Hat der Begriff der Stimmung bei Hegel (Enz. III, Zusatz zu 401, S. 107) nicht einen logischen Stellenwert, der genau dem der Verinnerlichung der Scham durch die Bekenntnislogik entspricht? Vgl. dazu Joachim Ritters Bemerkungen über die Stimmung in seinem Essay über das Lachen. Bezeichnet nicht die Stimmung das eigentlich Verdammte, das sich auf sich selbst beziehende Abgeschnittensein von der benennenden Kraft der Sprache. Nicht zufällig erinnert der Begriff der Stimmung an einen musikalischen Sachverhalt: So ließe sich die Musik als Ausbruchsversuch aus der Stummheit der Stimmung definieren (als der Versuch, ohne Angst zu leben, an dem die Stimmung verzweifelt ist, vor dem sie kapituliert hat: nur schlechte Musik versteht sich als Anpassung an die Stimmung oder gar als Erzeugung von Stimmung).
In welcher Beziehung stehen Scham (der Wunsch, im Boden zu versinken, den die Verdrängung dann glaubt erfüllen zu können) und Angst zueinander? Ist nicht die Stimmung die sich selbst übertäubende Angst (und Rock die ins Extrem getriebene Stimmungsmusik, deshalb bei Demos so beliebt)? Keine Stimmung ohne Wut.
Stimmung und Laune?
Wer die Dinge aufs Geld reduziert, leugnet das Licht und die Blumen.
Es gibt nicht nur eine hebräische Schrift, sondern die Schrift selber ist ein Hebraismus: In der griechischen Schrift wird die hebräische nur auf Links gewendet. Das war die Voraussetzung der Vokalisierung der Schrift (und der Sprache): Produkt der Verinnerlichung des Opfers (und dann der Scham), Grundlage des Weltbegriffs. Oder genauer: die Vokalisierung gründet in der Verinnerlichung des Opfers, während die Verinnerlichung der Scham (Grund und Folge der Schicksalsidee) Schrift und Sprache so umkehrt, daß Rechts und Links ununterscheidbar werden. Hier gehen ihnen die Augen auf, und sie erkennen, daß sie nackt sind: erst die Philosophie, die Erfindung des Begriffs, „öffnet die Augen“, macht das Sehen anstelle des Hörens zur Grundlage der Vernunft, die dann Rechts und Links nicht mehr unterscheiden kann.
Gehört nicht die Beziehung der pornokratischen zur pornographischen Phase der Kirchen- und Theologiegeschichte zur Ursprungsgeschichte des Herrendenkens? Ist nicht die Verwendung der Sexualmoral als Richtschnur des moralischen Urteils der Grund des Sexismus, gleichsam der patriarchalische (und d.h. ein apriorischer, transzendentallogischer) Kern der theologischen Tradition, der sich mit dem antijudaistischen aufs engste berührt.
Wenn Heidegger den Geburtsfehler der Philosophie (den Begriff des Seins) zu ihrem einzigen Inhalt gemacht hat, dann Hegel den der Theologie (den Begriff des Absoluten).
Wer über Gewalt bei Kindern und Jugendlichen redet, muß über die Verrohung der Sprache reden („Wir sagen heute nicht mehr anmutig, wir nennen das geil“). Das aber um keinen Preis denunziatorisch: Es muß hinzugefügt werden, daß diese Verrohung der Sprache eine Erfahrungsgrundlage hat, die sie geradezu erzwingt; sie ist der Versuch der Verarbeitung bestimmter Formen der Erfahrung. Haben nicht die Kinder und Jugendlichen heute große Probleme, das Erbe, das ihnen die Eltern hinterlassen (diese Welt), anzunehmen, sich darin wiederzufinden? Das In-der-Welt-Sein und die Geworfenheit entspricht einer Erfahrung der Generation Heideggers. Die jetzt heranwachsende Generation erfährt sich als von der Welt ausgeschlossen.
Aber es gibt nicht „die Welt“, zu der wir uns äußerlich verhalten (und die uns damit zugleich aus sich ausschließt), sondern die Äußerlichkeit der Welt ist etwas von uns Produziertes und von Generation zu Generation Vererbtes: sie ist ein Teil der Erbschuld, die die Welt verhext, Ausdruck der im Objektivierungsprozeß anwachsenden Macht der Vergangenheit über die Dinge (die in diesem Prozeß überhaupt erst zu Dingen geworden sind). Hier wird deutlich, daß (und weshalb) das Zentrum der Prophetie ihr Aktualitätskern ist, weshalb die Wahrheit einen Zeitkern hat.
Die Wahrheit ist nicht überzeitlich, sondern das Überzeitliche ist der Inbegriff und das Medium der Leugnung; die Geschichte der drei Leugnungen spielt sich in diesem Medium ab.
„Man gönnt sich ja sonst nichts“: Dieser Auto-Aufkleber steht in der Tradition der in der Nazizeit verbreiteten Klage, man habe nichts vom Leben gehabt. Das „man“ des ersten Satzes ist der Abkömmling des anonymisierten „Lebens“ im (früheren) zweiten Satz.
20.03.94
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