Sprache der Gewalt: Im Deutschen ist aus dem Geist des Rates der Geheimrat und aus dem Rat der Ratschlag geworden. Die Differenz gründet in einer Staatsmetaphysik, deren Grund nicht mehr die Sprache, sondern die allgegenwärtige Gewalt ist, und in der das Hören zum Gehorsam verkommen ist. – Sind nicht die Bekenntnislogik, die Trinitätslehre und die Opfertheologie Grundlage und Teil dieser Gewaltmetaphysik, und sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung (ist nicht jede Form der Ästhetik) ein Äquivalent der Sprache der Gewalt im Bereich der Erkenntnis?
„Stell Dich nicht so an!“, Logik der Schuld oder Folgen der Opfertheologie: Empfindlichkeit ist pathologisch, sie gründet in der Logik der Schuld; die „Tiefe“ einer Verletzung wird zum Maß für die Schwere der Schuld, die der Täter durch seine Tat auf sich geladen hat. Aber kann sich der Täter, der Urheber einer Verletzung, darauf berufen? Zur Falle für beide Seiten wird die Instrumentalisierung der Verletzung, die Funktionalisierung der eigenen Opferrolle, die die Täter/Opfer-Beziehung festschreibt, sich weigert, die Opferrolle auch noch zu reflektieren (und damit der Schuldreflexion des Täters den Weg versperrt), weil das Opfer auf den Nutzen, den es aus dem Schuldspruch gegen den Täter zieht, nicht verzichten kann.
Wasser und Feuer: Gründet die Sinnlichkeit insgesamt (das gesamte Reich der Empfindungen, insbesondere Farbe, Wärme und Klang) in ihrer Beziehung zum Licht (in ihrem Verhältnis zu den subjektiven Formen der Anschauung)?
Empfindlichkeit, Selbstmitleid, Selbstvergöttlichung: Verinnerlichung der Selbsterhaltung (Pendant der vollständigen Instrumentalisierung der Welt).
Taumelkelch, Kelch des göttlichen Zorns, Unzuchtsbecher: Zu den infamsten Herrschaftsmitteln gehört die Verwirrung, Beherrschung und Instrumentalisierung der Erinnerung der Anderen, ein Erbe des Christentums, Hinweis auf den genetischen Zusammenhang der subjektiven Formen der Anschauung mit dem Ursprung und der Geschichte des Dogmas, der Orthodoxie, der Bekenntnislogik (das Dogma als Produkt der Verarbeitung des Kreuzestodes im Kontext des Weltbegriffs und der Logik des Herrendenkens).
Juni 1995
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16.6.1995
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14.6.1995
Die Blinden und die Lahmen: Gibt es nicht ein Erblinden und Erlahmen durch die Theologie?
Hängt Joh 129 zusammen mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, und bezieht sich das in den Evangelien (Mt 33) auf Johannes bezogene Prophetenwort (Jes 403): „die Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet seine Straßen gerade“, auf die Johannes-Apokalypse?
Gehört es nicht zum Begriff der Moderne, daß sie die „Wilden“ erfunden hat?
Der Garant der transzendentalen Logik ist das transzendentale Subjekte, das die Distanz zum Objekt herstellt, durch die es in den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß verflochten ist: seine Einheit. Es ist kein Zufall, daß die Philosophie auf ihrer Spitze, in Hegels Logik und Staatsphilosophie, zur Selbstbegründung des Nationalismus geworden ist.
Bezeichnet nicht der Name der Basilika den unter den Bedingungen des Hellenismus säkularisierten, auf den König anstatt auf den nationalen Gott bezogenen Tempel (die Handels-, Bank-, Gerichts- und Versammlungsstätte)?
Die subjektiven Formen der Anschauung konstituieren das Objekt, und sie trennen den Namen, den sie zugleich depotenzieren, vom Begriff.
Die Person ist der Statthalter des Namens unter den Bedingungen des Staates (des Rechts).
Zu den Confessiones des Augustinus: Der Vater und die Geliebte bleiben namenlos, während die Mutter und der Sohn mit Namen genannt werden.
Ich und Du: Im Deutschen wird zwischen Antlitz und Angesicht unterschieden. Worin liegt der Unterschied, und ist dieser Unterschied nicht in der deutschen Sprachlogik (in ihrer Verarbeitung der christlichen Tradition) begründet? Bezeichnet nicht das Antlitz das Entgegenblickende, das Angesicht das Angesehene?
Zur Frage des Maimonides (ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal dagewesen ist) gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit: Es könnte sein, daß der, der am Ende kommen wird, das gleiche Gesicht haben wird wie der, der im Stall geboren und am Kreuze hingerichtet worden ist; aber werden wir ihn wiedererkennen? Vgl. hierzu Theodor Haeckers Bemerkung über die Evangelien, in denen das Aussehen Jesu nicht überliefert wird, und den Zusammenhang dieser Bemerkung mit der unmittelbar nachfolgenden Verwechslung des Israeliten mit dem Hebräer. Ist nicht die Ikonographie Jesu, sein in der Kunst überliefertes Aussehen, selber schon ein Produkt der Theologie hinter dem Rücken Gottes, und ist dieses Antlitz nicht schon Ausdruck des kirchlichen Antisemitismus?
Was findet sich im Personalausweis und auf Fahndungsfotos: das Antlitz oder das Angesicht? (Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Kruzifix und dem Fahndungsfoto?)
Politische Theologie leistet keinen Beitrag zur Institutionenlehre, zur Begründung der Organisation des Staates. Politische Theologie ist Herrschaftskritik.
Der deutsche Schöpfungsbegriff hat die Welt insgesamt in den Kelch transponiert. Heideggers Dasein als In-der-Welt-Sein, Produkt des Vorlaufens in den Tod, ist der genaueste Ausdruck davon.
Ist nicht Heideggers Eigentlichkeit ein letzter Nachhall von Hegels Bewußtsein der Freiheit, das selber schon den Hinweis darauf mit einschließt, daß hier das Subjekt zum Opfer seiner eigenen List der Vernunft geworden ist? Hegels Bewußtsein der Freiheit ist Ausdruck der tiefsten Verzweiflung, der Heidegger mit seinem Begriff der Eigentlichkeit noch einen positiven Sinn abzugewinnen versucht: den Sinn von Sein. Die Eigentlichkeit hängt mit dem Sinn von Sein auch insofern zusammen, als sie daran erinnert, daß die Subjektqualität an die Funktion des Urteilens gebunden ist, dessen Kern die Kopula, das Sein, ist. Aber Eigentlichkeit konstituiert sich nur, wenn zugleich verdrängt wird, daß der Urteilende das Urteil auch über sich selbst aufrichtet, selber zum Objekt des Urteils wird (Ableitung der Schicksalsidee aus der Urteilsform). Wenn Kants erhabene Nüchternheit gegen den ontologischen Gottesbeweis an der Differenz zwischen dem realen und einem bloß gedachten Vermögen festhält, so rührt Kant damit an die im Weltbegriff selber verankerte Beziehung des Infinitivs Sein zum Possessivpronomen der dritten Person singular, männlich, das ebenfalls durch das Wort „Sein“ ausgedrückt wird.
Lassen sich nicht die Bemerkung aus der Dialektik der Aufklärung, daß „jedes Tier an ein abgründiges Unglück (erinnert), das in der Urzeit sich ereignet hat“, und der darauf bezogene Wunsch, „daß der Mensch, der durch Vergangenes mit ihm eins ist, den erlösenden Spruch findet und durch ihn das steinerne Herz der Unendlichkeit am Ende erweicht“ (Neupublikation 1969, S. 264), die ohnehin an prophetische Zusammenhänge erinnern, auf das apokalyptische Tier, auf die Kirche (das steinerne Herz der Welt) und auf das Wort vom Binden und Lösen beziehen?
Wenn man sieht, daß ein Kind in den Brunnen fällt, bedarf es keiner Autorität, die einem sagt, was zu tun ist. Aber gibt es nicht auch den andern Fall, daß einer in den Abgrund geschaut hat, in den nicht mehr nur ein Kind fällt, dem vielmehr die Welt, die ihn aus sich selbst erzeugt, zurast: Sind die Konsequenzen dann nicht ebenso zwingend und spontan wie im Falle des Kindes und des Brunnens? Ist es dann nicht ebenso wichtig, die Mechanik dieses Vorgangs zu studieren in der absurden Hoffnung, vielleicht doch noch die Stelle zu finden, an der ein Eingreifen möglich ist?
Die kopernikanische Wende hat die Voraussetzungen für den Kapitalismus geschaffen, sie hat den Weg freigemacht.
„Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.“ (Dialektik der Aufklärung, 1969, S. 19) -
13.6.1995
Die Wahrheit des Dezisionismus ist das Bewußtsein des ungeheuren Gewaltpotentials, das der Zivilisationsprozeß erzeugt hat.
Mit dem Begriff der Intersubjektivität ist schon eine apriorische Vorentscheidung getroffen, die innerhalb der Philosophie nicht sich rückgängig machen läßt.
Intersubjektivität entscheidet den Hegelschen Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zugunsten des Anderen, bringt das Eine zum Verschwinden. Ins Deutsche übersetzt heißt Intersubjektivität: Anpassung an die Welt, wie sie nun einmal ist. Das eröffnet dann den Spielraum fürs „Experimentieren“, tastet aber die Maschine nicht mehr an.
Der Begriff der intersubjektiven Vernunft verletzt das Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen.
Philosophie und Projektion: Es stimmt, daß wir nur das erkennen, was wir in die Dinge hineinprojizieren (und der Begriff der Intersubjektivität sanktioniert diese Projektion, die eine kollektive ist). Nur daß wir im Prozeß dieser Projektion den eigenen blinden Fleck herausarbeiten, dessen Reflexion dann die Philosophie wäre. Die Hegelsche Philosophie (Hegels Logik) ist dieser gleichsam entfaltete und durchorganisierte blinde Fleck.
Zu Metz: Die „Verweltlichung der Welt“, das ist die Entfaltung des blinden Flecks.
Kann es sein, daß die memoria passionis mit dem Gebot der Feindesliebe konvergiert? Oder umgekehrt: Ist nicht das Gebot der Feindesliebe der Hebel, mit dessen Hilfe Moderne und Religion gemeinsam auszuhebeln wären, damit beide sich erfüllen? Was in der Verweltlichung der Welt sich herausarbeitet, ist der „Feind“, in dem wir uns selbst (unser eigenes Angesicht) erkennen. In diesen Zusammenhang gehört das Wort vom Greuel der Verwüstung am heiligen Ort. – Ist nicht die Aufklärung der Feind, in dem die Kirche sich selbst erkennen würde, wenn sie aus dem eigenen blinden Fleck heraustritt? Und ist nicht Religion selber heute der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort?
Die memoria passionis gewinnt konkrete Gestalt erst im Kontext des parakletischen Denkens. Und der Universalimus kommt zu sich selber in dem Satz, daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken (zusammen mit dem Jeremias-Wort, daß keiner den Andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen).
Hat Hegel nicht, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die Logik transponierte, die transzendentale Ästhetik erst recht unangreifbar und undurchschaubar gemacht?
Warum gibt es in der ganzen Adorno-Schule niemand, der einen Kommentar zu Hegels Logik schreibt? Das Potential, das den Bann hätte lösen können, war da.
Der Titel des Werks von Hermann Cohen „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ ist bis heute uneingelöst. – Vgl. insbesondere die Bemerkung Cohens, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, die Emmanuel Levinas dann so verschärft hat: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ, nicht im Indikativ. Hierin liegt das Programm der Gotteserkenntnis, der Grund der Unterscheidung von Gebot und Gesetz und die Dekonstruktion des Begriffs der Intersubjektivität (die das Subjekt zum Objekt seiner eigenen Formen der Anschauung macht).
Das Angesicht ist eine logische Konstruktion: die Grenze, an der die Logik sinnlich wird.
Der Begriff ist ein Totengedenken und Hegels Philosophie ein Heldenfriedhof (und Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ ein Versuch, selber noch einen Platz auf diesem Heldenfriedhof zu erhalten). Aber wäre nicht dieses Totengedenken aufzusprengen, in ihm die Kraft des Namens wiederzuerwecken, denn Gott ist kein Gott der Toten (und: Laßt die Toten ihre Toten begraben).
Der Mörfelder Wald ist durchsetzt von Erinnerungen an die Startbahn-Auseinandersetzungen, in denen kommunikatives Handeln durch Schlagstock und Wasserwerfer erfahren werden konnte.
Die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns hat das hilflose Postulat des gewaltfreien Diskurses an die Stelle der Reflexion der Gewalt gesetzt: Sie hat der eingreifenden Argumentation entsagt und, ohne es noch zu bemerken, ihr Vertrauen in die Kräfte des sich selbst regulierenden Marktes, die selber eine der Quellen der Gewalt ist, gesetzt.
Als der Studentenprotest aus der Öffentlichkeit herausgeprügelt worden ist, ist die raf in die Studentenbewegung hineingeprügelt worden.
Es gehört zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, wenn es nicht gelungen ist, Derrida’s unverschämte Benjamin-Kritik öffentlichkeitswirksam zu destruieren.
Wäre nicht die Frage von Maimonides, ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal da gewesen ist, auch in die christliche Theologie mit aufzunehmen: Muß Christus, wenn er wiederkommen wird, notwendig das Antlitz dessen tragen, der im Stall geboren wurde und am Kreuze starb?
Theologie im Angesicht Gottes wäre nicht mehr religiös, sondern politisch.
Der Name der Theologie wäre zu retten, wenn der Logos die Erinnerung an den Begriff in sich tilgen und die Kraft des Namens in sich wachrufen würde. Schwieriger wäre es mit dem Namen der Philosophie: Hier wäre aus der Sophia das Abgeklärte zu entfernen.
Die Fähigkeit zur Reflexion der Gewalt hängt auf eine sehr merkwürdige Weise mit der Fähigkeit zur Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung zusammen: Die subjektiven Formen der Anschauung erbringen (gemeinsam mit dem Weltbegriff) eine Vorleistung, deren Reflexion die der Gewalt überhaupt erst ermöglicht.
In dem Augenblick, als man den Raum durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen in ihm definierte, als man ihn gegen die Zeit verselbständigte, zusammen mit der Geometrisierung des Raumes, wurde die Idee der Umkehr destruiert. Über diese Logik hängen Orthogonalität und Orthodoxie mit einander zusammen.
Zur Geschichte der Scham (zu ihrer Ursprungsgeschichte im Sündenfall) gehören auch die Benennung der Tiere durch Adam und die Erschaffung der Eva. Gehört nicht der Tierkreis zur Benennung der Tiere durch Adam, das Planetensystem zur Vertreibung aus dem Paradies und zum Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert? -
12.6.1995
Zur memoria passionis gehört auch die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Leidensseite des Handelns, die Fähigkeit zur Empathie, zur Barmherzigkeit, die Einübung der Sensibilität, der Identifikation mit dem Anderen: die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen.
Die Schrift verwirrt die Unmittelbarkeit, das Geld die Barmherzigkeit und das Bekenntnis das Angesicht.
Die Trinitätslehre ist eine Schutzimpfung gegen das biblische Symbol.
Die Apologetik verrät, was sie verteidigt.
Der der Personalisierung zugrunde liegende Rachetrieb verharmlost, was er anprangert, und verhindert die Erkenntnis, daß die Strukturen überleben.
Verwaltung: Die wohldotierte Verantwortungslosigkeit.
Wie es scheint, geht es dem BAW nicht mehr um Erkenntnis, sondern nur noch um Diskriminierung. Er hat sich längst selber politisch instrumentalisiert.
Die altkirchliche Basilika (der Name gründet in einem Adjektiv basilikä = königlich: die königliche <Halle>) ist hervorgegangen aus der römischen Basilika, einem kommunalen Mehrzweckbau mit repräsentativem Charakter, der als Markthalle, Bankgebäude und Börse, als Gerichtssaal und allgemeiner Treffpunkt diente (dtv-Atlas zur Baukunst I, S. 231). Vor den Christen hatten bereits jüdische Gemeinden den Typ der Basilika für ihre Synagogen übernommen (S. 259). Im Gegensatz zum Tempel, der in erster Linie Haus des Gottes (des göttlichen Namens bzw. der Statue des Gottes) war, war die Basilika ein Versammlungsraum, der Ort der Gemeinde, der ekklesia. Zum Namen: War die Basilika nicht in der Tat die königliche Halle, der Ort, der den gesamten Bereich königlicher Kompetenzen, den Bereich, für den dann der Name der Welt sich durchsetzte, repräsentierte, vom Kommerz über das Geldwesen bis zum Gericht. Die Basilika war gleichsam der Mikrokosmos, die embryonale Welt, der Quellpunkt des Objektivationsprozesses. Und genau dieser Ort wurde zum Ort der Kirche. In welcher Beziehung steht dieser Zusammenhang zur Geschichte der Architektur, die – unter christlichem Vorzeichen – in erster Linie eine Geschichte der krichlichen Architektur war: Läßt sich daran nicht die Herrschaftsgeschichte ablesen (Herrschaftsgeschichte als Vorgeschichte der der naturwissenschaftlichen Aufklärung, die selber als Geschichte der Verinnerlichung der Architektur sich begreifen läßt)? -
11.6.1995
Creatio mundi ex nihilo: Hat das nicht mehr mit einer Theorie der Banken, mit dem Problem der Kreditschöpfung, zu tun als mit der Theologie?
Daß Gott den Himmel aufgespannt und die Erde gegründet hat, steht uns das nicht in den Planetenbewegungen am Himmel vor Augen? Drückt in den Planetenbewegungen nicht dieses Aufspannen und Gründen als Tätigkeit sich aus (haben wir darin nicht die Schöpfung als Tätigkeit vor Augen)?
Walter Benjamin hat Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ ergänzt: „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“. Aber wer sind die Hoffnungslosen? Sind es nicht in erster Linie die Toten? Das aber heißt, daß wir die Lehre von der Auferstehung nicht auf uns, sondern nur auf sie noch beziehen können.
Konsequenz aus Peter Brown (Macht und Rhetorik): Ist nicht die Konfessionalisierung des Symbolums eine Folge seines Ursprungs in der Rhetorik?
Die Logik der Schrift verdinglicht das Wort, sie immunisiert die Dinge gegen ihren Namen.
Hodie, si vocem eius audieritis: Wie das Sehen aufs Vergangene, so verweist das Hören aufs Zukünftige (der Begriff subsumiert das Hören unters Sehen).
Die Lateiner haben physis mit natura übersetzt, aber beide Begriffe bezeichnen nicht das Gleiche. Die Differenz ist herrschaftsgeschichtlich vermittelt.
Alle Religionen sind verweltlichte und vergesellschaftete Formen der Gotteserkenntnis. Darum ist jede Religion, der man angehört, die falsche.
Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es keine Verwaltung mehr geben können. (Ein von Verbotsschildern durchsetzter Wald ist kein Wald mehr, sondern ein Verwaltungsobjekt.) Muß man nicht ähnlich wie man sagt, daß die Roten mit dem Geld nicht umgehen können, von den Grünen sagen: Sie können mit der Verwaltung nicht umgehen?
Ist der Jugoslawienkonflikt nicht ein weiteres Indiz dafür, daß Politik generell in Verwaltung überzugehen scheint? Die supranationalen Einrichtungen wie EG und UNO sind reine Verwaltungseinrichtungen, an die die Staaten ihre Souveränität abgegeben haben, denen aber selber jegliche Souveränität abgeht. In einer verwalteten Welt gibt es eigentlich keine Kriege mehr, sondern nur noch Bürgerkriege und Polizeiaktionen. Aber ist es nicht genau diese Konstellation, in der nur Terrorismus noch eine Chance zu haben scheint (u.a. deshalb, weil es zum Terrorismus keine Friedensalternative gibt, sondern nur noch Endlösungen)? Die Ohnmacht der Militärs angesichts der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien hängt damit zusammen. Und was bedeuten diese Vorgänge für das Problem des Verfassungsstaats und der Gewaltenteilung?
Ist es nicht der Verwaltungs- und Polizeistaat, und sind es nicht seine unsauberen Folgeeinrichtungen, die (erstmals im alten Rußland) den Terrorismus, der durch Gesetz und Moral sich nicht mehr gebunden fühlt, gegen sich wachrufen? Terrorismus, die Machtquelle derer, die in den repräsentativen Systemen sich nicht mehr vertreten fühlen, ist Symptom eines herrschafts- und begriffsgeschichtlichen Problems. Das Problem des Terrorismus entspringt den gleichen logischen Gründen, aus denen auch das Problem der „zivilen Nutzung der Atomenergie“ hervorgeht, und es ist ebenso lange wie dieses nicht lösbar.
Das Engelssche Konzept der „Verwaltung von Sachen“ als Grundlage einer befreiten Gesellschaft, an dem der „real existierende Sozialismus“ gescheitert ist, ist ebenso antisemitisch, paranoid und frauenfeindlich wie die Trinitätslehre.
Was bedeutet die in der Theologie üblich gewordene Verletzung des Verbots, den Gottesnamen auszusprechen, (das „Jahwe“) für die Geschichte der Trinitätslehre? Steht nicht der Gottesname „Vater“ im Christentum in der Adonai-Tradition (als Versuch der „Humanisierung“ des Namens „Herr“)?
Die kirchliche Tradition kennt keine Patriarchen, nur „Kirchenväter“. Und niemand würde auf die Idee kommen, in Analogie zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vom Gott des Johannes Chrysostomus, des Gregor von Nazianz oder des hl. Augustinus zu sprechen.
Das Problem der Kirche ist, daß sie mit der Anwendung des Objektivationsprozesses auf die Theologie, mit der Instrumentalisierung des Dogmas und mit der Errichtung des kirchlichen Lehramts den Heiligen Geist unters Herrendenken subsumiert hat.
Hat Habermas, als er die Naturspekulation aus der Philosophie ausgeschieden hat, das prophetische Element aus der Frankfurter Schule vertrieben? Mit der Ausscheidung der Reflexion der Natur hat er der Kapitalismus-Kritik den Boden entzogen. -
10.6.1995
Der christliche Fundamentalismus nimmt das Dogma wörtlich, der islamische den Koran. Beide sind unfähig zur Reflexion (zur Sprachreflexion).
Der Ursprung des Bewußtseins (seine Trennung von der Wirklichkeit) hängt mit dem Ursprung der List und der Verstellung zusammen. Der Begriff der Welt bezeichnet ein System aus List und Verstellung.
Leitfaden der Erinnerungsarbeit ist der Name.
Geschichte ist Weltgeschichte, und die Geschichte vor der Geschichte ist Vorgeschichte. Die altorientalische Geschichte ist die Ursprungsgeschichte der Weltgeschichte (die Wasserscheide ist die Schrift).
Die Trennung des Dings von der Sache bezeichnet einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Urteils. Die Beziehung von Ding und Sache wird in der Hegelschen Philosophie durch die Beziehung der Logik zur Geschichtsphilosophie repräsentiert.
Hegels List der Vernunft bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, eigentlich das objektive Korrelat der Philosophie. (Was drückt darin sich aus, wenn nach aristotelischer Tradition der intellectus agens jenseits der Mondsphäre angesiedelt war?)
Der Reni’sche Blick ist der Pfaffenblick, die geheuchelte Gottesfurcht (die Gottesfurcht für andere), wie sie in jüngster Zeit an Höffner und am Papst zu sehen war.
Daß zuerst das Licht und erst danach die Leuchten am Firmament erschaffen wurden, verweist auf die Priorität des Worts vor den sprechenden Wesen. Hängt damit das Versprechen an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich sein wie die Sterne des Himmels, zusammen?
Die Theologie hat die Logik der Welt in sich aufgesogen; dadurch ist sie zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Einfallstor der Welt, oder auch die Nabelschnur zur Welt, war der Bekenntnisbegriff.
Warum ist es mir als Kind nie zum Bewußtsein gekommen, was es für die Familie Maashänser bedeuten mußte, daß Gerhard in Dachau war? War nicht die KZ-Haft von Gerhard für mich nur ein Abstraktum, etwas nicht Vorstellbares: Verfolgt wurde, und im KZ war für mich die Kirche (und Gerhard nur als Repräsentant der Kirche). – Hängt das nicht mit dem Paulinismus zusammen (auch Paulus hat – seinem eigenen Bewußtsein nach – nicht Stephanus, sondern die Gemeinde verfolgt und gesteinigt)? – Wäre ich in der Lage gewesen, die Sache auf Gerhard Maashänser zu beziehen, dann hätte ich auch den Antisemitismus damals anders erfahren. Der Katholizismus war eine Verkörperung des Begriffsrealismus, und der Thomismus nur eine Kompromißbildung, die es der Kirche erlaubt hat, den Nominalimus zu überwintern. Dieser Begriffsrealismus hat Auschwitz nicht überlebt. (Ist nicht die memoria passionis von Metz, wenn er sie wirklich begreift, der Ausbruch aus dem Begriffsrealismus?)
Auschwitz ist auch ein Vorgang in der Geschichte der Philosophie. Die Dialektik der Aufklärung ist der Anfang des Bewußtseins davon.
Hängt es nicht damit, daß die Kirche als Verkörperung des Begriffsrealismus sich begreifen läßt, zusammen, wenn die Beziehung der Theologie zu den Naturwissenschaften zentral geworden ist?
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8.6.1995
Hermes oder Idealisierung als Schuldverschiebung: Die Waage (Symbol des Gerichts) macht Gewichte (Schuld) vergleichbar, indem sie auf sich selbst ableitet (die Schuld auf sich nimmt, scheinbar hinwegnimmt, und die Objekte zu Objekten idealisiert). – Haben die Schalen der Waage etwas mit dem Kelchsymbol (und mit der Logik der subjektiven Formen der Anschauung) zu tun?
Ist die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf das Sonnensystem nicht vergleichbar mit der Anwendung des Strafrechts auf zwischenstaatliche Probleme (und ist sie nicht ähnlich problematisch)? – Kann man die Massen von Sonne, Mond, Erde und Planeten, ihre „Gewichte“, (auch nur in Gedanken) mit Hilfe einer Waage vergleichen und bestimmen? Oder ist nicht das Gravitationsgesetz diese Waage (der logische Grund der Vergleichbarkeit der „Massen“ von Sonne, Mond, Erde und Planeten, und damit der Grund der Anwendbarkeit dieses Begriffs in dieser Sphäre); auf welchem Boden steht diese Waage: welche Waage und welcher Boden würde dem gemeinsamen Gewicht von Sonne, Mond, Erde und Planeten standhalten? – Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz sind beide Waage und Boden zugleich: Darin ist die Identität von träger und schwerer Masse begründet, oder genauer: Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz begründen sich wechselseitig.
Sch’ma Jisrael (mit den Ohren lesen): Der Islam nimmt den Koran „wörtlich“, das Christentum das Dogma, das „orthodoxe“ Verständnis der Schrift (nur der Theologe weiß, was der biblische Autor gemeint hat). Beide stehen unter dem Bann der Logik der Schrift (der Bekenntnislogik), beide sind unfähig zur Sprachreflexion: Beide haben verlernt zu hören, sind taub.
Peter Brown: Macht und Rhetorik in der Spätantike. In der machtorientierten Welt der Spätantike (des römischen Reiches) ist die Sprache zur Rhetorik geworden: zu einem Instrument der Demonstration, der Verschleierung und der Ausschmückung von Macht. In welcher Beziehung stehen hierzu die Vätertheologie, das Selbstverständnis der Kirche und die Ausformulierung des Dogmas, die Orthodoxie (der Begriff und die Sache)?
Die Trennung von Macht und Rhetorik ist ein Teil der Geschichte der Trennung von Wirklichkeit und Sprache (die von der Entmächtigung der Sprache, die nur noch äußerlich auf die Sache sich bezieht, ausgeht).
Der Name gründet in Gott, der Begriff im Staat.
Das Neutrum entspringt gemeinsam mit der Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum, die mit der anderen Vorstellung verbunden ist, daß jede Zukunft einmal vergangen sein wird. Das Neutrum antizipiert die Vergangenheit der Zukunft, es kennt das Leben ebenso wie das Licht nur als vergangenes. -
7.6.1995
„Was dir auch begegnet, es war dir von Ewigkeit her vorbestimmt …“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, X, 5). Dieser Satz konvergiert mit dem berüchtigten Hegelschen Satz „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“ (Vorrede zur Rechtsphilosophie), von dem er (inhaltlich) nur durch zwei Momente unterscheidet: durch die persönliche Ansprache des Lesers, durch das Du („Was dir auch begegnet“), und durch die Bezugnahme auf die Ewigkeit, deren Begriff hier freilich von dem des „Überzeitlichen“ sich nicht abzuheben scheint, was den Satz in die gleiche Schicksalslogik bannt, die auch den Hegelschen Satz durchherrscht. Erst der Sprachsinn der Ewigkeit, der von dem des Überzeitlichen dadurch sich unterscheidet, daß er jede Vergangenheit von sich ausschließt, der dann allerdings auch die Ersetzung des Präteritums (war) durch das Präsens (ist) erforderlich macht, vermag dem Satz einen nachvollziehbaren Sinn zu geben, dessen genaue Formulierung so lauten könnte: „was dir auch begegnet, seiner Wahrheit wirst du nur im Lichte des Ewigen (im Lichte des göttlichen Angesichts) inne“. – Hat nicht das kontrafaktische Urteil (ein Instrument des Schuldverschubsystems) genau die Funktion, die Gegenwart von der Last der Ethik zu befreien?
Wer die Last der Schuld auf sich nimmt, befreit sich von ihr; wer sie verdrängt, befreit sich von der Last der Ethik.
Zivilisationsbruch: Auschwitz hat den Planeten aus seiner Bahn geworfen; er ist zu einem Kometen geworden, der nur ihm Augenblick noch einer stabilen Planetenbahn ähnlich sieht.
Auschwitz hat die Theodizee widerlegt (sie als ein Scheinproblem erwiesen, mehr noch: als das Harakiri der Theologie). Die Theologie (oder die Existenz Gottes) wird durch Auschwitz weder bewiesen noch widerlegt. Die Vorstellung, daß das Gute an seinem weltlichen Erfolg erkannt werden kann und das Böse am Mißerfolg als Ausdruck der Strafe, die es unweigerlich nach sich zieht, ist blasphemisch, sie instrumentalisiert die Religion, macht sie zur Religion für andere, sie entzieht der Religion ihren einzigen Grund, den ethischen. Insbesondere für die, die in der Tradition der Täter stehen, für Christen und für Deutsche, müßte der Gedanken, daß Gott sich für Auschwitz rechtfertigen müsse, schon im Ansatz sich von selbst verbieten.
Marc Aurel spricht von der „Mutter Natur“ und von der „Welt, die dich zeugt“ (X, 7 und XII, 1).
Gott hat die Welt aus Nichts erschaffen, warum nicht die Natur?
Allwissend: Beispiel dafür, daß schon ein einzelner Begriff sich selbst widersprechend sein kann.
Wenn es Leben auf andern Sternen gibt, dann braucht man es auf dieser Erde nicht zu achten.
Inversion: Das Feindbild gehört zur Bekenntnislogik, weil es das Schuldverschubsystem begründet. Das „Glaubensbekenntnis“ ist die Umkehrung des Schuldbekenntnisses; es löst sich auf, wenn ich die Sünde der Welt auf mich nehme (wenn ich des Schuldverschubsystems, der Projektion, nicht mehr bedarf.
Nekrophilie: Nach der Apokalypse gibt es am Ende eine Zeit, in der die Menschen den Tod suchen, ihn aber nicht finden werden. -
4.6.1995
Der Antisemit ist unbelehrbar, weil das Vorurteil das pathologisch gute Gewissen mit einschließt: die Exkulpationsautomatik. Grundlage dieser Exkulpationsautomatik ist das Schuldverschubsystem, dessen logischer Kern die Bekenntnislogik ist.
Die Übernahme der Sünde der Welt sprengt die Bekenntnislogik und schafft der Barmherzigkeit den Grund.
Gibt es im Hebräischen den Indikativ? Die indoeuropäischen Formen der Konjugation unterscheiden sich von den hebräischen dadurch, daß sie das Handeln der Zeit subsumieren. Aber damit (mit der Subsumtion des Handelns unter die Zeit) werden die Dinge dem Raum unterworfen (von ihren Eigenschaften getrennt). Was bedeutet das für die Formen der Deklination („Eine ausgebildete Kasusflexion gibt es im Hebräischen nicht mehr(!)“ – Körner: Hebräische Studiengrammatik, S. 90: So können Zeitfolgen verwechselt werden)?
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Was dem Indikativ zu entsprechen scheint, der Narrativ (wie umgekehrt dem Konjunktiv der Finalis), unterscheidet sich durch eine charakteristische Differenz: Während der Narrativ den alles Erzählen beherrschenden Grundton der Trauer (das Bewußtsein der Vergangenheit dessen, wovon erzählt wird) in sich enthält, hat der Indikativ diese Trauer verdrängt, die die Vergangenheit begründende Kraft sich zueigen gemacht: als objektivierende, determinierende und bestimmende Gewalt des Begriffs (der Indikativ instrumentalisiert die Vergangenheit: er setzt sprachlogisch das die Vergangenheit abschließende indoeuropäische Perfekt voraus). Ohne Indikativ gäbe es keine Ontologie und kein Wissen. Die Differenz, die den Konjunktiv vom Finalis unterscheidet, hängt damit zusammen: Beide beziehen sich auf Ziele, aber während der Finalis von der Objektivität der Ziele (von ihrer objektiv begründenden Kraft) ausgeht, gründet der Konjunktiv in der Subjektivierung alles Zwecke, in der die Kategorie des Möglichen begründet ist (hier wurde der Grund für den Nominalismus, für die Zerstörung zunächst der benennenden, dann der argumentativen Kraft der Sprache gelegt). Es rührt an tiefe sprachlogische und sprachgeschichtliche Zusammenhänge, wenn das Hilfsverb „Sein“ (die Grundkategorie des Indikativs) zugleich als Possessivpronomen der dritten Person singular maskulinum Verwendung findet, und das Hilfsverb „Würde“ (die Grundkategorie des Konjunktiv), in der Lage ist, – bezeichnenderweise nach einem Genus-Wechsel, nach Transformation ins Feminine – so etwas wie die „Würde des Menschen“ (seine Fähigkeit und sein Recht, sich selbst Ziele zu setzen: Grund des Naturrechts, des Begriffs wie auch der Sache, die mit dem Begriff der Würde überhaupt erst entspringt) zu bezeichnen. Waren nicht die Namen der „Wilden“ und der „Barbaren“ herrschaftsgeschichtlich und zugleich sprachlogisch begründet: als Bezeichnungen für Völker, die
– wie die Wilden außerhalb jeden staatlichen Zusammenhangs (in dem der Begriff der Würde und des Naturrechts allein sich definieren und begründen läßt) oder
– wie die Barbaren außerhalb des eigenen Staates (außerhalb der durch den Staat definierten und nur für die Bürger des Staats geltenden Seins- und d.h. Eigentumsordnung) lebten?
Die Tatsache, daß die kantische Vernunftkritik nur als Gesellschaftskritik, nicht aber als Wissenschaftskritik überlebt hat und historisch wirksam geworden ist, daß der wissenschaftskritische Grund der kantischen Philosophie aus ideologischen Gründen verdrängt worden ist, scheint damit zusammenzuhängen, daß eine von ihrem wissenschaftskritischen Grund abgelöste Gesellschaftskritik noch als Entlastungswissenschaft sich mißbrauchen läßt. Nur so war es möglich, den Habitus des in die Sache nicht verstrickten neutralen Zuschauers, dem die Antinomien der reinen Vernunft den Boden entzogen hatten, zu rekonstituieren. Hat nicht Hegel dem vorgearbeitet, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus ihrer Beziehung zur transzentendentalen Ästhetik löste und der Logik zuordnete, sie gleichsam als Motor in den dialektischen Prozeß mit einbaute? Ähnlich scheint das Bemühen der Habermas-Schüler motiviert zu sein, das Aufstörende an der Dialektik der Aufklärung (und das ist wiederum ihr wissenschaftskritisches Element) endlich zu neutralisieren.
Der Weltbegriff ist eine Funktion der Herrschaftsgeschichte: Ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft.
Gegen Habermas: Ein herrschaftsfreier Diskurs ist erst dann möglich, wenn es gelingt, Herrschaft bis in ihre Wurzeln (die in den Abgrund hineinreichen) zu reflektieren, ans Licht zu holen. Aber das geht nicht ein für allemal (durch eine dem Wissenschaftsbegriff genügende Theorie). Diese Reflexion mißlingt, wenn sie nicht auf ihren Zeitkern rekurriert. Habermas hat diese Reflexion prinzipiell verfehlt, als er die Natur ausschloß.
Für mich ist die Nazizeit nicht vergangen, sondern gegenwärtig: Ich habe in den Abgrund geschaut.
Hat Jesus nicht den eigenen Vater verdrängt, und den Bann genau dadurch aufgerichtet, daß er ihn vergöttlichte? In den Evangelien tritt sein leiblicher Vater zum letzten Mal auf, als Jesus zum erstenmal seinen himmlischen Vater zitiert. Danach ist er aus dem Leben Jesu (und aus der Geschichte des Christentums) ausgeschieden, verschwunden. Ist nicht die Geburtsgeschichte (mit den Engeln, die Maria real und dem Josef im Traum erscheinen, und mit der Zeugung durch den Heiligen Geist) die Konsequenz daraus? Aber liefert hierzu nicht Freud den Schlüssel in „Totem und Tabu“, in seinem psychoanalytischen Mythos von der Tötung des Urvaters, dem sakramentalen Urkannibalismus und der Entstehung der Brüderhorde? Trägt nicht das Christentum Züge dieser Brüderhorde (mit dem späten Echo in der Ode an die Freude: Alle Menschen werden Brüder – nicht nur ein anatomisch unmöglicher Wunsch, sondern einer, der erst wahr wird, wenn man ihn umkehrt, wenn endlich alle Brüder Menschen werden).
Der Marxsche Satz „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ war eine Kampfparole gegen den Idealismus. Und nur in dieser Funktion ist er wahr. Er hat Recht gegen einen Idealismus, der davon ausgeht, das das Bewußtsein jetzt schon das Sein bestimmt. Aber entscheidend ist nicht die gleichsam ontologische Differenz von Materialismus und Idealismus, sondern die zeitliche: Daß das Sein immer noch das Bewußtsein bestimmt, das ist die Katastrophe; und ist der Wunsch, daß endlich das Bewußtsein das Sein bestimmen möge, daß der Bann des Schicksals durchbrochen wird und der „entsetzliche Fatalismus der Geschichte“ ein Ende hat, nicht der Kern der Utopie?
Ist nicht mein Faschismus-Trauma eine Anwendung des Satzes „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“? Bei mir war’s das faschistische Sein, das mein Bewußtsein bestimmt hat, auch wenn ich selbst einmal geglaubt hatte, ich sei immun dagegen gewesen. Und ist nicht dieser Satz in der Geschichte des Marxismus die Basis des ontologischen Vorurteils, des fundamentalistischen Mißverständnisses der Marxschen Theorie, seines Mißbrauchs als Herrschaftsmittel, als Ideologie, gewesen? -
3.6.1995
David und Goliath: Das Monster mit einer Steinschleuder töten, und ihm dann das Schwert rauben (ist nicht für das Kind der Vater dieses reflexionsunfähige Monster).
Das indoeuropäische Perfekt ist der genaueste Ausdruck der „vollendeten Tatsachen“, die dann das Präsens begründen.
Zur Geschichte der Verinnerlichung des Opfers: Die Physik ist das Sklavenhaus Ägypten, der Kommerz Babylon.
Haben Adler und Löwe etwas mit Zorn und Grimm zu tun? Und hat die „Schnauze“ der Tiere generell etwas mit dem Grimm zu tun? -
2.6.1995
Die letzte Stelle, an der Josef in den Evangelien genannt wird, ist auch die erste, an der Jesus Gott seinen Vater nennt.
„Ha Ha“: Im Hebräischen wird das Lachen durch die Trennung des bestimmten Artikels vom Nomen und seine anschließende Verdoppelung ausgedrückt. Vertritt nicht der bestimmte Artikel überhaupt das Lachen in der Logik der Sprache, und ergreift dieses Lachen mit der Deklination des bestimmten Artikels das Nomen insgesamt (und verwandelt – durch Bindung an das vom Nomen getrennte Objekt – es ins Substantiv)?
Rosenzweig hat den Islam ein Plagiat genannt. Ein Plagiat wäre er dann aber in einem doppelten Sinne: im Hinblick sowohl auf die jüdische, als auch auf die christliche Religion. Ist er nicht Produkt eines mißlungenen Versuchs der Vereinigung beider? Der Islam ist in einem prononzierten Sinne eine Schrift- und Buch-Religion, und er ist unmittelbar eine politische, das Gemeinwesen bestimmende Relition: Allah hat den Koran selbst diktiert, und der Koran gilt unmittelbar als staatliches Gesetz. Er kennt nichts, was der Unterscheidung von Schrift und Wort, und er kennt nichts, was der Erfüllung des Worts (der Dramatik des Tags des Herrn, des Jüngsten Gerichts) in der jüdisch-christlichen Tradition entsprechen würde. Die Schrift ist bereits das Wort, nicht der Mutterschoß, aus dem es, wenn es sich erfüllt, hervorgehen wird. Deshalb bleibt sie der kritischen Reflexion entzogen. Die Schrift, in der der Koran geschrieben wurde, ist keine „hebräische“; die Erinnerung an den Zusammenhang von Schrift (Logik der Schrift) und Fremdheit ist aus dem Koran getilgt. Wo die biblische Tradition herrschaftskritisch ist (als Gebot), ist der Koran affirmativ (Gesetz). Während der Koran wörtlich genommen werden will, ist die Wörtlichkeit der Bibel eine real- und sprachgeschichtlich vermittelte und sich entfaltende und in dem Sinne eine symbolische. (Das Symbolische hat einen Zeit- und Sprachkern.) Läßt der Islam als Versuch sich begreifen, die Herrschaftslogik der indoeuropäischen Sprache gegen den Geist der semitischen Sprache in dieser durchzusetzen?
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