21.04.93

Nach Günther Anders haben Nacktheit und „das Gesicht verlieren“ etwas gemeinsam: Wenn Gesichter nackt werden, verwandeln sie sich in einen bloßen „Körperteil …, dessen nacktes und unkontrolliertes Aussehen das von Schulter oder Gesäß an Ebenbildlichkeit um nichts mehr übertrifft“ (S. 86).
Sind Fälschungen (z.B. im Mittelalter) nicht Begleitphänomene der Instrumentalisierung: Hier kommt es nicht mehr darauf an, ob es stimmt, was behauptet wird, sondern primär darauf, welchen Zwecken es dient. Der Nominalismus sanktioniert die Bindung der Wahrheit an Zwecke. Das Tabu, auch Produkt einer „Fälschung“, ist eine gesellschaftlich instrumentalisierte Schamgrenze: Wie hängen die Fälschungen im Mittelalter mit den „religiösen Bewegungen“ des Mittelalters zusammen? M.a.W. handelt es sich überhaupt um „Fälschungen“, können es nicht auch Begleitphänomene kollektiver, herrschaftsgeschichtlicher Verdrängungen, wie die nachfolgende Geschichte der Hexenverfolgungen und des Antisemitismus, sein? Waren in der Ursprungsgeschichte des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ die Legitimationsbedürfnisse anders zu befriedigen? Welche Legitimationsbedürfnisse werden heute z.B. durch das Konzept der „Tiefenzeit“ befriedigt? Muß man nicht den moralischen Ton aus dem Begriff der Fälschung herausnehmen?
Die Verwandlung der Anschauungs- in die analytische Geometrie ist der Beginn der Totalisierung und Vergesellschaftung von Herrschaft.
Zur Geschichte des Ursprungs der Raumvorstellung, Raum und Scham: Die Raumvorstellung entspringt mit dem „und da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, m.a.W. sie ist ohne Scham nicht zu haben. Jeglicher Mythos beruht auf der Unfähigkeit zur Reflexion der Scham, auf der Verdrängung der Scham.
Die kausale Verknüpfung von Sünde und Schuld ist auch ein Mittel der Exkulpierung durch Verdrängung, insbesondere wenn in die Definition der Sünde die Vorstellung mit hereingenommen wird, man könne sich durch Nichthandeln von der Sünde freihalten.
Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae: Dieser Geist konstituiert sich in der Kritik des kopernikanischen Systems. Denn erst das kopernikanische System hat das Antlitz der Erde zerstört und jede Erinnerung daran verdrängt. Das Angesicht und die Umkehr haben nicht nur subjektive, sondern auch objektive Bedeutung; die Richtungen im Raum (vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) sind nicht nur auf den menschlichen Leib bezogen, sondern haben mit den Himmelsrichtungen, dem Himmel und der Scheol zu tun.
Das Licht ist das erste durchs Wort Erschaffene: Die Finsternis über dem Abgrund bezieht sich auf den Abgrund der Sprache, in dem die Sprache sich nicht wiederfindet, und die Finsternis drückt genau diese Ohnmacht der Sprache aus, die erst mit der Erschaffung des Lichts aufgehoben wird: Auch die Finsternis bestimmt sich aus ihrem Verhältnis zum Licht.
Die subjektiven Anschauungen bei Kant sind Produkt der Abstraktion vom Gesehenwerden, etwas, wohinter das Subjekt sich vor den Dingen versteckt. Und es ist genau diese Abstraktion, die als Begriff der Welt dann sich konstituiert. In der Welt darf man alles, sich nur nicht erwischen lassen.
Franz Rosenzweig spricht einmal von der verandernden Kraft des Seins: das Produkt dieser verandernden Kraft des Seins ist die Welt.
Das Objekt verhält sich zu den Formen der Anschauung wie das Subjekt zum Prädikat im Urteil. Über die Formen der Anschauung wird das Prädikat zum Begriff subjektiviert, wird die Subjektivität in die Objektivität so tief eingesenkt, daß sie fast nicht mehr davon zu unterscheiden ist.
Ist nicht die Vereinigungsmystik der Unzuchtsaspekt dieser Vermischung von Subjektivität und Objektivität, mit verschiedenen Phasen und Aspekten dieser Unzuchtsgeschichte (Ursprung des Patriarchats: Materiebegriff, griechische Päderastie: noesis noeseos, Rousseaus Inzest: Zurück zur Natur, faschistische Homosexualität: Judenmord, postmoderne Abstreibungsdebatte: Ende der Theologie – Entschlüsselung des evangelischen Rates der Keuschheit)? Die Raumschlinge wird immer enger (die ungeheure metaphorische Bedeutung der Stammheimer Selbstmorddiskussion und der Isolationshaft im Kontext des Problems der Instrumentalisierung des Opfers).
Ist nicht die Schrift nur verständlich, wenn die Ontologie als prima philosophia ersetzt wird durch die Ethik? Wenn Emanuel Levinas die Ethik als prima philosophia gleichsam als kantische verdammte Pflicht und Schuldigkeit faßt, als Geiselhaft im Angesicht des andern, so steht er noch unterm Bann des postmodernen Primats des Andern. Die Unterscheidung zwischen dem Andern und dem Fremden läßt in der „Geiselhaft“ das Moment der Befreiung aufleuchten. Die französische Postmoderne erinnert nicht zufällig (schon seit Sartre) an Fichte: Das/der Andere ist das Fichtesche Nicht-Ich, es bleibt im System; erst der Name des Fremden sprengt das System.
Sodom, Jericho und Gibea genau vergleichen: Wer sind die Fremden, wer die Aufnehmenden (wer wird gerettet?), wer die Gewalttätigen (nur in Jericho ist es der König?); welche Rolle spielen die Frauen in diesen Geschichten? Wie enden die Geschichten? Beziehungen zum Stammbaum Jesu (Rahab und Ruth, auch Bethlehem)?
Hat das Relativitätsprinzip genetisch etwas mit der Entdeckung der Perspektive in der Malerei zu tun, auch mit der Entdeckung des Porträts (nach dem Modell der Totenmaske)? Hinterm Porträt tauchte dann schon bald der Totenkopf auf, eine Entdeckung des Barock, aber seine Vorgeschichte liegt im Reliquienkult. Das Porträt war ein Symbol des aufsteigenden Bürgertums, der Totenkopf das des Absolutismus.
Bemerkungen zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Zusammenhang der Struktur des Inertialsystems mit der der indogermanischen Sprachen. Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird ein empirisches Moment zu einem Strukturelement des Systems. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn man das strukturelle Moment in der Sache festhalten könnte, aber das empirische Moment daran, der Wert der Lichtgeschwindigkeit, variabel wäre? Wäre es nicht denkbar, daß dieser Wert gekoppelt ist mit der Gravitationskonstanten (oder der Gravitationsbeschleunigung)?
Erinnern nicht die metaphorischen Elemente der Sprache an die „Sprache als Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung“? Ist nicht das Licht (auch die Schwere, das Spitze, das Stumpfe) ein sprachlicher Sachverhalt, bevor er ein empirischer ist?
Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt (Kritik des Dogmas und Metaphorik).
Wie kann man gegen die Abtreibung, aber gleichzeitig für die Genforschung sein?


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