Oktober 1996

  • 31.10.1996

    Doppelbedeutung von „fit“: Hängt nicht der Kinderspruch „fit, fit, fit“, mit dem sie lernen, mit der Häme umzugehen, mit dem „Fitness-Training“ zusammen?
    Drei Funktionen der Banken, die auch (in variabler Zusammensetzung) unterschiedlichen Formen der Banken zugrundeliegen: Zentralbanken, Depositenbanken, Kreditbanken (haben sie nicht etwas mit der Beziehung von Akkusativ, Genitiv und Dativ zu tun, und mit der Zerstörung des Nomens, seiner Umwandlung zum Substantiv?).
    Betonblock: Die Finanzierungsformen der Wirtschaft, die generell über Kredite laufen (auch Aktien sind Kredite, ebenso wie die Liquiditätskredite der Banken), erzwingen das Rentabilitätsprinzip, das vom subjektiven „Gewinnstreben“ ebenso abgekoppelt ist wie (durch die Schlachthäuser) der Fleischverzehr vom Selberschlachten oder (durch die Justiz) die Strafe von der individuellen Rache. Als Rentabilitätszwang ist das Gewinnstreben zu einer Sache der Verwaltung und damit zu etwas Objektivem geworden. Der Gewinn ist nicht mehr der Gewinn dessen, der ihn „erwirtschaftet“, sondern als Zins oder Rendite (denen ihr Ursprung nicht mehr anzusehen ist) der des Kreditgebers, der „sein Geld arbeiten läßt“. Das verwandelt die Ökonomie in ein Stück Natur, die die ganze lohnabhängige Arbeit unter sich begreift, die so der Reflexion ebenso entzogen zu sein scheint wie das Objekt der Naturwissenschaften. Aber werden durch diesen Prozeß die Kritik der politischen Ökonomie und die Kritik der Naturwissenschaften nicht vom Gang der Dinge selbst in eine Beziehung gerückt, in der sie entweder beide ausgeblendet werden oder nur noch gemeinsam möglich sind?
    Die identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft der Feindbildlogik ist eine gesellschaftliche und eine logische Kraft zugleich: sie begründet auch die Subsumtionsbeziehung des Begriffs zum Objekt, in der die Feindbildlogik als Herrschaftslogik (als Instrument der Naturbeherrschung) sich materialisiert. In dem Augenblick, in dem die Urteilsfindung in einem Prozeß auf die Subsumtionslogik regrediert und die Reflexion (das Sich-Hineinversetzen in den Angeklagten) aus dem Recht ausgetrieben wird, wird der Angeklagte zum Feind und werden die Knäste zu einer sinnlichen Verkörperung des Objektbegriffs und der Subsumtionslogik.
    Max Horkheimers Satz, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen darf, bewahrheitet sich heute auch noch darin, daß die Verdrängung der Vergangenheit in der Tat zur Grundlage des ökonomischen Handelns geworden ist.
    Es gibt keine Feindbildlogik, die sich nicht durch Berufung auf den Feind legitimiert, dadurch aber einer tendentiell paranoiden Zwangsreflexion sich unterwirft, die die freie Reflexion verhindert, indem sie ihren Gegenstand mit Hilfe eines Tabus, dessen Instrument die Empörung ist, unsichtbar macht (wie die Fixierung auf das unmoralische „Gewinnstreben“ die gesamtgesellschaftlichen Wirkungen des Rentabilitätsprinzips unsichtbar macht).
    Waren nicht Kopernikus, die Entdeckung der später kolonialisierten Welten und die Anfänge des Kapitalismus Vorankündigungen einer Explosion der Eigentumslogik, die noch bevorsteht?
    In der kantischen Transzendentalphilosophie haben die subjektiven Formen der Anschauung die Funktion, der transzendentalen Logik das apriorische Objekt bereitszustellen, das dann die Konstruktion synthetischer Urteile apriori nicht nur möglich macht, sondern erzwingt. In der Konsequenz dieser Konstruktion lieferte die transzendentale Logik nicht nur den Nachweis, daß, sondern auch die Begründung, weshalb Naturwissenschaft als Wissenschaft möglich ist, vor allem aber eine Kritik ihres Erkenntnisanspruchs. Diese Kritik ist entweder nicht zur Kenntnis genommen worden, oder aber sie war Anlaß für den wütenden Aufschrei aller Orthodoxien, von der Theologie bis zum Diamat, über den angeblichen Agnostizismus Kants. Beide, das Wegsehen wie auch die Empörung, hatten ein herrschaftslogisch determiniertes Interesse daran, die Unterscheidung der (erkennbaren) Erscheinungen von den (nicht erkennbaren) „Dingen, wie sie an sich selber sind“, die die Notwendigkeit der Reflexion begründete, nicht anzuerkennen, sie zu leugnen und mit einem Tabu zu belegen. Dieses herrschaftslogische Interesse gründet in der Beziehung der Identifizierung von Erscheinung und An sich zur identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Kraft der Feindbildlogik.
    Gründet nicht der Zwang, der in der Habermas’schen affirmativen Kommunikationstheorie und in seinem Konstrukt des „Verfassungspatriotismus“ sich manifestiert, in der Zurückweisung einer Wissenschafts- und Erkenntniskritik, die auch vor dem Naturbegriff nicht haltmacht?
    Der Knast war seit je ein Repräsentant des feindlichen Auslandes im Inland (Joseph im Gefängnis des Pharao). War er nicht in seinem Ursprung eine Privatsache, wie die Blutrache, eine Zwischenstufe zur Institution des Sklaverei, die dann vergesellschaftet worden ist in der Gestalt der Lohnarbeit, des Proletariats?
    Ist nicht der Staatsschutz eine Potenzierung des Schutzes des Privateigentums, dem nicht nur das Strafrecht, sondern eigentlich das Recht insgesamt in letzter Instanz dient?
    Ist nicht der Knast ein Zwangskloster, in dem das Armuts-, Keuschheits- und Gehorsams-Gelübde von außen auferlegt werden, und die Isolationshaft die Zwangsform des Eremitentums? Verhält sich nicht der Knast zum Mönchstum wie die Bekehrung zur Umkehr oder die Natur zur Schöpfung? Die neutralisierte Raumvorstellung ist ein Symbol der Mauern, die die Menschen im Knast von den 99 Gerechten draußen trennen.
    Zu Max Webers Kapitalismustheorie: Waren die Heroen des Kapitalismus nicht die Mönche der Mammonsreligion? Und hängt die Begriffsverschiebung, die aus der Umkehr die Buße gemacht, nicht mit dieser Geschichte zusammen?
    Unter dem Begriff des Lebens beten wir heute die Kreisläufe an, in die alles Lebendige eingebunden ist, ohne daraus sich befreien zu können. Der theologische Begriff des Lebens ist kein Naturbegriff, sondern gründet in der Idee der Auferstehung.
    Die Leibnizsche Monade ist das Symbol eines immer noch ungelösten Problems. Daß Leibniz der Ungelöstheit dieses Problems sich bewußt war, beweist seine Wahrnehmung, daß kein Blatt eines Baumes einem anderen Blatt gleicht.
    Hegels Wort, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, ist umzukehren: Dort, wo Natur nicht nur Natur ist, sprengt sie den Begriff (es ist die Gewalt des Begriffs, die dem Befreienden die Maske des Chaotischen aufdrückt).
    Wie hält eigentlich der Vers: „Mach unser Herz von Sünden rein, damit wir würdig treten ein zum Opfer deines Sohnes“ die Erinnerung an die Greuel der Konquistadoren, der Entdeckungs- und Kolonialisierungsgeschichte insgesamt, stand?
    Käme es angesichts des Satzes aus dem Jakobusbrief von der Bekehrung des Sünders nicht darauf an, diesen Namen des Sünders aus der Gewalt des definitorischen Blicks der 99 Gerechten (aus der Gewalt der Männerphantasien) endlich zu befreien? Es sind diese Gerechten, die aus der Tatsache, daß Maria Magdalena im katholischen Heiligenkalender als „Büßerin“ geführt wird, immer nur den Schluß gezogen haben, sie müsse es aber schlimm getrieben haben. Auch das folgenlose „wir sind allzumal Sünder“ hilft darüber nicht hinweg.
    Die Feindbildlogik hängt mit der Logik der Reklame zusammen, die der Menschheit einbläut, daß man, wenn man nicht betrogen sein will, Sprache nicht mehr wörtlich nehmen darf, sondern nur noch instrumentell, indem man sie darauf hin abhört, was andere mit ihr im Schilde führen. Der Verdacht, daß einer nicht meint, was er sagt, sondern eben das meint, was er nicht sagt (daß er „durch die Blume redet“), ist eine der Quellen der Paranoia, er begründet und verstärkt das Gefühl der Bedrohung, das erst ein Feindbild rational zu machen scheint.
    Das „Liebhaben“ verwandelt das geliebte Objekt in Eigentum. Wer Feinde, anstatt sie im jesuanischen Sinne zu „lieben“, nur liebhaben möchte, will sie in Wirklichkeit einsperren.
    Rechtsstaat: Wer nicht in der Lage ist, sich in einen andern hineinzuversetzen, wer dessen Selbstverständis rigoros ausblendet, verbietet damit die Empathie und sperrt alle in die Isolationshaft ihres Egoismus und ihrer paranoiden Phantasien ein. Für sie teilt die Welt sich auf in die, die haben und zu denen man gehört, und die, die nicht haben, die man nicht mehr sieht, die ausgegrenzt werden.
    Man kann nicht Haben gegen Sein ausspielen: in dieser Welt ist nur der etwas, der was hat.

  • 30.10.1996

    Die Bekenntnislogik verdinglicht das Bekenntnis und macht den Bruch, auf den der Name des Symbolon noch hinwies, unkenntlich: Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie (vgl. § 77 der Kr.d.U.).
    Der Ausdruck „dingfest machen“ stammt aus dem Wortfeld des Thing und bezieht sich auf die Festnahme eines Beschuldigten. Ist in dieser Wortbildung nicht die Isolationshaft schon vorgebildet?
    Unterscheiden sich Genitiv und Dativ wie Privateigentümer und Staat, und sind sie nicht wie diese aufeinander bezogen? Und hängt das grammatische Problem, das insbsondere Journalisten mit dem Gebrauch dieser Kasus haben, mit den objektiven Problemen des gegenwärtigen Stands der politischen Ökonomie zusammen (die im Kontext der objektiv gewaltsamen Durchsetzung der Marktmechanismen dahin tendiert, den Staat aus seiner Eigentümerfunktion zu entlassen)? Ist dieses grammatische Problem (und nicht nur dieses) nicht der Reflex eines politisch-ökonomischen Problems?
    Kann es sein, daß BAW und Senat deshalb aus der Klemme, in die sie sich im Hogefeld-Prozeß selber hineinmanövriert haben, nicht wieder herauskommen, weil, wenn hier auch nur eine kleine Lücke sich auftut, mehr daraus hervorquellen wird als die Probleme dieses Prozesses?
    Als in den Stammheim-Prozessen die Verteidigung zum „Hilfsorgan der Rechtspflege“ gemacht wurde, ist das Gericht zu einem Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft geworden. Diese definiert seitdem, was Rechtspflege heißt.
    Was mir nachträglich an der Marxismus-Rezeption der 68er (die keine Marx-Rezeption war) auffällt, ist, daß ein Thema völlig übersehen und dann verdrängt worden ist, das einzige Thema übrigens, das an die Notwendigkeit der Reflexion, das kantische Erbe in der marxschen Theorie, erinnert: das Problem des falschen Bewußtseins. Deshalb ist der Begriff der Ideologie, wie übrigens schon im Sowjetmarxismus, zu einem reinen Kampfbegriff geworden und die marxsche Theorie selber zu einem Herrschaftsinstrument. Der Begriff der Politik, der im Rahmen dieser Logik dann sich herausgebildet hat, war vom faschistischen fast nicht mehr zu unterscheiden, eine Mischung aus Ideologie, Machtpolitik und Propaganda. Hier wiederholt sich etwas, was im Christentum schon vor anderthalb Jahrtausenden das erste Modell des Selbstverrats vor Augen geführt hat: im Prozeß der Dogmatisierung, des Verrats der eigenen Ursprünge und Tradition durch Selbstinstrumentalisierung im Interesse der Partizipation an der Herrschaft und ihrer Absicherung von innen. Das dogmatische Christentum hat die erste Version des Zuges, der heute in den Abgrund rast, geliefert.
    Im Dogma ist die Theologie verstummt und zu einem Instrument der Instinktregulierung des animalisierten Gesellschaftskörpers geworden (im Kontext dieses Vorgangs hat die „Sexualmoral“ ihre zentrale Funktion und Bedeutung gewonnen: als Urteilsmoral, nicht jedoch als das moralisch allein zu begründende Verbot, den Andern zu instrumentalisieren). Aber hat nicht Jona seine Sprache endgültig erst im Bauch des großen Fisches wiedergefunden?
    Den Menschen ist die Sprache gegeben, auf daß sie denen, deren Leiden sonst stumm bleiben würden, zur Sprache verhelfen. Dämonisch ist die Sprache, die, was ohnehin unten ist, zusätzlich noch zur Stummheit des Objekts verurteilt.
    Standort Deutschland: Unter dieser Parole droht das ganze Land zur Garnison der Industrie zu werden, und die Deutsche Bischofskonferenz bewirbt sich als einziges militärbischöfliches Amt, das die Moral der Truppe garantieren will.
    Zum währungspolitischen Auftrag der Deutschen Bundesbank: Hat nicht die Stabilisierung der Währung etwas mit der Orthogonalisierung des ökonomischen Inertialsystems, des Referenzsystems der Wirtschaft, zu tun? (Ist die Bundesbank die Erbin der kaiserlichen Marine, die das Staatsschiff im wogenden Weltwährungsmeer „stabilisieren“ und auf Kurs halten soll?)
    Kann es sein, daß Heide Platen, wenn sie in der taz von heute die „Prozeßbeobachterin“ erwähnt, die „zu Beginn der Verhandlung“ Birgit Hogefeld „Größenwahn, Realitätsverlust, Übersteigerung der eigenen Rolle, Wichtigtuerei und Selbstmitleid … vorgeworfen“ hat, damit von sich selbst in der dritten Person spricht? Diese Konstellation wäre, wenn sie zuträfe, ein wahrhaft erhellendes Modell journalistischen Selbstverständnisses heute. Journalisten sind ja nur „neutrale Beobachter“ dessen, wovon sie berichten, und keinesfalls haftbar zu machen für ihr dummes Geschwätz von gestern, zu dem eine immer punktueller und erinnerungsloser werdende Öffentlichkeit sich selbst und die Welt macht.
    Wenn es überhaupt noch eine Rekonstruktion des autonomen Subjekts im Sinne der Aufklärung geben soll, dann wäre sie nur an der Stelle noch möglich, den der Satz: „Nur Gott schaut ins Herz der Menschen“, aufs genaueste bezeichnet.
    Die Erklärung Birgit Hogefelds ist ein Modellfall der Erinnerungsarbeit. Wäre diese Aufarbeitung der eigenen und der Geschichte der RAF nicht auf die Geschichte insgesamt zu übertragen? Diese Erklärung liefert den Beweis, daß ihre Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus für sie nicht nur eine rhetorische Formel war.
    Birgit Hogefeld: Nur wer rücksichtslos gegen sich selbst ist, hört auf, es gegen andere zu sein; wer seine eigene Ehre darein setzt, von den Mitteln der Abwehr, der Verdrängung, der Schuldverschiebung und der Projektion, mit einem Wort: von der Feindbildlogik keinen Gebrauch mehr zu machen.
    Ist die Gleichzeitigkeit des Hogefeld-Prozesses und des Erscheinens des Buches von Daniel Jonah Goldhagen vielleicht doch providentiell?
    Dieses Gericht hätte eine Chance, das Vertrauen in eine Justiz, deren Ziel die Gerechtigkeit ist, und die ihre Aufgabe nicht darin sieht, die Rachebedürfnisse zu befriedigen, die die Welt heute so massenhaft produziert, erstmals zu schaffen.
    Was es mit dem „Insektenstaat“ auf sich hat, läßt an folgenden Assoziationen sich demonstrieren:
    – an Reinhold Schneiders Reflexionen über Insekten in seinem schwärzesten Buch „Winter in Wien“;
    – unterm Gesetz eines tiefsitzenden Rache- und Harmoniebedürfnisses landet das Interesse an Insekten bei den Bienen (der Vorsitzende des 5. Strafsenats am OLG Frankfurt, der den Hogefeld-Prozeß leitet, ist auch Vorsitzender des Deutschen Imkerbundes);
    – am Stichwort Insektenforscher;
    – am Stichwort Spinnenphobie;
    – dazu am Beelzebul, dem Herrn der Fliegen, dessen Reich zefällt, wenn es in sich uneins ist.
    Haben die Mücken, das Geziefer und die Heuschrecken in der Geschichte der „ägyptischen Plagen“ etwas mit dem Konstrukt „Insektenstaat“ zu tun (und gehört hierzu nicht auch die merkwürdige Verknüpfung der Heuschrecken mit den Pferden in apokalyptischem Zusammenhang, aber auch schon in in der Parallele der Heuschrecken-Plage zum Untergang der pharaonischen Streitmacht im Schilfmeer)?
    Feindbild-Logik: Als Natur wird die Welt sich selbst zum Feind (schon bei Kant stehen Natur und Welt nicht idyllisch nebeneinander wie Lukacs‘ Grandhotel und der zugehörigen Abggrund).
    Es gibt eine Feindbild-Symbiose; aber läßt sich dieses Konstrukt nicht auch umkehren: steckt im Kern jeder Symbiose die Feindbild-Logik (und verweist das nicht auf den mit der Trinitätslehre universal gewordenen imperativen Gehalt der dogmatischen Theologie)?
    Die Umkehr, die unsere Theologie in eine Theologie im Angesicht Gottes verwandeln würde, hat ihr Modell nicht mehr an einer Drehung im Raum, sondern eher am Umstülpen, an einem Akt, durch den ein linker Handschuh in einen rechten sich umformen läßt. Steckt ein Hinweis darauf nicht in der Geschichte von der Buße Ninives, in der Verdopplung ihres Ausgangspunkt, der einmal beim Volk, das zweite mal beim König liegt?
    Die Natur ist der Inbegriff des Unbewußten, ohne das es Bewußtsein nicht gibt. Sie ist der Mülleimer der projektiven Objekt-Beziehung, die das Bewußtsein konstituiert.
    Creatio mundi ex nihilo: Ist das Strafrecht der Versuch, im Konzept der Strafe jenes Nichts herzustellen, aus dem das Absolute, das im Staat sich verkörpert, die Welt erschafft? Die Logik des nationalsozialistischen Antisemitismus scheint in diesem Konstrukt zu gründen und ließe leicht aus ihm sich herleiten. Das Strafrecht ist eine Maschine, die die Todesfurcht erzeugt und verdrängt zugleich, indem es ihr die Chance verweigert, als Gottesfurcht sich zu begreifen (der Stern der Erlösung hat diese Beziehung der Todes- zur Gottesfurcht erstmals ins Licht gerückt).
    Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch: Gilt das nicht für die Anwendung der Mittel der Objektivierung auf die Objektivationsgeschichte selber?
    Wenn K. meint, daß die Schwarz-Weiß-Malerei der RAF doch nicht (wie es nach ihrem Eindruck Birgit Hogefeld tut) auf die RAF selber angewendet werden dürfe, so wäre dazu nur zu sagen, daß der Abgrund, den die Schwarz-Weiß-Malerei erzeugt, leider nur mit den Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei sich zeigen läßt. Hier gibt’s keine Grautöne und keine Farben mehr. Der Abgrund ist das Schwarze Loch. Wer der Gegenseite sich anpaßt, von ihrer Logik sich anstecken läßt, stärkt sie nur.
    Zur Theorie des Feuers: Die Hölle, ist das nicht ein Produkt der Verkörperung und Totalisierung des „hinter dem Rücken Gottes“, das im Angesicht Gottes sich auflösen, im Leuchten Seines Angesichts in Licht sich verwandeln wird? Wer vorher schon die Hölle leugnet, ist ihr bereits verfallen. Die Hölle wird bestehen „per omnia saecula saeculorum“, was nicht heißt: in alle Ewigkeit, sondern in aller Weltzeit. Wer die Hölle leugnet, leugnet die Erinnerung, und ein Verfahren dieser Leugnung ist das Verfahren der Vergegenständlichung ihres Objekts: die Historisierung.
    Wenn das Feuer im Namen des Himmels das Wer symbolisiert, ist dann nicht die Hölle ein Symbol der Unerlöstheit Gottes? Löst sich dann nicht mit der Selbsterlösung Gottes auch der Feuerpfuhl, nachdem der Drache, die Tiere und der Tod ihm überantwortet worden sind: in der Erkenntnis des Gottesnamens und im Leuchten Seines Angesichts?
    Das falsche Bewußtsein ist eine Folge der Verdrängung der Vergangenheit, nur: auch durch Historisierung ist die Vergangenheit zu verdrängen. Deshalb haben deutsche Historiker den Goldhagen als Angriff erfahren.
    Der letzte, heute vielleicht allein noch mögliche „Gottesbeweis“ wäre der, der aus der Einsicht in die Unmöglichkeit einer ursprünglichen Vergangenheit sich ableiten ließe. Gäbe es eine ursprüngliche Vergangenheit, dann müßten alle Blätter eines Baumes einander gleich und mathematisch rekonstruierbar sein, und es dürfte nur eine Tiergattung und eine Insektenart geben.
    Hat nicht die Trinitätslehre Gott zu einem Gott gemacht, der wegsieht (zu einem autistischen Gott), und ist das nicht der bewußtlose imperative Gehalt dieser Theologie, die in ihren Gnaden- und Rechtfertigungslehren dieses Wegsehen zum Kern ihrer Lehre von der Sündenvergebung gemacht hat? Auch hier gilt die Levinas’sche Asymmetrie: Wegsehen darf allein das Opfer, nicht der Täter, darf der Andere, nicht ich.
    Was unter anderem an unserer Theologie falsch ist:
    – das Wegsehen,
    – die Entsühnung der Welt (das Korrelat der creatio mundi ex nihilo),
    – die Individualisierung des Seelenheils (so als habe es mit dem Zustand der Welt, mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, nichts zu tun),
    – die Unfähigkeit, den ungeheuren Verdrängungsblock, der der Rezeption des Weltbegriffs sich verdankt und der in der Bekenntnislogik sich manifestiert, noch zu reflektieren,
    – die Übersetzung des Begriffs Theologie mit „Rede von Gott“, die offensichtlich ein Theologie-Verständnis ähnlich stabilisieren helfen soll wie die Orthogonalität das Inertialsystem und die Bundesbank die Währung, den Geldwert.
    Zur pharaonischen Verhärtung des Herzens: Das Problem der Theologie gleicht dem der fast unmöglichen Rekonstruktion des Raumes aus der Sicht und Erfahrung des Objekts (nicht des Subjekts, dem diese Sicht und diese Erfahrung apriori versperrt ist). Der Raum ist der Inbegriff des Schuldverschubsystems: Er exkulpiert das Subjekt, indem er die ganze Schuld aufs Objekt verschiebt, gleichsam die Levinas’sche Asymmetrie vom Grunde her leugnet. Die christliche Gnaden- und Rechtfertigungslehre, die Individualisierung der Sündenvergebung, die durch die Logik der subjektiven Formen der Anschauung automatisiert wird (und seitdem der Religion als Vermittlung nicht mehr bedarf), hat dem vorgearbeitet. In der säkularisierten Welt hängt die Sündenvergebung nicht mehr vom Sündenvergeben ab, nur noch vom Haben oder Nicht-Haben: Wer hat, dem ist schon vergeben (und der hat es nicht nötig zu vergeben), und wer nicht hat, dem kann auch nicht mehr vergeben werden (wer ist er überhaupt, daß er sich anmaßen könnte, uns zu vergeben, damit auch wir ihm vergeben?).
    „Niemand kann zwei Herren dienen“: Wir haben das Sündenvergeben (die Erlösung) dem Geld überlassen. So ist das Geld unser Gott geworden: Es ist der Schöpfer einer durch es selbst entsühnten Welt, der Welt, in der wir leben, einer Welt, die alle schuldig spricht, die an der magischen Substanz des Eigentums nicht teilhaben.

  • 29.10.1996

    Zur Beziehung der Raumvorstellung zum Eigentum vgl. Carl Schmitt: Land und Meer, 13. Kapitel. Durch die Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes ist die Welt insgesamt säkularisiert: dem Privateigentumsprinzip subsumiert worden, dessen gesellschaftliche Organisationsform der Staat ist. Die Gegenständlichkeit der Welt ist die Gegenständlichkeit fremden, von allen als fremdes anzuerkennenden Eigentums. Nach Carl Schmitt ist durch die Änderung der Raumvorstellung seit Kopernikus die gesamte außereuropäische Welt zum „herrenlosen Gut“ geworden, dessen koloniale Aneignung damit vorbereitet wurde. Hängt hiermit nicht der in dieser Zeit promovierte Begriff der „Wilden“ zusammen (Wilde sind Menschen, die nicht eigentumsfähig sind und deshalb unberechenbar; eigentumsfähig und zivilisiert sind nur Christen, die die Wilden wie Tiere behandelten)?
    Nach Carl Schmitt kommt nomos von nemein, das nach ihm mit dem dem deutschen Nehmen, der (Land-)Nahme, zusammenhängt.
    Heilig ist, was Gott gehört; die Naturwissenschaften haben durch ihr eigenes Erkenntnisprinzip (durchs Inertialsystem) alles in potentielles Privateigentum verwandelt und so „säkularisiert“.
    Ist nicht auch die Öffentlichkeit ein Gericht, eine Appellationsinstanz außerhalb der rechtlichen Instanzenwege? Und läßt sich die Logik des Handelns der Bundesanwaltschaft (und ebenso die neuere Rechtsstaatsideologie) nicht aus dem Trieb ableiten, das Recht, vertreten durch die BAW, zum Herrn der Öffentlichkeit zu machen? Und wäre das nicht der endgültige Sieg über die Gottesfurcht?

  • 28.10.1996

    … zahlreich wie der Sand am Meer und wie die Sterne des Himmels: Was haben Meer und Himmel gemeinsam, in welcher Beziehung stehen diese Namen? Bezeichnen nicht beide die Grenze,
    – das Meer die Grenze gegen ein Anderssein, das das Immergleiche ist: gegen den Feind und die Völkerwelt (die „Heiden“),
    – der Himmel (und mit ihm die „Himmelsheere“ des Dominus Deus Sabaoth) die gegen ein Anderssein, das die Erfüllung wäre: das Reich Gottes?
    Deshalb wird am Ende der Himmel zur Erde sich kehren, während das Meer nicht mehr sein wird (weil die Kraft des Namens die Logik des Begriffs gegenstandslos machen wird). Aber heißt das nicht, daß das „zahlreich“ eine andere Bedeutung hat, wenn es auf den Sand am Meer, und eine andere, wenn es auf die Sterne des Himmels bezogen wird, nur daß wir unterm Bann unseres vergegenständlichenden Sehens, der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“, die Differenz, an die Kant in der Idee eines intuitiven Verstandes zuletzt erinnert hat, (noch) nicht zu erkennen in der Lage sind (vgl. §§77 der Kr.d.U.)?
    Gehört zu dem „zahlreich“ nicht auch die „Menge, die keiner zählen konnte“ in der Johannes-Apokalypse?
    Die Gründer der Staaten der Alten Welt waren Nomaden, die nomadischen „Razzien“ die Vorform der Eroberungen wie des Fernhandels, der Grundlagen der Großreiche wie der poleis, der Stadtstaaten. Aber ist nicht andererseits die Rekonstruktion der Staaten der modernen Welt über eine Geschichte, die man als die von Meeresnomaden bezeichnen könnte, über die Piraterie, gelaufen (von den Wikingern über Venedig, Spanien, die Hanse, die Niederlande, Frankreich, England, über die Entdeckung und Unterwerfung der heute sogenannten „Dritten Welt“, ihre zunächst politische, dann ökonomische, durch die Marktgesetze vermittelte Kolonialisierung, bis zu der Globalisierung, die auf neue Weise das Element des Meeres hinter sich läßt, und heute auf die Verwüstung der Zivilisation hinausläuft? Der vergebliche und auch komische Versuch des Wilhelminischen Deutschen Reiches, imperiale Macht durch eine eigene Marine zu gewinnen, kündigte bereits das Ende der Seefahrt an. Hitler war dann der Beginn des zwangsläufigen Rückfalls ins Nomadische, sein Element nicht das Meer, sondern die Wüste, und die „Endlösung der Judenfrage“ die zwangshaft-paranoide Erfüllung des Gesetzes der nomadischen Razzia. Ist der moderne Staat das Tier aus dem Meer, der Faschismus das Tier vom Lande, der falsche Prophet?
    Modell des griechischen Objekt- und Naturbegriffs waren die Barbaren, Modell ihrer modernen Rekonstruktion, die die Feindlogik tiefer noch begründete, die Wilden.
    Korrespondieren nicht den Bildern vom Sand am Meer und von den Sternen des Himmels die Namen Hebräer und Israeliten? Israeliten waren die Hebräer für ihren Gott, Hebräer waren sie für die anderen Völker. Läßt nicht die Bedeutung des Namens der Hebräer durch logische Inversion, durch Vertauschung von Subjekt und Objekt, aus der Bedeutung des Namens der Barbaren sich herleiten?
    Schaufenster sind der falsch säkularisierte Himmel (das den Armen nur sichbare, aber unzugängliche Reich der Erfüllung). Symbol des Endziels der Schaufensterwelt ist die „irre Fahrt zu den Sternen“, wie Adorno die „Weltraumfahrt“ einmal genannt hat.
    Haben die Bilder vom Sand am Meer und von den Sternen des Himmels nicht etwas mit dem Binden und Lösen zu tun, beginnen sie nicht im Kontext dieses an Petrus und die Kirche gerichteten Wortes zu sprechen?
    Hat nicht der Sand am Meer etwas mit dem Staub, aus dem Adam ist und zu dem er wird, und den die Schlange frißt, zu tun, die Sterne des Himmels dagegen mit dem Stern, von dem es heißt: „Wir haben seinen Stern gesehen“.
    Kopernikus hat den Himmel unter das Meer subsumiert und die Sterne unter den Staub: der grandiose Versuch, das Feuer auszutreten?
    Sucht nicht die „irre Fahrt zu den Sternen“, eigentlich nur die exkulpierende Bestätigung, daß der Himmel auch nicht anders ist, und hat diese Intention mit der Rehabilitierung Galileis nicht inzwischen auch die Kirche akzeptiert (unter Zuhilfenahme einer verhängnisvollen Verwechslung: falsch war nicht der Widerstand gegen das „Weltbild“ Galileis, sondern allein die Mittel des Kampfes dagegen.
    Zum Namen der Juden: Ist nicht Israel (und sind mit ihm nicht die zehn „verlorenen Stämme“) durch Assur, durch Ninive, zugrunde gegangen, Juda, das dann doch überlebt hat, hingegen durch Babylon? Das Buch Jona bezieht sich auf Ninive, und damit auf den Untergang Israels. Auf dem Schiff, mit dem Jona übers Meer nach Tarschisch fliehen wollte, ist er ein Hebräer (und nur dadurch, daß er dem Meer geopfert wird, werden das Schiff und seine Besatzung gerettet).
    Tarschisch: War das nicht der Name des Gold- und Rohstofflieferanten des Königs Salomo, ein Ort, der nur übers Meer zu erreichen war?
    Verhalten sich nicht das Meer und der Himmel wie die subjektiven Formen der Anschauung, wie Raum und Zeit? Das Meer verweist auf das Andere des Raumes, das auch nur Teil des Raumes ist, während der Himmel auf das Andere der Zeit verweist, das, aufgrund der Irreversibilität der Zeit, nicht wie die Zeit ist.
    Das Relativitätsprinzip gilt für den Raum, nicht für die Zeit, es neutralisiert durch Orthogonalisierung des Raumes die qualitativen Differenzen der Richtungen im Raum (z.B. die Unterscheidung von Rechts und Links). Die Differenz zwischen den Richtungen der Zeit, zwischen Zukunft und Vergangenheit, aber ist unaufhebbar. Das allgemeine Relativitätsprinzip ist der genaueste Ausdruck der Irreversibilität der Zeit, deshalb ist sein apriorisches Objekt der Fall und die Schwere: Der Versuch, den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft aufzuheben, mündet in der Potenzierung der Vergangenheit: im Gravitationsgesetz. Das allgemeine Relativitätsprinzip repräsentiert das logische Bild der Katastrophe, das dann mit Hilfe der kosmologischen Konstruktionen, die man aus ihm abzuleiten versucht hat, verwischt und unkenntlich gemacht werden sollte.
    Der für RAF-Prozesse so zentrale Begriff der Schwere der Schuld ist, zusammen mit der perversen Konstruktion einer mehrfachen lebenslänglichen Strafe, der genaueste Reflex dieses logischen Bilds der Katastrophe im Spiegel des Rechts.
    Sind nicht bei Habermas die Elemente der Verdrängung alle beisammen:
    – die Verwerfung der Idee einer Rettung, die auch die Natur mit einschließt,
    – sein Konstrukt des Verfassungspatriotismus und
    – eine Kommunikationstheorie, die er mit der Idee eines herrschaftsfreien Diskurses (den es nicht gibt) zu begründen versucht,
    Elemente, die insgsamt nur noch das Erblinden der Vernunft indizieren, die Leugnung und Verdrängung der Reflexion von Herrschaft?
    Die Öffentlichkeitskrise, die die Erinnerungen der Teilnehmer an den Demonstrationen an der Startbahn, in Wackersdorf oder in Gorleben geprägt hat, die Erinnerungen an Erfahrungen, die keinen Weg in die Öffentlichkeit mehr gefunden haben, und denen mit tatkräftiger Hilfe der Justiz der Charakter nicht öffentlichkeitsfähiger Privaterinnerungen aufgezwungen worden ist, diese Öffentlichkeitskrise wird heute weithin, wie in allen Krisensituationen, so auch in RAF-Prozessen, konsequent instrumentalisiert und mit Absicht und Wissen „übergeordneten Interessen“ dienstbar gemacht. War diese Öffentlichkeitskrise, gegen die es aus rechtssystematischen Gründen rechtliche Mittel nicht zu geben scheint, nicht schon die objektive Grundlage des Antisemitismus (mit dem sie zwar nicht identifiziert werden darf, dessen Gefahren aber weiterhin in ihr präsent sind)? Diese Öffentlichkeitskrise läßt sich am einfachsten daran verdeutlichen, daß heute die zu Instrumenten der Bewußtseinsindustrie gewordenen Medien, nicht zuletzt das Fernsehen, in der Lage sind, Krisen und Kriege an- und abzustellen.
    Die Öffentlichkeitskrise ist in einer Welt, in der man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen, eine Krise der Beweislogik, die nur durch Reflexion auf ein erträgliches Maß sich reduzieren läßt. Und wird nicht gerade diese Reflexion heute in unerträglicher Weise hintertrieben? Deshalb ist nicht in RAF-Prozessen die Beweislogik anderen Kriterien unterworfen als z.B. in Prozessen gegen Übergriffe von Polizeibeamten.
    Nach Adorno gleicht die Welt immer mehr der Paranoia sich an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Kommt nicht alles darauf an, die Paranoia als Erkenntnismittel zu nutzen, ohne ihr zu verfallen, was nichts anderes heißt, als auch in dieser Welt noch den Kopf oben zu behalten, seiner selbst mächtig zu bleiben?

  • 27.10.1996

    Die Grenzen der Asymmetrie sind die Grenzen der Barmherzigkeit: Für die Barmherzigkeit bin ich niemals Objekt, ist der Andere (für mich) niemals Subjekt. Barmherzigkeit schließt Selbstmitleid prinzipiell aus.
    Die Welt lernt nur verstehen, wer in andere sich hineinversetzen kann: Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Unterscheidet sich das Christentum nicht dadurch von der Prophetie, daß es – außer den Armen und den Fremden – auch die Herrschenden in die Intention der Barmherzigkeit mit einschließt, allerdings im Sinne des Jakobus-Worts: des Triumphs der Barmherzigkeit über das Gericht?
    In der Schrift ist der Name des Geistes der Name der Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Zu diesem Namen gehören die drei Sätze: von der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz, von einer Zeit, in der keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen, und vom Geist, der die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
    Die Idee der Barmherzigkeit gründet in der Idee des Ewigen und trennt sie vom Überzeitlichen. Gegen die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen richtet sich Levinas‘ Begriff der Asymmetrie, auch der Satz vom Rind und vom Esel.
    Zur Herauslösung von Joh 129 aus der Opferthologie und zu seiner Einbeziehung ins Nachfolgegebot gibt es keine Alternative mehr.
    Hat nicht auch die Jesaias-Stelle über den Leviatan und die Schlange etwas mit dem Neutrum zu tun? – Ist das Neutrum der Turm, der bis an den Himmel reicht, die sprachlogische Gewalt, die den Namen des Himmels (schamajim) sprengt und die Sprachen verwirrt? Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Beziehung des deutschen Namens des Himmels zu dem des Hammers (Nietzsche hat „mit dem Hammer philosophiert“). In welcher Beziehung steht die Geschichte vom Turmbau zu Babel zur Sintflut, und hat der Bogen in den Wolken (an der Stelle, an der einmal der Menschensohn erscheinen wird) etwas mit dem Feuer im hebräischen Namen des Himmels zu tun?
    Hängt der erkenntnistheoretische Begriff des Gegebenen mit dem Dativ zusammen, verweist nicht der Ursprung beider auf die Geschichte des Staates (ist die Verwechslung von Genitiv und Dativ in der Sprachlogik der Medien nicht ein Indiz für zunehmende Privatisierung staatlicher Aufgaben, für die fortschreitende verwüstende Gewalt der Marktkräfte)? Haben Genitiv und Dativ etwas mit der Unterscheidung von Land und Meer im Sinne des § 257 der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts zu tun?
    Was sind das für Sträucher, unter denen Adam sich versteckte, unter den Hagar sich legte, auch Elias legte sich unter einen Strauch sowie Jona; haben die etwas dem Gleichnis vom Senfkorn zu tun (sowie mit der Jotam-Fabel und dem Baum im Buch Daniel)?
    Nach dem Register zur Hegel-Ausgabe von Suhrkamp kommt der Begriff der Anklage in der Hegelschen Philosophie nicht vor. – Vgl. aber die Anmerkung zu § 225 der Rechtsphilosophie, in der Hegel auf die „Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität (ob z.B. ein Mord oder Tötung) … im englischen Rechtsverfahren“ verweist, in dem sie „der Einsicht und Willkür des Anklägers überlassen“ sei, während er sonst etwas unserer Strafprozeßordnung Vergleichbares nicht zu kennen und insbesondere die Konstellation Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter, nicht für erwähnenswert zu halten scheint (wie zu vermuten ist, aus Gründen, die mit der Konstellation, die seinem Begriff der Dialektik zugrundeliegt, zusammenhängen: nicht nur, daß diese Konstellation mit der prozessualen nicht kompatibel ist, ein Vergleich würde das Moment der Gewalt in Hegels Konstrukt kenntlich machen).
    Ist nicht der Titel Staatsanwalt das Produkt eines logischen Kurzschlusses, ein Stück verhängnisvoll automatisierter Staats- und Rechtslogik (ein systemwidriger Hegelianismus im logisch aus anderen Gründen determinierten Strafrecht)? Der Titel Staatsanwalt instrumentalisiert (und neutralisiert) beide: den öffentlichen Ankläger und den Staat.
    Zu Off 13: „Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende Element, das Meer.“ (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 247; Hervorhebungen geändert, H.H.) Vgl. hierzu Carl Schmitt: Land und Meer, Stuttgart 19933, in der er in einer Nachbemerkung von 1981 auf diese Hegel-Stelle hinweist.
    Das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird: Liegt die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt nicht darin, daß er der Schmach und der Schande, die die Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen erzeugt und deren Objekt er wurde, sich nicht widersetzt, sie widerstandslos auf sich nimmt und eben damit reflexionsfähig macht, ihrer endgültigen Instrumentalisierung die Grundlage entzog? So begründete er den Akt der Befreiung.
    Wer das Opfer instrumentalisiert, landet bei der Heldenverehrung, im Bann des Mythos. So gehört die deutsche Einrichtung der „Kriegsgräberfürsorge“ zur Logik einer Staatsmetaphysik, die immer noch versucht, dem Krieg einen höheren Sinn zu verleihen, indem sie unterstellt, daß diese Opfer nicht umsonst waren, und so die Toten nochmal schändet und verhöhnt.
    Seit wann gibt es Krieger- und Heldendenkmäler? Stammt diese Tradition nicht aus der Geschichte der „Befreiungskriege“, die nur so hießen und keine waren: Befreit wurde nur der Nationalismus als Ideologie, in deren Folge dann der christliche Antijudaismus endgültig zum Rassen-Antisemitismus geworden ist, seine eliminatorische Qualität gewonnen hat.
    Heute gibt es für die Philosophie nur noch die eine Möglichkeit: die der Selbstreflexion, des Übergangs in Prophetie.
    Der Staat wird zum Insektenstaat in dem Augenblick, in dem er glaubt, seine Aufgabe darin zu erkennen, zum Ungeziefer-Vernichtungs-Staat werden zu müssen. Oder: Es gibt kein besseres Mittel, den Staat zum Insektenstaat und Gemeinschaften zu Heuschreckenschwärmen zu machen, als wenn man ihnen die Aufgabe der Ungeziefer-Bekämpfung gibt. Das Böse konstituiert sich in der Pflicht, das Böse zu vernichten.
    Definiert nicht der Satz aus dem Jakobusbrief, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, die Idee der Unsterblichkeit der Seele neu (und erstmals in einem vernünftig nachvollziehbaren Sinn)?
    Wie hängt das Ahnden mit dem Ahnen zusammen? Nach dem Eingangssatz von Schellings Weltalter wird die Zukunft „geahndet“ (nicht geahnt). Hängt das Ahnden sprachlich mit Begriffen wie Gemeinde, Behörde zusammen (durch das gleiche abschließende, perfektische -de), damit aber in der Sache mit dem Logik und Bedeutung des Naturbegriffs (als es Inbegriffs aller Objekte von Urteile)? Ist die Konstituierung des Objekts (und damit des Naturbegriffs) nicht in der Tat Produkt einer Konstruktion, in der „die Zukunft geahndet“ wird, und das in einem dem strafrechtlichen Gebrauch des Wortes Ahnden durchaus angemessenen Sinne? Ist nicht der Objektbegriff, und mit ihm der Naturbegriff, der ihn absichert, Produkt einer Konstruktion, in der die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, zur Vergangenheit verurteilt wird? Im Objekt- und damit im Naturbegriff wird in der Tat „die Zukunft geahndet“. Die Logik des Objektbegriffs ist die Logik des Anklägers (des „Staatsanwalts“). – Wie hängen die RAF-Prozesse mit Schelling zusammen?
    Der „blinde Fleck der Logik“ gründet in ihrem apriorischen Objektbezug, und es gibt keinen Begriff, der diesen blinden Fleck genauer bezeichnet als der der Natur.
    Haben nicht der Ursprung und die Logik der historischen Bibel-Kritik etwas mit der Ursprungsgeschichte des modernen Nationalismus zu tun, zu deren Vorgeschichte auch Spinozas „Pantheismus“ gehört? Jeder Nationalismus ist ein Pantheismus, und der spinozasche dessen allgemeine logische Form.
    Als die Amsterdamer Synagoge den Bann über Spinoza verhängte, hatte sie zwar formal Recht, zugleich aber hatte sie die wirkliche Intention des Denkens Spinozas gröblich verkannt, die nicht mehr durch einen Bann zu verurteilen, sondern allein durch Reflexion aufzulösen gewesen wäre. Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Korrespondenz zwischen dieser Spinoza-Geschichte und der Geschichte Sabbatai Zwis?
    Ist nicht Lessings Ring-Fabel insofern unvollständig, als es sich nicht um drei getrennte Ringe handelt, sondern um die ineinander kreisenden Räder der ezechielischen Vision?
    Die Beziehung der Elektrodynamik zum Licht hat etwas mit der Beziehung des Dogmas zum Zentrum der christlichen Tradition, das erst im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes sich enthüllt, zu tun.
    Bezeichnet nicht der Name der Barbaren den Rohstoff, aus dem die ersten Waren genommen worden sind: Sind nicht die Barbaren potentielle Sklaven, der menschliche Rohstoff der ersten Handelsware? Und gehört nicht der Name der Name der Barbaren zur Ursprungsgeschichte des heutigen Weltzustandes, in dem die „dritte Welt“ immer noch in erster Linie Rohstofflieferant ist?
    Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein Instrument, das mit der Ursprungsgeschichte der Warenform und mit der des Dingbegriffs zusammenhängt, in dieser Ursprungsgeschichte mit seiner eigenen, die es doch zugleich verdrängt, konfrontiert wird? Sie sind damit ein Instrument der Verdrängung der eigenen Ursprungsgeschichte. So aber sind die Naturwissenschaften zu automatisierten Instrumenten der Selbstlegitimation des Bestehenden und der kollektiven Selbstverblendung zugleich geworden.
    Der Faschismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus insbesondere dadurch, daß der Antisemitismus in ihm nie die Funktion und Bedeutung gehabt hat, die er im Nationalsozialismus hatte. Kann es sein, daß die Verwechslung beider Begriffe auf Seiten der Linken etwas damit zu tun hatte, daß der Marxismus als Herrschaftsinstrument (als Ideologie, wie er dann selbst sich nannte) den Gebrauch des Antisemitismus nicht mehr grundsätzlich auszuschließen vermochte? Wer den Nationalsozialismus als Faschismus bekämpft, blendet damit genau den Grund aus, aus dem er antisemitisch war: das Feindbilddenken als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft. Die Unterscheidung von Nationalsozialismus und Faschismus rechtfertigt nicht den Faschismus, aber sie vermeidet die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die in der Gleichsetzung beider liegt.
    Ist nicht diese Verwechslung des Nationalsozialismus mit dem Faschismus ein Indiz dafür, daß die 68er Linke von der Gefahr eines undialektischen Materialismus, des Konkretismus, des Feindbilddenkens, der Unfähigkeit zu Reflexion (der Verdrängung des Problems des „falschen Bewußtseins“), nie sich hat freimachen können? Genau dieses Apriori, diese Vorentscheidung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte, hat diese Linke dazu verleitet, im Recht nur ein Machtinstrument (und in der Macht ein neutrales Instrument) zu sehen, mit der Folge, daß sie das Gemeinsame der nationalsozialistischen Konzentrationsläger mit dem Archipel Gulag oder des Volksgerichtshofs mit den stalinistischen Prozessen nicht mehr wahrzunehmen vermochte; sie hat sie unfähig gemacht zur Rechtskritik (zur Kritik des Staates von innen).
    Es sollte heute nicht mehr zulässig sein, die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Idee mit ihrer befreienden Kraft zu verwechseln. Identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft gewinnt eine Idee nur, wenn sie die Wahrheit verrät, sie gegen ein stabiles Feindbild eintauscht und auf die Kraft der Reflexion verzichtet. Zentrum der Reflexion ist die des Objektbegriffs, von dem es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Der Objektbegriff ist von den Herrschaftsstrukturen in der Gesellschaft nicht zu trennen. Herrschaftskritik, die diese Reflexion nicht leistet, sie ausspart, reproduziert die gleichen Herrschaftsstrukturen, die sie zu kritisieren glaubt, wird selber zum Instrument von Herrschaft.
    Der Objektbegriff ist ein Denkmal und ein Repräsentant der Überwindung und Versklavung des Feindes und zugleich des Ursprungs der Geschichte der Zivilisation. Diese Wunde im Kern der Zivilisation gilt es reflexionsfähig zu halten, anstatt sie über Feindbilder immer wieder zu verdrängen.
    Das Ganze reicht zurück in die subjektiven Formen der Anschauung, deren Funktion und Bedeutung anhand der unterschiedlichen Folgen des Anschauens für den Anschauenden und den Angeschauten sich demonstrieren läßt. Zu diesen Folgen gehört es, daß sie, indem sie das Angeschaute zum Objekt machen, seine Wahrnehmung, die sie doch begründen sollen, gerade verhindern, sich als Wahrnehmungsverhinderungsapparat etablieren. Sie liefern die Farbe und den Pinsel, mit denen die Fenster in dem Zug, der in den Abgrund rast, bemalt werden.
    In der RAF bestrafen die Staatsschutzsenate ihr eigenes Prinzip.
    In einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der RAF wird man nicht davon abstrahieren können, daß die RAF der Reaktion den Vorwand geliefert hat, mit dessen Hilfe sie sich rekonstruieren und reetablieren konnte.

  • 26.10.1996

    Eine Überschrift in der FR von heute: „Grams-Eltern wenden sich an EU-Kommission“. Erst im Text heißt es dann korrekt, daß die Eltern von Wolfgang Grams (die keine „Grams-Eltern“ sind) vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg (die keine „EU-Kommission“ ist) Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben haben. Inzwischen scheinen nicht mehr nur in der BILD-Zeitung Überschriften auch dem Zweck zu dienen, den Text der Meldung, auf den sie hinweisen, zugleich zu vernebeln. Läßt sich nicht am vorauseilenden Gehorsam solcher „Versprecher“ der Zustand der Öffentlichkeit und die Existenz eines durch die Naturkräfte der Bewußtseinindustrie erzeugten und gesteuerten öffentlichen Unbewußten erkennen? Die Nazis hatten den Spruch: „Keiner soll hungern und frieren“, den der Volksmund dann so ergänzte: „Wer’s doch tut, kommt ins KZ“. Ist nicht mit der Verdrängung der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen auch die Wahrnehmungsfähigkeit verdrängt worden, die in dieser aufhellenden Ergänzung sich ausdrückte? Das Feindbild ist ein Naturheilmittel, weil es eine Naturkraft ist; es gehört zu den Konstituentien des Naturbegriffs selber, zu dessen sprachlichen Korrelaten der Name der Barbaren und das Neutrum gehören, und deren Logik in der Geschichte des Objektbegriffs und in der Konstituierung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung sich vollendet. Zielte nicht hierauf Adornos programmatisches Wort vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Als das Christentum den Namen des Logos mit dessen griechischer Tradition in eins setzte, hat es sich in seinem Verhältnis zum Kreuzestod auf die Seite der Täter gestellt. Das war der Beginn der zweiten Kreuzigung, der Instrumentalisierung des Kreuzestodes durch die Opferthologie. Läßt das Christentum insgesamt als ein Akt des Tikkun sich begreifen, der Rettung durch Identifizierung mit dem Feind, einer Rettung, die durch den Verrat, den Abfall, hindurchmuß? War nicht die Bubersche „Begegnung“ eine Ersatzhandlung für das, was den Christen eigentlich notgetan hätte: die Reflexion der Naturkräfte, von denen das Christentum sich bis heute nicht hat befreien können? Das Dogma ist die Wahrheit, aber im Stande einer durch die Dogmatisierung (die Bekenntnislogik) verdrängten und ausgegrenzten Reflexion. Durch die Vorstellung einer „Teilhabe am innertrinitarischen Prozeß“, die die Theologie insgesamt verhext, ist der imperative Gehalt der Theologie, der allein eine Theologie im Angesicht Gottes zu begründen vermöchte, ästhetisiert und neutralisiert worden. So wurde aus der Nachfolge die imitatio, aus der Übernahme der Sünde der Welt deren Hinwegnahme, aus der Gottesfurcht die erbaulichen Formen der Frömmigkeit. Diese Vorstellung hat die theologischen Erkenntniskräfte wie die Spinne die in ihren Netzen gefangene Beute gelähmt. Metz‘ Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr so Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist, wie mir scheint, nur durch Reflexion der Verwurzelung der Theologie in der Philosophie, nicht durch Abstraktion von dieser Beziehung, einzulösen. Die Reflexionen Rosenzweigs über das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Stern der Erlösung, sind hier hilfreich. Das göttliche Attribut der Barmherzigkeit, das im Imperativ, nicht im Indikativ steht, rührt an das sprachlogische Problem des grammatischen Geschlechts. Die Erinnerung daran ist im hebräischen Namen der Barmherzigkeit, der der Name der Gebärmutter ist, aufbewahrt. Das erinnert zugleich an den sprachlogischen Zusammenhang der Beziehung von Indikativ und Imperativ mit dem des grammatischen Geschlechts: an den genetischen Zusammenhang des Indikativs mit dem Ursprung des Neutrum. Es ist das gleiche Sprachproblem, das auch der Idee einer Theologie im Angesicht Gottes zugrundeliegt, an die Forderung, die dem Begriff der Lehre innewohnt: den imperativen Gehalt der göttlichen Attribute in den Indikativ zu übersetzen (und nicht, wie es das Dogma tut, durch den Indikativ zu neutralisieren, oder ins Ästhetische zu übersetzen). Allein die Schuldreflexion vermag den Bann zu brechen unter dem die Theologie seit der Rezeption der philosophischen Idee der Unsterblichkeit der Seele steht. Verweist nicht die Geschichte vom Sündenfall, wenn man in ihr die Schlange als Symbol des Neutrum, und ihre Geschichte mit Adam und Eva als ein Bild der Neubestimmung des grammatischen Geschlechts, des Männlichen und des Weiblichen, durch das Neutrum, begreift, auf das Problem des grammatischen Geschlechts? Läßt sich dieses Problem des grammatischen Geschlechts nicht an der Sprache Kants demonstrieren, wenn er den Erkenntnisbegriff sowohl in femininer als auch in neutrischer Bedeutung verwendet (die Erkenntnis, das Erkenntnis)? Das, so scheint mir, rührt an eines der tiefsten Probleme der kantischen Philosophie; die Sprachlogik, die darin sich ausdrückt, scheint aus logischen Struktur der Probleme sich herleiten zu lassen, die den Zwang der philosophischen Revolution, deren Ausdruck Kants Werk ist, begründen. Es rührt an eine Schicht in der kantischen Philosophie, die von seinen Nachfolgern dann konsequent verdrängt worden ist: an den Ursprung der drei Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt; zu Natur und Welt vgl. den großartigen Definitionsversuch Kants in der Kritik der reinen Vernunft, im ersten Abschnitt der Antinomie der reinen Venunft). Nicht zufällig standen Fichte, Schelling und Hegel unter dem Systemzwang, diese Begriffe – nach Verdrängung der Reflexion ihres logischen Ursprungs – nacheinander abzuarbeiten.
    Wie wäre die Frage, welcher Teil eines Menschen zum Regieren der wichtigste ist, eigentlich zu beantworten angesichts einer Regierung, die Entscheidungen, die allein von den Interessen ihrer Klientel bestimmt sind, während die Argumente, die sie öffentlich begründen sollen, schmückende Rhetorik und von Waschmittel-Reklame nicht mehr zu unterscheiden sind, nur noch „durchsetzt“ und Probleme, die dieses Verfahren zwangsläufig produziert, nur noch „aussitzt“? Ist nicht die Folge ein Begriff von Öffentlichkeit, der Erfahrungen, Kritik und Reflexionsfähigkeit, das eigentliche Element demokratisch-bürgerlicher Beteiligung, auf ähnliche Weise ausschließt wie RAF-Prozesse, die u.a. die Aufgabe zu haben scheinen, dieser Logik den Charakter einer rechtlichen Norm zu verleihen, das Selbstverständnis der Angeklagten?
    Adorno hat einmal die Situation eines Gesprächs in einem Eisenbahnabteil beschrieben, in der man, um einen Streit zu vermeiden, sich gezwungen sieht, den Anschauungen eines Mitreisenden nicht zu widersprechen, die imgrunde auf einen Mord hinauslaufen. Gehört diese Situation nicht zum Bild des Zuges, der in den Abgrund rast? Und beschreibt sie inzwischen nicht etwas vom Zustand der Öffentlichkeit insgesamt? Die Bundesanwaltschaft als Verkörperung des Inertialsystems (als eines Konstrukts aus Verachtung, Hohn und Zynismus), und das von ihr verkörperte Anklage- und Beweisverfahren als Verfahren der reinen Objektkonstruktion (mit der Idee des Objekts als eines Konstrukts, zu dem es keine kommunikative Beziehung mehr gibt, das nur noch Objekt eines apriorischen Urteils ist: sind nicht die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen der Versuch, dieser Konstruktion die Gewalt einer objektiven, sinnlich erfahrbaren Realität zu verleihen)? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos beschreibt einen objektiven, nicht nur einen moralischen Sachverhalt. Aber gilt das nicht für die Prophetie insgesamt? Ägyptische Finsternis (ist „Finsternis Mizrajims“ nicht deutlicher?): die Entfaltung des blinden Flecks der Logik zur Totalität.

  • 25.10.1996

    „Hitlers willige Vollstrecker“: Hat nicht vorher schon willige Vollstrecker gegeben, und gibt es sie nicht immer noch, auch ohne Hitler?
    Der Faschismus bezeichnet dem Umkehrpunkt der Politik, in dem der Feind, der vorher nur draußen war, ins Innere reimportiert worden ist, so wie heute die Armut.
    Das eigentliche Objekt des Satzes „de mortuis nihil nisi bene“ ist der Staat.
    Funktion und Bedeutung des Namens der Barbaren ist ein Teil der durchs Neutrum repräsentierten Sprachlogik, während der Name der Hebräer das Neutrum ausschließt.
    Die „Spötter“ in Ps 1 sind die Vorläufer und die ersten Repräsentanten des durch die subjektiven Formen der Anschauung determinierten Bewußtseins. Die subjektiven Formen der Anschauung sind ein Konstrukt aus Verachtung, Hohn und Zynismus.
    Der Antichrist: das wird die reinste Verkörperung des Neutrums sein. Deshalb sind Hitler und Konsorten Ausnahmen vom Personalisierungsverbot.
    Bezeichnet nicht, was Marx den Überbau nannte, wozu er auch das Recht zählte, die Stelle im Marxismus, die allein die säkularisierte Astrologie auszufüllen vermag?
    Zu Levinas: Die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern verweist auf einen tieferen Einschnitt als die Grenze zwischen innen und außen, zwischen mir und der Außenwelt.
    Ist der Satz von Rind und Esel nicht der schärfste Einwand gegen die griechische Sprache, gegen das Neutrum, das sie beherrscht? Und ist nicht das Neutrum die (biologisch unmögliche) Kreuzung von Rind und Esel (und das Pferd ein Mittelding zwischen beiden)?
    Die Gebote Gottes gründen in der Ewigkeit: sie haben einen Zeitkern, sind aber nicht überzeitlich.

  • 24.10.1996

    Auch wer Probleme hat, wenn er das politische Selbstverständnis der RAF mit ihren Taten in Zusammenhang bringen will, wird gleichwohl darauf bestehen müssen, daß dieses politische Selbstverständnis auch in der juristischen Aufarbeitung der Taten mit reflektiert wird.
    Wenn Einstein auch die Fallbewegung als Trägheitsbewegung (für die das Relativitätsprinzip gilt, begreift und davon ausgeht, daß im Innern eines frei fallenden (außer Kontrolle geratenen) Fahrstuhls nicht erkennbar ist, ob der Fahrstuhl ruht oder in freiem Fall sich bewegt, abstrahiert er dann nicht von dem Gefühl der Schwere, das in einem (in einem Schwerefeld) „ruhenden“ Fahrstuhl gleichwohl die Schwere fühlbar ist: Es bedarf des „freien Falls“, um dieses Gefühl gegenstandslos zu machen. Verweist dieser Tatbestand nicht auf den Unschuldstrieb, der, wenn er seine Erfüllung sucht, eigentlich den Zustand des „freien Falls“ sucht, den Moment der Katastrophe, die er zu verdrängen sucht? (Ist nicht die Bewegung der Ökonomie, wenn sie nach dem Konzept des Neoliberalismus rein dem eigenen Bewegungsgesetz folgt, eine Bewegung des freien Falls?)
    Wie hängt das Allgemeine Relativitätsprinzip, die Unterscheidung des Leichten und des Schweren, mit dem Satz von Rind und Esel (Joch und Last – auch Wasser und Feuer?) zusammen? Ist nicht das Leichte das Korrelat des Jochs, das man andern auferlegt? Hat der Hinweis auf das Feuer im 1. Petrusbrief etwas mit der Logik des Leichten (mit dem noch Aristoteles das Feuer zusammenbringt) zu tun, ist das Feuer, dem am Ende der Drache, der Satan und der Tod überantwortet werden, die Innenseite des Leichten, eine Folge des Unvermögens, in andere sich hineinzuversetzen, der leere Kern des Herrendenkens?
    Enthält nicht die Allgemeine Relativitätstheorie eine Staatstheorie, verweist sie nicht auf die Sphäre des Politischen, während die Spezielle Relativitätstheorie auf die der Ökonomie, auf die Logik des Tauschs, verweist? Wittgensteins Satz, daß die Welt alles ist, was der Fall ist, rückt die Welt in eine konstitutive Beziehung zum Staat.
    Läßt die Beziehung von Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie, als die Beziehung von Tauschprinzip und Macht, an der Beziehung von Merkur und Sonne (oder an der von Merkur und Jupiter) sich demonstrieren?
    Wer einer Sache die Grundlage entzieht, überantwortet sie dem freien Fall.
    Haben die Versuche, die Theologie von der Lehre von der Erbsünde zu befreien, nicht doch sehr viel mit den Verhältnissen im Innern von Einsteins Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist, zu tun?
    Ist das Konstrukt des Falles nicht in der Geschichte vom Sündenfall aufs genaueste beschrieben?
    Der letzte Satz in der Entgegnung auf Horst-Eberhard Richter, erinnert an eine Bemerkung, die Georg Lukacs zuerst auf Schopenhauer, später dann auf Adorno bezogen hat, das Wort vom „Grand Hotel Abgrund“ (vgl. Lukacs: Theorie des Romans, Neuauflage 1962, S. 17). Ich meine, die Konstellation, die Lukacs damals bezeichnen wollte, wird genauer getroffen, wenn man das Bild vom ortsfesten Hotel und dem Abgrund daneben dynamisiert und durch das eines Luxuszugs, der auf den Abgrund zurast, ersetzt.
    Die Feindbildlogik ist die Folge eines kollektiven Unschuldstriebs, aus dessen Konstruktion die Elemente dieser Logik sich herleiten lassen:
    – Unfähigkeit, Schuldgefühle durch Reflexion aufzulösen, Abwehrmechanismus,
    – Empörung (automatisierte Verurteilungslogik),
    – Schuldentlastung durch Schuldverschiebung, Exkulpation durch Empörung, moralische Enthemmung durchs Feindbild,
    – identitäts- und gemeinschaftsstiftend in einer Welt, die sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet,
    – Feindbild und Gegenfeindbild, Feindbild-Clinch, symbiotische Feindbindung; so werden beide Seiten zu Symptomen des Problems als dessen Lösung sie sich selbst verstehen,
    – Verwechslung und Austauschbarkeit von Solidarität und Komplizenschaft,
    – Faschismus-Schock, „Kollektivscham“ (Neutralisierung der Schuld durch Verrechtlichung),
    – Exzesse der Gemeinheit.
    Die Feindbildlogik ist die Mutter des Vorurteils, das in diesem Prozeß über die Schwächen der Beweisführung hinweghelfen wird.
    Sind nicht beide Seiten in den RAF-Prozessen Opfer eines schrecklichen Irrtums, und ist es nicht dieser spiegelbildliche Irrtum, die sie wie in einem Clinch an einander fesselt?
    Der Staat, den die Staatsschutzsenate schützen, ist der gleiche Staat, dessen Anwälte die Ankläger sind; deshalb sind beide in Staatsschutzprozessen nur noch schwer zu unterscheiden. Dieser Staat ist der Kern des Unschuldgenerators, der das eigentliche Objekt des Staatsschutzes ist.
    Ist nicht die Konstruktion von Staatsschutzsenaten ebenso pervers wie der Zustand des Staates, der sie hervorgebracht hat.
    Ist nicht der höhnische und zynische Ton, mit dem die Bundesanwaltschaft die VerteidigerInnen, die Mutter der Angeklagten, die Zuschauer und auch einen Zeugen, wenn seine Aussage nicht in ihr Konstrukt paßt, angreift, eigentlich ein Indiz dafür, daß sie mit dem Rücken zur Wand steht? Nur ist zu befürchten, daß das Gericht sich selbst in der gleichen Situation sieht und am Ende ein Solidaritäts-Urteil fällen wird, das dann aber nur noch wenig mit der Angeklagten zu tun haben wird. Der Eindruck ist ohnehin kaum noch abzuweisen, daß die Dauer des Verfahrens kein Indiz der Gründlichkeit des Verfahrens, sondern nur eine Konzession an eine Öffentlichkeit sein wird, die nicht merken soll, daß es eigentlich ein kurzer Prozeß war, daß das Urteil schon im Voraus feststand.
    Auch wer den Terrorismus für einen verhängnisvollen Irrtum hält, wird gleichwohl in den dadurch verhexten Texten der RAF Elemente entdecken können, deren Vedrängung ebenso verhängnisvoll wäre.
    Zur Kritik des Weltbegriffs gehört das Bewußtsein, daß die Grenzen des Bewußtseins, die diese Kritik überschreiten möchte, eins sind mit den Grenzen des Weltbegriffs, um deren Kritik es geht.
    Auch Hegels Begriff des Weltgerichts gründet in einem justitiellen, nicht aber in einem theologischen Gerichtsbegriff.
    Ist nicht die Öffentlichkeit gleichursprünglich mit dem Recht? Waren nicht die Foren, die dann zu Märkten geworden sind, ursprünglich Gerichtsstätten (vgl. auch den Namen der ekklesia und den auf die Versammlung im Tor verweisenden hebräischen Ursprung dieses Namens, auch die Wortgeschichte von Ding)?
    Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, gehört auch zu den Sätzen, die nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen.
    Die Sprache, nicht jedoch die Kunst, rührt an den Grund der Schöpfung. Die Kunst rührt an den des Staates und der Welt.
    Wer die apokalyptische Stimmung mit dem Hinweis auf die Atombombe zu begründen versucht, blendet genau die Sphäre aus, in der die Apokalypse in der Lage wäre, sich als Lichtquelle zu erweisen.
    Verschiebt Jürgen Ebach nicht den Grund und die Bedeutung des hebräischen Namens der Barmherzigkeit ins Neutrische, wenn er sie anstatt auf die Gebärmutter auf den Unterleib bezieht?
    Zur Verharmlosung der Unterscheidung von Rechts und Links gehören die Einfügungen in den Text durch Jürgen Ebach, das „noch“ im letzten Satz des Buches Jona und das „nämlich“ in den beiden Wiederholungspassagen, bei der Umkehr Ninives und beim Ärger des Jonas.
    Nach dem Geist der Utopie stand Ernst Bloch vor der Frage, ab er das symbolische und metaphorische Sprachverständnis, in dem der Geist der Utopie geschrieben wurde, ins Realsymbolische hereintreiben oder zur Rhetorik entmächtigen sollte. Er hat sich für die Rhetorik entschieden, und das in der Folge der materialistischen Wendung seiner Philosophie. War nicht Benjamins Hinweis auf den buckligen Zwerg in der ersten seiner Geschichtsphilosophischen Thesen eine Antwort an Ernst Bloch?
    Läßt sich nicht am Kyffhäuser der Unterschied zwischen Sage und Mythos verdeutlichen? Während der Mythos unter offenem Himmel sich entfaltet, gehört zu den Bedingungen der Sage eine caesarisch bestimmte Welt, in der der Himmel durch Herrschaft verdunkelt ist. In Babylon ist der Mythos zur Sage geworden: Gilgamesch war der erste Sagenheld. Und in Babylon ist die Prophetie zur Apokalypse geworden.
    Ist nicht alles Mitleid heute verhext? – Aber gleichwohl darf man es nicht preisgeben.

  • 23.10.1996

    Kyffhäuser: Sitzt nicht der Kaiser, der die Welt regiert, heute tatsächlich im Herzen der versteinerten Verhältnisse, im steinernen Herzen der Welt (und ist das nicht der Stein, der Off 1821 zufolge beim Untergang Babylons ins Meer geworfen wird)?
    Zur lateinischen Trinitätslehre: Person ist ein Rechts-, kein theologischer Begriff.
    Doppelte Buchführung: Die Christen haben den Kreuzestod zu einem buchhalterischen Akt gemacht; mit dem Neuen Testament waren Moses und die Propheten abgegolten und erledigt, sie wurden im Alten Testament archiviert. Haben sie nicht mit dieser Archivierung Jesus selber, das Wort, zum Verstummen gebracht?
    Hat nicht die doppelte Buchführung mit der Logik der Bilanzierung das Zeitverständnis verändert? Ist nicht seitdem die Vergangenheit endgültig vergangen, so daß es keine Bücher mehr gibt, die einmal aufgeschlagen werden? Hier ist das Rentabilitätsprinzip unkritisierbar, zu einem Stück Natur, gemacht worden, das dann in den Naturwissenschaften in der Tat als Natur sich konstituierte.
    Ist nicht die Bekenntnislogik ein Produkt der Subsumtion der Tradition unter das Gesetz der Selbsterhaltung? Die Bekenntnislogik hat die Kirchengeschichte zu einem Teil der Weltgeschichte gemacht, die dem Prinzip der abgeschlossenen Vergangenheit gehorcht (der Sprachlogik des indoeuropäischen Perfekt).
    Theologie als Sprachkritik, ist das nicht die Konsequenz, die aus dem Namen des Logos zu ziehen wäre?
    Das indoeuropäische Perfekt (das Prinzip der abgeschlossenen Vergangenheit) ist die Grundlage des Begriffs, seiner Trennung von dem gegen ihn sich verselbständigenden Objekt.
    Gehört nicht die Konstituierung der Öffentlichkeit, deren Denkmäler in Rom zu sehen sind, zur Ursprungsgeschichte der lateinischen Sprache? Und hat nicht das „klassische Latein“ tatsächlich in dieser Periode, die im Kollosseum und in den Foren ihre Denkmäler hinterlassen hat, sich entfaltet und konsolidiert? Die Entstehung des Publikums ist das Werk Roms, seiner Herrschafts- und Sprachgeschichte.
    War die Trinitätslehre nicht auch ein Hilfsmittel der Zivilisierung der caesarischen Erbfolge (die durch die Militärputsche destabilisiert zu werden und außer Kontrolle zu geraten drohte)?
    Der Caesarismus hat die Solidarität mit den Toten, die in der Lehre von der Auferstehung der Toten einmal gemeint war, aufgekündigt und das Christentum aufs Prinzip der Selbsterhaltung vereidigt. Die Ego-Pomp des päpstlichen Barock in Rom ist ein spätes Echo der Logik des Caesarismus, seiner theologischen Rezeption in der Trinitätslehre. Die Opfertheologie, die den Kreuzestod instrumentalisiert hat, hat die Solidarität mit dem Gekreuzigten aufgekündigt.
    Stellt nicht der Name des Forums, der später den Markt bezeichnet, die Beziehung des Caesarismus zum steinernen Herzen der Welt her?
    Ist nicht die Feindbildlogik, die auf ein symbiotisches System von Verkörperungen (von apriorischen Feindbild-Objekten) verweist, ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Astrologie (des Rätsels, dessen irdische die himmlische Lösung zur Folge hat)? Sind nicht auch die Planeten Verkörperungen dieser Logik, die sie an das blinde und sinnlose Kreisen auf den Wegen ihres Irrtums fesselt?
    Ist der Objektbegriff der Abgrund, in den der vom Himmel gestürzte Satan (phosphoros, Luzifer, der Morgenstern) eingesperrt ist (Off 201ff), und ist die Reflexion der Feindbildlogik der Schlüssel, der diesen Abgrund zu öffnen vermag?

  • 22.10.1996

    Die heilige Empörung ist die bloße Umkehrung der Kollektivscham: Beide verwechseln die Verdrängung der Reflexion mit der Befreiung von Schuld. So bleiben sie in ihrem Bann, dem sie nicht entrinnen. Zeitenwechsel: Früher hat sich der „Spiegel“ mit Franz-Josef Strauß angelegt, heute legt er sich mit Monika Haas an. Was beide Kampagnen mit einander verbindet, ist allein ein sicherer Machtinstinkt, geändert haben sich nur die Bedingungen (und erst mit ihnen das Objekt). Hat nicht die Geschichte der RAF aufs verhängnisvollste dazu beigetragen, die Öffentlichkeit zu entpolitisieren, sie zu reduzieren auf die Hofberichterstattung der herrschenden versteinerten Verhältnisse? Auch die politische Information gleicht sich immer mehr der Unterhaltung an, deren Qualität ein Gradmesser der Kräfte ist, die notwendig sind, um die Selbstbesinnung der Menschen zu verhindern. Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht: Die Rücksichtslosigkeit der Systeme aufbrechen; ihre Rückseite, das, was sich hinter ihrem Rücken verbirgt, und was sie unter dem Zwang ihrer Logik nicht mehr wahrnehmen können, sichtbar machen. Blinde sehen und Taube hören: Die Subsumtionslogik aufbrechen heißt, im blinden Fleck des Begriffs die erkennende Kraft des Namens freisetzen, oder die Sprache als ein (allerdings unter den Bedingungen des Staats verkümmertes und nur durch die Reflexion des Staates hindurch neu zu erweckendes) Organ des Sehens begreifen.

  • 21.10.96

    Das Verwaltungsrecht ist ein Subsumtionsrecht (mit interner Beweisführung durch Belege: Dokumente, Urkunden, Akten), während das Strafrecht ein Reflexionsrecht ist (Beweis durch externe Zeugen, Indizien, Geständnis).
    Der Angeklagte wird zum Feind, wenn sein Selbstverständnis als Angriff erfahren und deshalb ausgegrenzt und unterdrückt wird. Gegen einen Angeklagten, in den das Gericht sich nicht hineinversetzen kann, kann eigentlich kein Prozeß mehr geführt, er kann nur noch bekämpft werden.
    Ist nicht die Kälte und die vergiftete Atmosphäre in RAF-Prozessen nur ein konzentrierter Ausdruck dessen, was den Weltzustand heute insgesamt kennzeichnet?
    Natürlich ist das Ziel politischer Prozesse Herrschaftssicherung und nicht Gerechtigkeit.
    Löst sich nicht das Problem, weshalb die Judenvernichtung mit den zusätzlichen Exzessen der Gemeinheit, der Brutalität und der Demütigungen erfolgte, in einem Strafrecht, das auch die mehrfache lebenslängliche Strafe kennt: in dem ein Leben nicht ausreicht, um den rechtsstaatlichen Rachetrieb zu befriedigen? Exzessive Strafen sagen nichts mehr über den, über den sie verhängt werden, sondern nur noch über die, die sie fordern oder verhängen.
    Hat nicht jedes Bekenntnis einen Empörungskern, den es dann über Opferkonstrukte abarbeiten muß; und liegt darin nicht ihre Kraft der „Sündenvergebung“?
    Der neutestamentliche Gottesname Vater hat die Kritik an den irdischen Vätern zur Grundlage und thematisiert und benennt sie. Die Kirche hat die irdischen Väter zum Modell des Vatergottes gemacht und damit den Gottesnamen (durch den Seiten- und Herrenblick auf den Namen) in einen Begriff transformiert. Diese Transformation erscheint in den Evangelien bereits in dem Gebrauch des Namens des Gottessohns durch die Dämonen und den römischen Hauptmann.
    Die kopernikanische Wende, deren Vorgeschichte bis in die antiken Kosmologien hineinreicht, hat die Erfahrungsgrundlage dessen, was in der Unterscheidung von Himmel und Erde sich ausdrückte, zerstört. Der Akt dieser Zerstörung (den die kantischen subjektiven Formen der Anschauung besiegeln) ist rekonstruierbar: Seine Grundlage ist der Seiten- und Herrenblick auf die Dinge.
    Der Seiten- oder Herrenblick ist nicht irreal, er ist nicht ohne fundamentum in re; aber im Kontext seiner Kritik läßt sich zwingend begründen, weshalb zur Prophetie das Votum für die Armen und die Fremden gehört.
    Als Feindbildgenerator ist der Staat nicht zu übertreffen; wer glaubt, dem Staat im Rahmen der Feindbild-Logik widerstehen zu können, ist schon gefangen. Diese Lehre ist zwanglos aus dem Versuch der Rekonstruktion und des Verständnisses des Antisemitismus (in dem der Schatten, den der Staat auf die Menschen wirft, zur Finsternis sich kontrahiert) zu gewinnen. – Kam nicht nach der Finsternis die Tötung der Erstgeburt?
    Sollte man nicht endlich begreifen, insbesondere im Anblick des Prozesses gegen Monika Haas, daß es auch die Möglichkeit der instrumentellen Nutzung der Paranoia gibt; sind nicht hier (wenn der Triumph sie leichtsinnig macht) die Urheber und Anwender der Paranoia angreifbar und verletzbar?
    Es gibt so etwas wie die „idealistische“ Selbsterzeugung des Rachetriebs. Dessen Paradigma ist der Antisemitismus, der in dem Augenblick seines Ursprungs, seiner Selbsterzeugung, für die von ihm Befallenen undurchschaubar wird (deshalb sind Antisemiten unbelehrbar – aber sind sie’s wirklich? Jak 520).
    Ohne Öffentlichkeit gibt es keinen Weg ins Freie.

  • 20.10.96

    Der Autor der „Entgegnung auf Horst-Eberhard Richter“ glaubt offensichtlich an die Magie des Urteils: an die Möglichkeit seiner Vollstreckung auch ohne die Hilfe der staatlichen Gewalt.
    Die politische Justiz ist ein Instrument zur Verhinderung der Reflexion. Aber wird dieses Instrument nicht unwirksam durch Reflexion, ist nicht die politische Justiz das Instrument ihrer eigenen Selbsterhaltung?
    Die politische Justiz ist die Usurpation des Jüngsten Gerichts, darin steht es in der Tradition der „Endlösung der Judenfrage“. Und das Feinddenken bleibt im Banne des Weltgerichts: Durch die Unfähigkeit der Selbstreflexion und das Unvermögen, den Bann zu brechen, dem diese Justiz allein ihre Gewalt verdankt.
    Ist nicht die Zeit der Symbole, und d.h. die Zeit der doxa, der Herrlichkeits-Theologie, vorbei, und kommt nicht heute alles auf die Erkenntnis des Namens an? Das Ende der Symbol-Geschichte ist das Ende des Fundamentalismus, der Beginn der Geschichte des Namens (der „Erfüllung des Worts“ als Aufhebung der Geschichte der „Erfüllung der Schrift“). Hängt diese Geschichte nicht mit den Utopien der Prophetie zusammen:
    – daß am Ende keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen,
    – daß das steinerne Herz durch ein fleischernes Herz ersetzt wird, und
    – daß der Geist die Erde erfüllen wird wie die Wasser den Meeresboden bedecken?
    Haben nicht die Finsternis über dem Abgrund und der Geist über den Wassern etwas mit dem Gericht und der Barmherzigkeit zu tun?
    Heute setzt der Zustand der Welt alle unter Rechtfertigungszwang, und genau das verhindert eine Welt-Erkenntnis, die diesen Namen verdienen würde.
    Hat nicht die theologische Lehre von der Jungfrauengeburt nicht etwas mit der Berufung der Propheten, der „Berufung im Mutterschoß“, zu tun, und erinnert dieser Mutterschoß nicht an den hebräischen Namen der Barmherzigkeit? Und hat die Jungfrauengeburt (als Geburt ohne männliche Zeugung, ohne irdische Vaterschaft) etwas mit dem „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“ zu tun? Und hängt vielleicht die merkwürdige Rolle der Väter in den Evangelien im Kontext mit dem in den Evangelien dominanten Gottesnamen Vater mit der Logik dieses theologischen Konstrukts zusammen? Wurde nicht das Gericht auf den Sohn übertragen, während der Vater ausschließlich die Barmherzigkeit noch repräsentiert („Seid barmherzig wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“), und soweit dieser Vater noch das Gericht repräsentiert, ist es nicht schon das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht (das noch aussteht)?
    Gründet der Unterschied zwischen der lateinischen und der griechischen (der prädogmatischen und der postdogmatischen) Sprache nicht in der caesarisch vermittelten neuen Gestalt des Zuschauers und in dem neuen Begriff der Öffentlichkeit, die in der römischen Arenen eingeübt wurden (in denen nicht mehr die Heroen des Mythos, sondern Gladiatoren und Raubtiere die für die Neudefinition des Zuschauers grundlegenden Identifikationsmodelle lieferten)? Wird hier nicht auch die Metamorphose der lateinischen gegenüber der griechischen Theologie, die eine vollständige Neukonstituierung war, sinnlich greifbar, insbesondere der neue Stellenwert und die neue Funktion der Opfertheologie?

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