21.11.1994

Zu den Gründen der Kausalitäts-Diskussion gehörte auch der (durch Krieg, Niederlage und Revolution, durch Kriegsschuld-Debatte und „Dolchstoß-Legende“, verschärfte) Materialismus-Vorwurf: Hier war eine Situation, in der an die Ursachen nicht mehr gerührt werden durfte. Das Kausalitätprinzip mußte so umformuliert werden, damit es auf Politik (und Ökonomie) nicht mehr anwendbar war. Rührt nicht auch das Gefühl, selber Objekt einer feindlichen Umwelt zu sein, in der Zweideutigkeit des Materialismus-Vorwurfs, der primär auf die politische Anwendung des Begriffs abzielte, aber die Naturwissenschaften gleichsam in Sippenhaft nahm? Hatten sich nicht schon die „93 namhaften Wissenschaftler und Künstler“, die am 14. Oktober 1914 den „Aufruf an die Kulturwelt“ unterzeichneten, in dem sie „sich rückhaltlos hinter die militaristische Politik des Reiches stellten und ungeprüft die Übergriffe deutscher Truppen in den besetzten Gebieten bestritten“ (sh. S. 31, Anm. 49), präventiv gegen den seit dem schwelenden Vorwurf, nicht national gesinnt zu sein, verteidigt? Das trübe Kapitel der Kriegspropaganda deutscher Wissenschaftler im Ersten Weltkrieg (wie das des Antisemitismus im Zweiten) gehört in diesen Zusammenhang.
Liegt nicht die crux des Neopositivismus darin, daß er die Kritik der Bekenntnislogik selber wiederum zum Gegenstand des Bekenntnisses gemacht hat (oder daß er auf der Flucht vorm Rechtfertigungszwang nur noch tiefer in diesen Zwang hinein geraten ist)? Verweist das nicht darauf, daß der innere Kern der Naturwissenschaften, die Handlungslogik des Inertialsystems, selber bekenntnislogische Züge trägt (die ihren „theoretischen“ Charakter fundieren)? Sind nicht die Probleme der Quantenmechanik Ausdruck und Produkt der Verwirrung, die Krieg und Nationalismus und in prästabilisierter Harmonie damit die logische Struktur ihres Gegenstandes selber in den Köpfen der Beteiligten angerichtet haben? Es war diese Verwirrung, die noch in den besten Produktionen der Nachkriegszeit als Spur einer Flucht in die Weltanschauung sich nachweisen läßt.
Zu Hans G. Kippenberg: Paßt das Jeremias-Wort „Betet für das Wohl der Stadt“ in seine Interpretation der „jüdischen Erlösungsreligion“? Zum Namen-Problem im „Neuen Testament“:
– Neben Saulus/Paulus (war es, wie Kippenberg unterstellt, üblich, daß die Sühne jüdischer Eltern neben dem traditionellen hebräischen Namen noch einen hellenistischen Namen erhielten?) ist
– auf die merkwürdige Benennung Simon/Petrus zu verweisen,
– auch auf den Namen des Nathanael, der einzige, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, der aus Kana stammt (oder war er ein „Kananäer“, ein Zelot?), und der im übrigen nur bei Johannes vorkommt,
– auf die hellenistischen Apostelnamen Andreas und Philippus,
– auf die hellenistischen Diakone,
– den Namen der Christen (zuerst in Antiochien); und schließlich: – war Jesus ein Nazarener oder ein Nazoräer? Ist das Problem der Beziehung des Christentums zum Hellenismus ein Teil des Problems des Weltbegriffs? Wäre nicht die Habermassche Dichotomie zwischen „einem performativen Satz und einem davon abhängigen Satz propositionalen Gehalts“ genauer zu reflektieren: Bleibt sie nicht in Logik der Objektivation und Instrumentalisierung (der Subsumtion unter die Vergangenheit) stecken? Der Objektbegriff wird aufgesprengt durch den Satz: „Das Vergangene ist nicht mehr“. Der Begriff der Aufklärung hat die Differenz von Licht und Finsternis ins Metaphorische verschoben (vgl. das „dunkle Mittelalter“). Das „Licht“ der Aufklärung ist das der Subjektivität, das sich der Verdrängung der gleichen Zukunft verdankt, deren Realsymbol das Licht ist. Wäre daraus nicht das Verhältnis von Gravitation und Licht zu bestimmen? Die von Max Born bemerkte eigentümliche „kontrahierende“ Kraft des Lichtstrahls ist eine Folge der relativistischen Zeitdilatation. Der dreidimensionale Raum ist die zur Totalität aufgespreizte Bildebene; deren Emanationen sind die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt. Gibt es nicht Stufen der Objektivierung, die an den Dimensionen des Raumes sich abarbeiten?


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