Oktober 1995

  • 19.10.1995

    Greuelmärchen: Der bei den 68ern beliebte Satz „Unsere Kinder sollen uns später nicht vorwerfen können, wir hätten nichts getan“ bezeichnet genau die Falle des hilflosen Antifaschismus der Nachgeborenen. Schrecklich am Faschismus ist nicht der Vorwurf, dem er uns Überlebende aussetzt, sondern das Grauen, das unsere Erinnerung durchherrscht und (mit der Gewalt der Rechtfertigungszwänge und des Pathologieverdachts) verhindert zugleich. Die Verdrängung des Grauens ist der Nährboden des neuen, angepaßten Faschismus, der mit dem alten nicht einfach identisch ist, der sein Erscheinungsbild (sein „Image“) so beherrscht, daß er dem Vorwurf keine Angriffsfläche mehr bietet (er kann es sich nicht nur leisten, er ist vielmehr sogar interessiert daran, die Gewalt zu provozieren, die ihn dann in der Öffentlichkeit rechtfertigt). Die Nazis nannten Berichte über die Greueltaten, die sie verübten, „Greuelmärchen“. Heute ist die Realität selber zum Greuelmärchen geworden; Realität und Öffentlichkeit fallen beziehungslos auseinander, die Realität hat keine Öffentlichkeit mehr. Hier liegt der wirkliche Strukturwandel der Öffentlichkeit, den Habermas nie begriffen hat. Die Medien lassen sich heute als eine Einrichtung zur Verhinderung des Bewußtseins begreifen. Dieser „Fortschritt“ des Bewußtseins entspricht dem Fortschritt vom Rundfunk zum Fernsehen. Schlimmer als die faschistische Hörigkeit ist die durchorganisierte Bilderwelt, die über das Vorstellungsvermögen jeden Ausweg verstopft. Zur Gewalt des Pathologieverdachts: Der angepaßte Faschismus ist die Normalität, an der heute jede Abweichung gemessen wird. So entfaltet sich eine Situation, in der der Verrückte normal und der Normale verrückt ist, nur daß beide es nicht mehr wissen. Die raf hat sich zu einem Instrument des Staates machen lassen, mit dessen Hilfe es ihm gelungen ist, jegliche Kritik zu diskriminieren. Zu den Fallen des angepaßten Neofaschismus gehört – die Selbsthistorisierung oder die präventive Scham (sich selbst im Blick der Nachfahren sehen: unsere Kinder sollen uns später nicht den Vorwurf machen können, …), – die Opferfalle (ich bin Opfer, ergo unschuldig) und – die Gewaltfalle (in die die raf hineingerannt ist; Instrumentalisierung der Methode: Haltet den Dieb). Diese Konstellation gründet in einer Gestalt der Erkenntnis, die zu den Formen der Anschauung und zur Herrschaft der apriorischen Urteilsformen keine Alternative mehr kennt (hat sie nicht einen trinitarischen Hintergrund: Vater-, Sohn- und Geistfalle)? Hat die nachfaschistische Beziehung der Realität zur Öffentlichkeit (zum Bewußtsein) etwas mit der Beziehung des Tieres aus dem Meer zum Tier vom Lande zu tun? Erinnerungsarbeit ist Trauerarbeit, der Kampf gegen die neutralisierende, vergegenständlichende Gewalt der Vergangenheit. Wer den Faschismus als das Grauen, das er war, erfahren hat, dem wird der Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die „Kirche“) nicht überwältigen werden, kostbar. Sind die Planeten Brennpunkte einer siebendimensionalen Ellipse? Bezieht sich die Vorstellung aus dem Sohar, nach dem die sechs Richtungen des Raumes auf Gottesnamen versiegelt sind, auf die Planeten, hat diese Vorstellung einen astrologischen Hintergrund? Ist der Tierkreis ein Realsymbol der urzeitlichen Katastrophe, an die der Dialektik der Aufklärung zufolge jedes Tier erinnert, und war diese Katastrophe nicht eine des Verstummens (die Finsternis über dem Abgrund)? Verweist nicht die Astrologie (der Geist über den Wassern) auf die erste Stufe der Rettung: das Sechstagewerk? Die Sonne herrscht über den Tag (das Werk des ersten Tages), der Mond und die Sterne über die Nacht (die im Anfang erschaffene Finsternis über dem Abgrund). Haben die drei ersten Sephirot (die Krone, die Weisheit und die Intelligenz) etwas mit der Schöpfung vor der Schöpfung: mit dem tohu wa bohu, der Finsternis über dem Abgrund und dem Geist über den Wassern, zu tun? Umwelt- und Naturschutz stopfen der Kreatur, die seufzt und in Wehen liegt, den Mund. Die Metamorphosen des Faschismus begreift nur, wer dem Grauen seine Sprache leiht, und das tun u.a. Autoren wie Huidobro und Rosencof. Gibt es eigentlich Unterlagen darüber, in welchem Umfange nach dem Krieg – die Verwaltungen, – der Militärhaushalt, – der Umsatz der Banken, – die Belegung der Knäste, – die Differenz zwischen den Einkommen der Selbständigen und den Einkommen der Lohnabhängigen, – der Anteil der Werbungs- und Vermarktungskosten im Verhältnis zu den Herstellungskosten im „Endverbraucher“-Preis der Waren sich ausgeweitet haben? Versöhnung bezieht sich auf das Verhältnis des Vaters zum Sohn, sie verbleibt innerhalb des Patriarchats. Heute hat sich der Kern des Generationen-Konflikts jedoch auf die Beziehung der Väter zu den Töchtern verschoben. Versöhnung setzte das Opfers voraus, während es nach der Verschiebung des Konflikts zur Barmherzigkeit keine Alternative mehr gibt (der Feminismus rührt an den Grund der Welt, an die Beziehung von Welt und Natur). Barmherzigkeit, nicht Opfer: Dem wird nur noch eine Theologie im Angesicht Gottes gerecht. Ist nicht der Positivismus, die Vereidigung der Wissenschaft auf die intentio recta und die Ausschaltung der Reflexion, letztlich ein Instrument der Verdrängung der Erinnerung des Grauens (das die Gegenwart des Grauens unsichtbar macht und seinen Urhebern das gute Gewissen verleiht): der Trennung von Realität und Öffentlichkeit? Anfrage zu Benajmins Einbahnstraße: Ist der kosmische Rausch nicht barbarisch? Die Physik ist selber das schwarze Loch, und der Urknall wird ihr Ende sein.

  • 18.10.1995

    Das Realsymbol der Konstellation von Gemeinheit (der Veranderung des Andern), Grauen (des Zum-Andern-Werdens für Andere) und der (in der gegenständlich gewordenen Welt) gegenstandslos gewordenen Barmherzigkeit ist der Raum.
    Ihr seid das Licht der Welt (ICH bilde das Licht und schaffe die Finsternis): Das Gewaltmonopol des Staates ist der Grund des Nominalismus (der Finsternis), der Zerstörung der erkennenden Kraft der Sprache (des Lichts), für die die Gewalt eintritt, die die Realität zusammenhält: das Grauen, das immer neu (und nie ein für allemal) bewußtseinsfähig zu machen ist.
    Der Faschismus ist das „wahre Antlitz“ des Staates, weil die Gemeinheit in seinen Wurzeln (der Dünger, der ihn nährt, der Naturgrund der Gewalt) nicht zu tilgen ist.
    Apriorisches Objekt der Gemeinheit ist der Feind: Mit der Gemeinheit breitet sich auch die Feindschaft aus.
    Wer in der Feindschaft das Moment der Trauer tilgt – und genau das tut die Bekenntnislogik -, macht sie erst vollends böse.
    Der Objektivationsprozeß produziert die Finsternis.
    Der Begriff der Empfindung, der die Wahrnehmung blind und taub gemacht hat, ist ein Reflex der Mechanik. Empfindungen sind das sinnliche Äquivalent des Stoßprozesses; Grundlage ist die Vorstellung einer Berührung, eines Stoßes, eines Schlages; jede andere Beziehung zur „Außenwelt“, insbesondere die der gegenständlichen Erkenntnis, ist getilgt und muß ästhetisch, mit Hilfe der Vorstellungskraft des „Erkennenden“, rekonstruiert werden. Das Problem dieser „Rekonstruktion“ aber besteht darin, daß es das Original nicht mehr gibt. Es gibt Welt-, Gottes- und Menschenbilder, aber nichts, was durch diese Bilder abgebildet wird. War das Bilderverbot nicht eine Hilfe gegen die Hybris: Die Bilder, die an die Stelle des Originals treten, sind in Wahrheit Repräsentanten des Subjekts, das auch Bild eines Originals ist, an dessen Stelle es sich setzt.
    Die Ich-bildende Kraft der Bekenntnislogik.
    Wer davon ausgeht, daß in den Menschen der Trieb gut zu sein, drinsteckt, daß die Menschen nichts lieber möchten als gut sein, muß erklären, weshalb sie anders sind.
    Das Grauen des Faschismus lag nicht darin, daß es die brutalen und gemeinen Schläger- und Mörderbanden gab, sondern daß er real und unter Einsatz von Gewalt und Terror den Menschen den Trieb gut zu sein ausgetrieben hat, daß er eine Welt hervorgebracht hat, in der es zur Gewalt und zum Terror keine Alternative mehr zu geben scheint. Und dieses Grauen ist zur Grunderfahrung der Nachwelt des Faschismus geworden.
    Mein ist die Rache, spricht der HERR. Wer den Gott Israels als Rachegott denunziert, möchte sein eigenes Recht auf Rache nicht aus der Hand geben. Er verhält sich zur Theologie wie der Staat zum Mörder (der ihm das Recht zu töten streitig macht): Er verurteilt sie zur lebenslänglichen Haft.

  • 17.10.1995

    Durch die Historisierung wird die Geschichte zum Objekt und zum Fundus des Urteils. Wer den Faschismus nur als vergangenen kennt, als Objekt vergegenständlichender Erkenntnis, hat das Spezifische der Faschismus-Erfahrung, das Grauen, schon verdrängt; so aber verwandeln sich der Schrecken und die Trauer in Empörung, die ihr Objekt zwar nicht mehr erreicht, dafür aber umso heftiger an Ersatzobjekten sich abreagiert. So wird der Faschismus zum indikativischen Prädikat und Adjektiv, zu einem Instrument des Grauens, in dem er überlebt.
    „Grauen um und um“ (Jer 625, 203, 2010, 465, 4929): Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit, weil sie per definitionem das Grauen nicht verdrängt, sondern es bewußtseinsfähig hält. Der Weltbegriff verhindert die Gottesfurcht (die Theologie im Angesicht Gottes), weil ihren Erfahrungsgrund, das Grauen, systematisch verdrängt, durch diese Verdrängung und als deren Instrument sich definiert. Das Grauen ist das gegenständliche Korrelat der Gemeinheit und definiert sich wie diese durch ihre Beziehung zur Barmherzigkeit.
    Jer 625: Geht nicht hinaus auf das Feld, wandert nicht auf die Straße! Denn da wütet das Schwert des Feindes – Entsetzen ringsum. (Zürcher Bibel)
    Gehet nicht hinaus auf das Feld, und gehet nicht auf dem Wege, denn vom Schwerte des Feindes ist Schrecken ringsum. (Zunz)
    Ziehet nimmer aufs Feld, nimmer geht auf den Weg, denn das feindliche Schwert, ein Grauen, ist ringsum. (Buber-Rosenzweig)
    203: Am andern Morgen sodann entließ Pashur den Jeremias wieder aus dem Block. Da sprach Jeremias zu ihm: Nicht Pashur nennt der Herr deinen Namen, sondern ‚Grauen ringsum‘. (Zürcher Bibel)
    Und es geschah am anderen Tage, da entließ Paschchur den Jirmejahu aus dem Stocke, und Jirmejahu sprach zu ihm: Nicht Paschchur (Fülle an Freiheit), hat der Ewige deinen Namen genannt, sondern Magor (Schrecken) ringsum. (Zunz)
    Am Nachmorgen dann wars, da ließ Paschchur Jirmejahu aus dem Block holen. Jirmejahu aber sprach zu ihm: Nicht Paschchur ruft ER deinen Namen, sondern Magor, Grauen, ringsum. (Buber-Rosenzweig)
    2010: Viele schon hörte ich zischeln – welch ein Grauen ringsum! -: ‚Zeiget ihn an!‘ – ‚So wollen wir ihn anzeigen! Ihr seine Vertrauten alle, belauert ihn! Vielleicht läßt er sich betören, daß wir seiner Herr werden und uns an ihm rächen‘. (Zürcher Bibel)
    Ja, ich höre die Lästerung vieler, Zusammenrottung ringsum: Gebet an, so wollen wir ihn angeben! alles befreundete Männer, die auf seinen Sturz lauern; vielleicht läßt er sich betören, und wir vermögen gegen ihn und nehmen unsere Rache an ihm. (Zunz)
    Ja, ich höre das Flüstern der Vielen, ein Grauen ringsum: Meldets! wir wollens melden! Was an Menschen mir im Friedensbund steht, die passen meinem Ausgleiten auf: Vielleicht wird er betört, dann übermögen wir ihn, nehmen an ihm unsere Rache! (Buber-Rosenzweig)
    465: (Über Ägypten) Warum sind sie bestürzt und weichen zurück? warum sind ihre Helden zerschmettert und fliehen in wilder Flucht, daß keiner hinter sich sieht? O Grauen ringsum! spricht der Herr. (Zürcher Bibel)
    Warum sehe ich sie zag zurückweichend, und ihre Helden sind zerschmettert und stürzen in die Flucht, ohne sich umzusehen? Grauen von allen Seiten, ist der Spruch des Herrn. (Zunz)
    Weshalb muß ichs sehen?! Da sind sie, bestürzt, sie weichen zurück, ihre Helden zerstieben, fliehen in Flucht, wenden sich nicht! Grauen ringsum! ist SEIN Erlauten. (Buber-Rosenzweig)
    4929: (Über Kedar und das Königreich Hazor) Zelte und Schafherden soll man ihnen rauben, die Zeltdecken und alle Geräte; auch ihre Kamele soll man ihnen nehmen und über sie ausrufen: Grauen ringsum. (Zürcher Bibel)
    Ihre Zelte und ihre Schafe werden genommen, ihre Teppiche und all ihr Gerät, und ihre Kamele führen sie sich davon, und man ruft ihnen zu: Schrecken von allen Seiten!
    Ihre Zelte nehme man, ihre Schafe, – ihre Teppichbehänge, all ihr Gerät, ihre Kamele führe man sich hinweg, man rufe über sie: Grauen ringsum! (Buber-Rosenzweig)
    Grauen ringsum, das ist
    – das Schwert des Feindes,
    – der „wahre“ Name Paschchurs (des Priesters, des Oberaufsehers im Haus des HERRN),
    – das Zischen, der Denunziationstrieb, die Rachsucht der Menge,
    – die Niederlage Ägyptens (des Sklavenhauses) und
    – die Ausraubung Kedars und Hazors (die den Frieden hassen – Ps 1205).
    Verweist das nicht insgesamt auf die neue, durch die Herrschaft Babylons definierte Situation?

  • 16.10.1995

    Rache des Objekts: Das Wort Faschist läßt sich sowohl als Prädikat als auch als Adjektiv verwenden (X ist ein Faschist; der faschistische Abgeordnete). Er trifft sein Objekt nur von außen, was voraussetzt, daß das Grauen, das er bezeichnet, keine lebendige Erfahrung mehr bezeichnet, weil es vergangen ist. Das Wort Mörder ist nur als Prädikat verwendbar: Es bezeichnet ein Individuum, keine Eigenschaft, oder genauer: eine Eigenschaft, die keine andere neben sich duldet, die unmittelbar individualisierende Wirkung hat. Der Begriff des Mörders hat die gleiche logische Qualität wie der des Objekts: Der Mörder ist das Nicht-Ich, sein Name verdrängt die Subjekteigenschaft dessen, den er bezeichnet. Wenn ich jemanden einen Faschisten nenne, urteile ich über ihn, wenn ich ihn einen Mörder nenne, verurteile ich ihn. Im Falle des Antisemitismus brauche ich „den Juden“ nicht mehr zu verurteilen, er ist von Natur (und nicht durch eine Tat, wie der Mörder) unentrinnbar verurteilt. Das Vorurteil macht im Juden das Nicht-Ich, das Objekt, zum Subjekt. Der adjektivische Gebrauch dieses Namens bezeichnet neben der Zugehörigkeit eines Einzelnen zu dieser Gruppe (zu dieser „Rasse“) ein Ensemble von Eigenschaften, an denen man einen Juden erkennt, von denen aber auch eine Ansteckungsgefahr ausgeht, die auf andere (auf Nicht-Juden) übergreifen kann. Dieses Konstrukt, aus dem das rassenhygienische Ziel der Endlösung zwanglos sich herleiten läßt, unterscheidet den Antisemitismus von jedem anderen Vorurteil. War nicht diese Ansteckungsgefahr die tiefste Angst des Faschismus, der darin die Mechanismen seines eigenen Ursprungs und seiner Ausbreitung und im Juden das Bild seiner selbst wiedererkannte? Nur durch die Projektion auf die Juden war die Wirksamkeit dieser Mechanismen und ihre Legitimation sicherzustellen; sie würden sich selbst auflösen, wenn es gelingen würde, sie ins Bewußtsein zu heben. Hitler, dem in den zwölf Jahren ein ganzes Volk verfallen war, wurde nach dem Krieg nur noch als Popanz, als komische Figur wahrgenommen. Die Anziehungskraft, die diese Figur heute auf die Neue Rechte wieder auszuüben scheint, ist keine unmittelbare, eher eine nostalgische; sie ist, wie es scheint, vermittelt durch die Historisierung des Faschismus, durch ein Bewußtsein, das ihn – dank der „Gnade der späten Geburt“ – nur noch als Vergangenheit kennt.

  • 15.10.1995

    Die Instinktbindung der Tiere gründet in ihrem Objektivismus, den Adam, als er sie benannte, an sie delegiert hat. Adam hat die Tiere benannt, das hat sie verstummen gemacht; es käme heute darauf an, sie von ihrer Stummheit zu befreien, sie zum sprechen zu bringen.
    Gegen die Ankläger hat es die Verteidung immer schwerer. Aber das nicht deshalb, weil die Verteidung die Dinge nicht beim Namen nennt; wenn das tun würde, müßte sie sich auf eine Macht berufen, die sie nicht hat. Die einzige Chance der Verteidigung liegt darin, das, was der Ankläger beim Namen zu nennen versucht, zum Sprechen zu bringen.
    „Mein Gott!“ Gibt es nicht einen gottesfürchtigen Atheismus, einen Atheismus, der das Nichtsein Gottes als Teil der Heiligung Seines Namens begreift, als Unmöglichkeit, Gott in einem Possessivverhältnis zu fassen, als Versuch, Gott von dem dem Sein immanenten Eigentumsanspruch freizuhalten? Die Gottesfurcht beginnt, wenn man begreift, daß der Ausdruck „mein Gott“ blasphemisch ist. Gilt das Gleiche nicht für jede Art von Gottesbeweis?
    Sanctificetur nomen tuum: Welcher Name ist hier gemeint, der des Vaters oder der Gottesname, den auszusprechen verboten ist?
    Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung, der Naturbegriff die Auferstehung; leugnet nicht die Bekenntnisreligion die Offenbarung?
    Das Dogma ist die Narbe an der Stelle, an der Alexander den Knoten, der eigentlich hätte gelöst werden müssen, durchschlagen hat, War der Knoten (der Joch und Deichsel des Ochsenkarrens mit einander verband) der Knoten, der die Objektivierung mit der Instrumentalisierung verknüpfte? Seitdem ist es möglich, das Bewußtsein der mit der Objektivierung verknüpften Instrumentalisierung zu verdrängen. Diese Verdrängung, die die Reflexion des Herrschaftszusammenhangs der Objektivierung verhindert (im Objekt die Spuren des herrschaftsgeschichtlichen Ursprungs seines Begriffs tilgt), ist die Grundlage des Begriffs. Der Inbegriff aller Begriffe ist der Weltbegriff. Deshalb mußte das Dogma (zusammen mit der den Objektbegriff begründenden Opfertheologie) eine Lehre von der Erschaffung der Welt (die von der Schöpfung des Himmels und der Erde unterschieden werden muß) enthalten.
    Der Faschismus ist die Rache des Objekts: Deshalb gibt es keine Kritik des Faschismus, die nicht die Kritik des Konkretismus und der Personalisierung mit einschließt. Der Faschismus ist eine Frage der Logik. Zur Faschismus-Kritik gehört heute die Kritik der Naturwissenschaften (Kritik des Weltbegriffs, Reflexion der Beziehung von Philosophie und Prophetie). Alles andere wird heute zusehends ohnmächtiger und hilfloser und am Ende selbst vom Faschismus eingeholt.
    Urknall: Handelt es sich hier nicht um das Produkt einer Verschiebung von der formalen auf die materielle Ebene; wäre der Urknall nicht genauer auf die Konstituierung des Inertialsystems durch Sprengung des Lichts zu beziehen? Die Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten (die Subjektivierung der Empfindungen, die in der Sprache die Personalpronomina hervorgetrieben hat) ist eine Folge dieser Sprengung.
    Wenn der Urknall auf die „Sprengung des Lichts“, den Ursprung der naturwissenschaftlichen Lichttheorien, sich bezieht, ist dann das „schwarze Loch“, das alle Strahlungen in sich aufsaugt, aber keine mehr herausläßt, nicht das Realsymbol der Gravitationstheorie?
    In welcher Beziehung stehen Verdacht, Unterstellung und Behauptung zur Geschichte der drei Leugnungen?

  • 14.10.1995

    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum sind Hinweise auf die Irreversibilität der Richtungen im Raum.
    Die Linguistik reicht ebensowenig an die Ursprungsgeschichten der Sprachen heran wie die Naturwissenschaften an die der Welt. Ist nicht die Urknalltheorie rassistisch, bezeichnet sie in der Physik die Stelle, die in der Linguistik das Problem des Ursprungs der indogermanischen Sprache bezeichnet?
    Hegels Begriff der List der Vernunft ist das Eingeständnis, daß die bürgerliche Vernunft sich vom Betrug nicht freimachen kann. Dieser Betrug steckt in den Fundamenten der Welt, sein Kern ist der Weltbegriff, sein Grund das Herrendenken.
    In welchem Zusammenhang stehen die Begriffe Verdacht, Unterstellung und Behauptung?
    Hegels Philosophie gleicht der Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt, sie gleicht dem Swinegel un sin Fru, die den Hasen sich zu Tode rennen lassen, weil er sie nicht unterscheiden kann, wenn sie rufen „Ick bün all do“. Sie unterschlägt, daß die Katze eigentlich die Maus meint, und daß das Ich des Swinegels und das siner Fru nicht dasselbe Ich ist. Grund des Betrugs ist in beiden Fällen die List, die das Ungleichnamige gleichnamig macht. Diese List zerstört den Namen, ersetzt ihn durch den Begriff.
    Sind Begriffe terroristische Vereinigungen, bildet das strafrechtliche Konstrukt der terroristischen Vereinigung ein Moment im Prozeß der Begriffsbildung ab? Wenn ich einen, der gemordet hat, Mörder nenne, subsumiere ich ihn unter einen Allgemeinbegriff, der ihn terrorisiert („abschreckt“). Gilt das Gleiche nicht auch, wenn ich eine Katze eine Katze, ein Rind ein Rind und einen Löwen einen Löwen nenne? Was ist wirklich passiert, als Adam die Tiere benannte?
    Wenn ich aus dem Begriff „Rache des Objekts“ das Psychologische herausnehme, trifft er einen sehr realen Sachverhalt.
    Die Hegelsche Idee des Absoluten ist die Rache des Objekts am Begriff.
    Beweislogik und Objektivität: Ist nicht das Recht der Beweis, daß die Logik ein Instrument der Rache des Objekts (die instrumentalisierte Rache des Objekts) ist?
    Das Prophetenwort: Mein ist die Rache, spricht der Herr, ist der Kern der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung, der Kern des Bilderverbots, und ein Hinweis auf das mit der Heiligung des Gottesnamens Gemeinte.
    Wer ist das Subjekt der Geschichte? Erst durch den Begriff wird das Objekt zum Objekt (der Begriff konstituiert den Raum, in dem das Objekt als Objekt erscheint): Erst durch die Geschichtsschreibung, die die Geschichte in die Vergangenheit bannt, sie zum Gegenstand der Anschauung macht, wird die Geschichte zur Geschichte.

  • 13.10.1995

    Die Berufung auf Adam in der Vorrede zum „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ ist ambivalent. Die Benennung der Tiere durch Adam war die Aufhebung der Gemeinschaft mit ihnen, der erste Akt ihrer Objektivierung und Unterwerfung. In den Tieren erkannte Adam seine Einsamkeit, und die Tiere sahen sich erkannt von einem, mit dem sie keine Gemeinschaft hatten. Hat nicht Adam schon „gebunden“, und war das nicht die „Sünde der Welt“, auf die Joh 129 (und das Wort vom Binden Lösen bei Mt) sich bezieht?
    Die Verführung des Beamten: Er gewinnt sein Selbstbewußtsein aus einer Tätigkeit, die ihn zugleich exkulpiert. Er ist nur ein unschuldiges Rädchen im Getriebe der staatlichen Verwaltung, hat aber kraft der ihm obliegenden „hoheitlichen Aufgaben“ zugleich teil am Gewaltmonopol des Staates. Er vertritt den Staat, der ihm zugleich die Last der Verantwortung für sein Tun abnimmt, gegen seine Bürger. Das Resultat ist eine Mischung aus Verantwortungslosigkeit und Allmachtsphantasien.
    In einer Welt, in der es Ziele nur noch in der Gestalt von Mitteln, die zu Selbstzwecken geworden sind, gibt, kann die Humanität des Handelns nicht mehr an den Zielen, sondern allein an den Mitteln gemessen werden.
    „Gesegnet sei mein Volk Mizrajim, meiner Hände Werk Aschur, und mein Erbe Jisrael.“ (Jes 1925) War nicht Mizrajim das aus den Zwängen der kollektiven Selbsterhaltung hervorgegangene Sklavenhaus, Aschur die aus Verteidigungszwängen hervorgegangene brutale Militärmacht?
    Zwischen der griechischen und lateinischen Sprache liegt die Wasserscheide des Dogmas. Wenn die griechische Sprache eine prädogmatische und die lateinische eine postdogmatische Sprache ist, was hat es dann zu bedeuten, wenn im Deutschen der bestimmte und der unbestimmte Artikel, im Griechischen, das den unbestimmten Artikel nicht kennt, der bestimmte Artikel der Deklination unterliegt, während das Lateinische überhaupt keinen Artikel kennt? Dem griechischen zoon politikon entspricht in der Sprachlogik des Lateinischen die res publica, wobei die res dem pragma entspricht; erst im Deutschen werden Ding und Sache getrennt, Reflex der Trennung von Objekt und Prädikat, des bestimmten und unbestimmten Artikels.
    Krankte nicht die 68er Bewegung daran, daß sie Verwaltung und Recht aus der herrschaftskritischen Reflexion ausgeschlossen (oder sie schlicht vergessen) hat? Verwaltung und Recht waren für sie ein Stück Natur, das für sie nur gegeben und hinzunehmen, dann im „Marsch durch die Institutionen“ auch zu nutzen war. Beide, Verwaltung und Recht, verkörperten eine objektive Gesetzmäßigkeit, die falsch angewendet werden konnten, deren richtige Anwendung demnach allein von den Personen abhing, die dieses Instrumentarium beherrschten. In der instrumentalisierten Welt waren die Instrumente naturgegeben, jede Erinnerung an ein An-sich getilgt.
    Das Geschlecht bezeichnet ebensosehr einen biologischen wie einen sprachlichen Sachverhalt. Der Idealismus, der mit Hilfe der Sexualmoral den biologischen Anteil leugnet, ist frauenfeindlich, der Biologismus, der den sprachlichen Anteil leugnet, männerfeindlich.
    Die Vergöttlichung der Heroen hat der Erkenntnis Gottes, der Heiligung Seines Namens, den Weg versperrt.
    Die Unfähigkeit, mit Fehlern umzugehen (Fehler einzugestehen), die Tendenz aus einmal gemachten Fehlern feste Eigenschaften abzuleiten („wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“), der Rechtfertigungszwang und die unaufhebbare Ungeduld, die Unfähigkeit, eine Sache reifen zu lassen, gründen in der Logik des Weltbegriffs: sie hängen mit der Verschiebung des Perfekts in die Vergangenheit zusammen, mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Der Rassismus ist der genaueste Ausdruck der Logik des Weltbegriffs (Ableitung der Sexualmoral!).

  • 11.10.1995

    Die Dinge beim Namen nennen, das heißt: einen Stuhl einen Stuhl, ein Elektron ein Elektron, einen Mörder einen Mörder, einen Nazi einen Nazi, einen Juden einen Juden und eine Terroristin eine Terroristin nennen; es heißt, mit dem Namen ein System von Konnotationen zitieren. Die Dinge beim Namen nennen heißt heute, eine gemeinsame Sprache mit anderen sprechen, ein Einverständnis voraussetzen, das in der Klassengesellschaft in den entscheidenden Fragen nicht mehr gegeben ist. Diese Gemeinschaft, dieses Einverständnis oder auch nur eine gemeinsame „Überzeugung“ ist am leichtesten herzustellen durch die Beziehung zu einem gemeinsamen Feind (dem Repräsentanten des Objekts), welche Beziehung übrigens im Begriff der „verschworenen Gemeinschaft“ aufs deutlichste sich ausdrückt. Und die Aufforderung, die Dinge beim Namen zu nennen, heißt dann, sich zu der Gemeinschaft zu bekennen, die die Dinge bei diesem Namen nennt und sich am gemeinsamen Gebrauch dieses Namens erkennt.
    Orthodoxie ist ein Produkt der Anwendung der Orthogonalität auf die Metaphysik. Kern der Metaphysik war die noesis noeseos, das Denken des Denkens, Produkt einer Anwendung des Genitivs (der grammatischen Form der Herrschafts- und Eigentumsbeziehung) auf die Beziehung des Denkens zu sich selbst. Die spekulative Entfaltung der noesis noeseos war die Trinitätslehre, die nicht sowohl in den christlichen Ursprüngen, auf die sie sich berief, gründete, als diese vielmehr als Stichwortgeber für die Konstrukte ihrer eigenen spekulativen Zwangslogik nutzte und verwertete.
    Ähnlich wie an den Begriffen physis und natura, an kosmos und mundus, läßt sich die Beziehung der griechischen zur lateinischen, der prä- zur postdogmatischen Sprache, am Verhältnis von pneuma und spiritus, prosopon und persona demonstrieren. Bei den letzteren ist der Hinweis auf die grammatische Geschlechtsverschiebung nicht unwichtig (beim Geist vom Femininum ins Maskulinum, bei der Person vom Neutrum ins Femininum).
    Prosopon ist das neutralisierte Angesicht, persona dessen Instrumentalisierung zur Maske (durch die hindurch die Stimme tönt): Vorläufer und geschichtslogischer Grund der subjektiven Formen der Anschauung. Sind nicht alle Anschauungen „persönliche Anschauungen“, Konstrukte aus vermittelter Unmittelbarkeit und Subjektivität? Läßt sich aus dem prosopon ein dem des Persönlichen vergleichbares Adjektiv bilden, mit vergleichbaren Konnotationen, und gibt es ein Äquivalent zur Hypostasierung dieses Adjektivs, zur Persönlichkeit?
    Ist der logische Bildungsprozeß, dem der Name der Persönlichkeit sich verdankt, nicht ein Reflex und eine Rekapitulation der Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs? Ist die Persönlichkeit nicht ein Produkt der dreifachen Leugnung (mit der Selbstverfluchung am Ende): Produkt der Hypostasierung des neutralisierten und instrumentalisierten Angesichts? Im Kern dieses Bildungsprozesses steckt die Logik der Gemeinheit, die Hegel List der Vernunft genannt hat.
    Auf dem Boden des Herrendenkens, zu dem es heute keine Alternative mehr zu geben scheint, ist die andere Seite die stärkere.
    Die Orthogonalität ist das geometrische Äquivalent der algebraischen Multiplikation. Die Formel 3 x 5 läßt sich durch eine dreifache Fünfergruppe oder durch eine fünffache Dreiergruppe abbilden. Diese Gruppenbildung, deren Elemente gleichnamig sein müssen, aber ist das Äquivalent der Begriffsbildung, Abbild der Subsumtionsbeziehung von Begriff und Objekt. Begriffsmerkmale sind Dimensionen in einem durch Orthogonalität definierten Kontinuum.
    Um Verständnis bitten ist nicht dasselbe wie um Mitleid bitten (ebensowenig wie alles verstehen alles verzeihen heißt).
    Dekonstruktion des Praesens als Voraussetzung der Rekonstruktion der Gegenwart.

  • 10.10.1995

    Jörg Huffschmid weist in einem Beitrag für den Informationsdienst Weltwirtschaft und Entwicklung (Sonderdienst Nr. 8/95) darauf hin, daß der Handel mit Waren und Dienstleistungen nur etwa 1 – 5 % der Devisenmarktumsätze (Termin-, Zins- und Währungsspekulationen) ausmacht. Der Umfang des Devisenmarktgeschäfts steigt relativ und absolut ständig. Das Geschäft ist zentriert in den Banken und den Börsen, greift aber inzwischen über auf Großunternehmen, die ihre eigenen Devisengeschäftabteilungen eingerichtet haben (AEG: Bank mit Elektroabteilung; Genossenschaften: Bank und Warengeschäft; Spezialfall Getreidehandel: Becher, Bremen). Hat die Beziehung von Geld- und Warenbewegung etwas mit der speziellen Relativitätstheorie Einsteins zu tun, mit der dem Relativitätsprinzip zugrundeliegenden Vorstellung der Äquivalenz von Objekt- und Systembewegung (Definition des Trägheitsbegriffs)? Ist die Vorstellung, man könne das („unmoralische“) Devisengeschäft zugunsten des („moralischen“) realen Geschäfts (der verwendungs-, nicht gewinnorientierten Ausrichtung des Kapitalverkehrs am Güter- und Arbeitsmarkt) durch fiskalische Maßnahmen („Tobin-Tax“) eindämmen, nicht insoweit naiv, als das „moralische“ Problem des Kapitalismus nicht im Gewinn, sondern in der unvermeidlichen Verknüpfung des Reichtums mit der Erzeugung von Armut liegt? Liefert nicht erst dieser Zusammenhang einen Hinweis auf die Logik dieser Verknüpfung, die nicht technisch, nur politisch auflösbar ist?
    Jörg H. vermutet den Hauptwiderstand gegen eine Regulierung der Finanzmärkte mit Hilfe von Steuern in den „Gewinninteressen des Bankensektors“. Das ist nur die halbe Wahrheit. Ist nicht viel wichtiger ein wirtschaftliches Interesse der Nation, für das das Schlagwort „Standort Deutschland“ steht; gehen die Kosten des liberalisierten Devisenmarktes nicht zu Lasten der währungsschwachen Länder; und sind nicht die währungsstarken Länder (G 7!) existentiell daran interessiert, auf diesem Wege ihre Außenhandelsbilanz (und damit ihre Währung) zu stabilisieren? Nur: die Stabilisierung der Außenhandelsbilanz auf diesem Wege stürzt die Außenwelt in die Schuldenabhängigkeit, sie bereitet draußen das Terrain für Billigproduktionsbedingungen, und sie eröffnet damit die Wege für den Reimport der Armut (für Massenarbeitslosigkeit, Lohndruck, Kürzung der Sozialleistungen): für einen Armutskrise, die die ganze Welt ergreift.
    Hat die Bank (deren Name sowohl den Ort des Geldgeschäfts als auch ein zum Sitzen geeignetes Möbelstück bezeichnet) etwas mit dem Himmel zu tun: „Der Himmel ist Sein Thron, die Erde der Schemel Seiner Füße“? Die Bank ist der Thron des Mammon, der die Kinder seiner Diener frißt.
    Modell der Projektion: Wie gehen Banken, die doch selber die Schuldner ihrer Einleger sind, mit ihren Schuldnern um?
    Ist nicht die Beziehung des Rechts zu den Sanktionen, die ihm Realität verleihen (zur Strafe), das gesellschaftliche Äquivalent der Orthogonalität, die die Keimform der naturwissenschaftlichen Gesetze ist? In welcher Beziehung steht das Opfer zur Strafe?
    Der Beschluß des 5. Senats des OLG Frankfurt zum Antrag Hubertus Janssens (zu seiner Bitte um Genehmigung eines von Birgit Hogefeld gewünschten seelsorglichen Gesprächs) behandelt den Antragsteller nur noch als Objekt: Der Beschluß ist nicht an ihn, sondern über ihn ergangen. Nur so vermag sich das mit diesem Beschluß auch dem ganzen Prozeß zugrundeliegende Freund-Feind-Denken selbst zu begründen. Aber auch nur so ließ sich die argumentative Kraft des Antrags außer Kraft setzen (das macht die „Gründe“ des Beschlusses zugleich so hilflos).

  • 9.10.1995

    In der Öffnung des Himmels kündet sich die der Gräber an: das Wunder der Auferstehung (Ez 1 und 37). Die „Versöhnung über den Gräbern“ dagegen, in der das Herrendenken mit sich selbst sich versöhnt, verschließt den Himmel, zu ihren Voraussetzungen gehört die kopernikanische Wende, der als wahr unterstellte Verdacht des unendlichen Raumes, die kosmologische Verkörperung der Infamie.
    Die Antinomien der reinen Vernunft und die Beantwortung der Frage, weshalb die subjektiven Formen der Anschauung gleichwohl objektive Bedeutung haben, gehören zusammen. Ihre Erörterung ist Teil des ersten Versuchs einer Kritik der Logik der Infamie.
    Konstituiert sich das Planetensystem mit dem Gravitationsgesetz, der Fixsternhimmel mit der Objektivation des Lichts (mit der Konstruktion der Erscheinung der Fortpflanzung des Lichts im Raum)? Kann es sein, daß sich die Hubble-Konstante und deren Erklärung durch den Doppler-Effekt gleichsam invers auf das Gravitationsgesetz beziehen?
    Erde, Acker, Land, Welt: In welcher Beziehung stehen diese Namen zu den Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen? Die Erde wurde (mit dem Himmel) erschaffen, der Acker, aus dem Adam genommen wurde, wurde durch ihn verflucht; das Land bezeichnet den Herrschaftsbereich des Königs, der Name des Fremden gehört zu dem des Landes; die Welt ist das Werk und das Korrelat des Imperialismus.
    Wie hängt der Fluch mit dem Begriff des Heiligen, der theologischen Grenze des Eigentumsbegriffs (des Staates, des Weltbegriffs), zusammen? Verflucht sind die Schlange, der Acker und Kain. Korreliert die Geschichte des Fluchs mit der des Eigentums und der Herrschaft? Hegel hat sich als „verdammt, ein Philosoph zu sein“ erfahren.
    Benennen: Benannt wird das Tier. Hervorgebracht wurden die Tiere durch die Erde, benannt durch Adam. War diese Benennung das urzeitliche Unglück, an das die Tiere nach der Dialektik der Aufklärung immer noch erinnern? Wie hängt die Unterscheidung des Tiers aus dem Meere von dem Tier vom Lande (die Unterscheidung von Natur und Welt?) mit der Benennung der Tiere durch Adam zusammen?
    Der Satz „Ihr seid das Licht der Welt“ verweist auf das Werk des ersten Schöpfungstags, des gleichen Tags, der dann als achter Tag zur dies dominica geworden ist. Vgl. Licht und Finsternis bei Jes (457 zusammen mit 520, 2918, 427, 475, 499, 5810, 602). Beziehen sich Licht und Finsternis auf das Verhältnis von strengem Gericht und Barmherzigkeit? Die Finsternis ist das Korrelat der objektlos gemachten Barmherzigkeit. Das Licht ist sinnlich und übersinnlich zugleich.
    Gegen die naturwissenschaftliche Logik ist daran festzuhalten, daß das Licht vor der Sonne, dem Mond und den Sternen erschaffen wurde.

  • 8.10.1995

    Die Wendung, daß eine Sache gegenstandslos (geworden) sei, ist aufschlußreich: Entsteht das steinerne Herz nicht genau dort, wo die Barmherzigkeit gegenstandslos wird? Die Logik, die die Barmherzigkeit gegenstandslos macht, ist erstmals in der Kritik der reinen Vernunft zum Gegenstand der Untersuchung geworden.
    Der Begriff der Erkenntnis ist heute auf einem Felde angesiedelt, auf dem die Theologie nur verlieren kann. Da hilft keine Apologetik mehr. Nicht auf die Verteidigung der Theologie kommt es an, sondern auf verteidigendes (parakletisches) Denken als Organ der Theologie.
    Die Hoffnung, daß das Problem des Faschismus auf biologischem Wege, durch Aussterben der Nazis, sich löst, trügt nicht nur, sondern ist selbst ein faschistisches Konstrukt. Es gibt keine Gnade der späten Geburt. Und das Grauen, das der Faschismus benennt, ist eins, das erst in zweiter Linie von Personen ausgeht. Der Faschismus pflanzt sich über Strukturen fort.
    Der alte deutsche Rechtsgrundsatz „mitgefangen, mitgehangen“ lebt in den Terrorismusprozessen wieder auf. Es erübrigt sich, Birgit Hogefeld auch nur eine der Taten, deretwegen sie angeklagt ist, nachzuweisen, sie ist schon durch ihr Bekenntnis zur raf überführt. Die Kritik des Begriffs der Kollektivschuld und seine Ersetzung durch den der Kollektivscham hat das zugrundeliegende Problem nur verdrängt, nicht gelöst. Die verdrängte Kollektivschuld kehrt hier in veränderter Konstellation (in instrumentalisierter Gestalt) wieder (und wie wirkt sich diese veränderte Konstellation auf die Kollektivscham, die Zwillingsschwester der Kollektivschuld, aus?).
    Hitler als Generalprobe: zum historischen Faschismus gehört das Radio, mit dem Fernsehen hat er sich nicht in der Substanz, wohl aber in seinen Erscheinungsformen verändert; Hinweis auf eine Geschichtsphilosophie des Hörens und Sehens?
    Drei Formen der transzendentalen Ästhetik:
    – Raum und Zeit: die Naturwissenschaften subsumieren das Vorn unter das Hinten,
    – das Geld: der Kapitalismus subsumiert die rechte unter die linke Seite, und
    – die Bekenntnislogik: das Dogma und die Opfertheologie subsumieren die obere unter die untere Welt.
    In jedem Falle wird die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes lebt davon, daß es Unterstellungen und Formen des Verdachts gibt, die sich nicht widerlegen lassen. Das heißt nicht, daß sie wahr sind. Die Materie ist der apriorische Gegenstand des Verdachts, der Raum die hypostasierte Form der Unterstellung.
    Das Dogma hat die Idee der Ewigkeit in den Begriff des Überzeitlichen transformiert. Zu den Rahmenbedingungen dieser Transformation gehören das Urschisma, die Bekenntnisform der Orthodoxie und die Verurteilung der Häresien. So ist es zur Ursprungsgestalt des Inertialsystems geworden. Das Inertialsystem ist eine Metamorphose des Dogmas. Die innere Beziehung des Dogmas zur Zeit ist ein Teil seiner weltkonstituierenden Funktion.
    Gutachten: Die Wahrnehmung, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, reicht weit über den Bereich des Strafrechts hinaus; sie bindet den Wahrheitsbegriff an die Prinzipien der Beweislogik und an die Urteilsform, sie ist die Grundlage der indikativischen Fassung des Wahrheitsbegriffs und gehört so zu den gemeinsamen Prämissen sowohl der dogmatischen Theologie, des Begriffs der Orthodoxie, als auch des Begriffs wissenschaftlicher Erkenntnis und Objektivität. Gemeinheit aber ist allein in theologischem Kontext bestimmbar, im Bereich der Gotteserkenntnis: sie trennt das strenge Gericht von der Barmherzigkeit. Wer die Gemeinheit ins Unerkennbare verschiebt – und das ist die Existenzbedingung des Staates -, macht die Barmherzigkeit gegenstandslos („Beweis“: die Verhältnisse in den Knästen, aber auch vor Gericht, insbesondere im Staatsschutzbereich). Der logische Kern des Dogmas ist nicht zufällig die Opfertheologie. Aber auch gegen das Dogma gilt der prophetische (und prophetische Erkenntnis begründende) Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer.
    Was heißt und woher kommt der Begriff „infam“? Nach Kluge stammt es aus der gleichen Wurzel wie „diffamieren“ (verunglimpfen; von fama, ‚Gerede, Gerücht‘). Das Präfix in- bezeichnet (bei Adjektiven) sowohl die Negation (indiskret) als auch das ‚hinein‘ (instituieren). Infam ist der als wahr unterstellte Verdacht (der das Angesicht Gottes gegenstandslos macht: es gibt kein Herz, in das nur Gott sieht, kein An-sich der Dinge).

  • 7.10.1995

    Hören und Sehen: Die Gummiwand, das steinerne Herz und die Verwechslung von Genitiv und Dativ. Drückt nicht in diesem grammatischen Trend eine Veränderung der Beziehung zum Raum sich aus: Das Prinzip der Offenheit, das die Dinge verfügbar gemacht hat, ist zu einem Instrument der Objektivation und der Verstrickung geworden.
    „Ein Jäger längs dem Weiher ging …“ Oder heißt es: des Weihers? Lt. Duden-Grammatik folgt dem „längs“ der Genitiv, seltener der Dativ.
    Das Sehen, die monologische Logik der Schrift, bringt den Adressaten der Sprache zum Verschwinden, raubt der Barmherzigkeit ihr Objekt, verwandelt den Dativ in den Genitiv, macht den Adressaten zum Objekt auswegloser Herrschafts- und Eigentumsbeziehungen, macht ihn zum potentiellen Feind, verwandelt die Welt in eine Quelle der Paranoia. Diese Konstellation hat das Barock als Epoche der Privatisierung von Herrschaft zur Epoche des Absolutismus, des Scheins und des Pomps gemacht.
    Heute findet die Realität im Fernsehen statt, die Zuschauer sind davon (wie die Armen von den in den Schaufenstern ausgestellten Waren) ausgeschlossen; sie sind zu Zuschauern ihres eigenen Schicksals geworden, ohne es noch als solches zu erkennen (die Eigengesetzlichkeit des Fernsehens, die die Relevanz einer Sendung an den Einschaltquoten mißt, entzieht der Erfahrungsfähigkeit den Boden, macht alles zur Unterhaltung). Gleicht diese Grenze, die den Zuschauer jeder Handlungsmöglichkeit, jeder Möglichkeit, in das Geschehen einzugreifen, beraubt, nicht der des Himmels, die uns von der praktischen Gemeinschaft mit der Sternenwelt ausschließt (die dann nicht zufällig in der alten Welt als eine Schicksalsgemeinschaft erfahren wurde: das war die Grundlage der Astrologie). Hier gründet die ideologische Bedeutung der „Raumfahrt“, des Versuchs der technischen Beherrschung des Überschreitung auch dieser Grenze.

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