20.5.1994

Die Systemkonstrukte der Philosophie (Neuscholastik: Metaphysik, Erkenntnistheorie, Ethik; Kant/Cohen: Logik, Ästhetik, Ethik; Hegel: Logik, Naturphilosophie, Philosophie des Geistes) lassen aus den Varianten der Urteilsform, aus einem logischen Grundmodell, sich herleiten. Die Neuscholastik geht aus von einer verdinglichten, dem Urteil äußerlichen Dingwelt; Kant verwandelt sich die Welt in eine durch die apriorische, verdinglichte Urteilsform vermittelte Welt der Erscheinungen; Hegels Philosophie ist das Resultat der Selbstreflexion des Dingbegriffs und der Urteilsform.
Das Problem liegt in der kantischen „transzendentalen Ästhetik“; deren Reflexion wird gehemmt, wenn nicht verhindert, durch ihre exkulpatorische Funktion: Sie schirmt das Subjekt ab gegen den Abgrund des Mythos.
Das Rosenzweigsche „und“ schließt die Idee des Absoluten aus (widerlegt die Idee des Absoluten).
Zu den drei Grundstückskäufen:
– Abraham kauft das Grundstück/die Höhle Makpela von dem Hethiter Ephron (Gen 23),
– Jakob kauft ein Grundstück bei Sichem von den von den Söhnen Hamors (Gen 3319),
– David kauft die Tenne des Jebusiters Arauna (2 Sam 2418).
Der Kauf erfolgte
– als Erbgrundstück für das Begräbnis Saras,
– für die Errichtung eines „Malsteins“ und den Bau eines Altars („El, Gott Israels“),
– für den Bau eines Altars, um der Seuche im Volke Einhalt zu gebieten (an der gleichen Stelle, an der auch die „Bindung Isaaks stattgefunden hatte, erbaute dann Salomon dem Herrn einen Tempel – Gen 222, 2 Chr 31).
Ist nicht die Philosophie, die sich in der Prophetie wiedererkennt, die Erfüllung sowohl der Philosophie wie auch der Prophetie?
Nach Auschwitz sind gesellschaftliche Naturkatastrophen nicht mehr undenkbar, aber auch die Vorstellung, daß Rechtfertigungszwänge und Legitimationsbedürfnisse die Fälschung der Erinnerung (auch der historischen Erinnerung) begründen können (Problem der Chronologie, der Fälschungen im Mittelalter, aber auch des logisch überdeterminierten Versuchs, synchrone Ereignisse in diachrone umzuformen: entspricht nicht die Logik der Evolution und der Tiefenzeit der Logik der Selbstbegründung des Inertialsystems)? Ist der Verdacht so unbegründet, daß die heute herrschenden wissenschaftliche Anschauungen zur Astronomie und zur Vorgeschichte (Orientalistik, Evolutionstheorie, Geologie) eines Tages als projektive Konstrukte eines universalen Exkulpationstriebs sich erweisen werden (gleichsam als Parodie auf die Umformung einer symbolischen in eine zeitliche Folge in der Bibel: Abraham, Moses, David)? Vgl. hierzu Rosenzweigs Konstrukt einer prophetischen Beziehung der „Vorwelt“ (des Mythos, der Philosophie) zu ihrer Erfüllung in der „allzeit erneuerten Welt“ der Theologie, der Schöpfung/ Offenbarung/ Erlösung (die Philosophie als Prophetie der Prophetie).
Die Offenbarung ist die Kontraposition zur Verdrängungsgeschichte, während die Philosophie zu ihren Stabilisatoren gehört (Begriff der Barbaren, der Natur und der Materie).
Das Feuer, die Scham, die Gattung und der Tod. Aber: „Stark wie der Tod ist die Liebe“.
Empfindung und Selbstmitleid: Produkte der verinnerlichten Scham (der Trennung von Ding und Sache). Die Empfindung ist der Tod der Sensibilität.
Die Kritik der Naturwissenschaften müßte in einer Theorie des Feuers sich erfüllen, und das in einem sehr physikalischen Sinne: Sie müßte einschließen die Lösung des Rätsels der Planckschen Strahlungsformel (die diese Theorie des Feuers bereits enthält), und in der Folge daraus der Mikrophysik und ihrer Konstanten insgesamt. Sie müßte auch mit einschließen die Auflösung des „Himmels“-Problems (im hebräischen Namen des Himmels ist der des Feuers enthalten), das auf die Logik der Scham (der Erkenntnis der Nackheit, der Selbsterfahrung im Blick der Andern, der Konstituierung der farbigen Außenseite der Dinge, der Beziehung des Begriffs der Barbaren zum Namen der Hebräer, des brennenden Dornbuschs als „brennende Innenerfahrung“ des Profanen) zurückweist. Auf die gleiche Logik der Scham, die die subjektive Form der äußeren Anschauung, die Selbstbegründung der Raumvorstellung, als Verdrängungs- und Exkulpationslogik determiniert (der Raum tabuisiert die Scham durch Abstraktion vom Gesehenwerden). Die im naturwissenschaftlichen Objektbegriff (dem Grund und Modell des wissenschaftlichen Objektbegriffs überhaupt) institutionalisierte aufgedeckte Blöße tabuisiert die Scham: zurück bleibt nur das Brennen. Das Feuer der Hölle ist der mythische Ausdruck der brennenden Scham; der Anblick dieses Leidens, der nach theologischer Tradition zur seligen Anschauung Gottes dazugehört, ist in der Tat durch den Begriff der Anschauung Gottes determiniert (der die Abstraktion vom Gesehenwerden mit einschließt: und die Scham, die Gottesfurcht, als ein unlöschbares Feuer in die Hölle projiziert; mit der Gottesfurcht wurden die Juden in die Hölle projiziert; so wurde in den Juden die Gottesfurcht, in den Hexen die göttliche Barmherzigkeit verbrannt). Wie hängt das Lukacs’sche „Grand Hotel Abgrund“ (Theorie des Romans, S. 17) mit der augustinisch-thomistischen Tradition der kirchlichen Seligkeitslehre (vgl. Thomas von Aquin, S.Th., Suppl. q. 94) zusammen?
Sind Kafkas Tiergeschichten Produkte der Schamreflexion (der säkularisierten Gottesfurcht: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns)?
Ist die Astrologie eine Verkörperung und erste Entfaltung der Logik der Scham: der verschlossene und vom Cherub bewachte Eingang zum Paradies, auf den sich per Umkehrung dann das Wort bezieht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden?


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