20.12.91

Die kirchliche Sexualmoral, die Verlagerung der Erbschuld in die sexuelle Lust, ist Produkt und Ursache der Zurückweisung des Nachfolgegebots: Wer nicht bereit ist, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, muß die Schuld (das wölfische Gesetz: die Gewalt und die Herrschaft von Menschen über Menschen) in der Welt belassen und kann sich nur an deren Reflex im Subjekt: an die Sexualität halten. Zusammenhang mit Trinitätslehre und Opfertheologie. Heute zur Selbstverfluchung zugespitzt: Da man den theologiebegründenden kritischen Weltbegriff selbst nicht mehr begründen kann, verfällt die Sexualmoral endgültig dem Gesetz der Heuchelei, der Doppelmoral, der Moral für andere: Man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen. Metaphysik ist heute (nach Faschismus und Heidegger) nur noch als Zynismus möglich. Darin ist auch die säkularisierte Welt noch mit christlichem Erbe belastet.
Wer sich heute weigert, im Begriff der Objektivität die Herrschaftsstrukturen zu reflektieren, nimmt Gemeinheit in Kauf.
Die Selbstverfluchung (bei der dritten Leugnung) beginnt dort, wo die Kirche Unkraut und Weizen (rechts und links) zu unterscheiden verlernt hat (hängt der Ursprung der Gen-Forschung mit den vielfältigen Versuchen, das Unkraut zum Weizen zu machen, zusammen?).
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit relativiert Raum und Zeit als subjektive Formen der Anschauung. Es relativiert damit die Herrschaft von Subjektivität.
Nicht über die sexuelle Lust, sondern über die unreflektierte Herrschaft des transzendentalen Apparats pflanzt sich die Erbschuld fort.
Mathematik, das Kontinuum (die Ausdehnung) und das Diskrete (die Zahl): wie hängen beide mit einander zusammen? Auch die Kontinuen sind als Dimensionen gegeneinander diskret (vermittelt über die Orthogonalität). Die Spiegelung des dreidimensionalen Raumes schließt die Umkehr einer Richtung im Raum mit ein, d.h. verändert die Beziehung einer Richtung im Raum zu den beiden anderen. Ist dies der Gordische Knoten, den Alexander durchschlagen, aber nicht gelöst hat? Und hat die dreifache Leugnung etwas mit der Dreidimensionalität, mit der dreifachen Verkehrung zu tun?
Die Materie ist der gegenständliche Inbegriff des Schreckens um und um, der Raum der Inbegriff des allseitigen Lachens.
Es ist der Unterschied ums Ganze, ob ich selbst den Tod auf mich nehme oder einen anderen in den Tod schicke, das Menschenopfer vollziehe.
Das ist die letzte Versuchung, der die Kirche zu erliegen droht: die Selbstexkulpation durch das moralische Überlegenheitsbewußtsein, das sie glaubt, durch die Abtreibungskampagne noch für sich selbst retten zu können.
Hat Hegel von der falschen Zärtlichkeit für die Dinge, oder von der falschen Zärtlichkeit für die Welt gesprochen?
Ist der Inhalt der Verleugnungen nicht präzise zu bezeichnen, wenn die Kirche sich in der Opfertheologie (dem Grund der Dogmatik) auf die Seite der Täter stellt?
Die kantische Unterscheidung zwischen dem mathematischen und dem dynamischen Ganzen (zwischen dem Welt- und Naturbegriff): betrifft sie nicht den Unterschied zwischen dem Resultat der mathematischen Erkenntnis und ihrer Genese?
Ist die Kirche nicht längst zu einem U-Boot geworden, mit einer fatalen Nähe zu den Seeungeheuern? Was bedeutet es, wenn Kirchen heute die Außenseite ihrer Wände nach innen kehren, die Innenwelt zur Außenwelt der Außenwelt machen?
Mitscherlich hat das Denken als Probehandeln bezeichnet; Franz Rosenzweig hat die erkenntnistheoretische Bedeutung der Umkehr, ihren Zusammenhang mit dem Wahrheitsbegriff entdeckt: Ich glaube, in dieser Richtung wird man die Bedeutung und die Realität des Gebetes suchen müssen. Die Unfähigkeit zur Reflexion, der die kirchliche Sexualmoral und das Dogma sich verdanken, und die die Menschen für autoritäre Strukturen verfügbar macht, zerstört die Fähigkeit zu beten an der Wurzel.


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