April 1996

  • 30.4.96

    Das Christentum hat mit der Rezeption des Weltbegriffs den Rhythmus der Schöpfung umgekehrt: Es hat die Rettung an den Anfang und die Katastrophe ans Ende gesetzt. Aber hat nicht, der das Licht gebildet hat, zuvor die Finsternis erschaffen? Der Weltbegriff gründet in der Logik einer Sprache, in der das Vergangene das Vollendete ist, und in der das Vollendete nicht im Handeln, sondern dem Anschauen (dieser wissensbegründenden Einheit von Sehen und Gesehen-Haben) gegeben ist. Im Ursprung des Weltbegriffs liegt der Begriff des Wissens, die Logifizierung des Gesehenhabens. Das Anschauen (und in seiner Folge der Welt- wie auch der Naturbegriff) ist das institutionalisierte falsche Zeugnis. Deshalb gehört die Vorstellung des Zeitkontinuums, Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, zu den Voraussetzungen des Weltbegriffs. Ihren logischen Halt findet das Zeitkontinuum an der mathematischen Raumvorstellung. War nicht die Astrologie ein notwendiges Moment in der Vorgeschichte der Aufklärung in Europa, und zwar dadurch, daß sie (in den Beziehungen von Sonne und Mond, Jupiter und Mars, Venus und Merkur) den Schöpfungsrhythmus von Katastrophe und Rettung als reversibel vor Augen gestellt und damit seine Umkehrung vorbereitet hat? Nach jeder der neun ersten Plagen, heißt es, daß Gott das Herz des Pharao verstockte. Kann es sein, daß die Folge dieser Herzensverhärtungen verstanden werden muß als Ursprungsgeschichte des Herrendenkens? Sollte die Geschichte der ägyptischen Plagen unter diesem Gesichtspunkt nicht genauer untersucht werden, auch unter Berücksichtung der Umstände (welchen Gottesnamen zitiert Moses gegenüber Pharao, welche Plagen werden dem Pharao angekündigt, welche nicht, wie verhalten sich die Wahrsager und Zauberer des Pharao, wie unterscheiden sich die Plagen)? In welcher Beziehung stehen die ersten neun zur letzten Plage, zur Vernichtung aller Erstgeburt bei Mensch und Vieh in Ägypten, zum vorausgehenden Passah-Opfer und Passah-Mahl (Lamm, Fladen, Bitterkräuter) und zur Mitnahme des Schmucks und der Kleider der Ägypter? „Der Herr verstockte das Herz des Pharao“: Verweist der biblische Name Ägyptens (Mizrajim) auf die Ursprungsgeschichte der Trennung von Natur und Welt und auf den Grund des verstockten Herzens, und sind die Plagen die mit dieser Trennung verbundenen und durch sie (durch das dadurch erzeugte pathologisch gute Gewissen) zugleich unkenntlich gemachten Plagen: ist der Pharao der Prototyp derer, die den Herrn gekreuzigt haben und nicht wußten, was sie tun? Haben die zehn Plagen etwas mit den zehn Hörnern (des Drachens und des Tiers aus dem Meere) zu tun: Sind die Hörner (auch die der Opfertiere) nicht Verstockungen des Herzens (wie die zehn Verstockungen des Herzens des Pharao)? Was bedeutet es dann, wenn das Lamm, das geschlachtet wurde, und das würdig ist, die sieben Siegel zu lösen, sieben Hörner hat, während das Tier vom Lande zwei Hörner hat wie ein Lamm und redet wie ein Drache? Sind nicht die Umstände der zehn ägyptischen Plagen wichtiger als die Plagen selbst (der Nil, der zu Blut wird und aus dem die Frösche kommen; der Staub, der zu Mücken wird etc.; auf wen Moses gegen Pharao sich beruft: auf den Gott der Hebräer; auf JHWH, den Gott der Hebräer; „in der Frühe, wenn der Pharao zum Wasser geht“; der Hinweis auf das „Scheusal Ägyptens“). Gehört die Abfolge der pharaonischen Verstockungen zu den Konstituentien des Weltbegriffs? Spiegelt sich in der Verstockung des Pharao (von dem es vorher hieß, daß er Josef nicht mehr kannte) nicht die Josefsgeschichte (die als Karrieregeschichte, mit einer sentimentalen Wiedersehensgeschichte am Ende, sich präsentiert: auch eine Verstockungsgeschichte, hinter der die ökonomische Geschichte verschwindet)? Haben die zehn Sephirot etwas mit den zehn Hörnern und den zehn Plagen zu tun? War David der siebte (1 Chr 215) oder der achte Sohn des Isai (1 Sam 1610, 1712)? Die ungeheure Bedeutung der Kritik der reinen Vernunft liegt darin, daß sie die Logik, ohne ihren Zwang zu leugnen, erstmals zum Gegenstand der Reflexion gemacht hat. Es ist der erste Versuch, die Blindheit der Logik, die uns beherrscht und lähmt, durch Reflexion aufzuheben. Die subjektiven Formen der Anschauung abstrahieren vom Blick der Andern, machen sich ihn aber (im gemeinsamen Blick aufs Objekt) als systemische, die Form der Anschauung konstituierende Kraft zu eigen. Sie vergesellschaften und verinnerlichen die Zeugenschaft des Andern, indem sie sie in die Form des Anschauung integrieren. Die Formen der Anschauung sind das Produkt der Verweltlichung des Schwurs. Und dieser Schwur ist falsch (falsches Zeugnis). Es gibt einen Schrecken, den wir nur in kleinen Dosen an uns herankommen lassen können. Aber wenn er uns erreicht hat, bleibt nur der Spruch des Jonas: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört. In der Justiz sind synthetische Urteile apriori bewußt produzierte Irrtümer. Auch das hat etwas mit den Planeten zu tun, und mit dem Systemgrund der Astrologie. Zur Kritik des Zeitkontinuums: Nicht die geometrische Normale, sondern die Farbe bezeichnet die Tiefendimension der Fläche.

  • 29.4.96

    Tratsch gründet in der Lust an kontrafaktischen Urteilen. Und kontrafaktische Urteile sind Tratsch: Die Geschichte, das, was geschehen ist (Auschwitz einbegriffen), ist so hoch determiniert, daß die Verurteilung der Täter post festum den Punkt, an dem es anders hätte laufen können, nicht erreicht. Die Alternative wäre die Auflösung der gemeinheitsfördernden Strukturen gewesen, so etwas wie die gelungene Revolution oder die Verwirklichung des Reiches Gottes. Schreitet die gleiche Normalität, aus der das einmal hervorgegangen ist, nicht auf neuer Stufe so fort, als wäre nichts gewesen?
    Auschwitz kann niemals verziehen werden, aber ist das eigentlich dasselbe wie die Verurteilung von Auschwitz? Täuscht die Verurteilung nicht eine Distanz vor, die die Erfahrung und die Reflexion, auf die es ankäme, gerade verhindert, erfüllt die Verurteilung nicht genau die Definition dessen, was theologisch Versuchung heißt? Und ist das nicht in der Tat die größte Versuchung, der das Christentum heute ausgesetzt ist? Gründet die theologische Qualität von Auschwitz nicht gerade darin, daß ein Rest bleibt, der nicht objektiviert werden darf, über den wir nicht hinwegkommen? Gilt das Paradigma Im Angesicht/Hinter dem Rücken, bevor es an Gott sich bewährt, nicht vorab für Auschwitz? Ist nicht der Probierstein für das, was im Ernst die Gegenwart Gottes heißen darf, die Gegenwart von Auschwitz, der Versuch, die Zeit anzuhalten, damit das nicht endgültig Vergangenheit wird? Die endgültige Vergangenheit von Auschwitz wäre auch das endgültige Urteil über die Nachgeschichte, in der wir leben.
    Die Probleme, die Katholiken heute mit der Ohrenbeichte haben, gründen, auch wenn es ihnen nicht bewußt ist in diesem Sachverhalt. Verworfen sind die, die glauben, keine Probleme zu haben.

  • 28.4.96

    Die Armen und die Fremden: Das sind die, die weder an der ökonomischen, noch an der politischen Herrschaft teilhaben. In ihnen verkörpert sich Gott.
    Dürfen nach der Schrift Raubtiere gegessen werden? Oder sind alle Opfertiere und alle eßbaren („reinen“) Tiere pflanzenfressende Tiere? Worauf verweisen die Kriterien: gehörnt, Wiederkäuer, mit gespaltenen Hufen? Welche Vögel und welche Fische dürfen gegessen werden? War die Jagd erlaubt, und gibt es einen Hinweis in der Schrift, daß Juden die Jagd ausgeübt haben (Nimrod war „ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn“, und Isaak schickte Esau, ein Wildbret zu jagen)?
    Der Neoliberalismus antizipiert den Zustand, in dem die Natur die Menschheit überlebt haben wird. War Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nicht schon eine Antizipation des Neoliberalismus?
    Enthält die kabbalistische Übersetzung, wonach die Wasser an dem Ort Eins sich sammeln sollen (Gen 19), nicht einen Hinweis auf das Wortfeld, zu dem der Name der Universität (des Universums, des Universalen) gehört?
    Die Verwaltung reicht soweit wie die Macht des synthetischen Urteils apriori, während es Gerechtigkeit ohne die Kraft des reflektierenden Urteils nicht gibt.
    Synthetische Urteile apriori konstituieren den Bereich der Macht, während reflektierende Urteile an der Kraft des Namens partizipieren.
    Der Raum läßt sich ebenso als „Behälter“ (Grundlage des prophetischen Kelch-Symbols) verstehen wie auch als automatisiertes Produkt einer logischen Operation, eines logischen Verfahrens: als Produkt der Abstraktion vom Angesicht, von der Barmherzigkeit und von Gott, mit einem Wort: als Instrument des Herrendenkens.
    Der Objektivierungsprozeß (die wissenschaftliche Erkenntnis) macht die Dinge (privat-)eigentumsfähig, für Zwecke verfügbar, gegen andere Dinge (das Eigentum anderer) abgrenzbar, mit anderen Dingen vergleichbar. Die Naturordnung, die so sich auskristallisiert und erkennbar wird, ist ein Reflex der Eigentumsordnung; beide unterliegen dem gleichen Bewegungsgesetz. Es gibt keine wissenschaftliche Erkenntnis ohne das das Privateigentum ermöglichende und konstituierende Organisationsprinzip: den Staat.

  • 27.4.96

    Was bedeutet eigentlich das „visibilium omnium et invisibilium“ im Credo, wie hängt es mit dem „factorem caeli et terrae“ zusammen: Ist das Gemachte (auf das das Credo die Schöpfung reduziert) aufs Sehen und das Geschaffene aufs Hören bezogen? Das Wort und der Name kommen im Credo nicht vor. Läßt sich das Credo definieren als Besiegelung der Zerstörung der Prophetie durch Verdinglichung? Hier läßt sich die Differenz von Schrift und Wort, Begriff und Name, mit Händen greifen.
    Gemeinheit ist nicht mehr nur kein strafrechtlicher, sondern darüber hinaus auch kein diskriminierungsfähiger Tatbestand mehr. Es gibt Gemeinheiten, gegen die man sich nicht einmal mehr wehren darf. Gemeinheit ist (als Kern aller Empfindlichkeiten) heute zu einem schützenswerten Rechtsgut geworden. Bezeichnet nicht die Gemeinheit den Empfindlichkeitskern der Person?
    Ende der Metzgertheologie: Verweisen nicht der Kelch von Getsemane, der Wein und das Blut des Neuen Bundes, die Opfertheologie auf eine gemeinsames Zentrum, dessen Bedeutung erst sich enthüllt, wenn es dem Bannkreis der Instrumentalisierung entronnen ist? Ist dies nicht der zentrale Satz: Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde …? Ist nicht der Tod erfahrbar nur als Tod der anderen; und ist der eigene Tod im Kern nicht auch ein Tod für andere (aber kein „stellvertretender“)? Welche Bewandnis hat es hier mit dem Inertialsystem, mit dem Geld und mit der Bekenntnislogik, und was bedeutet in diesem Kontext der letzte Satz des Jakobus-Briefes? Hat das Christentum nicht mit der Rezeption der Lehre von der unsterblichen Seele, von einer Unsterblichkeit, die jeder nur für sich selbst erhofft, sich selbst den Zugang zur Eschatologie versperrt? Eschatologisch ist die Lehre von der Auferstehung, die sich aber zunächst auf die der anderen bezieht. „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ (Kafka).
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Nackt ist man im Blick der anderen; nackt ist man als anderer für andere: Kündigt sich in der Erfahrung, nackt zu sein, nicht zum erstenmal der Tod an (und gründet darin nicht die Affinität der Nacktheit zur Photographie)? Was hat es dann zu bedeuten, wenn Gott den ersten Menschen anstelle des Rocks aus Feigenblättern, mit dem sie ihre Blöße zu bedecken versuchen, einen Rock aus Fellen gibt?
    Während Heidegger die Unlösbarkeit des Todesproblems in der Philosophie mit der Identifikation mit dem Aggressor (mit dem „Vorlaufen in den Tod“) beantwortet, ist sie für Rosenzweig zum Kernstück seiner Lehre von der Umkehr geworden.
    Die drei evangelischen Räte sind die drei Antworten auf die Gewalten des Todes (sind nicht die „sieben unreinen Geister“ diese Gewalten des Todes: die Irrsterne).
    Aber hat nicht das Christentum durch die Subsumtion der Eschatologie unters Selbsterhaltungsprinzip (durch den katholischen Mythos) eine Situation geschaffen, die die Nekrophilie und die Mordlust fördert (und das einzige, was aus dem Bann herausführt: das „Stark wie der Tod ist die Liebe“, verdrängt)?
    „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“: Muß es nicht heißen: Die Pforten der Unterwelt, des Totenreichs?
    Inertialsystem (Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit): Wer das Vergangene in die Vergangenheit einsperrt, sperrt sich selbst mit ein.
    Licht und Finsternis beziehen sich beide aufs Sehen und Gesehenwerden zugleich: Im Licht sehe ich und werde gesehen, in der Finsternis sehe ich nichts und werde nicht gesehen. Die Unterscheidung von Licht und Finsternis, auch die von Tag und Nacht, ist physikalisch nicht nachvollziehbar, weil der den physikalischen Erscheinungen zugrunde liegende (mathematisch definierte) Raum, der Raum der Anschauung, vom Blick des Andern (vom Angesicht) und damit von der Möglichkeit gesehen zu werden abstrahiert. (Die Definition des seligen Lebens als „selige Anschauung Gottes“ ist falsch, weil sie von Gottes Angesicht, das kein Gegenstand der Anschauung ist, abstrahiert.)
    Der Zeuge ist einer, der gesehen hat und deshalb weiß. Sein Wissen ist beweislogisch verwertbar.
    Ist nicht das Wort, daß niemand eine größere Liebe hat als wer sein Leben hingibt für seine Freunde, wenn es für „Heldendenkmäler“ mißbraucht wird, zur Blasphemie entstellt?

  • 26.4.96

    Wie verhält sich die lateinische (feminine?) Konstellation von res, natura, mundus und materia zur griechischen (maskulinen?) Konstellation von pragma, physis, kosmos und hyle, und wie verhalten sich beide zur Konstellation von Ding, Natur, Welt und Materie?
    Die Welt gründet in einem Akt des Richtens, durch den sie am Ende selbst gerichtet wird.
    Die Einheit des philosophischen Gottes (des griechischen Monotheismus) ist die des subjektlosen Richtens; die reale Einheit Gottes hingegen gründet in Seinem Erwachen, in der Barmherzigkeit.
    Ist nicht in Rosenzweigs Konstruktion des Weltbegriffs (B = A) das A in sich selber vermittelt: ein Reflex des B in der Konstruktion des Begriffs des Menschen (B = B)? Das Allgemeine der Welt ist ein Besonderes. Im Kern des Weltbegriffs steckt die innere Kollektivität des Subjekts, an die der Begriff der Masse erinnert.
    Das Rätsel des Begriffs des Opfers löst sich, wenn das Opfer aus der Verstrickung in den Weltbegriff befreit wird. Dann erweist sich das Opfer als sein eigenes Gegenteil; nicht mehr als Opfer, sondern als Manifestation der Barmherzigkeit. Genau dadurch unterscheidet sich das JHWH-Opfer von dem Opfer des Baal.
    Die Kirche, die die Armen vertritt, hat sich selbst an die Stelle der Armen gesetzt. So hat sie die Sakramentenlehre verhext. Damit aber ist die Kirche zum Modell aller Institutionen seitdem geworden.
    Die Verurteilung (die die Vergangenheit irreversibel macht) ist das Sakrament des Büffels. Die Opfertheologie, die die Welt entsühnt, spricht damit das verurteilende Prinzip frei: Sie legitimiert Herrschaft.
    Gilt nicht für die Sprachen, was Hegel im Kontext seines Naturbegriffs von den Tieren sagt: Die Natur kann nach Hegel den Begriff nicht halten, weil es anders nur ein Tier, nicht aber ein Spektrum unterschiedener Arten und Gattungen geben dürfte. Wie verhält sich die Benennung der Tiere durch Adam, in der die Einheit der Sprache im Paradies sich manifestiert, zum Turmbau von Babel, in der die Sprache verwirrt, ihre Einheit zerstört wurde? Ist Babel nicht das Symbol für die neue Einheit des anderen, des apokalyptischen Tieres (das am Ende sich als eins mit dem philosophischen Gott erweist)?
    Für die Griechen steckt der Teufel, für die Juden steckt Gott im Detail.
    Den Satz „Um das ein für allemal klarzustellen …“ sprechen nur Väter, die im Bestehenden die Herrschaft der Vergangenheit verkörpern. Bezieht sich nicht das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ auf diese Väter? Die Schwierigkeit einer Theologie im Angesicht Gottes gründet darin, daß es in ihr kein Ein-für-allemal gibt.
    Das Ein-für-allemal ist als Prinzip der Väter zugleich das Prinzip von Gesetz und Verwaltung.
    Das Prinzip der Lohnarbeit hat das Verhältnis von Befehl und Gehorsam neutralisiert, es in einen Sachzwang verwandelt, den Arbeiter zum reinen Objekt gemacht. Für die Herrschenden in Wirtschaft und Politik sind die Arbeiter von den materiellen Ressourcen (Maschinerie, Rohstoffe, Energie, Kredit) nicht mehr zu unterscheiden. Sie sind wie diese nur noch ein Kostenfaktor, der möglichst niedrig zu halten ist.
    Die Antwort auf die Materialisierung der Menschen wäre die Humanisierung der Natur.

  • 25.4.96

    Dritte Person: Wer die „zwischenmenschlichen Beziehungen“ privatisiert, sie auf Beziehungen zwischen erster und zweiter Person reduziert (auf das Schema der „Begegnung“), macht Gott zur dritten Person, zu einem, über den man reden kann. Er macht die Theologie zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. In dieser Konstellation sind die Menschen zwar „nett zueinander“, das aber nur, weil sie entschlossen die Folgen dieses Nettseins nicht mehr wahrnehmen. – Vgl. hierzu Walter Bindemann „… Gutes tun und leihen …“ (in Füssel, Segbers „… so lernen die Völker des Gerechtigkeit“, S. 259ff): Anstatt aus den Texten über das Leihen und Zinsnehmen die Verhältnisse, aus denen sie stammen, herauszulesen, werden sie unmittelbar auf die Gegenwart, auf die sie nicht passen, angewandt. Vergessen wird, daß zwischen den biblischen Texten und uns zweitausend Jahre Christentum liegen.
    Macht nicht Walter Bindewald die Feindesliebe zu einer Gesinnungsfrage, weil er das Strukturproblem (das gesellschaftliche Problem), das in diesem Gebot steckt, und auf das dieses Gebot die Antwort ist, nicht sieht?
    Der Glaube an die magische Macht der Verurteilung, der dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrunde liegt, ist ein Teil der Bekenntnislogik (des Feigenblatt-Syndroms). Er verhindert heute das Begreifen dessen, was unterm Nationalsozialismus in Deutschland geschehen ist, und versperrt so den einzigen Weg, auf dem die Wiederholung des Grauens sich ausschließen läßt. – Die Diskriminierung des „Negativismus“ der kritischen Theorie steht unter dem Bann einer säkularisierten Bekenntnislogik; deshalb brauchte Habermas seinen „Verfassungspatriotismus“: um dem Bekenntnis einen Inhalt, der Bekenntnislogik ein Objekt zu geben.
    Am Modell eines Naturschutzes, der heute der Verwaltung übertragen wird, lassen sich das Konstrukt und die Folgen der Ideologisierung des Unschuldstriebs demonstrieren: Die Wachteln, die Libellen und der Enzian werden ideologisiert, um den Allmachtsphantasien der Verwaltung das Alibi und den nötigen Freiraum zu verschaffen.
    Mit dem Schwur wurden in der altorientalischen Welt Verträge besiegelt; deshalb waren die Tempel der Ort, an dem Verträge abgeschlossen wurden: im Angesicht der Götter, die als Zeugen angerufen wurden. Der Schwur besiegelte die wechselseitige Selbstbindung zweier Partner (war die hierbei zwangsläufige Instrumentalisierung der Götter nicht das Objekt des prophetischen Vorwurfs der Idolatrie und der Hurerei?). Mit der Anrufung des Gottes wurde sein Gericht auf den herabgerufen, der den Vertrag verletzte. Der Staat hat dieses Instrument der Sanktionierung der Vertragsverletzung in der Ausbildung des Rechts dann rationalisiert und selber instrumentalisiert.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik konstituieren die private Welt. Ist nicht das Private der Spiegel des nationalistisch gewendeten Politischen?

  • 24.4.96

    Zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kopf und Hand, liegt die ganze Welt. Deshalb sind wir nicht Herr über die vegetativen Vorgänge in uns.
    Der historische Objektivationsprozeß, der in den Weltbegriff mit eingebaut ist, ist die logische Grundlage des Personbegriffs.
    Der letzte Satz des Jakobus-Briefs ist eine Radikalisierung des Ezechiel-Worts „dixi et salvavi animam meam“.
    Kant-Seminar: Steckt nicht in der Meldung (FR von heute), daß das Frankfurter Oberlandesgericht die Ladung von Steinmetz als Zeuge abgelehnt hat, weil „sein Wissen für die Entscheidung des Gerichts unerheblich“ sei, der Schlüssel zu dem ganzen Verfahren: Dieses Gericht weiß ohnehin eh schon alles und möchte sich durch Zeugen, auch durch den einzigen Zeugen der Vorgänge von Bad Kleinen, nicht verunsichern lassen? – Das Faszinierende dieses Prozesses ist es, daß er es den Beobachtern ermöglicht, real der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori beizuwohnen.
    Hängt die Exodus-Geschichte mit dem Schöpfungsbericht zusammen? Das Sabbat-Gebot bezieht sich auf beide. Hat außerdem der Durchzug durchs Schilfmeer vielleicht etwas mit dem zweiten Schöpfungstag, der Trennung der Wasser durch die Feste des Himmels, zu tun?
    Nephesch, der biblische Name der Seele, auf den bei dem Verbot, Blut zu vergießen oder gar zu essen, verwiesen wird, hängt mit dem Aufatmen zusammen (vgl. die bei Veerkamp, in dem Sammelband „… so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit“, zitierten Stellen über das Aufatmen Davids, der Sklaven und des Viehs und schließlich Gottes). Ist nicht der Inbegriff dieses Aufatmens der Geist, und atmet Gott nicht in uns auf?
    Die Apokalypse ermißt die Distanz zwischen den Völkern und dem Sabbath. Die Braut, das „himmlische Jerusalem“, ist Israel.
    Sind es die Knechte und Mägde, die „rechts und links nicht mehr unterscheiden können“?
    Hat nicht das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit den Begriff „Lichtjahre“ schon widerlegt, ehe er erfunden wurde? Aber dieser Begriff Lichtjahre stützt das Konzept der Tiefenzeit, ohne das die Naturwissenschaften ihren Rechtfertigungsauftrag, den sie dem Bestehenden schuldig sind, nicht erfüllen können.

  • 22.4.96

    Enthält nicht der Gottesname Vater genau die Kritik an den realen Vätern, die in den Evangelien so deutlich sich widerspiegelt? Das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ gilt einem, der erst seinen Vater begraben wollte, bevor er ihm nachfolgte. Es entbehrt nicht der Ironie, wenn das Christentum dann – von den Kirchenvätern bis zum „Heiligen Vater“ – zu einer „Religion der Väter“ geworden ist (die Kirchen aber nur von Müttern und Kindern bevölkert sind).
    Wird der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ und nicht im Indikativ stehen, nicht durch den Gottesnamen „Vater“ verletzt? Ist dieser Name nicht ein Tabu über die Väter? Der jesuanische Gottesname Vater richtete sich gegen das (väterliche) Richten, es war der Versuch, der Barmherzigkeit eine Schneise zu schlagen: Dieser Vater war einer, der Bitten erhörte und nicht Steine statt Brot und eine Natter anstatt eines Fisches gab. Dieser Vater gehört zum Motto der „Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern“. Patriarchatskritik ist Väter-, nicht Männerkritik (ihr Objekt ist der politisch-ökonomisch determinierte römische pater familias, der privatisierte Pharao).
    Der Vater verkörpert die Vormacht des Vergangenen. Das Inertialsystem ist patriarchalisch.
    Was hat die Trinitätslehre mit der grammatischen ersten, zweiten und dritten Person zu tun?
    Jeder Schuldzusammenhang ist ein hierarchischer Zusammenhang; die kopernikanische Wende hat diesen hierarchischen Zusammenhang universalisiert, damit scheinbar neutralisiert, in Wirklichkeit aber nur verdrängt. Das Objekt ist eine Stufe in einer hierarchischen Ordnung, die keinen Anfang und kein Ende, keine Basis und keine Spitze hat.
    Die Stufen der Hierarchie sind Subsumtionsstufen, Stufen der Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft. Der Rang hierarchischer Mächte gründet in ihrem Alter: Das Höchste ist das Älteste. Begriffliches Denken ist in sich selber hierarchisch, und d.h. zeitlich organisiert. Die hierarchische Ordnung ist eine Schwurordnung, eine Ordnung der Selbstbindung – ist sie deshalb eine Siebener-Ordnung? Der Schwur besiegelt das Zeugnis und die die Zeugenschaft, begründet das Wissen, das im Urteil sich erfüllt. Ist die Ordnung des Raumes in ihrer Wurzel, in der Orthogonalität des Raumes, eine Schwurordnung (und liegt hier der Grund, weshalb die Entdeckung der Winkelgeometrie, zusammen mit der Logik des Beweises, die Philosophie – und die Begriffe von Natur und Welt – begründet hat)?
    Ist die Lösung des Rätsels der der Beziehungen der drei Totalitätsbegriffe (die unser Denken organisieren und beherrschen), der Begriffe Wissen, Welt und Natur, zugleich die Lösung des Rätsels, weshalb der Raum drei Dimensionen hat?
    Die Orthogonalität macht das Ungleichnamige gleichnamig (durch Veranderung identisch), sie begründet die Ordnung der Beweislogik und des Wissens (der synthetischen Urteile apriori, die Totalität der Erscheinungen, die von der Sphäre der Wahrheit geschieden ist).
    Gründet die Idee der Auferstehung in einer Idee der Vergangenheit, die am Ende völlig durchsichtig geworden ist (in der Kritik eines Begriffs der Geschichte, der die Vergangenheit des Vergangenen, indem er es erkennt, bestätig und besiegelt)?
    Lotterie: Das Geld hat die Erfüllung verdinglicht und als verdinglichte endlich gemacht; sie hat zugleich die Begierde grenzenlos wie den Raum gemacht. Seitdem ist die Kausalität universal geworden, während die Teleologie aus dem Bereich der erkenntnisleitenden Prinzipien ausgeschieden worden ist.
    Das Geld (und nicht die sexuelle Begierde) ist der Grund der concupiscentia, der Animalität (der durch Instrumentalisierung irrational gewordenen Vernunft).
    Jils Sander: Die Menschen möchten heute mit dem Ballast der Moral auch den der Kultur abwerfen. Aber das geht nur mit Hilfe des Schuldverschubsystems, der projektiven Verarbeitung der Last, ihrer Umformung ins Joch für andere. Das Fernsehen leistet hierzu erste Hilfe (für die Bewußtseinsindustrie ist das Bewußtsein eine zu bearbeitende Materie).
    Die Beziehung der Pflanzen- und Tierwelt zur Sternen-, genauer zur Planetenwelt (im alten, astrologischen Sinne) ist ein Hinweis auf erkenntniszerstörende Gewalt der kopernikanischen Wende: auf die Gewalt des mit dem heliozentrischen System konstituierten Totenreichs, der Trennung der Dinge vom Grund des Lebens, der Wirkung des Inertialsystems, das Naturerkenntnis erkauft um den Preis der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit.
    Die „Kultur der Empfindlichkeit“ ist in jedem Sinne pathologisch; aber diese Pathologie rührt an den Grund der Welt: Ist nicht das Planetensystem ein Spiegel dieser Kultur der Empfindlichkeit?

  • 21.4.96

    Der Handel verwandelt die ganze Welt in ein Äußerliches.
    Hängt nicht das Jesus-Wort, daß der Schriftgelehrte, der für das Himmelreich unterrichtet ist, einem Hausvater gleicht, der Altes und Neues aus seinem Schatz hervorholt (Mt 1352), mit den siebzig Sinnstufen, die jede Textstelle nach jüdischer Tradition hat, zusammen? Wer sich auf eine Interpretation festlegt, vergewaltigt die Schrift.
    Der letzte Satz des Jakobus-Briefs: „Wer einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, der wird seine (eigene) Seele vom Tode retten und eine Menge Sünden zudecken“ (520) erinnert an das Jesus-Wort, daß „im Himmel mehr Freude sein wird über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen“ (Lk 157). Die „Bekehrung“ ist demnach wichtiger als die Verurteilung, wichtiger auch als das eigene Nichtsündigen, die eigene „Unschuld“; und hat das nicht auch etwas mit der Geschichte von den sieben unreinen Geistern zu tun? Ist der Gedanke so abwegig, daß die Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern die Voraussetzung der Auferstehung Jesu, daß sie das Modell der von Jakobus genannten Bekehrung war?
    Das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“, ist das Einheitsprinzip, das logische Gesetz, durch das „alle meine Vorstellungen“ (und zwar als „meine“ Vorstellungen) aufeinander sich beziehen. Es ist die Keimzelle der Hegelschen Logik, die eine Eigentumslogik ist (die Dialektik reflektiert den Prozeß – den „bacchantischen Taumel“ -, in den das Wahre hereingezogen wird, wenn es ins Kraftfeld der Eigentumslogik gerät).

  • 20.4.96

    Wie reflektiert sich die Trennung der „subjektiven Formen der Anschauung“ in die der äußeren und der inneren Anschauung in der Logik des Geldes und in der Bekenntnislogik? Und ist diese Trennung nicht in der von Natur und Welt begründet (ist der Begriff des Weltgerichts nicht im Weltbegriff enthalten, aus seiner Logik ableitbar)?
    Kann man den Versuch, aus der Struktur des Gehirns das Bewußtsein abzuleiten, nicht mit dem Versuch vergleichen, aus der Konstruktion einer Lokomotive den Lokomotivführer abzuleiten?
    Die Schlange war das klügste aller Tiere/ Seid klug wie die Schlangen …: In der Tradition ist der Begriff des Tieres immer an das Kriterium der Sexualität angehängt worden; das Animalische im Menschen war das Sexuelle, der Trieb. Der Paradigmenwechsel, der sich ergibt, wenn der Begriff des Tieres anstatt an den Sexus und die Fortpflanzung (und damit an den Gattungsbegriff), an den Weltbegriff gebunden wird, rückt die „Klugheit“ der Schlange in ein anderes Licht: es ist die Klugheit der Welt, die Klugheit der instrumentellen Vernunft.
    Die Subjektivierungsgeschichte ist durch die Idee der Einheit der Welt (an der die Einheit des Subjekts, dem Kristallisationskern der instrumentellen Vernunft, hing) erzwungen worden.
    In diesen Zusammenhang gehört der Hegelsche Satz, daß „die Natur den Begriff nicht halten“ kann; ein Satz, den Hegel mit dem Hinweis auf die verschiedenen Arten und Gattungen der Tiere begründet. Gäbe es nur die eine Welt, dann dürfte es auch nur ein Tier geben. Rührt das nicht an die Bedeutung des Tiersymbols in der Apokalypse?
    Die Einheit der Welt liegt nicht in ihr selbst begründet, sondern in den subjektiven Formen der Anschauung, Index der vergesellschafteten Subjektivität. Deren Einheit aber ist durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gesprengt worden.
    Es gibt so viele Welten wie es Gattungen und Arten der Tiere gibt.
    Der Begriff der Gattung schließt Tod und Fortpflanzung mit ein. Tiere pflanzen sich fort und sterben (sind eingebunden in das „Rad des Lebens“); Tische und Stühle dagegen gehören keiner Gattung an (sie sterben nicht und pflanzen sich nicht fort), stehen nur in einer Subsumtionsbeziehung zu ihrem Namen.
    Aus dem Bann der Welt führt allein die Sprengung des Banns des Begriffs, die Befreiung der Kraft des Namens, heraus.
    Die biblischen Tieropfer beziehen sich allesamt auf gehörnte Tiere; heißt das nicht auch, daß sie sich allesamt auf grasfressende Tiere beziehen? Raubtiere sind keine Opfertiere (andere Völker beziehen zwar andere, nicht gehörnte Tiere, wie Pferd und Schwein, mit ein, aber keine Raubtiere).
    Ist das Aufspannen des Himmels („der den Himmel aufgespannt und die Erde gegründet hat“) ein gegen die Gewalt des Inertialsystems (und auf die Konstituierung des Angesichts) gerichteter Schöpfungsakt? Dieser Himmel ist im kopernikanischen System implodiert. Unterm Bann der Selbsterhaltung hat die Menschheit dem Aufspannen die Konstruktion von blinder Gewalt und starrer Herrschaft entgegengesetzt, deren Realsymbol das Inertialsystem ist.
    Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr: Deshalb ist die Reflexion der Vergangenheit, das Eingedenken, ein wesentliches Element der Theologie.
    Das Gravitationsgesetz hat den Schwur instrumentalisiert (der Schwur ist eine auf die Zukunft bezogene Selbstbindung, die Gott zum Zeugen anruft; sind Schwur und Zeugenschaft nicht Definitionselemente des Raumes, der subjektiven Form der äußeren Anschauung: Zusammenhang von Mathematik und Beweislogik und deren Beziehung zur Verwirrung des Namens, zum Nominalismus?). Das könnte den Namen der Planeten (Irrsterne) erklären.

  • 19.4.96

    Heißt alles verstehen wirklich alles verzeihen? Käme es nicht darauf an, auch das, was nicht verziehen werden kann, noch zu verstehen? Erst diese Maxime macht der Gemeinheit ein Ende.
    Was nicht vergeben werden kann, ist in der Schrift präzise bezeichnet: Die Sünde wider den Heiligen Geist.
    Faschistisch wird der Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ in der Selbstanwendung; er ist einer der Gründe für des pathologische gute Gewissen: Insbesondere alte Nazis haben unendlich viel Verständnis für sich selbst. Hängt hiermit nicht die Beziehung der Fundamentalontologie zum pathologisch guten Gewissen, die in die Fundamentalontologie eingebaute Exkulpationsautomatik, hiermit zusammen?
    Die Empörung verurteilt und blendet zugleich jedes Verständnis für das, worüber ich mich empöre, aus: Die Empörung gehört zu den Konstituentien des Objektbegriffs, durch den hindurch ihre Logik sich reproduziert. Wird hier nicht die Beziehung des Objektbegriffs zur Opfertheologie, aus der er hervorgegangen ist, erkennbar?
    Die Entsühnung der Welt entsühnt zu viel und zu früh (die wirklich entsühnte Welt wäre die zukünftige Welt).
    Der Kreuzestod war beides: Die Kritik und der Verstärker des Weltbegriffs.
    Der Empörte „weiß nicht, was er tut“; er gehört zu denen, die Jesus gekreuzigt haben.
    Jonas im Bauch des Fisches: Man kann die Philosophie und die Herrschaftsstrukturen, die in ihnen sich widerspiegeln, nicht in dem Sinne „widerlegen“, als wären sie damit entkräftet und ohne Bedeutung; man steckt mitten drin und kann allein durch Reflexion darüber sich selbst Rechenschaft geben, ihrem Bann sich entziehen. Deshalb hilft das Verurteilen nicht, im Gegenteil: es weckt und nährt die magischen Kräfte, die den Urteilenden in den Bann seines Objekts ziehen.
    Sartres Satz: Die Hölle, das sind die Anderen, bedarf nur einer einer kleinen Wendung, um ihn der Wahrheit zuzuführen: Die Hölle, das sind wir für die Anderen.
    Wider das eindeutige Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ hat das Christentum die Verurteilungsautomatik als Exkulpationsautomatik mißverstanden und mißbraucht. Der Begriff der „Entsühnung der Welt“ bezeichnet genau diesen Punkt des Mißbrauchs.
    Es gibt nicht zwei, sondern drei Bekenntnisbegriffe: Das Schuldbekenntnis (vor dem Opfer der Tat und vor Gott), das Glaubensbekenntnis (vor der Gemeinde), aber auch das Bekenntnis der Solidarität mit dem Opfer vor dem Verfolger (Cohens Bekenntnis: Ich bin Jude).
    Gibt es nicht einen Zusammenhang von „Saul unter den Propheten“ mit Paulus als „Hebräer unter Hebräern“? Zitiert nicht das Neue Testament in den Namen fortwährend das Alte, dessen Elemente es in neue Konstellationen rückt? Diese „Verrückung“ ist vorgezeichnet durch den Ursprung und die logische Gewalt des Weltbegriffs.
    Das telos der Beweislogik ist die Verurteilung (der Bestand des Objekts).
    Beim Namen werde ich gerufen, unter den Begriff werde ich subsumiert (unterm Begriff erscheint meine „Natur“). Der Name ist das Element der Auferstehung, der Begriff ist der Kern und der Ursprung der Bekenntnislogik, des Konfessionalismus (er konstituiert die stumme Gemeinde).
    68 ist 4 x 17, 69 ist 3 x 23, 72 ist 2 x 36.
    – 17 ist die Grundzahl der Anzahl Fische, die die Jünger gefangen hatten,
    – 23 ist die Grundzahl der Zahl der beim Schiffbruch vor Malta Geretteten, und
    – 36 ist die Grundzahl der Zahl des Tieres, die die Zahl des Namens eines Menschen ist.
    Kann es sein, daß der Satz vom Binden und Lösen auf die Beziehung des Innen-Außen-Paradigmas zum Im Angesicht-Hinter dem Rücken-Paradigma sich bezieht (Beziehung der Kirche zu Israel und zu den Heiden)?
    Ihr seid das Licht der Welt: Ich meine, es ist zu wenig, wenn wir nur im Binnenraum der Gemeinde das Licht anzünden. Das Licht wird erst dann zum Licht, wenn es die Welt hell macht (wenn wir an die Stelle der Bekehrung die Umkehr setzen).
    Drückt nicht in der merkwürdigen Wahrnehmung, daß „moderne“ Kirchen die Innnenwand wie eine Außenwand behandeln (durch Verwendung von unverputzten Ziegel oder Grobputz), ein entscheidender „kirchenhistorischer“ Sachverhalt sich aus: die Hereinnahme der Außenwelt in den Innenraum der Kirche. Machen wir nicht die Außenwelt zur Innenwelt; ziehen wir die Differenz zwischen Außen und Innen damit nicht ein, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen? (Für die Nachkriegsgeneration gibt es keine Kirche mehr.)
    Theologie im Angesicht Gottes, das wäre eine Theologie, die das Gebet als „Methode“ begreift (und damit erstmals das Gebet begreift).
    Urhäresie: Hat nicht die Gnosis zu einem heute noch offenen Problem nur die falsche Lösung präsentiert? Dann aber wäre daran zu erinnern, daß die Verurteilung der falschen Lösung, auch wenn sie wahr ist, noch nicht die wirkliche Lösung garantiert.

  • 18.4.96

    Kritik der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele: Wann und an welchem Feuer hat sich das Subjekt entzündet (Pathologie der Empfindlichkeit)?
    Die Subjektivierungsgeschichte, die über die sinnlichen Qualitäten die Herrschaftskritik und am Ende die Schuld ergreift, steht unter dem logischen Zwang des Objektbegriffs. Mit dem Objektbegriff ist die Subjektivierungsgeschichte mitgesetzt, aber in diesem Objekt, das seine eigene Projektion ist, erkennt das leere Subjekt am Ende nur noch sich selber wieder.
    Zum historischen Objektivierungsprozeß gehört die Ausgrenzung der Barbaren, die im Christentum unter dem Namen der Heiden sich wiederholt.
    Adornos Philosophie ist der ungeheure Versuch, den Bann einer Logik zu brechen, die nur so lange wirksam ist, wie sie dem Licht des Bewußtseins sich entzieht. Dieses Verfahren hat etwas mit dem Satz zu tun: Ihr seid das Licht der Welt. Und mit dem Satz: Der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht.
    Hinter dem Rücken: Das ist die Gemeinheit, die sich zugleich selbst verleugnet und dementiert, die nicht weiß, was sie tut; die das pathologisch gute Gewissen gleich mitliefert.
    Die Bilder der Schrift gehorchen einer Symbollogik, die eine Sprachlogik ist.
    Die Instrumentalisierung gehorcht dem Gesetz der Verwüstung und befördert es zugleich.
    War nicht die theoretische Entwicklung der Naturwissenschaften mit Planck und Einstein beendet, und alles weitere bloße Ausmalung eines Bildes, dessen Rahmen und dessen Grundmotiv vorgegeben war?
    Schließt der Plural in dem Wort „Lasset uns den Menschen machen“ nicht schon die Menschen mit ein (die an ihrer eigenen Menschwerdung mitzuwirken berufen sind)?
    Hören und Sehen: Das Wissen gründet in der optischen Erinnerung (im „Gesehenhaben“), die Offenbarung im Hören.
    Daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet, heißt das nicht, daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit zur Schuldreflexion (die Freiheit vom Rechtfertigungszwang) wartet, die auch die Natur vom Bann befreit?
    Mit dem Urschisma haben nicht nur wir uns von den Juden getrennt, sie ihres Namens beraubt, indem wir uns als das neue Israel definierten, wir haben zugleich die Völker, die wir selber sind, zu Heiden umdefiniert und externalisiert: So sind wir erst zu „Heiden“ geworden.

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