Sind die subjektiven Formen der Anschauung nicht der konsequenteste Ausdruck der Verdrängung des Schreckens?
– Der Drache ist das Subjekt der Natur, das es nicht gibt: der Inbegriff des Scheins und der Verblendung (die Verkörperung des Naturgrundes von Herrschaft),
– das Tier aus dem Meer: der Inbegriff der politisch-ökonomischen Herrschaft (das Telos ihrer historischen Entfaltung) und
– das Tier vom Lande (der falsche Prophet): Symbol der Bekenntnislogik (oder auch des Fundamentalismus).
Max Horkheimer hat einmal darauf hingewiesen, daß die Ethik, insbesondere das Liebesgebot, außerhalb der Theologie sich nicht begründen lasse. Es wäre in der Tat streng nachweisbar, daß eine Welt, die endgültig vom theologischen Gedanken sich emanzipiert hat, eine Welt wäre, in der es nicht mehr aufs Handeln, sondern nur noch darauf ankommt, sich nicht erwischen zu lassen.
Buße ohne Umkehr oder der Ursprung des steinernen Herzens: Ist nicht die Rechtfertigungslehre ein Versuch, die Gnade so zu definieren, daß die Barmherzigkeit vom realen Leiden in der Welt auf die Sündenvergebung verschoben und diese Sündenvergebung auch für die offengehalten wird, die selber nicht bereit sind zu vergeben?
Sünde und Schuld verhalten sich wie Objekt und Begriff (oder auch wie Volk und Staat). Die Beziehung des Begriffs zum Objekt ist die eines Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs (Schuld macht die Sünde, indem sie sie vor aller Augen stellt, unsichtbar).
Mai 1995
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3.5.1995
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2.5.1995
Babylonischer Turm: Verweisen der Turm, der „bis an den Himmel reicht“, das „Herniederfahren“ Gottes und die Verwirrung der Sprache auf den astrologischen Ursprung der indoeuropäischen Sprache (ihrer Grammatik: ihrer durchs Neutrum definierten Sprachlogik)? Hängt die Verwirrung der Sprachen mit dem Ursprung des Prinzips der kollektiven Organisation der Selbsterhaltung durch den Staat zusammen (einem Akt, der die Völker im Innern zivilisiert, ihre Außenbeziehungen in Naturbeziehungen transformiert und zugleich den „Götzendienst“ als Rechtfertigungsinstitut begründet)? War nicht schon der babylonische Turm ein religionsbegründendes Symbol des Nationalismus? Waren die „Chaldäer“ die Ersten, die in der Sternenreligion ihre nationale Identität fanden, mit dem Ursprung und der Legitimation des Feinddenkens und dem Krieg als Quelle des Bewußtseins nationaler Identität. Dieses Bewußtsein hat am Sternenhimmel (vgl. den Kampf der Sterne im Debora-Lied) seine objektive Entsprechung gefunden: um den Preis der Verwirrung der Sprachen. Seitdem ist Babylon das zentrale Symbol apokalyptischer Macht und der Nationalismus das Zeichen, an dem der Götzendienst sich erkennen läßt. Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von Stämmen, Völkern, Sprachen und Nationen? Die Völker (deren Name auf die durch Opfer und Königtum organisierte Schicksalsgemeinschaft verweist) sind der Ursprungsname und das Synonym der „Heiden“; die Stämme konstituieren sich in genealogischem (später totemistischem), die Sprachen in astrologisch-grammatischem Zusammenhang. Worauf bezieht sich der Name der „Nationen“?
Durch die Institutionen des Rechts (und durch die Religion) hat der Staat die Dinge eigentums- und tauschfähig gemacht.
Politische Sprachlogik: Der lateinische Name der Nation leitet sich aus der gleichen Wurzel her wie der der Natur. Im Griechischen ist es die phylä, die aus der gleichen Wurzel sich herleitet wie die physis: Aber bezieht sich das nicht den genealogischen Zusammenhang des Stamms?
Ist nicht die Paranoia ein Abkömmling der Barmherzigkeit (die unterm Bann des Rechtfertigungszwangs dazu geworden ist)? Und sind die subjektiven Formen der Anschauung (und ihre Abkömmlinge) die Transformatoren (die instrumentalisierten Formen des Rechtfertigungszwangs)?
Mit der griechischen Sprache, in der das Evangelium seinen Weg in die Welt angetreten hat, wurden Rind und Esel gemeinsam vor den Pflug gespannt: Mit dem Acker ist auch die Sprache seit dem Ursprung und durch die Organisation des Staates zum Privateigentum geworden, dessen Bearbeitung den Sklaven (den graeculi, den clercs) überlassen wurde.
War nicht das Christentum die Prolongation der babylonischen Gefangenschaft? Dann aber gilt das Jeremias-Wort „Betet für das Wohl der Stadt“ auch für die Kirche.
Gott ist der Ernährer der Menschen, der Staat ihr Unterernährer (Walter Benjamin). Die Konsequenz daraus: Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt: Ist nicht die Kirche heute der organisierte Mundraub?
Hat Ludwig Erhard mit dem Wort von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ nicht der Kirche mit gleicher Münze heimgezahlt, was sie zuvor der Schrift angetan hat: Die willkürliche Verwendung von Sprachfragmenten aus einer anderen, unbegriffenen Tradition zum Zweck der Selbstlegitimation?
Die Sprengsätze der Instrumentalisierung, die die katholische wie auch die evangelische Kirche in die Schrift hineingetrieben haben, stammen aus dem Arsenal der Selbst-Verteidigung, nur daß im katholischen Falle das Objekt der Verteidung die Kirche ist (Apologetik), im evangelischen Falle das Einzelsubjekt (Rechtfertigung). Wenn man den Heiligen Geist als Inbegriff des verteidigenden Denkens (der Barmherzigkeit, nicht des Selbstmitleids) begreift, handelt es sich in beiden Fällen um Formen der Sünde wider den Heiligen Geist. -
1.5.1995
Die Erkenntnis des Guten und Bösen, die daran sich orientiert, wofür oder wogegen einer ist, orientiert sich damit am Prinzip der Selbsterhaltung.
Erinnerungsarbeit heißt nicht sich dessen erinnern, was man einmal empfunden hat, sondern in die Erinnerung zurückrufen, was man von der Sache her hätte empfinden müssen und auch empfunden hätte, wäre das Wahrnehmungsvermögen nicht durch Rechtfertigungszwänge blockiert gewesen. Ziel der Erinnerungsarbeit ist nicht die Bewahrung der Identität, sondern ihre Sprengung: Wo Es war, soll Ich werden. Identitäten gibt es nur im Bann des Feind-Denkens.
Die 68er Bewegung läßt sich daran erkennen, daß sie für ihre Eltern (für ihr Versagen unterm Faschismus) sich schämte. Aber blieb nicht die Scham in den Schatten dessen, wofür sie sich schämte, gebannt: den Schatten des Faschismus?
Die Beziehung des ersten zum zweiten Teil des Stern der Erlösung ist das Modell einer Umkehr, die auch die Natur vom Bann der Naturwissenschaften zu befreien vermöchte. Das Christentum hat seit seinem Ursprung die Umkehr mit der Bekehrung verwechselt: Dadurch ist es zu einem Teil der Geschichte der Aufklärung geworden. Der Begriff der Bekehrung gehört zur Ursprungsgeschichte des modernen Objektivationsprozesses, der an den Bekehrten zuerst erprobt worden ist. Unter dem Bann dieser Konstellation steht die christliche Theologie (als Bekenntnistheologie) seit ihrem Ursprung. Das Bekenntnis bezieht sich in ähnlicher Weise auf die Wahrheit wie die Bekehrung auf die Umkehr: nämlich als Form ihrer Instrumentalisierung; beide sind Teil der Herrschaftsgeschichte, der Geschichte der Naturbeherrschung, in die das Christentum verstrickt ist.
Zur Konstruktion der Mechanik und zum Bild der Stoßprozesse, die nicht zufällig am Verhalten von Billardkugeln demonstriert werden, gehört das Bild einer ebenen und glatten Fläche: die Realabstraktion vom Einfluß und von den Wirkungen der Gravitation, die Eliminierung der Fallbewegung. Das so Eliminierte kehrte dann als vergegenständlichtes Gesetz im Gravitationsgesetz, das zu den Konstituentien des Inertialsystems gehört, wieder.
Entspricht nicht die Abstraktion vom Fall im Konzept des Inertialsystems in der Gesellschaft die Abstraktion von der Arbeit im Prozeß ihrer Subsumtion unters Tauschprinzip? Ist nicht die Logik, die das Geld aus dem Tauschverhältnis (statt aus der Institution der Schuldknechtschaft) herleitet, ein Teil der Logik, die das Inertialsystem als naturgegeben hinnimmt und von dem Abstraktionsprozeß, in dem es entspringt, abstrahiert? Den gleichen konstitutiven Abstraktionsschnitt (der dann in den Antinomien der reinen Vernunft reflektiert wird) vollzieht in der Transzendentalphilosophie Kants das Konstrukt der subjektiven Formen der Anschauung.
Die Geschichte der Erfindung von Instrumenten (der Verdinglichung der Objekte) setzt historisch und genetisch die Entdeckung des Feuers voraus: Prometheus hat die Menschen den Gebrauch des Feuers gelehrt. Gibt es zu diesem Mythos eine Parallele in der Tradition der Bibel?
Zu Metz‘ Bemerkung, daß man auch nach Auschwitz noch beten könne, weil auch in Auschwitz gebetet worden sei, wäre zunächst zu fragen, ob die Frage Adornos, ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, auf das Gebet überhaupt sich übertragen läßt. Müßte im Falle des Gebets die Frage nicht heißen, wie man nach Auschwitz noch beten kann (ohne die Opfer zu verraten), nicht aber, ob man nach Auschwitz noch beten kann (diese Frage wäre zu erledigen mit dem Hinweis, daß, wer nach Auschwitz nicht betet, die Opfer nochmals verrät). Zu ergänzen wäre einzig, daß nur die Beantwortung der ersten Frage die Bejahung der zweiten zu begründen vermag.
Lag nicht die Frage, wie man nach Auschwitz noch beten kann, unbewußt schon der Problemlage, aus der die „liturgischen Bewegung“ hervorgegangen ist, zugrunde; wobei die „Liturgiereform“ nur nur als Ausdruck dieses Problems, nicht als dessen Lösung sich erwiesen hat. Die Frage nach der Möglichkeit der öffentlichen Repräsentanz des Gebets nach Auschwitz, scheint mir, ist noch unbeantwortet. Ist diese Frage nicht eine Frage an die Theologie, die in der These sich zusammenfassen läßt:
Die christliche Theologie ist seit den Kirchenvätern eine Theologie hinter dem Rücken Gottes,
es käme aber darauf an, endlich Theologie im Angesicht Gottes zu treiben.
Hierzu einige Erläuterungen:
– Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Beispiel: Kinder in der Familie („machen wir Gott autistisch?“),
– Cohen/Levinas: Die Attribute (der Gegenstand der Gotteserkenntnis) sind Attribute des Handelns, nicht des Seins, sie haben den Charakter des Gebots (Der Satz: Gott ist barmherzig, heißt: Seid auch ihr barmherzig),
– Sehen und Hören: Begriff und Name (Rosenzweig und Ernst Schlenker oder die Heiligung des Gottesnamens),
– Theologie und Naturwissenschaften (Objektivation und Instrumentalisierung),
– Apologetik, Rechtfertigung und parakletisches Denken,
– das Gebet als Erinnerungsarbeit (die Vergangenheit offenhalten),
– Camilo Torres: Revolution, Opfer und Gebet (Mt 522f, Mk 1125; vgl. Elena Hochman und Heinz Rudolf Sonntag: Christentum und politische Praxis: Camilo Torres, Frankfurt 1969, S. 92ff u. 108),
– Reinhold Schneider: Allein den Betern kann es noch gelingen …,
– Joh 129 und die sieben Siegel der Apokalypse,
– der Weltbegriff.
Zu Mt 1619 und 1818: Hat nicht die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst?
Gunnar Heinsohn hat kürzlich auf die „Methode der parallelen Rätselkumulation“ aufmerksam gemacht: „Sie besagt, daß ein Einzelrätsel leichter zu lösen ist, wenn man es mit benachbarten Rätseln gleichzeitig angeht und einen gemeinsamen Grund für alle sucht.“ („Parallele Rätselkumulation – ‚Warum Auschwitz?’“, Zeitensprünge 1/95, S. 56f) Heinsohn verweist auf mehrere Beispiele, bei denen die Lösung eines Rätsels durch den direkten Zugriff nur erschwert, wenn nicht blockiert wurde, während sie durch Häufung paralleler Rätsel aus deren wechselseitiger Beziehung sich gleichsam von selbst ergab. Alle Beispiele, die er hierbei anführt, beziehen sich auf „Rätsel“, die selber wieder in einer merkwürdigen wechselseitigen Beziehung stehen und auf ein gemeinsames Zentrum zu verweisen scheinen. Und die Vermutung ist vielleicht nicht ganz unbegründet, daß die „Lösungs“-Methode selber auf einen gemeinsamen logisch-systematischen Grund zurückweist.
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