Das Problem des Bileam: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Propheten, der nur das sagen kann, was Gott ihm sagt, und dem Verführer, der Israel zur Sünde Bileams verführte (zum Götzendienst und zur Hurerei mit den Töchtern Moabs)? – War nicht auch Ruth eine Tochter Moabs?
Angesicht, Name und Feuer: Ist das das Geheimnis der Trinitätslehre? Und verdankt sich deren dogmatische Fassung nicht der Abstraktion vom Feuer, die das Angesicht zur Person und den Namen zum Begriff macht? Ist diese Abstraktion nicht die Leugnung des Heiligen Geistes, die Sünde wider den Heiligen Geist? Durch diese Abstraktion vom Feuer wird das Licht unter den Scheffel gestellt: Das Feuer ist der Bildungsprozeß des Lichtes, das wir für die Welt werden sollen. – „Ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis.“ Alles Erschaffene ist im Zeichen der Finsternis erschaffen.
In welcher Beziehung stehen das schwarze Loch und der schwarze Körper zueinander?
Wer Licht und Finsternis in Helles und Dunkles übersetzt, macht beide zu Eigenschaften, hat vor dem Gesetz der Verdinglichung bereits kapituliert.
Der historische Objektivationsprozeß ist ein Prozeß, zu dessen Konstituentien das Ich (und sein Repräsentant: der Begriff) gehört. Erst in der Reflexion dieses Prozesse gewinnt das Ich, das anders, in die Objektivität versenkt, in ihr sich verliert, darin untergegangen ist, sich wieder. Die Erbsünde ist die Sünde des Erben.
Zum Begriff des Urteils: Ich kann das Urteil eines Gerichts für falsch halten und es kritisieren, aber es gilt trotzdem: Ich darf einen Verurteilten nicht aus dem Gefängnis befreien. Diese Logik ist eine Absicherung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, der in der Technik auf vergleichbare Weise seine Urteile in der Realität verankert; darauf bezieht sich das Wort des Paulus, daß die ganze Kreatur, die in die Natur wie der Verurteilte ins Gefängnis eingesperrt ist, seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet.
Wenn die Hölle die endgültige Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist, dann bezieht sich der Satz, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, auch aufs Inertialsystem: Es wird die Schöpfung nicht „überwältigen“ (die Natur ist die Überwältigung der Schöpfung durchs Inertialsystem). Wer die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, wird selber subsumiert (auf die Welt bezogenes Korrelat des Satzes, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen).
Welche Theologie drückt in der historischen Bibelkritik sich aus?
November 1995
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5.11.95
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4.11.95
Wo und in welchem Zusammenhang steht die Wendung „verhärtet eure Herzen nicht“? Ps 957ff: O daß ihr heute auf seine Stimme hörtet! Verhärtet eure Herzen nicht wie zu Meriba, … (vgl. Hebr 37f, 15 und 47)
Man muß begreifen, daß, auch wenn es zu einer Sache keine Alternative gibt, sie damit nicht gerechtfertigt ist. Die Sache muß reflexionsfähig bleiben, auch wenn eine Änderung nicht abzusehen ist (der Tod, der Raum, das Tier). -
3.11.95
Aufklärung ist die letzte Chance, nachdem der Determinismus, der in der Entfremdungserfahrung des Proletariats den wirksamen Grund der Revolution zu erkennen glaubte, im Faschismus seine raison d’etre und im Stalinismus seine Unschuld verloren hat.
Wie hängt die Vorstellung, daß Gott die Thora nicht nur selber geschrieben hat, sondern auch weiterhin studiert, mit der Vorstellung vom Buch des Lebens zusammen, in dem die Taten der Menschen aufgezeichnet sind, und in dem sie am Ende sich selbst erkennen?
Der Kreuzestod hat die Welt nicht entsühnt, sondern ihren Zustand offengelegt.
Binden und Lösen: Die Orthodoxie hat die Wahrheit einer Zwangslogik unterworfen. Das mathematische Äquivalent dieser Zwangslogik ist die Orthogonalität. Die Griechen haben die Winkelgeometrie erfunden/entdeckt: Der Satz des Thales, der pythagoreische Lehrsatz und schließlich die euklidische Geometrie sind Stufen der Entfaltung der Logik der Orthogonalität.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist ein Teil der physikalischen Lösung des Problems der Orthogonalität.
Was drückt eigentlich in der Beziehung der Köpfe, Hörner und Kronen sich aus, durch die apokalyptischen Tiere sich unterscheiden? Hat die Beziehung von Köpfen, Hörnern und Kronen etwas mit dem Verhältnis von Herrschaft, Macht und Gewalt oder von Ökonomie, Staat und Religion zu tun? Der Drache unterscheidet sich vom Tier aus dem Wasser dadurch, daß er die Kronen auf seinen Köpfen hat, während das Tier aus dem Wasser sie auf seinen Hörnern hat. Ist der Drache die Ökonomie, das Tier aus dem Wasser der Staat und das Tier vom Lande die Religion?
Zum Ursprung der Ohrenbeichte (der Priester wird Stellvertreter des Opfers, nimmt ihm die Kompetenz der Vergebung und Versöhnung ab) und zur Geschichte des neuen Sündenbegriffs (der das Bewußtsein und den Willen zu sündigen mit einschließt, die Formalisierung der ezechielischen Eigenverantwortung): Hat die Kirche nicht, als sie die Ohrenbeichte einführte, den Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was zu tun“ in den Indikativ übersetzt (die Bitte generalisiert und als erfüllt angesehen)? Sie hat damit alle, die nicht wissen, was sie tun, für unschuldig erklärt; seitdem aber bleiben alle dumm: die einen angepaßt und „fromm“, die andern rücksichtslos und schlau. Aber sind wirklich, wenn keiner mehr weiß, was er tut, alle unschuldig (ist keiner mehr Täter, verantwortlicher Urheber seiner Handlungen, sind alle nur noch Opfer: Selbstmitleidssyndrom)?
Wenn die Weltgeschichte das Weltgericht ist, sind alle nur noch Objekt dieses Gerichts, gibt es keinen Ausweg aus der Urteilsmaschine (sind die Pforten der Hölle geschlossen). -
2.11.95
Zur Ursprungsgeschichte der Ware: Ein afrikanischer Stammeshäuptling über einen Nachbarstamm: „Sie sind unsere Feinde; wir heiraten sie.“ (Zit. nach W.A.Meeks: Urchristentum und Stadtkultur, S. 18) Kann es sein, daß in der Vorgeschichte Frauen ähnlich „erworben“ wurden wie Sklaven und andere Handelsgüter: Sie wurden geraubt (vgl. Ri 2116ff und den „Raub der Sabinerinnen“)? Wäre das nicht eine Erklärung für den Status der Ehe, die seit je einer durch Kauf begründeten Eigentumsbeziehung nachgebildet war, auch für das Inzest-Verbot und für den Ursprung des Patriarchats (sowie des Staats, als dessen Modell die Familie gilt)?
Lohnarbeit ist die technisch perfektionierte Form der Schuldknechtschaft. Ihre Vorstufe war die persönliche Schuldbeziehung zu einem Gläubiger. Lohnarbeit ist das Produkt der Transformation dieser Beziehung in eine logische Funktion des Systems. Die Trennung der Menschen von ihren natürlichen Subsistenzmitteln, ihre Expropriation, in der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals (der kopernikanischen Wende der Geldwirtschaft), führt nicht mehr in die physische Abhängigkeit des Sklaven von seinem Herrn, sondern in die herrenlose Dauerabhängigkeit vom System, in den Zwang zur Selbsterhaltung in der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft: in den Zwang zum Gelderwerb durch entfremdete Arbeit, durch Arbeit für andere.
„Ihr seid das Licht der Welt.“ Dieses Wort trifft die Kirchen ins steinerne Herz ihres dogmatisches Selbstverständnisses. Es geht von dem einfachsten Sachverhalt aus, daß die Welt finster ist, und die Kirche Licht in diese Welt zu bringen habe. Das Licht hat sein Maß an der Finsternis, während nur der dogmatische und fundamentalistische Kleinglaube wähnt, die Finsternis habe ihr Maß an dem Licht, das er zu verkörpern glaubt. Das in Angst vor der Wahrheit erstarrte Dogma ist nicht das Licht, sondern der Scheffel überm Licht. Und das Licht ist kein Besitz, kein Gnadenschatz, der der Kirche gegeben und der von ihr zu hüten und zu verwalten wäre, sondern in jeder Epoche ist es der Finsternis neu abzugewinnen. Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt. -
1.11.95
Petrus, der Fels: Das Ding und die Kirche (ekklesia) haben einen vergleichbaren sprachlichen Ursprung. Enthält Adornos Kritik der Verdinglichung nicht auch eine Kirchenkritik?
Der Ursprung ist das Ziel: Walter Benjamins Bemerkung, daß die entscheidenden Schläge heute mit der linken Hand geführt werden, trifft auch die raf: Sie zieht die Konsequenzen aus dem Mißtrauen gegen jede, auch die praktische Gestalt der intentio recta. Und sie enthält einen (noch versteckten) Hinweis auf die Notwendigkeit einer Kritik der Naturwissenschaften.
Zur Kritik des Atheismus: Ist nicht die Theologie am Ende eine Absicherung dagegen, daß man in offene Fallen hineinläuft, daß man, ohne es zu wissen, das Geschäft des Feindes betreibt?
Die Opfertheologie gehört zur Selbstbegründung des Herrendenkens: Sie enthebt von der Pflicht zur Versöhnung mit dem andern, sie befreit das Bewußtsein von Schuldgefühlen, von der Erinnerung an das, was man dem andern angetan hat, zu ihr gehört ein Gott, der auch dem, der selber nicht verzeiht, die Sünden vergibt. Dieser Gott ist namenlos, das Gegenteil des Gottesnamens; dem entspricht das Wort von der „Entsühnung der Welt“. Die Opfertheologie macht unfähig, sich in den anderen hineinzuversetzen (die Voraussetzung dafür wäre die Fähigkeit zur Reflexion von Herrschaft, die durch die Opfertheologie zerstört wird).
Heute hat die Opfertheologie ihr Werk getan; damit ist auch die Religion gegenstandslos geworden: In der aufgeklärten Welt bedarf es zur Befreiung von Schuldgefühlen auch der Opfertheologie nicht mehr; das leistet der Begriff der Objektivität selber. Mit ihr entsteht der Schein, die Reflexion von Herrschaft könne (nach dem Ende des Gedankens an eine Kritik der naturwissenschaftlichen Erkenntnis) durch den „herrschaftsfreien Diskurs“ ersetzt werden.
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