20.10.90

Bekenntnis und Zeit: Das Bekenntnis vergangener Schuld schließt den Glauben, die Erwartung der Versöhnung, mit ein. Das Bekenntnis ist Ausdruck der Hoffnung, daß der Bann und die Herrschaft der Vergangenheit gebrochen, die Zukunft neu eröffnet wird. Dieses formale Verhältnis ist ohne ein freies, aus dem mythischen Bann herausgetretenes Ich nicht denkbar. Subjekt des Bekenntnisses ist der Liebende. Das Bekenntnis setzt Angstfreiheit: die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, voraus, denn jede Angst verstört und vergiftet das Bekenntnis wie auch die Liebe. Bekenntniszwang, der die (Schuld-/Straf-) Angst als Mittel gebraucht, ist Liebeszwang, Vergewaltigung: er ist obszön. Seine Grundlage ist das Selbstmitleid, die Unfähigkeit zu lieben und das Bedürfnis, geliebt zu werden (die Unmündigkeit, das Nicht-erwachsen-Sein). Das Ziel des Bekenntnisses: die Versöhnung, hat Teil an der zeitlichen Struktur des Ewigen. Der Bekenntnisfähige ist nicht mehr kränkbar; die Grundlage der Kränkbarkeit ist die verdrängte, unaufgelöste Schuld, an die nicht gerührt werden darf. Das Bekenntnis ist die Innenseite des Gebots „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“; dieses Gebot wird durch das Zwangsbekenntnis verletzt.


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