21.11.93

Daß Gewalt sich heute gegen den Kopf, das Gesicht von Menschen richtet, hat das etwas mit dem Fernsehen zu tun (und das wiederum mit der Furcht davor, von anderen angesehen zu werden: mit der unverarbeiteten Scham)? Die Präsentation von Gesichtern im Fernsehen, in den Nachrichtensendungen, in Talkshows, in Diskussionssendungen, hat eine merkwürdige Doppelwirkung: Sie verleiht den so Präsentierten die Aura der Erwählung, der Bedeutung, der Autorität (der Zuschauer hat keine Möglichkeit, einzugreifen, ihnen ins Wort zu fallen, zu widersprechen, zu antworten); zugleich sind ihre Gesichter aber schutz- und wehrlos dem zudringlichen und entlarvenden Blick der Zuschauer (der Rache der durchs Gerät Entmündigten) ausgesetzt. Der gleiche Blick, der hier dem Publikum anerzogen wird, wäre real unverschämt und beleidigend: Einübung des bösen Blicks. Die Szene ist irreal und paradigmatisch zugleich.
Das Gewaltmonopol des Staates hat ihn zum Verstummen gebracht, dem argumentativen Gespräch den Boden entzogen: Grund des neuen Mythos.
War nicht der Begriff des falschen Bewußtseins noch zu harmlos? Er unterstellt, es gäbe ein richtiges: Zur Gotteserkenntnis jedoch, die nichts weniger als richtiges Bewußtsein ist, gibt es keine Alternative mehr.
Der Egoismus heute ist kein moralisches, sondern ein strukturelles Problem in der vom Geld beherrschten Welt.
Die sinnliche Welt wieder erfahrbar machen: sie aus dem pathologischen Kontext der Empfindlichkeiten und „Empfindungen“, die allesamt aus Beleidigungen erwachsen, herauslösen (nur in einer Welt, in der das Hören und Sehen schon vergangen ist, kann die Vorstellung entstehen, das Hören und Sehen sei ein Produkt der Evolution).
Wir kennen den Tod nur als den Tod anderer: Ist der Tod nicht ein zentrales Sinnesimplikat des Weltbegriffs?


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