Februar 1996

  • 29.2.96

    Das kopernikanische System ist die Mühle, die den Kosmos zu Staub zermahlen hat.
    In den neutestamentlichen Berichten vom Letzten Abendmahl ist beim Wein jeweils auch vom Kelch die Rede. Der Unterschied zwischen den Evangelien und dem 1. Korinther-Brief liegt in der Beziehung zur Zeit: Während die Evangelien auf die Zukunft (auf die Erfüllung im Reiche Gottes) verweisen, rückt Paulus den Kelch ins Vergangene („das tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis“). Steht Paulus unter dem Bann der Logik der Schrift? Die Wandlungsworte im katholischen Meßopfer zitieren den Paulus: Bezeichnet das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ schon die Differenz zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Worts?
    Vgl. aber die unverständlichen Stellen Joh 622ff, die in dem Satz enden: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt …“ (654). Was heißt hier „Essen“ und „Trinken“?
    Der Pharisäismus, für den der Feigenbaum steht, ist mit der Bekenntnislogik in die Theologie eingedrungen und mit der Rechtfertigungslehre vergesellschaftet worden. (Jesu Kritik des Pharisäismus meint nicht die Diskriminierung der Pharisäer, sondern dringt auf die Erfüllung des Worts.)
    Das Organische (der Staat) ist gegenüber dem Anorganischen (der Ökonomie) nicht das Bessere, sondern es steht, in der zweiten wie auch in der ersten Natur, selber unter dem Bann des Anorganischen, an dem es seine materielle Grundlage hat. Beide stehen unter dem gleichen Gesetz der Selbsterhaltung.
    „Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet“: Beginnen nicht die Weltalter Schellings mit einem klassischen Freudschen Versprecher?
    Verweist das Hethitische auf eine frühe Stufe der Neutrumsbildung, in der das Neutrum auch die grammatische Widerspiegelung der Geschlechterdifferenz neutralisiert, sie in den (juristischen, staatslogischen) Gegensatz von Person und Sache bannt? Schlägt hier nicht die überwältigende Logik des entstehenden Staates in die Sprache durch? Ist es vor diesem Hintergrund nicht doch von Bedeutung, daß Salomo der Sohn einer Hethiterin ist?
    Hat die Geschichte der Vertreibung der „Käufer und Verkäufer“ aus dem Tempel (die Befreiung der Idee des Heiligen aus der Herrschaft des Tauschprinzips) etwas mit der Preisgabe des Vorhofs des Tempels an die Heiden (die Völker) zu tun (Off 112)?
    Waren nicht Horkheimer und Adorno zwei Zeugen des Nationalsozialismus, die, wenn ihre Philosophie wirklich eine geworden wäre, die Einigung des Gottesnamens erreicht hätten?
    Genitiv und Dativ: Während Horkheimer wie einer wirkte, der der Last, die ihn niederdrückte, die Reflexion, seinen unbeugsamen Erkenntniswillen entgegensetzte (und der gelegentlich auch etwas von der Störrischkeit eines Esels hatte), war Adorno wie einer, der seine Lebendigkeit an der Freude hatte, mit der er die kostbarsten Einsichten aus dem Schatz seiner Erkenntnis hervorholen durfte. Adorno beschenkte die Welt, Horkheimer nahm der Welt, gelegentlich widerwillig, die Last ab, indem er sie beim Namen nannte.
    Hat die Zahl vierzig, die auf die Wüste (im Exodus und beim Aufenthalt Jesu in der Wüste, vor den drei Versuchungen) sich bezieht, etwas mit den zehn Hörnern des Drachens und des Tiers aus dem Meer zu tun (der Drache hat die Kronen auf seinen sieben Köpfen, das Tier auf den zehn Hörnern, während seine Köpfe gotteslästerliche Namen tragen; der Drache ist der Gegenspieler des Weibes mit dem Kind; die Hure Babylon sitzt auf dem Tier aus dem Meer)? – Kann es sein, daß die Zahl zehn (die Zahl der Hörner, die die Macht verkörpern) in der Zahl vierzig auf die vier Weltgegenden sich erstreckt: auf die Verwüstung der die Welt durchdringenden Ökonomie?
    Mit ihrer newtonschen Begründung hat die kopernikanische Theorie die Gravitation ins Zentrum gerückt. Seitdem ist die Welt alles, was der Fall ist, sind die Schwerpunkte (die räumlichen Punkte, die Schnittpunkte der Dimensionen des Raumes) Bilder des Objekts.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Ist die Nacktheit das optische Korrelat des Schwerpunkts? Der Nackte erfährt sich im Blick der Anderen, als Schnittpunkt dieses allgemeinen Blicks (vgl. die Augen der Wesen in der Vision Ezechiels). Scham ist der Versuch, diesem Blick sich zu entziehen, sich unsichtbar zu machen, im Erdboden zu versinken.
    Gehört die Reflexion der Beziehung des Sehens zur Schwere zu den Grundlagen einer Theorie des Feuers (Ableitung des Planckschen Strahlungsgesetzes, des Begriffs der Strahlung insgesamt)?
    Schwarzer Körper: Im Planckschen Strahlungsgesetz sind die unterschiedlichen Beziehungen der thermischen Bewegung und der Strahlung zum Raum und zueinander und die Abhängigkeit dieser Beziehungen vom Energieinhalt zu bestimmen (die wechselseitige Abhängigkeit von Temperatur, Frequenz und Energie).

  • 28.2.96

    Haben die drei Versuchungen Jesu etwas mit der gegenwärtigen ökonomischen Verwüstung der Welt zu tun? Dann steckt in dem Anfangssatz: „Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden“ (Mt 41) die ganze Kirchengeschichte. Vgl. die Kurzfassung bei Mk (112f): „Und alsbald treibt ihn der Geist in die Wüste hinaus. Und er wurde in der Wüste vierzig Tage lang vom Satan versucht; und er war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm“.
    Die drei Versuchungen (Mk 41ff):
    – Steine in Brot – Antwort: „Nicht vom Brot allein …“
    – Sturz von der Zinne des Tempels – Antwort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen“
    – Alle Reiche der Welt – Antwort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott anbeten und ihm allein dienen“.
    Lk (41ff) vertauscht die beiden letzten Versuchungen.
    Sind die beiden Sätze nicht äquivalent:
    – Die Schrift ist ein durchsichtiger Körper, und:
    – Die vier Evangelien sind ein vierdimensionales Puzzle?
    Zum „leeren, gereinigten und geschmückten Haus“ in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern: Zum griechischen kosmos gehört die physis, zum lateinischen mundus die natura: zum geschmückten Haus gehört das Gezeugte, zum gereinigten Haus das Geborene?
    Ebenso wie ein differenziertes Schulsystem: die Volksschule und das Gymnasium, gab es früher ein differenziertes Haftsystem: das Gefängnis und das Zuchthaus. Sind die Haftanstalten heute Gesamtschulen der Kriminalität? Heute liefern die Knäste die Rohstoffe für die staatlichen Ermittlungs- und Verfolgungsindustrien.
    Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße: Solange Gott auf dem Thron sitzt, gibt es keine Befreiung, weder für Gott, noch für die Welt. Bezieht sich nicht das „… wird auch im Himmel gelöst sein“ auf den Thron Gottes?
    In welcher Beziehung stehen die vier Wesen der Merkaba zu den vier apokalyptischen Reitern, zu den vier Himmelrichtungen, zu den vier Planeten Jupiter, Mars, Venus und Merkur? Ist nicht das „voller Augen“ ein Einspruch gegen die Vorstellung des unendlichen Raumes (der Abstraktion vom Gegenblick)?
    Die Verführung des Rechts liegt darin, daß es denen, die unten sind, den Blick auf die Freiheit verstellt. Die Verurteilungs- und Bestrafungsphantasien scheinen auch denen zu gelten, die oben sind, sie treffen aber immer nur die, die unten sind, und d.h. am Ende sie selber. Nicht nur in der Ökonomie, sondern auch im Recht, das der Ökonomie die Formen und den Rahmen bereitstellt, gibt es den real existierenden Widerspruch, der nur durch Reflexion aufzuklären, aber nicht endgültig zu lösen ist, und in den sich verstrickt, wer glaubt, der Logik des Rechts sich bedienen zu können.
    Urteil und Strafe sind keine Mittel der Revolution, der Befreiung.
    Die Juden sind der lebendige Beweis, daß die Vergangenheit mit Hilfe des Urteils sich nicht bannen läßt.
    In den Evangelien wird nur an zwei Stellen ans Gedächtnis der Nachgeborenen appelliert:
    – „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 2219, beim letzten Abendmahl)
    . dieses Wort sagt er (im Unterschied zu 1 Kor 1123ff) in den Evangelien nur beim Brot, nicht beim Wein; da (bei Mt 2629 und Mk 1425) heißt es vielmehr, daß er „vom Gewächs dieses Weinstocks nicht mehr trinken (wird) bis zu jenem Tage, da ich es neu trinken werde im Reiche Gottes“,
    und das andere:
    – „Wo immer in der ganzen Welt dieses Evangelium gepredigt wird, da wird auch das, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis erzählt werden“ (Mt 2613, Mk 149, nach der Salbung durch eine namenlose Frau im Hause Simons des Aussätzigen in Bethanien; vgl. auch Joh 121ff; hier ist es Maria, die Schwester des Lazarus und der Martha, die ihn salbt )
    . vgl. hierzu Mt 2414: „Und dieses Evangelium vom Reiche wird auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden, allen Völkern zum Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“.
    Welch ungeheurer Bogen ist hier gespannt.

  • 27.2.96

    Der „zwanglose Zwang des Arguments“ ist nicht identisch mit der Einsicht. Die Zweideutigkeit des Begriffs des „zwanglosen Zwangs des Arguments“ rührt daher, daß er als petitio principii die Zustimmung des Andern in Begriffen wie Intersubjektivität oder Konsens schon voraussetzt.
    Liegt nicht das Problem der Beweislogik, das der kantischen Antinomie der reinen Vernunft (und seiner Analyse der „apagogischen Urteile“) zu entnehmen ist, in der Levinasschen Asymmetrie? Die Leugnung dieser Asymmetrie macht die Beherrschten stumm und die Herrschenden zu apriorischen Siegern.
    Wer die Einsicht, weil sie der demokratischen Kontrolle sich nicht fügt, als privilegierte Form der Erkenntnis diskriminiert, fördert die Gemeinheit, macht das Herrendenken alternativlos.
    Modell der transzendentalen Logik waren der christliche Antijuduaismus und sein Erbe, der politische Antisemitismus. Die Juden waren das erste – aufs transzendentallogisch umgeformte prophetische Urteil bezogene – apriorische Objekt. Nur durch die apriorische Beziehung auf die Juden, die mit dem Konstrukt einer „Erfüllung der Prophetie“ in Jesus systemlogisch zusammenhängt, ließ die Prophetie sich neutralisieren, war das Christentum apriori gegen die prophetische Kritik gefeit (vgl. auch die merkwürdige Konvergenz dieser Systemlogik mit der sprachlogischen Differenz zwischen der hebräischen und den indoeuropäischen Sprachen!). Der Antisemitismus war seit je ein Mittel, das Gebot und seine prophetische, herrschaftskritische Entfaltung zu neutralisieren. Der Preis waren das Dogma und die Bekenntnislogik (zusammen mit der Historisierung der prophetischen Bücher).
    Seit wann wird in christlichen Übersetzungen der Schrift Völker mit Heiden übersetzt? Hiermit hat sich das Christentum endgültig aus der Zone der prophetischen Kritik herausgeschlichen (und zugleich den Antisemitismus stabilisiert).
    Begründet nicht der Antijudaismus die Theologie hinter dem Rücken Gottes, der Antisemitismus aber darüber hinaus sowohl die Naturwissenschaften als auch den Historismus, den Objektivierungsprozeß insgesamt? In dieser Konstellation erweist sich die Trinitätslehre als eine Vorstufe der subjektiven Formen der Anschauung, mit der sie systemlogisch über das Konstrukt der Rechtfertigungslehre (die Wurzel des Pharisäismus in der christlichen Theologie) zusammenhängt.
    Die transzendentale Logik ist eine projektive Rechtfertigungslogik, darin gründet ihre apriorische Konstruktion.
    Ist nicht das Dogma ein riesiges kontrafaktisches Urteil (und wie dieses der Schatten oder der Preis der Objektivierung)?
    Lassen die Zahlen 666 (18×37) oder 616 (8x7x11) sich auf Paulus/Saulus beziehen?

  • 26.2.96

    Bange machen gilt nicht: Wer die Aufsätze Horkheimers in dem Bändchen „Autoritärer Staat“ (Schwarze Reihe Nr. 3, Verlag de Munter, Amsterdam 1968) liest, weiß, weshalb Horkheimer nach dem Krieg kein Buch mehr geschrieben hat. Die Texte sind von einer Panik durchsetzt, die den Grund seines Denkens offenlegt: sich auch in der äußersten Katastrophe von Angst nicht dumm machen zu lassen.
    Sind nicht das Plancksche Wirkungsquantum, die „Quantensprünge“ und die Elektronenbahnen im Atommodell Konsequenzen des Entropiegesetzes?
    Wichtig wäre die genaue Analyse des Planckschen Strahlungsgesetzes: Hier ist die Beziehung von elektromagnetischer Strahlung und thermischer Bewegung – mit dem Planckschen Wirkungsquantum als vermittelndem mathematischen Glied – exakt definiert.
    An der Hegelschen Philosophie ist nicht der „Idealismus“ falsch, sondern das, was sich dahinter verbirgt: die Parteinahme für die Herrschenden, für die Sieger, und das Hegelsche Weltgericht als der Inbegriff dieser Parteinahme. Falsch ist m.a.W. die Ästhetisierung des Gedankens, der der Idealismus sich verdankt (der ästhetische Grund der Hegelschen Logik).
    Jakobsleiter: Als die Theologie mit Gott sich auseinandersetzte, hat sich hinter ihrem Rücken etwas gebildet, dessen Opfer sie dann geworden ist: die Bekenntnislogik. Ist es nicht die Bekenntnislogik, die die Kirche hinkend macht (die sie am Ende lahm und blind macht)?
    Die Erfindung der Tiefenzeit war ein Entlastungskonstrukt: Was soweit in der Vergangenheit zurückliegt, ist nicht mehr erinnerungsfähig, nur noch objektivierbar.
    Wenn die unter Physikern verbreitete Kritik des Kausalitätsprinzips stimmen würde, wäre es noch auf eine ganz andere Weise unverantwortlich, Atomkraftwerke zu bauen: Die Atomphysiker wüßten als Techniker und Ingenieure und nicht mehr, was sie tun. Aber darum ging es in der Frage des Kausalitätsprinzips auch gar nicht. Mit der Kritik der Kausalität war nicht der physikalische, sondern ein gesellschaftlicher und moralischer Sachverhalt gemeint: Vernebelt werden sollte der gesellschaftliche und moralische Zusammenhang, in dem die industrielle und militärische Nutzung der Atomphysik steht, und die eigene Mitarbeit an diesen Projekten; diese Kausalzusammenhänge, die in Wahrheit Herrschafts- und Schuldzusammenhänge sind, sollten im Dunkeln bleiben.
    War nicht der Faschismus selber schon, wie leicht an Gestalten wie Spengler, Klages u.a. sich demonstrieren ließe, ein Objekt der Panik, die er glaubte nur durch Projektion von sich fernhalten zu können? Der Preis war die Paranoia. Der Schrecken des Faschismus ist nicht durch Verurteilung, sondern nur durch Reflexion zu bannen. Den Faschismus durch Verurteilung zu bekämpfen heißt, den Teufel mit Beelzebub austreiben.
    Erhaltungssatz: Die Beziehung der Theologie hinter dem Rücken Gottes zur Theologie im Angesicht Gottes ist eine der Umkehr, aber nicht in dem Sinne, als könne man sich von der einen ab- und der anderen zuwenden; sondern diese Umkehr gleicht eher dem Wenden eines Handschuhs (wobei der theologische der linke, der auf rechts zu wenden wäre, und der politische der rechte, der auf links zu wenden wäre, ist). Diese Umkehr müßte heute die Naturwissenschaften mit einbeziehen, hier liegt ihr schwierigster Teil. Der Handschuh aber wäre nicht zu verwerfen, ohne ihn hätte die Umkehr kein Objekt und kein Ziel; er bleibt erhalten.
    Haben Einsicht und Verstand in Off 1318 etwas mit Schlange und Taube in Mt 1016 zu tun; ist der Verstand „klug wie die Schlangen“ und die Einsicht „arglos wie die Tauben“?

  • 25.2.96

    Der Universalismus heute ist nicht der theologische, es sei denn der der Verwüstung.
    Das Korrelat des Weltbegriffs ist die Selbsterhaltung. Die Welt ist zur Welt erst in einer Gesellschaft geworden, zu deren Grundlagen die Organisation des Privateigentums und der Selbsterhaltung, mit einem Wort: der Staat, gehört. Deshalb ist der Kern des Weltbegriffs nicht die Vernunft, sondern das Tier.
    Sind die beiden apokalyptischen Tiere, das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande, nicht das Römische Reich und – in dieser Folge – die Philosophie, die Kirche und die Aufklärung?
    Welches sind die Zeichen, auf die Jesus verweist, als er sagte: „So erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht“ (Lk 2128)?
    – „Es werden Zeichen eintreten an Sonne und Mond und Sternen
    – und auf Erden Angst der Völker, sodaß sie sich nicht zu raten wissen vor dem Tosen und Wogen des Meeres;
    – Menschen werden den Geist aufgeben vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen werden;
    – denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
    – Und dann wird man den Sohn des Menschen auf einer Wolke kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit.“
    Die Selbstlegitimierung des Bestehenden gründet darin, daß der Objektivierungsprozeß (der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß) von der gleichen Logik geleitet wird, die sich als Herrschaftslogik in der Geschichte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur herausgebildet und in den Institutionen des Staates, der Wirtschaft und des Rechts auskristallisiert hat.
    „Die Etappen des Weltgeistes folgen nach Hegel einander mit logischer Notwendigkeit, keine kann übersprungen werden. Marx ist ihm darin treu geblieben. Die Geschichte wird als unverbrüchliche Entwicklung vorgestellt. Das Neue kann nicht beginnen, ehe seine Zeit gekommen ist. Aber der Fatalismus beider Denker bezieht sich, merkwürdig genug, bloß auf die Vergangenheit. Ihr metaphysischer Irrtum, daß die Geschichte einem festen Gesetz gehorche, wird durch den historischen Irrtum aufgehoben, daß es zu ihrer Zeit erfüllt sei. Die Gegenwart und das Spätere stehen nicht wieder unter dem Gesetz. Es hebt auch keine neue gesellschaftliche Periode an. Fortschritt gibt es in der Vorgeschichte. Er beherrscht die Etappen bis zur Gegenwart. Von geschichtlichen Unternehmungen, die vergangen sind, mag sich sagen lassen, daß die Zeit nicht reif für sie gewesen sei. In der Gegenwart verklärt die Rede von der mangelnden Reife das Einverständnis mit dem Schlechten. Für den Revolutionär ist die Welt schon immer reif gewesen. … Er ist mit den Verzweifelten, die ein Urteil zum Richtplatz schickt, nicht mit denen die Zeit haben. Die Berufung auf ein Schema von gesellschaftlichen Stufen, das die Ohnmacht einer vergangenen Epoche post festum demonstriert, war im betroffenen Augenblick verkehrt in der Theorie und niederträchtig in der Politik.“ (Horkheimer: Der autoritäre Staat. Schwarze Reihe Nr. 3, Amsterdam 1968, S. 58f) Daß die „Logik der Geschichte“ nur post festum sich demonstrieren lasse, daß sie niemals prognostische Qualität gewinnt, ist vielleicht die entscheidende Einsicht, die auch in die Interpretation der Naturwissenschaften einschlägt.
    Waren nicht alle Kosmologien auf den jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Naturbeherrschung bezogene Legitimationstheorien? Deshalb war Prophetie als Kritik des Götzendienstes die Kritik dieses Legitimationsverfahrens. Und das Bilderverbot bezieht sich auf die Götzen und auf die „Weltbilder“ der Naturwissenschaften zugleich.
    Das Inertialsystem ist das Referenzsystem aller naturwissenschaftlichen Begriffe, Gesetze und Erscheinungen. Diese Eigenschaft des Inertialsystems wird durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht aufgehoben. Das Inertialsystem wird zwar durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit systemisch berichtigt, aber diese Berichtigung wird greifbar nur in Erscheinungen, die wiederum das unberichtigte Inertialsystem als Referenzsystem voraussetzen, in einer Gruppe von Bestimmungen, die an den Begriffen, Gesetzen und Erscheinungen als dingliche Eigenschaften sich manifestieren. Ebenso wie eine empirische Bestimmung zum Kern einer systemischen Korrektur des Systems geworden ist, manifestiert sich das korrigierte System in einer Gruppe empirischer Erscheinungen. Dazu gehören die universalen Naturkonstanten der Mikrophysik (insbesondere das Plancksche Wirkungsquantum und die elektrische Elementarladung), aber auch strukturelle Eigenschaften wie der Korpuskel-Welle-Dualismus oder die (Heisenbergsche) „Unbestimmtheitsrelation“.
    Die Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf die Richtungen im Raum, auf ihre physikalische Realität, die sich von ihrer mathematischen unterscheidet. Nur die mathematische Richtung enthält die Reversibilität, ihre Umkehrbarkeit, als ein konstitutives Moment in sich, es ist die gleiche Gerade, in der die beiden Gegenrichtungen aufeinander sich beziehen. Der Lichtstrahl, der die Gerade beschreibt, ist hingegen nicht nur idealiter, in der Richtungsintention, sondern real von seiner Umkehrung unterschieden: Die Umkehrung eines Lichtstrahls ist ein anderer Lichtstrahl; nicht nur sein Richtungssinn, sondern auch sein Zeitsinn ist dem des ersten Lichtstrahls entgegengesetzt. Was ist das für eine Bewegung, auf die sich die Geschwindigkeit des Lichts bezieht?
    Weltanschauungen sind das Problem der zweiten Generation.
    Die Verwandlung von Kritik in Meinung (die Neutralisierung der Kritik) ist ein Produkt der Verdinglichung. Meinungen lassen sich (auf dem Markt der Meinungen: in der Öffentlichkeit) vertreten, sie sind vererbbar, sie können erworben oder ausgetauscht werden, sie unterliegen dem Tauschprinzip, sie sind das Eigentum dessen, der sie hat (und aufgrund dieser Eigentumsbeziehung nicht mehr einsichtig). Als Meinung wird die Kritik gleichsam zur Ware, die nach Subsumtion unter die Logik des Tauschprinzips auf einen Zirkulationsprozeß zurückweist, dessen nähere Analyse den „Geisteswissenschaften“ obliegt: Kritik wird zur Meinung durch Eliminierung des Moments der Einsicht, aus der jede Kritik hervorgeht, auf die sie sich beruft, an die sie appelliert; deshalb ist jede Meinung über die Zwischenstationen ihrer Herkunft zurückzuverfolgen zu ihrem Ursprung, dem sie ihr Echtheitssiegel verdankt.
    Ist nicht die Meinungsfreiheit auch ein Instrument zur Zerstörung der Kritik?
    Wo findet in den Konstellationen der drei Subjektivierungsphasen (der Verkürzung und Subjektivierung der sinnlichen Qualitäten in Empfindungen, der Kritik in Meinungen und der Reflexion in Schuldgefühle) der philosophische Gebrauch des Wertbegriffs seinen logischen Ort? Werte sind instrumentalisierte und vergesellschaftete Urteile, der Wert einer Sache ist die automatisierte Kurzfassung eines Werturteils über die Sache.
    Sind die Schuldgefühle nicht das Pendant der Empfindungen im Bereich der zweiten Natur?
    Matthäus zitiert das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ (Hos 66) an zwei Stellen (913 und 127), die erste bezieht sich auf den Umgang Jesu mit den „Zöllnern und Sündern“, die zweite auf die Heiligung des Sabbat (nach dem Ährenessen der Jünger).

  • 24.2.96

    Hängt das Multizentrische des Organischen mit den realsymbolischen Beziehungen der Richtungen im Raum zusammen, mit dem Rechts und Links, dem Vorn und Hinten, dem Oben und Unten?
    … Erde und Himmel werden vor seinem Angesicht fliehen, „und keine Stätte wurde für sie gefunden“ (Off 2011).
    „Wenn aber dies zu geschehen anfängt, so richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung naht“ (Lk 2128).
    Die Gesellschaft ist kein schuldfähiges Subjekt, und Gesellschaftskritik zielt nicht auf die Verurteilung der Gesellschaft.
    Gibt es auch nur einen Hinweis darauf, daß eine der frühen christlichen Hausgemeinden von einem Mann geleitet worden ist? Sind nicht die männlichen Leitungsfunktionen (Bischöfe und Priester) erst später entstanden, und waren sie nicht insgesamt öffentlichkeitsbezogen (und so in die Logik des Weltbegriffs verstrickt)? Sind nicht die frühen, von Frauen geleiteten Hausgemeinden die einzig legitimen Orte des Brotbrechens, der Eucharistie, der Einspruch gegen die pharaonische Tradition (gegen die Tradition des „großen Hauses“, des Sklavenhauses), der Einspruch gegen den politisch organisierten Oikos, die politische Ökonomie?
    Sind nicht politische Ökonomie und politische Theologie invers aufeinander bezogen?
    Liegt nicht der Unterschied zwischen „nach seinem Bild“ und „nach dem Bilde Gottes“ (Gen 127) in der Differenz zwischen dem Possessivpronomen und dem Namen: in dem zwischen einer Herrschafts- und Eigentumsbeziehung und der Sprache? Und ist das nicht der Unterschied zwischen dem Hinter dem Rücken und dem Angesicht (gilt der Schöpfungsrhythmus von Katastrophe und Rettung auch fürs Christentum, und hat das Christentum nicht die bis heute prolongierte Katastrophe als Rettung mißverstanden; ist nicht der christliche Begriff der Erlösung ein Deckname dieser Katastrophe)?
    Läßt sich der Gottesname JHWH nicht auch als „Ich, der und der“, als erste Person singularis mit dem doppelten demonstrativen H, übersetzen? Ist nicht das Lachen (wie auch das Sehen) der subjektlose Gott: der Unbarmherzige, das strenge Gericht? (Ersetzen nicht das Lachen und das Sehen die Sprache durch den Raum?)
    Der bestimmte Artikel, das Lachen und der subjektlose Gott (der hebräische Artikel, die Deklination des bestimmten Artikels in der griechischen und in der deutschen Sprache, der Ursprung der Theorie und der subjektiven Formen der Anschauung).
    Der Zusammenhang des Lachens mit dem Objektivierungsprozeß läßt sich leicht an der Logik des Witzes demonstrieren. Zum Witz gehören drei: der, der den Witz erzählt, sein Objekt und die, die über den Witz lachen, das „Publikum“ (Anwendung auf die „subjektiven Formen der Anschauung“ oder aufs Fernsehen). Der Witz ist eine Vorurteils-Erzeugungs-Maschine. Das Lachen ratifiziert und besiegelt die Vergegenständlichung, und die Welt ist die Verkörperung des Gelächters, dem man, solange man es nicht durchschaut, ohnmächtig ausgeliefert ist und nur entgeht, indem man sich auf die Seite der Lachenden schlägt, sich mit der Welt gemein macht (durch Identifikation mit dem Aggressor).
    Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Abstraktion vom Blick der Andern sich konstituieren, sind dieses Gelächter, ihr objektives Korrelat ist der horror vacui.
    Haben unter diesem Gelächter, das am Ende in den Begriffen und in den subjektiven Formen der Anschauung sich vergegenständlicht hat, der Himmel (dessen Name das Wasser und das Feuer in sich enthält), die Erde und der über den Wassern brütende Geist (die Luft) in die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer sich verwandelt?

  • 23.2.96

    Gehört nicht das „RAF-Problem“ zu den Ursachen der moralischen Selbstzerstörung des Staates, durch den vermeintlichen Zwang, die Wahl der Mittel der Bekämpfung des Terrorismus von moralischem Ballast zu befreien?
    Gemeinheit ist kein Problem der Gesinnung, sondern eines der Logik. Nur durch die Reflexion dieser Logik ist es möglich, ihren Zwängen nicht zu verfallen. Die Logik der Gemeinheit aber begreift man erst, wenn man begreift, daß das Urteil und die Verurteilung gegen diese Logik ohnmächtig und blind sind, weil sie ihr selber unterworfen sind.
    Gegen die Gemeinheit ist erst gefeit, wer an die Auferstehung der Toten glaubt.
    Läßt sich nicht die Geistesgegenwart aus ihrer Beziehung zur Gemeinheit ableiten und begreifen; Gemeinheit ist die Abwesenheit der Geistesgegenwart. Gemeinheit entsteht, wo die Wunde bloß vernarbt, der Schmerz verdrängt wird: wo die Empfindung zur bloßen Empfindung subjektiviert worden ist.
    Sind es nicht diese drei Schritte, die, indem sie die „privilegierte Erkenntnis“ diskriminieren, in den Autismus führen:
    – Die Verdrängung der sinnlichen Erfahrung, ihre Subjektivierung als Empfindung,
    – die Zerstörung der Kritikfähigkeit, ihre Neutralisierung und Subjektivierung als Meinung, und
    – die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die Verdinglichung und Subjektivierung der Sünde zu Schuldgefühlen (das „schlechte Gewissen“, die Manifestation der Schuld unterm Bann der Autorität, des Über-Ich, die Verinnerlichung des Schuldurteils)?
    Sind diese drei Stufen nicht zugleich Stufen der Umkehr? – Ist nicht Intersubjektivität die „Normalform“ des Autismus?
    Es gibt einen logischen Zusammenhang des Bilderverbots mit dem Kelchsymbol. Das Kelchsymbol bezieht sich auf einen sprachlichen Sachverhalt: auf die verdinglichende Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung, die das Nomen an die Bilder der Einbildungskraft binden (Ursprung des Substantivs). Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Realgrund des Kelchsymbols, sie trennen die Sprache von der erkennenden Kraft des Namens, unterwerfen sie der Logik des (verdinglichenden und instrumentalisierenden) Herrendenkens. Die Anschauung ersetzt die Namen durch Bilder. Von allen Bildern aber gilt, was die Propheten von den Götzen sagen: Sie hören und sehen nicht, sie sprechen nicht, sie haben nicht die Kraft einzugreifen und zu ändern. Unterm Bann der Bilder werden die Menschen einsam und herrschaftssüchtig.
    In Heideggers Begriff des Daseins hört man geradezu den ausgestreckten Zeigefinger (das „Da“). Der Begriff des Daseins macht das Subjekt zu einem Sein für Andere (die auf es zeigen: deren Objekt es ist). In dieser Konstellation gewinnt die Unterscheidung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, die keine inhaltliche Unterscheidung ist, sondern allein eine des Rangs, ihren fatalen Sinn: Die Eigentlichkeit ist die Arroganz der Knechtsgesinnung, der „Niedertracht“. Hier liegt der Ursprung der Gemeinheit. Ist nicht Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“ ein erster Versuch, die Logik der Gemeinheit zu entwirren?
    Weltgericht: Symbol des Siegers ist das Bild dessen, der als Letzter auf dem Leichenberg der Erschlagenen, der Besiegten steht (Elias Canetti). Die Theologie beginnt mit der Einsicht, die der Sieger verdrängen muß: daß die Toten seine Richter sein werden. Wer glaubt, diesem Richter sich entziehen zu können, indem er mit Hilfe des Weltbegriffs und der subjektiven Formen der Anschauung das Vergangene vergegenständlicht und neutralisiert, täuscht sich selbst.
    Zur Position Horkheimers gehören beide Sätze,
    – der, den er in einem Brief an Benjamin geschrieben hat: die Erschlagenen sind endgültig tot (d.h., wer ihre Auferstehung erhofft, entlastet nur sich selbst von der Trauer und dem Schmerz), und
    – der andere, den er einmal im gemeinsamen Seminar mit Adorno gesagt hat: Wie kann man auf dem Riesen-Leichenberg, auf dem wir stehen, jemals die richtige Gesellschaft errichten!
    Wer die Philosophie Horkheimers verzweifelt nennt, und das in einem Ton, der suggeriert, wir seien darüber hinaus, der möge doch bitte einen dieser beiden Sätze widerlegen.
    Zur Lehre von der Auferstehung ist zu bemerken, daß es nicht mehr erlaubt ist, sie aufs private Ich zu beziehen, sie als private Hoffnung, die das Schicksal der Toten, der Welt und der Menschheit kalt läßt, zu hegen. Sie gilt nicht für die Pharaonen und ihre historischen Erben, die Herren des Sklavenhauses, sondern nur für die Opfer.

  • 22.2.96

    „Ist das Ihne Ihren Hund?“: An der Deklination des Personalpronomens (am Dativ und Genitiv 3. Pers. plural) läßt sich ablesen, daß der grammatische Adressat (der Dativ) aufs maskuline und der objektivierende Genitiv aufs feminine Geschlecht zurückgreift.
    „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht versuchen!“ Wer ist gemeint mit dem Du: benennt Jesus sich selbst (als Adressaten des göttlichen Gebots), oder den Teufel, und damit dann aber sich selbst als den Herrn, seinen Gott (den Gott für den Teufel), den man nicht versuchen soll? Geht es um die Versuchung Jesu durch den Teufel, oder um die Versuchung Gottes durch Jesus? Hintergrund ist die Aufforderung des Teufels, Jesus solle sich von der Zinne des Tempels stürzen (Mt 45ff).
    Jeder Indikativ ist ein (verdeckter oder offener) Imperativ. Jede Feststellung enthält einer Handlungsanweisung (sei es als „normative Kraft des Faktischen“ oder als Feststellung von materiellen Bedingungen, auf die das Handeln zu beziehen wäre). Die Trennung von Indikativ und Imperativ (Natur und Welt) erzeugt eine Sprache, in der Theologie nicht mehr möglich ist. Es ist die Sprache des Zuschauers, die die Erkenntnis zum Wissen depersonalisiert; sie steht unter dem Bann des Neutrums. Was mit hereinspielt, ist ein zeitliches Moment (das gleiche, das die indoeuropäische Sprachlogik konstituiert): die Trennung der Vergangenheit von der Gegenwart unterm Prinzip der Selbsterhaltung. Jedes Urteil, insbesondere jede Verurteilung, begründet die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart, indem es das Vergangene verdrängt. Hier liegt die Differenz zwischen der geisteswissenschaftlichen „Einfühlung“, die immer in die Herrschenden, die Sieger, sich einfühlt, und der Erinnerungsarbeit, die die Sache der Beherrschten, der Besiegten, zu ihrer eigenen macht.
    Sind wirklich „nicht-intendierte Folgen dem philosophischen Lehrer sowenig wie irgend einem anderen Autor, wie man sagt: subjektiv zuzurechnen“? (Habermas: Philosophisch-politische Profile, erweiterte Ausgabe, Frankfurt ’87, S. 19) Und was meint Habermas, wenn er anmerkt, daß „inzwischen …, ironischerweise vorbereitet durch sozialstrukturelle Umwälzungen, unterm Naziregime, die Bundesrepublik während der Rekonstruktionsperiode die Ungleichzeitigkeiten ihrer Entwicklung wettgemacht (hat) … Man hat immer noch eine magische Furcht es auszusprechen: wir leben heute in einem der sechs oder sieben liberalsten Staaten …“ (ebd. S. 24)? Diese Sätze stehen in einem Zusammenhang, der den Schluß nahezulegen scheint, die Philosophie müsse vielleicht doch endlich aus der „Fixierung an das zeitgeschichtliche Phänomen des Faschismus“ (S. 18) heraustreten.
    Das Konzept des „herrschaftsfreien Diskurses“ und des „zwanglosen Zwangs des Arguments“ lebt von der Prämisse, daß die Wahrheit „beweisbar“, daß „Intersubjektivität“ ein Konstituens der Idee der Wahrheit sei. Unterm Bann des Positivismus aber laßt sich die Wahrheit einer Erkenntnis (eines „propositionalen Satzes“) von der Instrumentalisierung des Erkannten nicht mehr unterscheiden. Damit hängen die Probleme der Beweislogik (ein zentrales Motiv der Kritik der reinen Vernunft), die Habermas bloß verdrängt, zusammen. Ausdruck dieser Probleme ist u.a. der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist: Der Grund liegt darin, daß sie nicht beweisbar ist. In diesen Zusammenhang gehören die Fälle von Kameraderie bei Übergriffen durch die Polizei, die Erfahrung, daß, wer Opfer eines Übergriffs geworden ist, aber keine Zeugen hat, im Falle einer Anzeige mit einer Gegenanzeige rechnen muß. Die Logik dieses Verfahrens läßt als Instrumentalisierung der Logik, die Kant unter dem Titel „Antinomie der reinen Vernunft“ analysiert hat, sich begreifen. Auf der alleinigen Grundlage der Beweislogik lassen ungerechte Urteile in der Justiz und falsche Urteile in der Wissenschaft, wenn man die „privilegierte Erkenntnis“ des „eingebildeten Zeugen“ ausschließt, sich nicht vermeiden.
    Die Historismus, die Objektivierung der Geschichte, rückt das Vergangene in eine Position, in der man unbehelligt vom Einspruch derer, die tot sind, darüber reden kann; das aber mit der Folge, daß man selber zum Opfer seinen eigenen Urteile wird. Ist das der Hintergrund der Übersetzung des Namens der Theologie mit der „Rede von Gott“?
    Astrologie und Mythos sind das falsche Bewußtsein eines Problems, das mit Astrologie und Mythos selbst mit verdrängt worden ist. Hierauf bezieht sich der Satz, es komme darauf an, den Knoten, den Alexander durchschlagen hat, endlich zu lösen.

  • 21.2.96

    Zur logischen Konstitution der gegenwärtigen Physik gehören
    – die Universalisierung des Begriffs des Proletariats (der nicht durch die Armut, sondern durch die lohnabhängige Arbeit sich definiert) und
    – der Zerfall der Staatssouveränität.
    Der Begriff und die Vorstellung der anorganischen Materie (die Vorstellung des mechanischen Objekts, aber auch der Begriff der Ware) gründen in der verdinglichenden Gewalt des einheitlichen Zentrums des Objekts, sie sind Produkte der transzendentalen Ästhetik und ihrer drei Aprioris: der subjektiven Formen der Anschauung, des Geldes und der Bekenntnislogik, letztlich der Subsumtion unter die Vergangenheit. Ist nicht jeder Organismus ein System von Zentren (und verweist nicht die insbesondere durch die Form des Raumes vermittelte Vorstellung des einheitlichen Zentrums, des Gravitationszentrums des Körpers als räumlichen Punkts, die die Vorstellung der anorganischen Materie begründet, auf die Beelzebub-Geschichte: das Reich Beelzebubs zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins ist)?
    Gehört die Beelzebub-Geschichte zur Geschichte von den sieben unreinen Geistern: Zuvor ging der eine unreine Geist „in die Wüste“, dort traf er die sieben anderen unreinen Geister, mit denen er in des „leere, gereinigte und geschmückte“ Haus zurückkehrte.
    Das „Unum et verum convertuntur“ wurde allein durch die Sakramentenlehre gerettet. Es hat dann allerdings die Sakramente in den Orkus mit hereingezogen.
    Manifestieren sich die verdrängten und unterdrückten Unterschiede der Identitätszentren (Adornos „Nichtidentisches“) nicht in den Unterschieden der Aggressionsabfuhr (in den Unterschieden der Identitätszentren der Bekenntnislogik, deren Feindbild- und Verräterlogik sich auf diesem Wege differenziert)?
    Die politische Urgeschichte der Ökonomie (der Ursprung des Handels im „Fernhandel“: im Raub, in der Ausplünderung und in der Eroberung und Aneignung fremder Länder) liegt vor der Begründung des Tauschprinzips.
    Der Satz aus den Feuerbach-Thesen, daß die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert haben, und es käme darauf an, sie zu verändern, richtet sich bereits gegen Definitionsmacht des Tauschprinzips (und des Trägheitsgesetzes). Wer nur über die Dinge urteilt, bleibt in den Verstrickungen der Interpretation (des Indikativs, der Bekenntnislogik). Er glaubt an die magische Kraft der Verurteilung.
    Gibt es nicht schon eine Reihe von Fällen, an denen sich belegen läßt, daß heute Siege katastrophischer (weil selbstzerstörerischer) sind als Niederlagen (der Ausgang des Zweiten Weltkrieges, der Vietnam-Krieg, und jetzt die Implosion Jugoslawiens)? Welche Folgen wird der „Sieg der freien Marktwirtschaft“ haben?
    Ende des Mythos: Siege haben die Kraft eingebüßt, ein neues Recht zu begründen. Erst jetzt erweist sich, daß das Christentum keine Siegerreligion ist.

  • 20.2.96

    Verrottung des Staates: Der deutsche Staat hat den Sieg als Basis. Deshalb konnte er den Versailler Friedensvertrag nicht ertragen, und deshalb hat es nach dem Zweiten Weltkrieg einen Friedensvertrag überhaupt nicht mehr gegeben, dafür das Wirtschaftswunder, das die faschistische Weltherrschaft auch nach der militärischen Niederlage als ökonomische noch als reales Ziel vor Augen hatte, während auf der Seite der Sieger die westlichen Mächte den Sieg mit dem Verlust der Kolonien bezahlen mußten, die östliche Siegermacht mit dem Zerfall der Herrschaftsinstitutionen. Der Zerfall sowohl des Kolonialsystems als auch der Sowjetmacht verdankt sich der gleichen Ursache:
    – Die unmittelbare Kolonialherrschaft wurde überflüssig, als nach der Globalisierung des Marktes sich herausstellte, daß die ökonomischen Zwänge (die „Sachzwänge“) das Gleiche, ohne die Hilfe unmittelbarer politischer Herrschaft, nur noch sehr viel effektiver, zu leisten vermochten.
    – Die Grundlage der Sowjetmacht: das Konzept eines Sozialismus in einem Lande, seiner nationalistisch eingeschränkten Realisierung, zerfiel zwangsläufig mit dem Zerfall der nationalen Souveränität in der politischen Explosion des Faschismus; sie zerfiel zwangsläufig an der blinden Gewalt der Ökonomie (der anorganischen Gestalt politischer Macht).
    Was bedeutet das im Hinblick auf die Prozesse der inneren Verrottung der Staaten (Neoliberalismus, Sieg der Verwaltung über die Politik und Angleichung des Rechts an die Verwaltung: positivistisches Rechtsverständnis).
    Ein Vertreter der BAW im Hogefeld-Prozeß, der die Kategorien „möglich“ und „nicht auszuschließen“ (die affirmative Möglichkeit und die doppelte Negation in dem Ausdruck „nicht auszuschließen“) nicht unterscheiden kann, hält gleichwohl eine Beweisantrag der Verteidigung für nicht zulässig, weil er auf den Nachweis einer „negativen Sachbehauptung“ abzielt: Mit dieser Logik werden die Behauptungen der Anklage einfach unwiderlegbar, und auf dieser Basis wäre in der Nazizeit auch ein Antrag abzulehnen gewesen, der den Nachweis hätte erbringen sollen, daß Juden „keine Angehörige einer minderwertigen Rasse“ sind.
    Als sich auf sich selbst beziehende Subsumtionslogik ist der Raum die Form der Äußerlichkeit und das Instrument der Konstituierung des Objekts, seiner Apriorisierung (vgl. die Bedeutung und Funktion der Orthogonalität).

  • 19.2.96

    Der Verdacht drängt sich immer mehr auf, daß im Bereich der Staatsschutz-Verfahren Leute, die in der Lage wären, zur Aufklärung kritischer Sachverhalte beizutragen (wie z.B. Klaus Steinmetz oder Frau Andrawes), vorsorglich unter Anklage gestellt werden, um
    – entweder ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, von ihrem mit der Anklage gegebenen Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen zu können,
    – oder aber der BAW ein Druck- und Erpressungsinstrument gegen sie an die Hand zu geben: Wenn Du aussagst, wirst Du die Folgen zu spüren bekommen.
    Synthetische Urteile apriori oder der Unzuchtsbecher: Das normale Verfahren, zu einer Entscheidung zu kommen, ist es, einen Sachverhalt so genau zu analysieren, daß die Entscheidung aus der Analyse der Sache selbst sich ergibt. Ist nicht das Verwaltungsverfahren (und in Analogie dazu das Beweiserhebungsverfahren in Staatsschutzprozessen) heute in der Regel umgekehrt: Die Entscheidung ist vorgegeben, an die Stelle der Sachverhaltsermittlung aber tritt die nachträgliche Rechtfertigung (Begründung) der vorgegebenen Entscheidung (des Urteils)? Ankläger und Richter in Staatsschutzverfahren aber scheinen ihre Aufgabe nicht nur darin zu sehen, ein vorgegebenes Urteil (ein Vorurteil) nachträglich zu rechtfertigen, sondern dieser nachträglichen Rechtfertigung den Schein einer vorurteilslosen Sachverhaltsermittlung und -feststellung zu geben.
    Urteile in RAF-Prozessen sind keine bloßen Urteile mehr, sondern selber bereits Strafen: Sie zielen auf Existenz-Vernichtung.
    Im Strafrecht hat die Strafe die gleiche synthetisierende und apriorisierende Funktion, die in der transzendentalen Logik am Objektbegriff und am Kausalitätsprinzip (den Problemen David Humes) sich festmachen lassen. Die Schuld, die das Gericht (als transzendentales Rechtssubjekt) im Urteil feststellt, ist die Schuld, zu der es den Angeklagten verurteilt.
    Der Faschismus ist die Explosion jener Logik, deren Grundlage die Todesstrafe ist.

  • 18.2.96

    Das Charisma Hitlers gründete in der Freigabe der Gemeinheit bei gleichzeitiger Übernahme der Verantwortung (Exkulpation) durch den Führer. Hitler war eine Unschuldsproduktionsmaschine, in deren Tradition nach dem Krieg die Kirchen einzutreten versucht waren. Die Kirche als religiöse Kuschelecke ist der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort (vgl. die Liturgie-Bastel-Gemeinschaften, das modische Thema „Religion und Naturwissenschaften“, die Ambivalenz von Publik Forum oder auch des „Kirchen-Volksbegehrens“).
    Ambivalenz des Inertialsystems: Das Inertialsystem hat eine andere Bedeutung und Funktion für die Mechanik als für die Atomistik (schon in der kinetischen Gastheorie, die nicht selber mechanisch ist, sondern die Mechanik nur reflektiert). Wenn es stimmt, daß die Form des Raumes (die Form der äußeren Anschauung) der Abstraktion vom Blick des Andern sich verdankt, so läßt die Entwicklung, die dann im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich vollendet, als Ergebnis eines Prozesses sich begreifen, in dem dieser Blick des Andern durch Subsumtion unters Inertialsystem vollends destruiert wird, eines Prozesses, in dem die Ursprungsabstraktion durch Rückkoppelung sich vollendet. Während in der Mechanik mit der Äußerlichkeit des Objekt auch die der anderen Subjekte sich konstituiert (das Subjekt hat nicht nur das Objekt außer sich, sondern ebenso das Objekt die anderen Subjekte), verdankt sich die Konstituierung und Entfaltung der Physik der Selbstreflexion des Systems (der Abstraktion vom Blick des Andern) in den Objekten der Physik, die dann allerdings in keiner Phase dieser Entwicklung wirklich als Objekte sich haben konstituieren können (von der Schwerkraft über den „Wärmestoff“ und den „Äther“ bis hin zu den Objekten der Mikrophysik): Paradigmatisch erscheint das im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschindigkeit, die die verdinglichende Gewalt des Inertialsystems selber (der Abstraktion vom Blick des Andern) erstmals ins Licht rückt.

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