20.5.96

Hat nicht das Christentum durch seinen Schöpfungsbegriff den Historismus legitimiert und zugleich sich selbst das Verständnis der Apokalypse verstellt? Wenn die Zeit etwas in der Schöpfung Entsprungenes, nicht unabhängig von ihr Bestehendes ist, kann die Schöpfung nicht selber unter die Zeit subsumiert, und d.h. als etwas nur Vergangenes angesehen werden: dann steckt im Namen der Schöpfung etwas Unabgegoltenes, das in jede Gegenwart hereinreicht. Diesem Gedanken kommt die jüdische Tradition, der zufolge Gott die Schöpfung jeden Tag erneuert, am nächsten. Zwischen der jüdischen und der christlichen Tradition liegt ein Konstrukt, das aus der christlichen theologischen Tradition hervorgegangen ist, und deren mit dem Dogma und mit der Form des Bekenntnisses ausgebildete Logik mit ihrer Abtrennung und Verselbständigung sich gegen sie gekehrt hat: Raum und Zeit als „subjektiven Formen der Anschauung“ (das Inertialsystem). Das Inertialsystem ist nicht nur das Referenzsystem aller naturwissenschaftlichen Begriffe, Erscheinungen und Gesetze, es ist zugleich das Sklavenhaus der Natur. Und der naturwissenschaftliche Erkenntnisbegriff ist ein pharaonischer Erkenntnisbegriff, zu dessen Vorgeschichte die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos gehört (Adornos Kritik der Verdinglichung war ein Kampf gegen die Verhärtung des Herzens). Waren Kain und Abel, wie später Esau und Jakob, Zwillinge; und welche anderen Zwillinge gibt es außerdem in der Schrift? Wenn Kain und Abel Zwillinge waren, dann waren die ersten Zwillinge ein Mörder und sein Opfer; Jakob (der „Listige“) hat seinem Bruder das Erstgeburtsrecht abgekauft (und Gott hat „Jakob … geliebt, Esau aber gehaßt“ – Mal 12f). Hängt das mit der Exodus-Geschichte und der jüdischen Opfertradition verknüpfte Problem der Erstgeburt hiermit zusammen? Und in welcher Beziehung steht die „List“ Jakobs zu der der Schlange, die das „listigste“ aller Tiere war? – Die Söhne Judas von der Thamar waren Zwillinge; waren auch die Söhne des Eber, Peleg und Joktan, Zwillinge? Ist nicht Kain (der Gründer der ersten Stadt, die er nach seinem Sohn benannte) die erste Erstgeburt überhaupt? Das Gute ist ein Objekt des Sehens („und Gott sah, es war gut“). Ist Elohim der Gott, der sieht (der Richtende), JHWH hingegen der, der hört (der Barmherzige), und liegt darin der Grund, daß der Name JHWHs nicht ausgesprochen werden darf? Und ist nicht Elohim der Gott, der mißbraucht werden kann, in der Idolatrie, im Götzen-, Opfer- und Sternendienst? Als den Menschen die Augen aufgingen, erkannten sie, daß sie nackt waren.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie