Der Begriff der Geltung gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs, er fällt unter das Paradigma Rind und Esel, er ist ein Teil des Jochs, das wir andern auferlegen. Geltung ist Geltung für andere, und nur insofern auch für mich. Er gehört zum Begriff einer Welt, in der prima facie nur ich lebe und alle anderen (und damit auch ich selbst) für mich anorganische Materie sind.
„Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, als Gottes Ebenbild schuf er ihn.“ Auf wen bezieht sich im ersten Teil des Satzes das das Possessivpronomen „sein“, auf Gott oder auf den Menschen (und auf wen das Personalpronomen im zweiten Teil des Satzes)?
Gershom Scholem hat darauf hingewiesen, daß das Konstrukt einer creatio mundi ex nihilo in der Schrift keinen Anhaltspunkt findet und erst recht spät in der Theologie auftaucht. Ist das nihil nicht das nihil der Barmherzigkeit, und ist das Konstrukt nicht Ausdruck eines Schöpfungsbegriffs, der vollständig im Zeichen des strengen Gerichts steht? Das jedenfalls scheint sich in der Diskussion dieses Topos, auch in der Kabbala bis hin zu Isaak Luria, eindeutig nachweisen zu lassen. Ist das Zimzum nicht ein Akt der Scheidung des strengen Gerichts von der Barmherzigkeit?
Liegt nicht das Problem des Schöpfungsbegriffs darin, daß sich, seit der Entfaltung der Weltreiche, zuletzt der Herrschaft Roms, und seit dem Ursprung des Weltbegriffs, der Staat in den Begriff der Schöpfung trübe sich eingemischt hat (der theologische Begriff der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Jesu exkulpiert gleichsam apriori den Staat)?
Adorno und Rosenzweig versöhnen heißt, das Eingedenken der Natur im Subjekt durch die Kritik des Historismus zu ergänzen, zu berichtigen und zu erfüllen.
Juni 1996
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4.6.96
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3.6.96
Zu Lk 117: Worauf bezieht sich das Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter? Heißt es im Dekalog: Du sollst Vater und Mutter lieben, auf daß du lange lebest auf Erden (so der Sohn von Martin Heidegger in der FR von heute), oder: Du sollst Vater und Mutter ehren, …? Erlaubt diese Formulierung nicht die Frage, ob man seine Eltern überhaupt lieben kann, und ob nicht die Beziehung, die Kinder zu ihren Eltern herzustellen haben, auf einer anderen Ebene liegt als beispielsweise die Nächsten- oder auch die Feindesliebe? Und hat diese Frage nicht auch etwas mit der der Sündenvergebung zu tun, die (gegen die Auslassungen des Bormann-Sohnes) ohne die Versöhnung mit den Opfern nicht zu erlangen ist, und die – auch nach einem Jesus-Wort – nicht auf die Beziehung von Seele und Gott (auf den Bereich der Innerlichkeit) sich eingrenzen läßt. Gehört es nicht zur Würde des vierten Gebots, daß es die Beziehung zu den Eltern mit dem Wort „ehren“ benennt, das den Blick auf Öffentlichkeit und aufs Handeln mit einschließt, damit aber über die Privatsphäre hinaus aufs Politische verweist?
Das vierte Gebot gebietet nicht die Elternliebe, vor deren Gefahren: der symbiotischen Beziehung und der Verstrickung in Rechtfertigungszwänge, es vielmehr durch des Wort „ehren“ schützt. Das vierte Gebot macht das Über-Ich reflexionsfähig. Die Reflexion des Über-Ich entzieht dem Glauben an die Magie des Urteils den Boden.
Du sollst Vater und Mutter ehren: In welchem Kontext kommt dieses „ehren“ sonst noch vor?
Nur die Eltern, die es mit sich selbst nicht aushalten, wollen von ihren Kindern geliebt werden.
Steht das Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ nicht in der Tradition des vierten Gebots: „Du sollst Vater und Mutter ehren“? Lieben sollst du nur Gott und den Nächsten.
Der Weltbegriff bezeichnet eine kollektive symbiotische Beziehung, deshalb ist er der logische Grund des Nationalismus. Die Form dieser symbiotischen Beziehung ist die Bekenntnislogik (die in der Schuldumkehr gründet).
Auch der universale Weltbegriff (die Universalität des Weltbegriffs) gründet in Voraussetzungen, die erst mit dem Staat entspringen (und d.h. nicht universal sind). Zur Universalität dieses Weltbegriffs gehört der Ausschluß der Barbaren, der Fremden, der Wilden, auch der Juden.
Ist die Trinitätslehre nicht ein Produkt der Überhöhung des dynastischen Prinzips: der Hypostasierung des Erbens (das zu den die Identität des Weltbegriffs stiftenden Kräften gehört).
Nach jesuitischen Wahrheitsverständnis sind Notlügen erlaubt. Ist dieses Wahrheitsverständnis nicht ein politisches: Werden nicht sämtliche Wahlkämpfe, wird nicht die Selbstdarstellung der Politik insgesamt mit Notlügen bestritten?
Die Kirche ist längst zur Versammlung der 99 Gerechten geworden.
Ursprung der Opfertheologie: Die Männer, die bei der Kreuzigung Jesu davongelaufen sind, haben post festum das Kreuz zum Symbol der Erlösung gemacht.
Haben der Baal und die Ascherim (und im Hintergrund der hieros gamos) nicht auch astrologische Bedeutung?
Ist das Denken des Denkens des Aristoteles (die Selbstobjektivierung des Denkens, die Hereinnahme des Denkens des Andern ins eigene Denken: die Reflexion) selber ein Reflex der Orthogonalität, die die Unterschiede zwischen den Richtungen im Raum neutralisiert, „aufhebt“; und hängt über die noesis noeseos, die dann in der „Trinitätslehre“ sich entfaltet, die Orthodoxie mit der Orthogonalität zusammen (rühren das „Zeugen“ und das „Hervorgehen“, die das Verhältnis der Personen im trinitarischen Dogma definieren, an die in der „subjektiven Form der Anschauung“ verdrängten inneren Differenzen der Richtungen im Raum)?
Kann es sein, daß die Kabbala und das christliche Dogma als zwei Seiten ein und derselben Sache sich begreifen lassen? Daß das En-soph (und die Sefiroth) und die Trinitätslehre auf einen gemeinsamen Ursprung in der noesis noeseos, im Denken des Denkens, genauer: in dem damit bezeichneten objektiven begriffs- und herrschaftsgeschichtlichen Problem, zurückweisen (vgl. hierzu Gershom Scholem, „Über einige Grundbegriffe des Judentums“, 1970, S. 28ff)? -
2.6.96
Zum Problem der Gattung: Der mittelalterliche Begriffsrealismus (das logische Pendant des kirchlichen Antijudaismus) ist die logische und historische Wurzel des Rassismus. Er gründet in der Verwerfung des Namens, der niemals auf eine Gesamtheit von Objekten, auf die Subsumtionsbeziehung von Allgemeinem und Besonderen, und d.h. als Begriff, sich anwenden läßt.
Das katholische Verständnis des Namens, das in der Feier des Namenstages, in der Beziehung des Namens zum Heiligen, einmal sich ausdrückte, war Teil einer Theologie, die den Begriffsrealismus in der Logik des Namens zu begründen versuchte.
Das Problem des Bekenntnisses ist das Problem der öffentlichen Erkennbarkeit der Religion, einer Religionsgemeinschaft. Es ist in die Geschichte der „Öffentlichkeit“ verstrickt. Frage: Sind Kirchen, die wie Großbetriebe geführt werden, noch als Kirchen erkennbar?
Merkwürdige Bildung der den Summenzahlen 153 (die Zahl der gefangenen Fische – Joh 2111), 276 (die Zahl der beim Schiffbruch vor Malta Geretteten – Apg 2737) und 666 (die Zahl des Tieres vom Lande Off 1318) zugrundeliegenden Basiszahlen: 17 = 1 x 10 + 7, 23 = 2 x 10 + 3, und 36 = 3 x 10 + 6?
Grundlage der raf-Prozesse: Das Inertialsystem macht den Verteidiger zu einem Hilfsorgan des Rechts.
Der Glaube an die magische Kraft des Urteils gründet in der Beziehung des Urteils zum Schuldzusammenhang, dessen kritische Entschlüsselung noch aussteht. Dieser Schuldzusammenhang, durch dessen Kritik die theologische Idee der Wahrheit, die die Versöhnung mit einschließt, überhaupt erst sich konstituiert, drückt in erster Linie in der logischen Gewalt der Totalitätsbegriffe, des Wissens, des Natur- und des Weltbegriffs sich aus. In diesem Kontext wäre der Begriff der Umkehr, ohne den die Wahrheit der Theologie nicht gedacht werden kann, neu zu bestimmen, wäre er aus seiner Einbindung in den Schuldzusammenhang, in den ihn der christliche Begriff der Buße gebracht hat, endlich zu befreien (Maria Magdalena, die „Büßerin“).
Hat unsere Theologie nicht ihren Beitrag dazu geleistet, das Magnificat auf den Kopf zu stellen: das Erbarmen umzulenken von den Armen und Ohnmächtigen auf die Reichen und Mächtigen? -
1.6.96
Gehört nicht zum Kaiser-Problem (warum es im Märchen keinen Kaiser gibt) neben dem Satz „Gebt des Kaiser, was des Kaisers ist, …“ und „…, so bist du kein Freund des Kaisers mehr“ auch die Geschichte vom Beelzebub und der Einheit des Reiches? Es ist das Reich des Beelzebub, das zerfällt, wenn es mit sich uneins wird (steckt hier nicht der Kern der Rom-Kritik Jesu?), während „in meines Vaters Haus (und das heißt doch wohl: im Gottesreich, H.H.) viele Wohnungen“ sind. Dieses Einheitsverständnis ist caesarisch: sensibilitätszerstörend und empfindlichkeitsbegründend zugleich.
War nicht die Reaktion von Gollwitzer und dann auch von Marquardt auf Scholems Aufsatz über die messianische Idee im Judentum ein erneuter Beleg dafür, daß es nicht auf die Empfindlichkeit, sondern allein auf Sensibilität ankommt? Dabei hat Scholem selbst die Stelle bezeichnet, an der ein Dialog möglich gewesen wäre: „Was den alten Propheten als ein Wissen zukam, das gar nicht laut und öffentlich genug verkündet werden konnte, wird in den Apokalypsen zum Geheimnis. Es gehört zu den Rätseln der jüdischen Religionsgeschichte, die von keinem der vielen Erklärungsversuche befriedigend beantwortet worden sind, was eigentlich der wahre Grund dieser Metamorphose ist, die das Wissen um das messianische Ende, wo es den prophetischen Rahmen der biblischen Texte überschreitet, zum esoterischen Wissen macht.“ (Scholem, Über einige Grundbegriffe des Judentums, Frankfurt 1970, S. 128f) Wodurch die Apokalypse von der Prophetie sich unterscheidet, ist der Ursprung des Weltbegriffs, die neue Gestalt der Welt und des Bewußtseins, die damit bezeichnet ist.
Steht nicht auch die „Israel-Theologie“ in der Gefahr, ihrem Adressaten vorzuschreiben, wie er den eigentlich zu sein hätte, und ihn mit kontrafaktischen Urteilen zu belästigen?
Was meint Marquardt mit der „Rechtfertigung Gottes“ (vorausgesetzt, daß die Rezension seines neuen Buches im neuen Heft der Jungen Kirche ihn richtig zitiert)?
Die Unsterblichkeit der Seele, die eben damit verletztbar und empfindlich wird, ist die Unsterblichkeit des pharaonischen oder caesarischen Reichs, dessen Symbole beleidigungsfähig sind, „verunglimpft“ werden können. Das Himmelreich und das Reich Gottes stehen in Opposition zu diesem Reich.
Zu Martin Bormann und Hermann Heidegger (die sich beide nach der FR von heute zur Schuld ihrer Vätern geäußert haben): Ihre Exkulpationsversuche gründen in der christlichen Tradition, wonach Gott Sünden vergeben kann, ohne daß es dazu einer Versöhnung mit den Opfern bedarf. Diese Vorstellung mag zu den Konstituentien staatlichen Rechts (des „Rechtsfriedens“, der ohne staatliche Gewalt nicht zu sichern ist) gehören; durch ihre Hereinnahme in das kirchliche Bußverständnis und die kirchliche Bußpraxis ist sie zur Quelle der Unsensibilität und des autoritären Wirklichkeitsverständnisses geworden. Deshalb hören wir aus dem Namen der Buße nur noch die Strafpraxis und die Diskriminierung des Sünders heraus, nicht mehr die Umkehr. Das Wort von der Versöhnung mit dem Bruder, das vor dem Opfer steht, ist längst vergessen und verdrängt. Und das Opfer ist durch Verinnerlichung zum Opfer der Vernunft geworden.
Im Dingbegriff ist die ganze Herrschaftsgeschichte enthalten.
Gibt es einen Zusammenhang der Possessivpronomina Mein, Dein, Sein (und damit auch des Infinitivs Sein) mit dem unbestimmten Artikel Ein? Drückt nicht in den Anfangskonsonanten (M, D, S) die Besitzergreifung dessen sich aus, was durch den unbestimmten Artikel als eigentumsfähiges herrenloses Gut (als Vorhandenes) sich präsentiert? Und verweist nicht insbesondere das M (der verschlossene Mund) auf die Analogie der Besitzergreifung zur Einverleibung, zum Essen, zur Kommunion (vgl. die Bedeutung der Eucharistieverehrung für die thomistischen Theologie), während das Sein zum Ausdruck der kollektiven Besitzergreifung (der Besitzergreifung durch die unbestimmte dritte Person, die die unvermittelte Besitzergreifung durch den Einzelnen ausschließt, die Grenze zwischen mir und den Anderen in die Dinge verlegt) in der urteilenden Erkenntnis geworden ist?
In welcher Beziehung steht der bestimmte Artikel zum Eigentum und zum Tausch, und welche sprachlogische Bedeutung hat dann die Deklinierbarkeit des bestimmten Artikels im Griechischen und im Deutschen? – Im Hebräischen durfte der Eigenname nicht mit dem bestimmten Artikel versehen werden.
Die Alternative ist nicht Sein und Haben (diese bezeichnet nur die Grenze zwischen mir und den andern), sondern Sein und Handeln (die Grenze zwischen Ontologie und Ethik, Natur und Übernatur). Die Verführung der Ontologie (in der das Inertialsystem Gewalt über die Sprache gewinnt) liegt darin, daß sie dem Handeln (und seiner Wahrnehmungskraft: der Sensibilität) den Weg verstellt, statt dessen den Quell (eigentlich den Abgrund: das schwarze Loch) des in seine Ohnmacht eingesperrten Selbstmitleids (der Verletzbarkeit, der Empfindlichkeit) eröffnet.
Indogermanisch oder der Rock aus Fellen: Wäre es nicht an der Zeit, das Problem der Beziehung von Biologie und Sprache (das Problem des Gattungsbegriffs, aber auch des Rassismus) neu in Angriff zu nehmen? Beide gehören der gleichen logischen Ebene an, bezeichnen gleichsam nur deren zwei Seiten, deren Beziehung zueinander (als das Verhältnis zweier Seiten) zu bestimmen wäre.
Männlich und weiblich schuf er sie: Ist nicht der Unzuchtsbecher das Produkt der Instrumentalisierung des Zeugens und ein Symbol der caesarischen Logik (ein Attribut der Hure Babylon)? Gehört in diesen Kontext nicht das „dynastische Prinzip“, das die Nachfolge durch Geburt regelt, seine Funktion in Hegels Rechtsphilosophie (in der zu den Aufgaben des Monarchen das Zeugen eines Erben gehört) wie auch in der Trinitätslehre (in der der Vater den Sohn „gezeugt, nicht geschaffen“ hat)? Sind nicht Verwandschaftsbeziehungen (und in ihrem Kern die „Geschlechtsbeziehungen“) die Modelle logischer (begrifflicher und hierarchischer) Beziehungen?
In einer Sprache ohne Neutrum färben die Geschlechts- und Verwandschaftsbeziehungen auch die kosmischen und historischen Vorstellungen (die Patriarchen, das „ganze Geschlecht“ der Landnahme und die Könige, „gehen“, „legen sich“ oder werden, wenn sie sterben, „zu den Vätern“ versammelt, wogegen Jesus zu einem, der seinen Vater begraben wollte, sagt: „Laß die Toten ihre Toten begraben“).
Ist das Neutrum, der Ursprungsbegriff der Säkularisierung (der Konstellation von Herrschaft, Objektivierung und Instrumentalisierung), in der Sprache die Schlange, im Bereich des Handelns (in Religion und Politik) hingegen der Unzuchtsbecher, der Inbegriff der Hurerei, der Greuel am heiligen Ort?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie