Männlich und weiblich schuf er sie: Die Beziehung der Herrschaftsgeschichte zu Geschichte der Beziehungen von Männern und Frauen wird in der Erzählung vom Sündenfall symbolisiert: als Beziehung der Schlange zu den Menschen, zu Adam und Eva (als Beziehung des Neutrum zum Männlichen und Weiblichen). Die Identifikation des Männlichen mit der Herrschaft (die im Deutschen schon im Namen der „Herr“schaft sich ausdrückt, der auf den herrschenden Mann zurückweist, während im Lateinischen der dominus von dominare, der „Herr“ von seiner Tätigkeit, vom Herrschen, sich herleitet) hat ihren Ursprung in der verhängnisvollen Herrschaftsgeschichte der Moderne, zu der die Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung gehören wie auch die hierdurch vermittelte neue Beziehung von Begriff und Objekt. Durch die subjektiven Formen der Anschauung ist der Kelch zum Unzuchtsbecher geworden: die Beziehung von Begriff und Objekt, von Welt und Natur zu einem Bild der Geschlechterbeziehung. Die intentio recta ist ein phallisches Symbol (und der Turm von Babel, der „bis an den Himmel reicht“ ein Symbol der Religion als Instrument der Vergewaltigung des Himmels). Weshalb ist im Deutschen die Sonne weiblich und der Mond männlich? Löst sich das Problem des grammatischen Geschlechts im Zusammenhang mit der Lösung des Problems von Herrschaft und Geschlecht?
Die intentio recta und die begriffliche Erkenntnis bedurften der Sexualmoral, um sie gegen ihre herrschaftskritische Reflexion abzuschirmen. Die Probleme dieses Verfahrens wurden übers Vorurteil abgefertigt: von der Ketzer- über die Hexenverfolgung bis Auschwitz.
Der Indikativ, das Hinter-dem-Rücken, die Definitionsmacht, das Durch-die-Blume-Sprechen: Wie hängt das mit einander zusammen? Sind sie nicht Teil einer Kommunikation, die unter dem Bann der Herrschaft steht: Kommunikation als Gewinner-/Verlierer-Spiel. Dieses Spiel macht süchtig.
Heute erhebt auch der Staat seinen Anspruch auf eine Privatsphäre, die die Öffentlichkeit nichts angeht. Nur, was einmal aus außenpolitischen Gründen notwendig war (im Kontext der nicht mehr rechtlich, sondern nur noch durch Diplomatie oder Krieg zu regelnden zwischenstaatlichen Beziehungen), ist heute zu einem Teil der inneren Organisation der Staaten geworden, als Mittel der Vermeidung und Abwehr der Entstehung naturhafter Verhältnisse im Innern. Schließt sich hier nicht der Kreis, der den Naturbereich des Privaten, die Sexualität, und den des Staates, sein Gewaltmonopol und dessen Institutionen, mit einander verbindet?
Stammen nicht die Phantasien, die einmal in der Alchemie sich entfaltet hatten, aus dem Unzuchtsbecher?
Die Pornokratie gehört (wie z.B. auch die Geschichte der Fälschungen im Mittelalter) zur Ursprungsgeschichte der kirchlichen Privatsphäre (zu der das Dogma und die Orthodoxie als Feigenblatt, hinter dem die Kirche seitdem ihre Nacktheit verbirgt, dazugehören). Die kirchliche Sexualmoral war seit je ein Mittel der präventiven und projektiven Abwehr.
Der Kleinglaube ist der Glaube nach Abzug all dessen, woran die Kirche heute nicht mehr glauben kann, wenn sie als Herrschaftsinstrument überleben will.
Was hat der gordische Knoten mit Rind und Esel zu tun? Hat nicht die Durchschlagung dieses Knotens (der Joch und Deichsel eines Ochsenkarrens miteinander verband) das Rind zum Esel gemacht, das Joch zur Last? Seit dem Ursprung der Großreiche haben alle das Joch, das ihnen mit der Reichsbildung auferlegt wurde, als Last zu übernehmen. Die Lösung des Knotens wäre die Befreiung vom Joch gewesen, mit seiner Durchschlagung (die den Weltbegriff begründete) wurde es verinnerlicht.
Zur Fremdenfeindlichkeit heute: Handelt es sich vielleicht um die Umkehrung eines alten Verfahrens: innenpolitische Probleme mit Hilfe außenpolitischer (nationalistischer) Aktivitäten wenn nicht zu lösen, so doch zu verdrängen? Werden hier nicht Außenprobleme (das Ausland als Maßstab politischen Handelns) innenpolitisch abgeleitet? Verfassungsschutz, Staatsschutzverfahren, die neue Asylgesetzgebung gehören in diesen Zusammenhang.
Das Recht insgesamt, insbesondere aber das Staatsschutzrecht, ist ein Instrument der gesellschaftlichen Naturbeherrschung.
Die Kronzeugenregelung, die in Deutschland einmal mit dem Hinweis auf die organisierte Kriminalität eingeführt worden ist, wird nur in „Terroristen“-Prozessen, im Bereich des Staatsschutzrechts, angewandt. Der Übergang von § 129 zu § 129a war die Schiene, auf der das gelaufen ist. Er war nicht harmlos.
Zeit ist’s: Die Thora wird als Lehre verfälscht, wenn das prophetische (und auch das typologische) Element herausgebrochen, unterdrückt wird.
2.10.1995
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