Sind nicht die Sakramente insgesamt eine Versiegelung der Umkehr durch Ritualisierung, und dadurch Instrumente der Bekehrung?
Z. 1124: Es trifft zu, „die Kirche glaubt so, wie sie betet“, aber welche Konsequenzen ergeben sich, wenn das dann gleich auf die Liturgie bezogen wird?
Kritik der „concupiscencia“: dieser Begriff ist ein Produkt des Weltbegriffs, vermittelt durchs Schuldverschubsystem, dem Gesetz der Projektion unterworfen. Die Kirche hat das selige Leben geleugnet, indem sie es zum Objekt der Konkupiszenz gemacht hat.
Das Modell, nach dem die „Sünde“ als „Trennung von Gott“ vorgestellt wird, ist das autoritäre von Ungehorsam und Liebesentzug.
Gehört nicht der Satz Luk 2218: „Von jetzt an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt“, zu dem „Sitzet zur Rechten des Vaters“ (zur Seite der Barmherzigkeit, des Brotes)?
Z. 1426: Der Ausdruck „im Kampf des christlichen Lebens bewähren“ klingt nach Konkurrenzkampf (dem ökonomischen Pendant des Inertialsystems). Dieses Wort ist ein Stück Islamisierung („heiliger Krieg“).
Dem Text über Buße und Versöhnung (vgl. ab Z. 1440) scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, daß die ganze Welt verworfen und der Katastrophe anheimgegeben ist; ausgenommen sind nur die, die sich der Kirche unterwerfen, sich mit ihr versöhnen. Hier liegt der logische Grund, der ihn verständlich zu machen scheint.
Vergessen wird, daß Gott (und, wenn sie ernst genommen wird, die Kirche, die sich daran messen lassen muß) der Anwalt der Armen, der Fremden, der Unterdrückten und der Benachteiligten ist.
Z. 1462: „Die Vergebung der Sünden versöhnt mit Gott, aber auch mit der Kirche“. Hier wird’s blasphemisch: hier ersetzen Gott und die Kirche das Selbst. Wahr wäre der Satz nur, wenn in der Versöhnung mit Gott und der Kirche als ihr logischer wie realer Grund die reale Versöhnung mit den Opfern und den Armen mit verstanden wird.
Z. 1496: Die Aufzählung der „geistlichen Wirkungen“ des Bußsakraments (auch die der anderen Sakramente) gleichen nicht zufällig Anleitungen zu technischen Geräten (und wirft im übrigen die gleichen Sprachprobleme auf).
„Die Weihe und die Ehe sind auf das Heil der anderen hingeordnet“ (Z. 1534): Heißt das, daß die anderen Sakramente nur auf das eigenen Heil hingeordnet sind? (Zuständigkeits- und Kompetenzregelungen, die zu dieser Art Verwaltungsdenken dazugehören)
„Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“: Durch die Opfertheologie hat sich die Kirche auf die Seite der Täter gestellt; und seitdem gilt dieser Satz auch für sie.
Beachte den Gebrauch des Naturbegriffs, der nicht zufällig vorzugsweise im Bereich Ehe und Sittlichkeit erscheint.
Ab Z. 1700 („Die Würde des Menschen“) könnte man jeden einzelnen Abschnitt auseinandernehmen; da stimmt kein einziger Satz.
Z. 1741: Neben dem unreflektierter Gebrauch der Wendung „Sein glorreiches Kreuz“ eine Verwendung eines Zitats aus Röm 821 von der „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“, deren wir uns, nach den Worten dieses Katechismus, angeblich „jetzt schon rühmen“. Heißt das, daß die „ganze Kreatur“ nicht mehr „seufzt und in Wehen liegt“, daß sie nicht mehr „auf die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes harrt“ (da sie schon eingetreten und die Welt schon „entsühnt“ ist)? In der gleichen Zeit, als in Auschwitz die Juden umgebracht wurden, wurde in deutschen Kirchen das Lied gesungen „Mein Gott, wie schön ist deine Welt“.
Nach Z. 1749 können „die eigentlich menschlichen … Handlungen … sittlich bewertet werden. Sie sind entweder gut oder böse.“ Das ist die theologische Grundlegung des Geschwätzes (vgl. Walter Benjamin: Über die Sprache). S. dazu Z. 1850: „Die Sünde … ein Ungehorsam, eine Auflehnung gegen Gott durch den Willen wie Gott zu werden und dadurch Gut und Böse zu erkennen“, was dann noch durch ein unbiblisches „und zu bestimmen“ (und anschließendem Hinweis auf Gen 35, wo dieser Zusatz nicht steht) ergänzt wird (hier werden Spuren verwischt).
Wenn irgendwo das Unerlöste dieser Texte mit Händen sich greifen ließe, dann in den Auslassungen über die „Leidenschaften“ (die als „Durchgangs- und Nahtstellen zwischen dem sinnenhaften und dem geistigen Leben“ beschrieben werden – Z. 1764). „Unser Herr bezeichnet das Herz des Menschen als die Quelle, aus der die Regungen der Leidenschaften hervorgehen.“ Welches Herz? S. Ez 1119. – Vgl. 1763/64. In 1765 wird eine Definition der Liebe gegeben, die sie neutralisiert und ausschließt. Dieser Begriff der Liebe kennt – wie die Theologie dieses Katechismus – zum Prinzip der Selbsterhaltung: zum Egoismus keine Alternative. Der Naturbegriff ist das Grab der abgestorbenen Liebe. (Adorno: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist.)
Die Vorstellung (1767), daß die Leidenschaften „durch die Vernunft geregelt werden“, erinnert nur noch an die Straßenverkehrsordnung, aber nicht mehr an den Zustand der Erlösung, der damit beschrieben werden soll.
Solange die Kirche selber die Umkehr, die Erinnerungsarbeit und das Schuldbekenntnis verweigert, fesselt sie sich selbst und wird zu dem Mann, dessen Haus ausgeplündert wird (Mk 329, dort auch der Zusammenhang mit der Sünde wider den Heiligen Geist).
Z. 1851: Hier ist das ganze antijudaistische Arsenal beisammen („Unglaube, mörderischer Haß, Verstoßung und Verspottung durch die Führer und das Volk, Feigheit des Pilatus und Grausamkeit der Soldaten“), zusammen mit der Historisierung der Verleugnung Petri („Verleugnung durch Petrus und Flucht der Jünger“).
Sünde und Schwerkraft: „Die Sünden sind nach ihrer Schwere zu beurteilen.“ (Z. 1854)
Der Katechismus ist ein Zeichen der ungeheuren Verwirrung, der die Kirche verfallen ist; er wird zusammengehalten eigentlich nur durch jene Paranoia, die nach dem 2. Vaticanum aus Furcht, die Dämme würden brechen, das Handeln zunehmend bestimmt. Er ist ein letzter Hinweis darauf, daß eine politische Theologie nur mit Joh 129 noch zu begründen ist.
Die Hypostasen des Bösen:
– Satan, der Ankläger: der Raum,
– der Dämon, der Zuteiler: das Geld,
– der Teufel, der Verwirrer: das Bekenntnis.
Sind das nicht die „Sünden der Welt“, und richten sich dagegen nicht die drei evangelischen Räte:
– gegen den Raum: der Gehorsam, das Hören,
– gegen das Geld: die Armut und
– gegen das verdinglichte Bekenntnis: die Keuschheit.
Wider die creatio mundi ex nihilo: auch der Himmel, und in seiner säkularisierten Gestalt die Idee der richtigen Gesellschaft, ist ein Teil der Schöpfung, nicht aber der Staat, der in die Ordnung des Sündenfalls gehört, ebenso wie der Weltbegriff, der Naturbegriff, der Begriff der Materie und der des Fremden.
Die in den Evangelien genannte Nüchternheit richtet sich gegen die Trunkenheit und den Taumelkelch, gegen das Herrendenken: Brüder seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. (1 Petr 58)
21.05.93
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