst in die Eigentumsstrukturen verstrickt, die es dem Staat ermöglichten, ein Eigentumsrecht an der Theologie zu erwerben? Mit der Rezeption des Personbegriffs ist der Idee der Heiligung des Gottesnamens der Grund entzogen, ist die Idee des Namens (und damit der Gotteserkenntnis selber) entwurzelt worden, hat die Theologie sich dem Zugriff des Begriffs preisgegeben. Der Personbegriff hat die Kraft des Namens gelöscht.
    Müssen nicht die Tiersymbole der Apokalypse (der Drache, das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande) auch auf die Trinitätslehre bezogen werden (das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache, der falsche Prophet, ist eine offenkundige Parodie des Heiligen Geistes)?
    Drückt in dem Hegelschen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, nicht etwas von der Logik sich aus, die der symbolischen Tierkonstellation in der Apokalypse zugrunde liegt? Wenn die Natur den Begriff nicht halten kann, so ist das eine Folge des Zirkels, in den die Vorstellung, daß die Idee die Natur frei aus sich entläßt, sich verstrickt. Natur und Idee konstituieren sich, indem sie sich gegenseitig ausschließen: Deshalb vermag weder die Idee die Natur aus sich zu entlassen, noch die Natur den Begriff in sich zu halten; beide, Natur und Begriff (oder Idee), sind durch die Urteilsform vermittelt, ihre Geltung reicht soweit wie die Erkenntniskraft des Urteils, unabhängig davon haben sie keine Bedeutung. Kann es sein, daß die zum Drachen hinzutretenden Tiere als symbolische Repräsentanten des Urteils (und damit des Weltbegriffs) sich begreifen lassen?
    Hängt das Buch Hiob mit dem Buch Jona nicht insofern zusammen, als beide nicht auf jüdische, sondern auf Verhältnisse in der Völkerwelt sich beziehen: Der prophetische Auftrag des Jonas ist an Ninive gerichtet, und Hiob war ein Mann aus Uz. (Was bedeutet es, daß Hiob zusammen mit Noah und Daniel bei Ezechiel – 1414+20 – genannt wird?) Im Buch Hiob erscheinen erstmals die beiden Tiere (Behemoth und Leviathan); im Buch Jonas ruft der König auch die Tiere (die Rinder und Schafe) zur Buße auf, und Gott begründet sein Erbarmen gegen Ninive u.a. mit dem Hinweis auf „so viel Vieh“.
    Zu Jona: Hat Tarschisch nicht doch etwas mit Tarsos, dem Geburtsort des Paulus, zu tun?
    Wenn der Fisch etwas mit dem Schiff zu tun hat (die beide durch Umkehrung aufeinander sich beziehen lassen), hat dann auch das Schaffen etwas mit dem Faschismus zu tun (und das bara mit dem arab)?
    Ist der Ismael ein Israel ohne Isaak (ohne die Konstellation von Schrecken, Lachen und Akeda)? – Ist die arabische Schrift eine Sternschrift?
    Erinnert nicht der Hinweis Edgar Morins, daß die Musik dem Film Tiefe, Plastik und Materialität verleiht, an eine Bemerkung Spenglers, daß die Musik in der modernen Welt die Stelle einnimmt, die in der alten Welt die Skulpturen, die Statuen innehatten? War nicht schon das kopernikanische System eine dramatische Konzeption für eine Guckkastenbühne, deren Wände der Fixsternhimmel bildete: Produkt einer Ästhetisierung der Welt? Und hat diese Ästhetisierung nicht im politischen Faschismus, der das Produkt einer Inszenierung und eigentlich ein Film war, sich vollendet? Welche Bedeutung hat dann heute die allgegenwärtige Musik (und was drückt in ihr sich aus)?
    Verweist nicht der kantische Begriff der Erscheinung (vor dem Hintergrund der transzendentalen Ästhetik, die das Reich der Erscheinungen begründet) auf die Ästhetisierung der gesamten Wirklichkeit? Nicht erst die mathematischen Naturwissenschaften, sondern schon ihr Vorläufer, die Orthodoxie, hat die Wahrheit durch das Verhältnis von richtig und falsch ersetzt: Indiz der vollständigen Ästhetisierung der Theologie. Die Orthodoxie war das Produkt der Monologisierung der Theologie, ihrer Subsumtion unter die Logik der Schrift. Sie hat die Theologie gegen das „Heute, wenn ihr Seine Stimme hört“ immunisiert.
    Die Apokalypse ist eine Gesellschaftstheorie; sie gehört zur Geschichte der Logik der Schrift: So wie auch die Passion Jesu, zu der das „damit die Schrift erfüllt werde“ (in dem Gespräch auf dem Weg nach Emmaus und und in der Belehrung des äthiopischen Eunuchen durch Philippus) gehört.
    Ist nicht der Unterschied zwischen dem „et sanabitur anima mea“ im „Domine, non sum dignus“ und seiner deutschen Übersetzung „so wird meine Seele gesund“ der Unterschied ums Ganze? Hier liegt das finstere Geheimnis einer durch die Bekenntnislogik verhexten Erlösungslehre: Das sanabitur verweist aufs Hören des Worts, das Gesunden auf einen magischen Akt. Der Bann wird erst gesprengt, wenn der Gehorsam, den alle Kirchen fordern, durchs Hören gelöst wird.
    Daß Primo Levi, Jean Amery und Paul Celan Selbstmord begangen haben, sagt etwas über den Stand der Prophetie heute.

  • 27.4.1995

    Der Raum definiert sich durch seine Beziehung zur Sprache: Als subjektive Form der äußeren Anschauung trennt er die Sprache von der „Wirklichkeit“ (trennt er das Ding von seinen Eigenschaften, den Begriff vom Objekt), begründet er die Urteilsform. Die Form des Raumes geht als ein konstitutives Moment in den Begriff (in die für den Begriff konstitutive Beziehung zum Objekt) mit ein, begründet er sowohl die Distanz zu den Dingen als auch (in dieser Distanz) die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern (deren Modell die Beziehung des Herrn zum Beherrschten ist). Der Raum macht die Welt zur Wolfswelt, zu der es heißt: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“.
    Durch die Vorstellung des unendlichen Raumes (das naturwissenschaftliche Äquivalent des „freien Marktes“) ist die Welt endgültig dem Kommerz und der Ausbeutung preisgegeben worden; die Vorstellung des unendlichen Raumes hat insbesondere die in seiner Logik installierten Herrschaftsstrukturen unkenntlich gemacht. So hat die kopernikanische Wende der Entdeckung der Welt in einer Weise den Weg freigemacht, in der die Barbarei der kolonialistischen Unterwerfung der Welt, des Raubs der eroberten Reichtümer und der Versklavung und Ausbeutung der unterworfenen Völker schon angelegt und vorgezeichnet war. Kopernikus und Newton waren beide auch Geldtheoretiker; es wäre eine zweifellos interessante (die wechselseitige Erhellung beider Bereiche fördernde) Aufgabe, die Logik ihrer naturwissenschaftlichen Konzepte mit der ihrer Geldtheorien zu vergleichen.

  • 26.4.1995

    Wenn den Regierungen die politischen Argumente ausgehen, berufen sie sich auf das Gewaltmonopol des Staates (vgl. hiermit den Gesamtzusammenhang der Konzepte Standort Deutschland, Stabilität der DM und die Neuorientierung der deutschen Außenpolitik an den wirtschaftlichen Interessen des Landes: wer definiert diese wirtschaftlichen Interessen?).
    Wodurch unterscheiden sich die Ergebnisse des Ersten von denen des Zweiten Weltkrieges? Liegt nicht der Unterschied darin, daß nach dem Ersten Krieg der Terrorismus in der Metropole als Staatsterrorismus sich etablierte, während er nach dem Zweiten Krieg zu einem Instrument gegen den Staat geworden ist (vielleicht, weil der Staat gelernt hat, seinen eigenen Terrorismus hinter einer legitimierenden Rechtsfassade zu verbergen)?
    War nicht der Elternbann, in den die Kindheit nach dem Krieg geraten ist, eine qualitativ neue Form der Verdrängung (in der sich die neue Funktion des nachfaschistischen Staates, seine veränderte Selbstdefinition, widerspiegelte: hat nicht die Logik der väterlichen Gewalt etwas mit der Logik des staatlichen Gewaltmonopols – und mit der Gewalt in der Logik generell – zu tun)?
    Zu Jer 3134: Ist nicht die Bekenntnislogik die Logik der wechselseitigen Belehrung aller durch alle und die Verhinderung der Gotteserkenntnis aller? Hat nicht die Kirche, als sie das göttliche Gebot zur Grundlage der kirchlichen Jurisdiktion machte, die Theologie verhext?
    Auch die Inquisition ist nicht vergangen, sondern nur formalisiert und neutralisiert worden und so in den Forschungsbetrieb mit eingegangen. Seitdem ist jedes Schuldurteil ein synthetisches Urteil apriori.
    Das Apostolat gründet nicht in einem Bekehrungsauftrag, sondern in dem Auftrag, Zeugnis abzulegen für die Auferstehung. Das war das Evangelium, die frohe Botschaft. Dieses Zeugnis ist von Paulus formalisiert und in einen Bekehrungsauftrag umgefälscht worden. Die Zukunft öffnet sich erst, wenn auch die Gräber sich öffnen.
    Ist das Englische nicht eine Neutrums-Sprache, erkennbar sowohl an dem to be, der Verwendung des Praefix be- als Infinitiv des Seins, als auch daran, daß die Futur-Bildungen über das Hilfsverb will laufen, mit der doppelten Pointe, daß das Werden in den Willen eines anonymen Subjekts zurückverlegt wird und zugleich das im Deutschen ontologisierte Werden auf einen (Subjekt-)Willen bezogen wird?

  • 25.4.1995

    Der Schlüssel ins Innere der Materie (die kein Inneres hat) ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Oder genauer: Übers Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit dringt die Scham ins Innere der Materie vor.
    Apokalypse: Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit kehrt die Zeit sich um: Rückt die Zukunft in den Ursprung und die Vergangenheit ans Ende. Die Bewegung, in der das Subjekt ans Ende einer endlosen Zeitreihe sich setzt, um die Zeit insgesamt ins Vergangene einzutauchen, ist das Korrelat der Vergegenständlichung der Natur. Ihr Reflex in der Naturerkenntnis ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: die Zeitdilatation.
    Ist das Feuer des brennenden Dornbuschs ein Symbol der Beziehung von Wort und Schrift? Und bezeichnet es nicht den Ursprung und die Bedeutung der Schrift im Kontext der Offenbarung?
    Die Vergöttlichung Jesu gehört (wie auch die Opfertheologie) zur Logik einer Theologie hinter dem Rücken Gottes. Sie trennt die Nachfolge von ihrer Erfüllung in einer Theologie im Angesicht Gottes, die mit der Vergöttlichung Jesu ins Unerreichbare verrückt wird. Die große theologische Tradition, auch die Theologie des Paulus, war die objektivierende Erinnerung an eine Theologie im Angesicht Gottes und damit der Anfang einer Theologie hinter dem Rücken Gottes. Allein in dieser vergegenständlichenden Erinnerung erhält die Person Jesu anstelle seiner Tat diese ganz unangemessene Bedeutung.
    Das griechische Wort, das in den Evangelien mit „Jünger“ übersetzt wird, ist mathaetaes, der Schüler (der Adressat der Lehre). Das Nachfolgegebot ist an die Jünger gerichtet. Von den Jüngern unterscheiden sich die Apostel als (durch ihre Erwählung vorausbestimmte) Zeugen der Auferstehung; die Apostel waren die Teilnehmer beim Abendmahl, bei der Kreuzigung haben sie Ihn verlassen und sind geflohen. Steht nicht Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern Befreite, im Zentrum des Apostolats?
    Der Name repräsentiert die Stimme in dem Satz: „Heute, wenn ihr Seine Stimme hört“. Er lebt von der Kraft des Gebots: Er ist ein Imperativ, und widersetzt sich jedem Versuch, ihn in den Indikativ zu übersetzen. Sind nicht die Sternbilder an den Himmel versetzte Namen, und hängt nicht die Vorstellung von den „Heiligen im Himmel“ damit zusammen? Hängt nicht der katholische Jenseits-Mythos zusammen mit der Transsubstantiationslehre, mit der Geschichte der Eucharistielehre und deren Bedeutung für den Ursprung des Dingbegriffs? Gilt nicht (wie für die Eucharistie) auch für den Himmel, daß der Glaube ersetzt, was die Sinne nicht erkennen (ist nicht die kopernikanische Wende der Beginn eines Prozesses gegen den Himmel, in dem er schon zu Beginn zu lebenslanger Haft vorverurteilt wurde)?
    Gibt es nicht eine den Juden und Christen gemeinsame Tradition, die auf beiden Seiten durch eine Logik verhext ist, deren Reflexion heute auf der Tagesordnung steht?
    Kapitalismus-Kritik heute: Den Namen des Proletariats aus dem Gefängnis der klassifikatorischen Logik befreien: aber heißt das nicht, den Schub der Proletarisierung der Gesamtgesellschaft, die im Faschismus mündet, endlich begreifen.
    In welchem Kontext steht das Wort von Rind und Esel im Dt?
    Ist nicht im Christentum das Wort, daß die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm auszulösen ist, bis heute unverstanden geblieben? Kann es sein, daß Rind und Esel verwechselt wurden und an die Stelle des Esels das Rind gerückt wurde? Diese Verschiebung läßt als zwangsläufige Folge der Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie (der Trennung von Joh 129 vom Nachfolgegebot) sich begreifen.
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes gehorcht einer Logik, die als Bekenntnislogik zu dechiffrieren wäre. Ähnlich hat die Natur hinter dem Rücken der Schöpfung und der Staat hinter dem Rücken der Armen sich etabliert.

  • 24.4.1995

    Materie und Masse unterscheiden sich wie Sache und Ding (wie Handwerk und Industrie). Die Trennung des Dings von der Sache (die ihre Wurzeln in der Opfertheologie hat) gehört zu den Ursprungsbedingungen der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung und wird durch sie stabilisiert. Der sprachgeschichtliche Zusammenhang wird sinnfällig an der Beziehung des Massenbegriffs zum Inertialsystem, durch den er vermittelt ist.
    Ist nicht der deutsche Schöpfungsbegriff (vgl. schaffen, Schaff, Schiff), der an die Beziehung von Kelle und Topf erinnert (und damit an das Kelchsymbol, das hier auch den Begriff der „Schöpfung“ ergreift und verhext), eine Konsequenz aus dieser Konstellation, deren theologische Wurzeln ebenso im Konzept der creatio mundi ex nihilo wie im scholastischen Begriff der Eucharistie, der Transsubstantiation, liegen: Raum und Zeit werden aus dem Schöpfungsbegriff herausgenommen und ihm vorgeordnet (so im Konzept des „Urknalls“); geschaffen ist nur die von ihren sinnlichen Eigenschaften getrennte, und deshalb durch göttlichen Eingriff veränderbare Substanz, die Masse? Aber war nicht umgekehrt die Idee der Transsubstantion die letzte, verdinglichte und entfremdete, Erinnerung an das Gebot der Heiligung des Gottesnamens und seine Beziehung zum Logos und zur Nachfolge (homologein, „Bekenntnis des Namens“)?
    Beton: Die „nichteuklidischen Geometrien“ machen die euklidischen selber zur Materie: zu einem Steinbruch, aus dem sie das Material für die Neukonstruktion entnehmen. Damit wird aber der Begriff und der Charakter des Referenzsystems verändert: instrumentalisiert.
    Die dem Inertialsystem immanente Raumvorstellung ist säkularisierte, neutralisierte Theologie. In der jüdischen Tradition hat sich das in der Vorstellung ausgedrückt, daß die sechs Richtungen des Raums (oben und unten, vorn und hinten, rechts und links) auf sechs Gottesnamen versiegelt sind, während die christliche Tradition den Anspruch enthielt, daß diese Siegel (deren Zahl dann auf sieben erhöht wurde) sich lösen lassen. – Hat das siebte Siegel etwas mit dem Satz, daß der Menschensohn auch Herr des Sabbats ist, zu tun (und ist deshalb der achte Tag zum dies dominica geworden)?
    Der Inertialsraum ist mathematisch invariant gegen Translationen und gegen Drehungen; dynamisch ist er jedoch nur gegen Translationen invariant, während bei Drehungen die Inertialkräfte als Zentrifugalkräfte sich manifestieren. Erst durchs Prinzip der Lichtgeschwindigkeit sind beide Invarianzen in einem Punkt miteinander verknüpft worden: Mit der Lorentz-Transformation (mit der Längenkontraktion, der Zeitdilatation und dem Anwachsen der Trägheit) hat das Relativitätsprinzip ein Moment der Drehung des Inertialsystems in sich selbst in sich aufgenommen. Die Differenz zwischen den beiden Invarianzen (der Translation und der Drehung) war der Grund für Newtons Konzept des absoluten Raumes.
    Memoria passionis: Gehört dazu (zur Frage des eigenen Leidens und zum Problem des Selbstmitleids) nicht auch das Satz, daß Gott niemand über seine Kraft versucht? Dieser Satz läßt sich jedoch nicht auf das Leiden anderer anwenden.
    Der moderne Materiebegriff ist eingeschlossen in das Projekt „Verinnerlichung der Scham“. In diesem Kontext gründet der Begriff der inertia.
    Die augustinische Gnadenlehre und ihre paulinischen Wurzeln, der Ursprung des modernen Massenbegriffs oder die Demoralisierung durch Theologie.
    Theologie deutsch:
    Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
    der wollte keine Knechte.
    Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
    dem Mann in seine Rechte.
    Drum gab er ihm den kühnen Mut,
    den Zorn der freien Rede,
    daß er bestände bis aufs Blut,
    bis in den Tod die Fehde.
    Am Kruzifix im Schlafzimmer läßt sich die Verschiebung verdeutlichen, die dem Ursprung der kirchlichen Sexualmoral (ihrer Trennung von der Herrschaftskritik im Kontext der theologischen Rezeption des Weltbegriffs) zugrunde liegt. Das Kruzifix im Schlafzimmer ist ein Instrument der Verdrängung der memoria passionis durch Instrumentalisierung der ins Bild gebannten Erinnerung. Die Besiegelung dieser Verdrängung ist die sexualmoralische Verdammung der Lust (Reflex des Massenbegriffs in einem Akt, den die kirchliche Lehre seit den Kirchenvätern der Erbschuld zugeordnet hat): Seitdem ist jede Lust „materialistisch“.
    Die Sprache, die dem Objektivationsprozeß, dem Prozeß der Verdinglichung, sich angleicht, hat zugleich die Kompetenz gewonnen, ihn ausdrücken: seitdem ist er analysierbar.
    Läßt nicht das Verhältnis der deutschen zur griechischen Sprache, die beide darin übereinstimmen, daß sie den bestimmten Artikel in das System der Deklinationen mit hereinnehmen (Logik der Substantivierung), an dem projektiven Bild der Barbaren und der Wilden sich demonstrieren? Gegenüber der griechischen hat der Projektionsbedarf der deutschen Sprache sich verstärkt. Nur ist dieser Projektionsbedarf als Teil der inneren Logik der Sprache zugleich ein Teil der Logik der Welt, die darin sich ausdrückt. Ist nicht die Deklination des bestimmten Artikels ein Ausdruck und ein Instrument der Neutralisierung, der Verdinglichung, der Substativierung? Liegt nicht das Verhängnis der deutschen Sprache darin, daß sie als Sprache nicht mehr aus ihrer eigenen Logik durchsichtig zu machen ist, sondern nur durch Reflexion ihrer griechischen und lateinischen Vorgeschichte? Nur durch ihren Fremdwörterbestand ist die deutsche Sprache noch der Humanität verbunden.
    Die Hellenen sprachen griechisch; erst die Deutschen (die auch deutsch reden) haben sie zu Griechen gemacht, nachdem die Römer (die lateinisch sprachen) die griechischen Sklaven, die ihre Kinder unterrichteten, graeculi nannten.
    Begriff und Gegenstand: Im Bann des Objekts wird das Subjekt selber zum Objekt (zum Knecht eines Herrn). Nur in der Reflexion dieser Konstellation ist der Bann des Objekts zu brechen.
    Das Ensemble der Mechanik, die Billardkugeln, an denen die Gesetze und Begriffe der Stoßprozesse demonstriert werden, liegt vor aller Augen: wie die Handlung des modernen Dramas auf der Guckkastenbühne (dem Modell des Inertialsystems). Die Objektwelt, auf die das kopernikanische System und das Gravitationsgesetz sich beziehen, präsentiert sich in einer vergleichbaren Unmittelbarkeit, sofern die Position, aus der sie so erscheint, erst einmal erreicht ist: Sie ist insgesamt durch diesen Prozeß, in dem diese Unmittelbarkeit sich konstituiert, vermittelt. In dieser Unmittelbarkeit wird die der unvermittelten Erfahrung, in der es Tag und Nacht, den Wechsel der Jahreszeiten, die sinnliche Präsenz sinnlicher Objekte gibt, sowohl „erklärt“ als auch zugleich zu bloßem Schein herabgesetzt. Das sinnlose Kreisen der Planeten, zu denen jetzt auch die Erde zählt, um das Zentralgestirn, die Sonne, ist selber sinnlich nicht wahrnehmbar, sondern spielt sich für uns in unserer Vorstellung ab, es ist eine vorgestellte Welt der Erscheinungen, die zwar allen gemeinsam ist, in der aber jeder nur für sich ist: in der alle einsam sind. Das kopernikanische System ist das Produkt einer ästhetischen Rekonstruktion, in der die Welt zum gemeinsamen Objekt einer stummen Gemeinschaft wird, in der alle durch das gemeinsame Anschauen der für alle gleichen Welt (und d.h. durch den Grund ihrer Trennung) verbunden sind. Diese Gemeinschaft gründet darin, daß die Welt eigentlich nur eine Welt für andere ist, und eine Welt für mich nur insoweit, als ich selbst ein anderer für andere bin. Und diese Welt ist meine Welt nur insoweit, als ich Teil einer Gemeinschaft bin, die in dieser Welt als deren Subjekt (als Weltanschauungsgemeinschaft) sich erkennt. Das aber heißt: In dieser Welt erkennt sich die Menschheit als Gattung, nicht als Menschheit.

  • 23.4.1995

    Der Begriff der Eigentlichkeit leugnet die Gottesfurcht. Sie macht das Subjekt zum sündenvergebenden Gott (indem es die Gottesfurcht als Wut nach außen kehrt – hier gründet der Begriff des Scheins in Hegels Logik); Grund der Eigentlichkeit ist der Schein der Unschuld im Kern des Schuldzusammenhangs (das Sakrament der Macht).
    Haben nicht das Licht und die Gravitation ein gemeinsames Ausbreitungsgesetz (das quadratische Abstandsgesetz, mit einem beiden gemeinsamen kosmologischen Paradox)? Beiden ist die Vorstellung gemeinsam, daß sie (wie die Materie) von außen in den an sich leeren Raum hineinkommen: Dabei ist es die Raumvorstellung (die subjektive Form der äußeren Anschauung), deren ausschließende Gewalt alle Erscheinungen zu verdinglichten, gegen den Raum äußerlichen Erscheinungen macht, sie ihrer sprachlichen Substantialität beraubt.
    Ist nicht das innere Gefühl („aus dem Bauch“) mit dem äußeren (der Tastempfindung) auf ähnliche Weise verknüpft wie der Begriff der schweren mit dem der trägen Masse?
    Der Begriff der trägen Masse ist auflösbar nur in herrschaftsgeschichtlichem Kontext, im Zusammenhang von Herrschaftskritik.
    Die Masse ist die Asche des verbrannten Himmels.
    Das Verbot, von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen (Gen 216f) gehört nicht mit zum Nahrungsgebot des sechsten Schöpfungstages (130f). In welcher Beziehung steht das paradiesische Nahrungsgebot (das dem des sechsten Schöpfungstags nur ein Verbot hinzufügt) zum noachidischen?
    Hiobsbotschaft: Haben Behemoth und Leviathan etwas mit Natur und Welt zu tun (und Satan, der Ankläger im Hofstaat Gottes, der Widersacher, etwas mit dem Wissen)?
    Die Kollektivscham hat die Verblendung in den Köpfen zementiert; sie war das Prinzip und der Grund der neuen Unübersichtlichkeit.
    Off 69ff: Die Steinigung des Stephanus gehört nicht nur aufgrund der Rolle des Paulus hierbei zu den Gründungsakten des Christentums; sie ist ein Teil des Felsens, auf den die Kirche gebaut ist (unter dem Altar, auf dem das Opfer dargebracht wird, sind die Gräber der Märtyrer).
    Am Ende seines Fastens in der Wüste wurde Jesus vom Teufel versucht (und hat der Versuchung widerstanden); während seines öffentlichen Auftretens hat er Dämonen ausgetrieben; aber nur zu Petrus hat er gesagt: Weiche von mir, Satan.
    Der Weltbegriff ist die Wasserscheide der Zivilisation, das aber auch in dem ganz wörtlichen Sinne, der im ersten Satz der Philosophie sich ausdrückt: Alles ist Wasser.
    Ding und Ich: Fallen nicht die moderne Geschichte der Personalpronomina und die Ursprungsgeschichte der Auxiliarien, der Hilfsverben, in die Geschichte der Konstituierung des Dingsbegriffs, der Trennung von Ding und Sache (die ihre Vorgeschichte im germanischen Recht und in der germanischen Sprache hat)?
    Die Idee einer Theologie im Angesicht Gottes schließt die Kritik der Religion mit ein. Sie konvergiert mit Rosenzweigs „Deus fortior me“.
    Erinnerungsarbeit: Es kommt nicht darauf an, was man „tatsächlich“ bei bestimmten Ereignissen der Vergangenheit empfunden hat, sondern wie man es post festum begreift. Es gibt keine unreflektierte Beziehung der Empfindung zur Wahrheit.
    Dialektik von Herr und Knecht: Die Vorstellung von der Fortpflanzung des Lichts im Raum ist ein Produkt der Vergegenständlichung des Sehens des Andern (des Knechts); sie gehört zu einem Konstrukt, für das das Sehen zu einem materiellen Prozeß zwischen Objekten (zwischen Arbeiter und Materie) geworden ist. Die Lichtgeschwindigkeit (und der Bereich der Physik, zu dem er gehört) ist der Repräsentant des verdinglichten Andern (des Proletariats) im Inertialsystem. Erst durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sind die Voraussetzungen gegeben, die Konstitutionsbedingungen dieses Vergegenständlichungsprozesses (das Inertialsystem und die Grenze des Verfahrens der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: Teil der Beziehung von Herrn und Beherrschtem, des Schuldzusammenhangs) zu begreifen.
    Die Verdrängung des Vergangenen und das durch die Gewalt der Rechtfertigungszwänge erzwungene fortschreitende Vergessen macht das Neue selber (den Fortschritt) zu einer Variante und zu einem Instrument des Vergessens.

  • 22.4.1995

    Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit: Gehört das Opfer zur Geschichte der projektiven Erkenntnis (zur Ursprungsgeschichte des Staates)?
    Adornos gelegentliche Bemerkung, daß man vom Selbst wahrscheinlich nur in theologischem Zusammenhang reden könne, bezeichnet genau den Kern seiner Bindung an die Ästhetik. Sie wird wahr nur, wenn man im Selbst nicht das eigene, sondern das des Andern begreift. Die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, ist nur theologisch zu begründen.
    Das Gebot der Nächstenliebe (Lev 1918) wird in der Fassung überliefert: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Dieses „wie dich selbst“ lautet in wörtlicher Übersetzung des hebräischen Textes „er ist wie du“ (Buber: Halte lieb deinen Genossen, dir gleich); es heißt nicht „er ist wie ich“. Erst im griechischen Text des NT erscheint das Selbst: „wie dich selbst“ (Mt 2239: agapäseis ton pläsion sou hos seauton – vgl. auch Mk 1231, Lk 1027).
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind nicht gleichwertig; beide sind durch die jeweils andere vermittelt: Die Vorstellung des Raumes setzt die Vergegenständlichung der Zeit (die Vorstellung eines Zeitkontinuums) voraus, die selber ein Produkt der Verräumlichung ist, die Form ihrer Beziehung zum Raum zur Grundlage hat. Die Form des Raumes konstituiert sich in diesem doppelten Akt: über das Konstrukt der Verräumlichung der Zeit. Das Inertialsystem ist das Produkt dieser doppelten Abstraktion; darin gründet seine Logik, in der Redundanz der Wechselbeziehungen der einzelnen Momente.
    Die Verräumlichung der Zeit hat ihre sprachliche Vorgeschichte in den Konjugationsformen, durch die die indoeuropäischen Sprachen z.B. von den semitischen sich unterscheiden, in der Bindung der Verben an die Zeit, ihrer Subsumtion unter die Zeit, die hier erstmals eine gegen das Tun und Leiden der Menschen selbständige Realität gewinnt (Grund der mythischen Schicksalsidee). Diese Konjugationsformen sind gemeinsam entsprungen mit dem Neutrum (dem dritten Geschlecht) und mit den Steigerungsformen des Adjektivs; sie sind Ausdruck einer tiefgreifenden Veränderung der inneren Logik der Sprache. Wenn es im Hebräischen keine Entsprechungen zu den Totalitätsbegriffen gibt, die die Geschichte der Philosophie beherrschen, zu den Begriffen des Wissens, der Natur und der Welt (an denen die idealistischen Systeme nach Kant sich abgearbeitet haben), so hängt das mit diesem sprachgeschichtlichen Vorgang, mit der seitdem differierenden Sprachlogik, zusammen. Diese Differenz läßt sich an der Beziehung zum Fremden, in der sprachliche und gesellschaftliche Strukturen sich durchdringen, demonstrieren: an den Namen der Barbaren und der Hebräer. Während die griechische Sprache zur eigenen Stabilisierung die Projektionsfolie der Barbaren (als distanzierende, vergegenständlichende Kollektivbezeichnung der Anderen) geschaffen hat, war die hebräische schon in ihrem Namen (in dem die Benennung durch andere als Selbstbezeichnung übernommen wird) auf die Reflexion der eigenen Fremdheit verwiesen. Diese inverse Beziehung zum Fremden ist ein gesellschaftlicher Reflex der grammatischen Differenzen.
    Gehören nicht die Namen der Barbaren und der Hebräer zur Ursprungsgeschichte der Schrift? Gehört nicht der phönizische Ursprung der Schrift (der Ursprung der Buchstabenschrift im Bedürfnis des Handels nach einer Schrift, die fremde Sprachen in ihrer Lautgestalt wiederzugeben in der Lage ist) zu den Voraussetzungen, aus denen die Namen der Barbaren (der die Fremden und die Stammelnden zugleich bezeichnet) und der Hebräer hervorgegangen sind? Nicht das Geld, sondern die Schrift gründet im Tauschprinzip; das Geld gründet in der Schuldknechtschaft (in der Tempelwirtschaft). Die Logik der Schrift ist die Logik der Entfremdung. Wie hängt der Name des Logos (und die theologische Idee der Erfüllung des Worts) mit dem Namen der Schrift (und dem Topos der Erfüllung der Schrift, die von der des Wortes wie der Kreuzestod von der Auferstehung sich unterscheidet) zusammmen? Die gegenwärtige Phase der Geschichte der Aufklärung (wie auch der Politik und der Ökonomie) scheint sich auf eine dramatische Weise in die Ursprungsgeschichte der Schrift und des Geldes (in die Ursprungsgeschichte des Staats und des Weltbegriffs) zurückzuschlingen.
    Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine Theologie, in der Gott nicht mehr als Objekt vorkommt: der Anfang einer areligiösen Theologie.
    Der Schatten des Faschismus: das ist die Nacht der dritten Leugnung. Auf diese Nacht verweist das Krähen des Hahns in der Geschichte der drei Leugnungen.
    Joh 129, sein Kontext in der Johannes-Apokalypse: Das Kelchsymbol in der Prophetie und in Gethsemane, das sich auf das durchs Anschauen verhexte Denken bezieht, auf die Selbstverstopfung der Ohren durch die „optische“ Grundlegung des Denkens, auf die Unfähigkeit zu Hören (das deshalb in der christlichen Tradition durch den Gehorsam ersetzt wurde). Das Schiff des Odysseus, der Pfropf in den Ohren der rudernden Mannschaft und der Strick, mit dem Odysseus sich an den Mast hat binden lassen, gehören zusammen; und das Ganze hat etwas mit dem Kelch und den subjektiven Formen der Anschauung zu tun, auch mit dem „Grauen, Grube und Garn“ bei Jeremias. War nicht das Erlösungskonzept, das an den Begriff der Entsühnung der Welt sich anschloß, daran, daß „das Lamm … die Sünde der Welt hinweggenommen“ (und nicht, wie es bei genauer Übersetzung heißen müßte, auf sich genommen, H.H.) hat, für die andern das Grauen und die Grube, für die Christen aber das Garn, in das sie hoffnungslos sich verstrickten? Entsprechen nicht der Grube die subjektiven Formen der Anschauung (sowie der Begriff und, als dessen Totalitätsbegriff, die Welt), dem Grauen das Erstarren der Dinge zum Objekt (die „Erscheinungen“ und die Natur) und dem Garn die davon nicht zu trennende Selbstverstrickung des Subjekts (oder der Begriff des Wissens, der Grund und die Totalität dieser Selbstverstrickung)? Das Grauen ist das gegenständliche Korrelat der verinnerlichten Scham, der Grund der Erstarrung des Objekts, die Grube die Verkörperung des Schreckens (dessen gegenständliches Korrelat das Grauen ist) und das Garn das Symbol der Selbstverstrickung des Subjekts in diese Konstellation. Diese Konstellation wäre zu demonstrieren am Ursprung des Massenbegriffs, an der Bekenntnislogik, an der Gestalt des apokalyptischen Tieres (und seiner Beziehung zum Weltbegriff): des Tieres aus dem Meere, dem der Drache seine Macht verliehen hat, und des Tieres vom Lande, Inbegriff und Symbol des falschen Propheten, der Selbstlegitimation der Welt.
    NB: Die Bekenntnislogik ist aus dem gleichen herrschaftsgeschichtlichen Grunde indifferent gegen ihren Inhalt geworden, aus dem der Begriff der Materie von seiner Beziehung zu den materiellen Qualitäten sich emanzipiert hat. Die Austauschbarkeit der Bekenntnisinhalte ist Ausdruck des Stands der Naturbeherrschung. Damit hängt es zusammen, wenn gesagt wurde, daß mit der Reformation die häresienbildende Kraft erloschen sei (seitdem gibt es keine Häresien mehr, nur noch Sekten).
    Im Begriff der Masse schlägt die projektive Gewalt, die einmal in den Namen der Barbaren und der Wilden sich ausdrückte, ins Innere der Zivilisation zurück (in der gleichen logischen Konstellation, der auch im Ursprung des Antisemitismus sich ausdrückt). Deshalb wird das Zeitalter des Antichrist das Antlitz des Hundes tragen. Der Begriff der Masse ist das Realsymbol einer Logik, die die Theologie verhext, er bezeichnet aufs genaueste den Bann, aus dem der Name Gottes zu befreien wäre: Bezieht sich nicht hierauf das Gebot der Heiligung des Gottesnamens?
    Als das Christentum in die Welt hinausging, stand es im Bann des Weltbegriffs (der Philosophie und des Römischen Reiches). Dieser Bann drückte in der Theologie in ihrer vergegenständlichenden Gewalt (in der Theologie hinter dem Rücken Gottes), in der Logik der Orthodoxie, in der Bekenntnislogik, und in den durch sie determinierten inhaltlichen Bestimmungen des Dogmas (von der Opfertheologie über die Vergöttlichung Jesu bis in die Trinitätslehre) sich aus. Die Grundlegung dieses Konstrukts war die Leistung des Paulus (der nur Apostel, nicht aber Jünger Jesu war: seine Legitimation war das Zeugnis der Auferstehung, nicht die Nachfolge).
    Die Bekenntnislogik ist ein Teil der Logik des Weltbegriffs. Deshalb ist die Theologie zu einem Teil der Geschichte der Aufklärung (im Sinne der Dialektik der Aufklärung) geworden.
    Die moderne Aufklärung ist keine Häresie, sondern Ergebnis und Produkt der Selbstentäußerung der Theologie, die nur deshalb ohnmächtig gegen die Aufklärung ist, weil sie unfähig ist, darin sich wiederzuerkennen („da verließen ihn alle Jünger und flohen“).

  • 21.4.1995

    Der Schatten des Faschismus: Ich glaube, den Faschismus versteht man erst, wenn man begreift, daß Hitler eine Welt hinterlassen hat, die alle Überlebenden und Nachgeborenen zu Komplizen macht; aber nur die Überlebenden auf der Seite der Opfer haben sich nachher schuldig gefühlt, während die, die überlebt und sich arrangiert haben, allen, die die Erinnerung einforderten, entgegenhalten konnten: Du bist mitschuldig, du hast auch überlebt. Zu Joh 129 gibt es keine Alternative mehr.
    Heute kann jede Kritik durch den Hinweis auf die „praktischen Konsequenzen“ zum Schweigen gebracht werden. So bleibt nur noch Feuilleton und Kurturkritik (das folgenlose Schimpfen). Das Prinzip der Lüge ist so tief in der Realität verankert (ein Indiz dafür war schon der Existenzbegriff der zwanziger Jahre), daß Kritik dem Verdacht, bloß Rechtfertigung zu sein, sich nicht mehr entziehen kann. Den Komfort des guten Gewissens (der Freiheit von Schuldgefühlen) kann sich heute niemand mehr leisten. Dagegen setzt die Idee der Erbsünde ihre Ehre darin, auch für die Sünde gerade zu stehen, die man nicht begangen hat.
    Das Vaterproblem Jesu ist ein dreifaches: Er war der Sohn des Zimmermanns, der Menschensohn und der Sohn Gottes.
    Die Eliminierung des kritischen Moments, das in der Frage enthalten ist, weshalb die subjektiven Formen der Anschauung auch objektiv und real sind, macht die transzendentale Logik zum Strick, der das Denken stranguliert, ihm die Luft zum Atmen nimmt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind nicht nur der Kelch, sie sind auch Grauen, Grube und Garn (Jer 4843ff), die Reflexionsformen des Kelches.
    Waren nicht in der Antike die Münzbezeichnungen in der Regel zugleich auch Gewichtsbezeichnungen (vgl. Faure: Magie der Düfte, S. 246), und war nicht das Gewicht (wie es auch im Bilde der Waage sich darstellt) die Urform des Vergleichs, der Äquivalenzbeziehung (der Mathematisierung der Dinge)? Das Gewicht ist die Selbstreflexion der Beziehung zu anderen in den Dingen.
    Maß, Zahl und Gewicht: Kontinuierliche Größen lassen sich messen. Aber die unmittelbare Form des Messens findet sich nur im Raum, im räumlichen Verschieben und im Anlegen des Maßes an ein Objekt. Das Messen der Zeit ist eigentlich ein verstecktes Zählen; an die Zeit läßt sich kein unmittelbares Maß anlegen, dem Zeitmaß liegt das Zählen periodischer Bewegungen zugrunde, die Umläufe der Sonne, die Periodizität des Jahresablaufs, bis hinunter zum Pendel, zur Unruhe, zur Quarzfrequenz. Periodische Bewegungen (Reflexe des Zeitablaufs im Raum) sind Kreis- und Wellenbewegungen. Zeitmessung setzt Redundanz, die Wiederkehr des Gleichen, voraus.
    Wie hängt der Zufall (gebildet als Übersetzung von accidens) mit dem Fall zusammen? Und wie mit der Kontingenz (dem sprachlichen Reflex des Kelches)? Ist nicht die kantische Erscheinung die Totalität des Kontingenten, und das Kontingente das durch die subjektiven Formen der Anschauung Vermittelte (in ihnen Enthaltene)?
    Wenn die Bekenntnislogik der Repräsentant der subjektiven Formen der Anschauung in der Theologie ist, dann ist jeder Inhalt eines Bekenntnisses etwas Kontingentes (das Anderssein dessen, als was es „bekannt“ wird). Das Absolute als innere Grenze der Erscheinungen ist ein Teil des Reichs der Erscheinungen, es transzendiert die Erscheinugnen nicht: wie die Feste des Himmels, an die die Sterne geheftet sind.
    Wie sind die Sterne des Himmels und der Sand am Meer aufeinander bezogen?
    Zur Beziehung des Buchs Tobit zum Buch Jona: Ist nicht der Spruch „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“ wahr, auch wenn Gott am Ende barmherzig ist?
    Ist die Mischung aus Desinteresse, Zudringlichkeit und Selbstbezogenheit nicht auch ein Produkt der Logik des Fernsehens, der Bindung der „Information“ an ein optisches Medium.
    Verkommenes Herrendenken: Die Ambivalenz des Begriffs Ausland läßt sich an den Extremen festmachen, am „Ausländer raus“ der Nazis (an der Xenophobie) und an der moralischen Autorität, die die Politiker so gern mit dem Namen des Auslands zitieren, wo ihnen das Gewissen nicht mehr einfällt. Es steht zu befürchten, daß beide Begriffe im Grunde eins sind: Wenn Nazis die Ausländer totschlagen, meinen sie das eigene Gewissen. Deshalb ist der Kern jeder Xenophobie der Antisemitismus. Spiegelt sich nicht in der Ambivalenz des Ausländerbildes die des Frauenbildes?

  • 20.4.1995

    Wenn Scham die Fähigkeit ist, sich selbst in den Augen der Andern zu sehen („da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“), dann ist die Naturwissenschaft die Fähigkeit, die Dinge durch die Augen der Andern zu sehen: die endgültige Vertreibung aus dem Paradies.
    Kritik ist der Versuch, die Rechtfertigungszwänge, die von den Verhältnissen ausgehen, zu durchbrechen. Paulus, der den Rechtfertigungszwang in die Theologie eingeführt hat, war aus eben diesem Grunde nur „entrückt“, aber er hat nie „den Himmel offen“ gesehen. War der Grund der Stellung des Begriffs der Rechtfertigung in der paulinischen Theologie nicht die Rolle des Paulus beim Tod des Stephanus?
    Zu Philosophie Adornos: Leider hat nicht jeder seinen Max Horkheimer.
    Zur Kritik der Eucharistie: War nicht die Matrosen-Uniform der Erstkommunikanten in Deutschland eine (kaiserliche) Vorform der Jungvolk-, HJ- und dann SA-Uniform?
    Homousia: Der Logos, ist das nicht in der Tat das Wort, bei dem der Sohn den Vater nimmt, und durch das er dann mit ihm eins wird (den Bann der väterlichen Autorität, dadurch daß er sie sich selbst zueigen macht, bricht)?
    Hat nicht Alphaeus etwas mit Alpha/Aleph zu tun? Worauf bezieht sich dann der Name des Thaddaeus (Zusammenhang mit thodah, Lob, Lobpreis: Thaddaeus – Laudans)?
    Kindheitserinnerungen haben etwas mit der „anderen Seite“ der Welt zu tun.
    Die Rezeption des Weltbegriffs hat die Theologie zu einer Theologie hinter dem Rücken Gottes gemacht, die dann zwangsläufig die Opfertheologie, die Vergöttlichung Jesu und die Trinitätslehre nach sich gezogen hat. Hierauf beziehen sich das biblische Kelchsymbol, das Wort über die Ärgernisse und die Geschichte der drei Leugnungen Petri. Die Beziehung des Logos zur Schöpfungslehre läßt sich sowohl auf die creatio mundi ex nihilo, als auch auf den ersten Satz der Genesis (die Erschaffung des Himmels und der Erde, die mit der creatio mundi nicht identisch ist) beziehen; im ersten Falle wird der Logos zum Begriff (fällt er in den Zusammenhang der Logik der Schrift), im zweiten Fall verweist er auf die erkennende Kraft der Sprache und auf die Erfüllung des Worts.

  • 19.4.1995

    Nicht der leere Raum, sondern der Begriff der trägen Masse bezeichnet den horror vacui aufs genaueste: nämlich an seinem Objekt. Produziert nicht die neoliberale Wirtschaftspolitik heute das ökonomische Äquivalent des horror vacui? Bei Jeremias erscheint dieser Sachverhalt in dem prophetischen Wort vom „Grauen um und um“ und im Bilde von „Schwert, Hunger und Pest“. Die moderne Geschichte beginnt mit der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip: mit der Produktion der Armut, die man dann ausbeuten kann; sie endet mit dem Entzug der vergesellschafteten Arbeit: mit der Überproduktion von Armut in einer Welt, in der es unmittelbare Verwertungsmöglichkeiten hierfür nicht mehr gibt. Heute verzehren bereits alle, die noch überleben, die Häuser der Armen, die keine Chance mehr haben.
    Das Angesicht Gottes ist kein Gegenstand der Anschauung; und in Seinem Licht die Dinge sehen, heißt: die Dinge im Licht der Sprache sehen. „Laß leuchten, Herr, Dein Angesicht“: Dieses Leuchten ist das Wort. Der Sündenfall der christlichen Theologie war es, als die Kirche glaubte, das Angesicht Gottes zu einem Gegenstand der Anschauung machen zu können, als sie die Schamgrenze, die das Anschauen von der Wahrheit trennt, glaubten überspringen zu können. So ist die Religion zu einem Herrschaftsinstrument geworden. Und das war der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen. Dieser Kelch war in der Tat der Grund seines Todes.
    Nach Auschwitz: Hat nicht, wer Auschwitz überlebt hat, den Weltuntergang überlebt? Auschwitz ist das Opfer, das nicht mehr sich instrumentalisieren läßt, sondern nur noch nach Barnmherzigkeit schreit.
    Im Hogefeld-Prozeß die transzendentale Logik studieren: die Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori. Grundlage ist die selbstlegitimierende und -rechtfertigende Gewalt einer transzendentalen Vorurteils-Ästhetik (die in der Beziehung von Staat und Anschauung, in der Logik der Weltanschauung, gründet), zu der die Antinomien, auf die sie hinausläuft, längst verdrängt worden sind.
    Die raf-Prozesse beweisen insgesamt, daß die Selbstrechtfertigung des Staates nur im Kontext eines Feindbildes möglich, der den Vernichtungstrieb, der zur Konstruktion des Staates gehört, legitimiert.
    Enthält nicht auch das Konzept der subjektiven Formen der Anschauung (mit dem Objektbegriff, zu dessen Konstituentien sie gehören) das verdrängte Feindbild, die verdrängte Paranoia und die verdrängte Frauenfeindschaft?
    Zum Begriff der Materie oder das steinerne Herz der Welt: Der Massenbegriff bezeichnet zwei scheinbar getrennte Sachverhalte:
    – die physikalische „träge Masse“ (in der alle Unterschiede, die der verschiedenen Materien und die ihrer sinnlichen Qualitäten, verschwinden) als auch
    – die gesellschaftliche Form des Kollektivs, in der die Individualität verschwindet, sich auflöst, und Kollektivität, das Anderssein aller, den Schein des Substantiellen gewinnt.
    Die Masse ist eine Erscheinung im Bannkreis von Herrschaft: In der Masse wird das Substrat, ohne das es Herrschaft nicht gibt, das Objekt von Herrschaft, zu einer Gewalt, die dem Herrn seine Selbständigkeit raubt, ihn zu einer Funktion ihrer selbst macht. Masse ist das Sich-auf-sich-selbst-Beziehen des Objekts von Herrschaft, die gegen den Herrn ihre Trägheit geltend macht, ihn so in den Bann ihrer Trägheit zieht, als Herr des Herrn sich etabliert. Im Begriff der Masse wird „mit Rind und Esel zusammen“ gepflügt (Dt 2210): wird die Differenz von Joch und Last verwischt. Keiner weiß mehr, daß die Last, unter der er stöhnt, dem gleichen Joch sich verdankt, das alle allen auferlegen. Logische Äquivalente dieses Jochs sind
    – eine Moral, die nur noch als Maßstab des Urteils über andere, jedoch nicht mehr als Gebot: als Richtschnur des eigenen Handelns, begriffen wird, und
    – eine Form des Bekenntnisses, die seinen Inhalt neutralisiert (ihn austauschbar macht), das Bekenntnis selbst jedoch instrumentalisiert, mit der Folge, daß niemand auf den Gebrauch seiner Funktion, als Bekenntnis für andere ein Instrument der Herrschaft und Kontrolle über alle anderen zu sein, mehr verzichten kann.
    Der Kern des Massenbegriffs ist der einer ethischen Verblendung: der Schein der Unschuld als objektiver Grund des universalen Schuldzusammenhangs. Im Begriff der Masse erfüllt und vollendet sich das Schuldverschubsystem.
    Das Sehen führt in das stumme Innere der Gattung; auch Tiere urteilen, wenn sie ihrem Selbsterhaltungstrieb folgen.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie