2.1.1997

Nach Walter Pehle kann es „einfache Antworten auf die Frage, ‚wie aus einem Kulturvolk ein Volk von Mördern wurde‘, … nicht geben“ (Matthias Arning: „Wider die postmoderne Beliebigkeit“, FR von heute). Klingt das nicht ein wenig nach dem „Uns kann man nichts nachweisen“? Pehle zu Goldhagen: „Das ist alles Käse“.
„Natur im Subjekt“: Natur konstituiert sich im Kontext der Geschichte der Naturbeherrschung. In dieser Geschichte hat der Ursprung und die Entfaltung des Geniebegriffs, aus dessen Reflexion die kantische Formel von der „Natur im Subjekt“ sich herleitet, seine genau bestimmbare Stelle und Funktion. Adornos Formel zitiert Kant.
Verurteilung und Schrecken: Der Faschismus ist die erste Manifestation einer Entwicklung, in der Richter und Täter am Ende nicht mehr sich unterscheiden lassen. Der Vers aus dem Sonett Reinhold Schneiders: „Allein den Betern kann es noch gelingen, …“ wird vielleicht verständlicher, wenn man das „Schwert ob unsern Häupten“ als das Schwert in unsern Händen begreift, und die „richtenden Gewalten“ als Gewalten begreift, an denen wir teilhaben. Erst dann wird deutlich, daß es zu den „Betern“ (deren Gebet als Seele der Sprache sich begreift) und zum „geheiligt Leben“ keine Alternative mehr gibt.
Die RAF hat den Beweis für die These erbracht, daß Richter und Täter (der Terrorismus und die Formen seiner Bekämpfung) ununterscheidbar werden.
Sind es nicht die Historiker, die den Stein vor das Grab der Vergangenheit wälzen. Und als Maria Magdalena kam, um den Toten zu salben, und überlegte, wie sie den Stein fortbewegen könne, da war der Stein schon zur Seite gewälzt und das Grab leer.
An welchem Zeichen gab Jesus den Verräter zu erkennen?
– Mt 2623: Der, welcher mit mir die Hand in die Schüssel getaucht hat, …
– Mk 1420: Einer von den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht.
– Lk 2221: Doch siehe, die Hand dessen, der mich verraten wird, ist mit mir auf dem Tische.
– Joh 1326: Der ist es, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde.
Wer nicht mehr weiß, was er tut, braucht eine Instanz, die ihm die Verantwortung für sein Tun, das er nicht mehr durchschaut, (für seine Pflichterfüllung) abnimmt. Deshalb brauchte Habermas den „Verfassungspatriotismus“, als er, nachdem er die Kritik der Naturwissenschaften verworfen hatte, keine Möglichkeit mehr sah, richtiges Handeln im Gewissen zu begründen (das Gewissen ist nur im Kontext der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung zu begründen). Wenn es keine inhaltlichen Kriterien fürs Gewissen mehr gibt, dann hilft nur noch die Legitimation durch kollektive Entscheidungen.
Die Würde einer demokratischen Verfassung, die allein darin liegt, daß sie dem Gewissen Raum gibt, wird durch den Begriff des Patriotismus haarscharf verfehlt.
Hat Habermas nicht die Dialektik der Aufklärung doch sehr fundamentalistisch gelesen? Hat er nicht die reflektierenden Urteile als bestimmende, als objektkonstituierende Urteile gelesen, um sie dann verwerfen zu können? Fundamentalistisch ist dann auch seine Kommunikationstheorie geworden (in welcher Beziehung steht die Habermas’sche Version der Kommunikationstheorie zur double-bind-Theorie, die er verschweigt?).
Hat nicht das Gleichnis von dem einen Sünder und den neunundneunzig Gerechten etwas mit der Beziehung von Schrecken und Urteil im Hinblick auf den Nationalsozialismus zu tun? Ist nicht die Reflexion des Schreckens der Weg zur Bekehrung des Sünders, die Verurteilung der Weg der neunundneunzig Gerechten?
Zu jedem Schicksal gibt es Täter. Nur für Zuschauer, die aber eben dadurch zu Richtern der Opfer und zu Komplizen der Täter werden, gibt es ein reines Schicksal. Schicksal ist die Sünde der Welt als Natur. Die letzte Bastion der mythischen Schicksalslogik sind die subjektiven Formen der Anschauung.


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