20.12.89

Heideggers Fundamentalontologie ist eine Veranstaltung, die das Vergessen einübt und fördert; das nach außen gewendete Verdikt der „Seinsvergessenheit“ hat vor allem Alibifunktion und erinnert an die Methode „Haltet den Dieb“. Das Verschwimmende, Zweideutige, das gerade den zentralen Kategorien der Heideggerschen Philosophie eigentümlich ist (vom „Sein“ bis zur „Eigentlichkeit“, die alle auch ihr Gegenteil bedeuten), rührt her vom strategischen Gebrauch der Reflexionsbegriffe, die insgesamt – was Heidegger mit großem Geschick dezisionistisch abzuwenden, zu verdrängen versucht (Anwendung der Hegelschen „List“?) – der „verandernden Kraft des Seins“ unterliegen. Der Preis hierfür ist die Ausblendung des Bereichs, dessen Aufschlüsselung allein der Philosophie noch einen Inhalt geben kann: des historisch-gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs und der Stellung des erkennenden Subjekts in ihm. Dem Vergessen entgegen arbeiten heißt hiernach dem Prinzip Verantwortung gehorchen und jeglicher Apologie, Rechtfertigung, Ideologie, jeder Verführung, ein Selbst durch Exkulpation zu gewinnen, zu widerstehen. Notwendig wäre die Aufklärung des Zusammenhangs von Eigentlichkeit und pathologisch gutem Gewissen (die Auflösung der Verführungskraft der Heideggerschen Philosophie durch den kritischen Begriff).

Die Welt ist der Inbegriff dessen, was bei Kant Erscheinung heißt; sie ist nicht einfach „gegeben“, sondern wird konstituiert durchs transzendentallogische Apriori: durch Subjektivität (Produkt und Ursprung des „Schuldverschubsystems“); sie ist gleichsam das objektive Pendant der Selbstkonstitution des transzendentalen Subjekts, des Wissens und seiner Objekte, oder anders: Produkt von Vergesellschaftung, in der heute das transzendentale Subjekt (als Intersubjektivität) untergegangen ist. Die Welt ist die „Krankheit zum Tode“ und der Gegenstand der Heideggerschen Philosophie der endlich isolierte (und damit therapierbar gewordene?) Erreger dieser Krankheit. (Auflösung der Kantischen Antinomien durch Reflexion auf das Schuldmoment in ihnen?)

Die Heideggersche „Eigentlichkeit“ ist der Vorläufer der neueren „Identität“: Mit sich identisch ist erst der Tote; deshalb gehört das „Vorlaufen in den Tod“ zu den Existentialien der Eigentlichkeit. Zugleich aber ist der Tote (das reine Objekt) gerade nicht mehr mit sich identisch, d.h. „uneigentlich“.

Dieser Identitätsbegriff gleicht fatal jenem Wahrheitsbegriff, der dann Literatur (insbesondere den Roman) generell als Lüge denunziert.

Ist eine Organisation der Arbeit denkbar, in der auf hierarchische Strukturen, auf Ausbildungs-Einbahnstraßen (und vor allem auf die eindimensionale, rückstandslose Identifizierung mit dem Beruf) verzichtet wird; in der Kompetenzen, gleichgültig wo und wie sie erworben wurden (z.B. in einem aus Interesse gewählten Studium oder bei der Kindererziehung), grundsätzlich als generell übertragbar sich erweisen? Wäre so insbesondere auch die Benachteiligung und Diskriminierung der Frauen vermeidbar?


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