20.09.1996

Das Credo kennt keinen Schöpfer (creatorem), nur den Macher des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge (factorem caeli et terrae, visibilium et invisibilium); auch der Sohn wird „erzeugt, nicht gemacht“ (genitum non factum). Die Schöpfung (das creare, das dem biblische bara entspricht) kommt im Credo nicht vor. War das der Preis für die Opfertheologie, für die „Funktion“ des Bekenntnisses und seiner Logik im historischen Objektivationsprozeß, der den Schöpfungsbegriff neutralisiert (sind das Verschweigen der Schöpfung und die Opfertheologie der Keim der „subjektiven Formen der Anschauung“ und des Inertialsystems in der Theologie, eines Naturbegriffs, der der Erinnerung, dem Eingedenken und schließlich der Idee der Auferstehung, den Weg verstellt)? Der mittelalterliche Lösungsversuch, die creatio mundi ex nihilo, der den Knoten nur durchschlagen, nicht gelöst hat, war ungeeignet, wie anhand der Analyse des nihil leicht sich nachweisen läßt: Die Ersetzung der Schöpfung durchs Machen (und Zeugen) zieht zwangsläufig die Frage nach dem Woraus nach sich, der das „ex nihilo“ den Mund verstopft.
Wenn der Sohn „gezeugt nicht gemacht“ ist, so ist damit die Schöpfung eigentlich nicht ausgeschlossen.
Das Verschweigen der Schöpfung und die Logik der Opfertheologie, die Konstituentien des Dogmas und der Bekenntnislogik, sind antisemitisch.
Das Nichts ist wie das Sein eine Reflexionskategorie: Es repräsentiert die Vorstellung einer ursprünglichen Vergangenheit (einer Vergangenheit, die jeder möglichen Gegenwart vorausgeht), die dann (wie im Inertialsystem) auch die Zukunft unter sich subsumiert. Dieses Nichts transformiert die Idee des Ewigen in die des Überzeitlichen, den Namen in den Begriff; es verdrängt die Erinnerung an den Zeitkern der Wahrheit: ans Wort.
In einer Welt, die aus dem Nichts erschaffen und durch das Sühneleiden des Gottessohns entsühnt ist, gibt es keine Erlösung, nur eine Rechtfertigung.
Hat das Dogma nicht recht: Der Vater suspendiert den Schöpfer, er ist in der Tat nur der Macher und Erzeuger. Der Richter aber ist der Sohn, der Geist der Verteidiger? Und was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn der Sohn zur Rechten des Vaters sitzt?
Der Sturm und die Winde: Sind das nicht Abkömmlinge des Geistes, der weht, wo er will? – Haben nicht die Geschichten von Jesus auf dem Meere mit der Jonas-Geschichte zu tun?
Was hat die Buchung mit dem Buch und mit der Logik der Schrift zu tun? Waren nicht die ersten Schriftdokumente Buchungsdokumente?
Worauf bezieht sich der Begriff des Unsichtbaren in den Glaubensbekenntnissen? Das Bekenntnis gründet im Sehen, nicht (wie das Sch’ma Jisrael) im Hören. Israel ist das Subjekt des Hörens, nur die Kirche ist ins Sehen verstrickt.
Haben nicht die Engel (die Cherubim und Seraphim, die Engel und Erzengel, die Throne, Herrschaften und Mächte) in der dogmatischen Theologie herrschaftsgeschichtliche und kosmische Bedeutung?
Zu der frühchristlichen Engellehre vergleiche die Formeln in den Praefationen:
– Per quem maiestatem tuam laudant Angeli, adorant Dominationes, tremunt Potestates. Caeli caelorumque Virtutes ac beata Seraphim socia exsultatione concelebrant.
– Et ideo cum Angelis et Archangelis, cum Thronis et Dominationibus cumque omni militia caelestis exercitus hymnum gloriae tuae canimus, sine fine dicentes: …
– Quam laudant Angeli atque Archangeli, Cherubim quoque ac Seraphim: qui non cessant clamare quotidie, una voce dicentes: …
– Sed et supernae Virtutes atque angelicae Potestates hymnum gloriae tuae concinunt, sine fine dicentes: …
Wer waren die Emmaus-Jünger? Soll nicht einer von ihnen der (Johannes) Markus gewesen sein, der gleiche, der bei der Gefangennahme Jesu, um sich selbst zu retten, (wie Joseph bei der Frau des Potiphar) seinen Mantel zurückließ, und in dessen Haus der Raum war, in dem das Abendmahl begangen wurde und nach der Himmelfahrt die Jünger versammelt waren?
Schrecken und Urteil: Die Philosophie ist den Schrecken des Schicksals entronnen, indem sie über das Schicksal sich erhob und (mit Hilfe des Urteils, des Begriffs) den Schrecken von sich auf die Dinge ableitete. Hat nicht die Philosophie die Unterwelt geschaffen, in die Jesus nach dem Kreuzestod hinabgestiegen ist? Die Theologie hat diese Geschichte im Topos des Sündenfalls zu reflektieren versucht.
Wäre es nicht die Aufgabe der Theologie, die „Rücksichtslosigkeit“ des Systems, die in Hegels Idee des Weltgerichts sich vollendet, endlich zu reflektieren? Ist nicht eine Theologie im Angesicht Gottes die einzige Möglichkeit, den Imperativ in Jak 520 zu erfüllen (und alles andere nur gut gemeint)?
Hängt das „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit dem Rechts und Links nicht unterscheiden können zusammen? Und war das nicht das Grundproblem des Dogmatisierungsprozesses: Sie haben nicht gewußt, was sie taten? Und ist nicht das „Rechts und Links nicht unterscheiden Können“ der Boden, auf dem die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich abspielt?
Rechts und Links nicht unterscheiden können, heißt das nicht: Sich und den Andern nicht unterscheiden können, die Asymmetrie nicht wahrnehmen; ist es nicht das Prinzip der Universalität?
So wie die Umkehr des Volkes und dann die Umkehr des Königs, der das Volk und das Vieh zur Umkehr aufruft, zwei getrennte Aktionen sind, beziehen sich auch die Fragen Gottes am Ende, ab Jona zu recht erzürnt sei, auf zwei (durch den Rizinus-Strauch) sich unterscheidende Sachverhalte. Das „nämlich“, mit dem Jürgen Ebach die zwei Situationen jeweils zu einer zusammenziehen möchte (Kassandra und Jona, S. 109 und 113), ist das nicht Ausdruck der Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden?
Beitrag zur Geschichte der Urteilslogik: Rührt die Kinderfeindschaft heute nicht aus dem Rechtfertigungszwang, der in den Kindern die eigenen Richter erkennt? Darauf bezieht sich der Satz von der Bekehrung der Väter zu ihren Kindern.


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