20.6.1995

Der Herr Prof. Dr. Thomas Feuerstein hätte die Fragen in seinem Leserbrief in der FR vom 19.06.95, bevor er sie stellte, nur einmal kurz auf Auschwitz anwenden sollen; vielleicht hätte er dann die Infamie bemerkt, die in Fragen, wie: „Wer leidet zu Recht, wer zu Unrecht? Wer erinnert mit welcher Absicht?“ steckt. Gibt es nicht eine Realität des Leidens, in deren Anblick das „Verständigungsapriori“ zynisch wird?
Prinzipieller Ideologieverdacht: Ist das nicht eine Definition des Zynismus (und ist nicht der Zynismus die Sensibilität des Paranoikers)? Dazu gehört die aus der Logik des Marktes abgeleitete Vorstellung, von Betrügern umgeben zu sein: der Bettler mit dem Mercedes, die Arbeitslosen, die bloß nicht arbeiten wollen, die Asylanten, die nur an unserem schwer erarbeiteten Wohlstand teilhaben wollen, während Organisationen wie amnesty international, pro asyl, medico internationational nur darauf aus sind, die „Autorität der Leidenden“ zu vermarkten. Der prinzipielle Ideologieverdacht gehorcht einer Logik, die ihrer eigenen Schwerkraft nach dahin tendiert, die Realität des Leidens überhaupt zu leugnen, damit aber – und insofern gehört die memoria passionis zu den Grundlagen der Theologie – die Objektivität der Wahrheit.
Mit dem bundesanwaltschaftlichen Konstrukt „anschlagsrelevanter Themen“ gewinnen Zynismus und Paranoia Rechtsqualität: Hier wird die Wahrnehmung des Leidens und der öffentliche Hinweis darauf unter strafrechtliche Normen subsumiert, der Ideologieverdacht zum Kriminalitätsverdacht erweitert, die „Autorität des Leidens“ unter Terrorismusverdacht gestellt. (Es gehört zu den „Leistungen“ der raf, diese Logik gefördert zu haben.)
In welcher Beziehung stehen die drei Versuchungen Jesu zur Verführung durch die Bekenntnislogik (Feindbild, Verrätersyndrom, Frauenfeindschaft)?
Licht, Schatten und Finsternis gibt es nur fürs Auge. Die Qualität von Licht, Schatten oder Finsternis ist physikalisch nicht einsichtig zu machen, die Physik befaßt sich nur mit den Techniken ihrer Erzeugung.


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