21.12.93

Wie es scheint, ist von der gesamten theologischen Tradition nur die Sohn-Gottes-Theologie übriggeblieben: der letzte Statthalter des Absoluten in der Theologie, Garant der Exkulpation ohne Umkehr. Welche Rolle spielt hierbei der Umstand, daß sich in dieser Theologie alle Herren als allmächtige Väter fühlen können (sie alle haben ihn gezeugt)? Nichts komischer (aber auch nichts entsetzlicher) als die Vorstellung, Jesus sei in die Welt gekommen um zu verkünden, er sei der Sohn Gottes. Ist die Sohn-Gottes-Theologie der Abfalleimer der verworfenen Tradition?
Kafkas Landarzt: „Einmal dem Fehlleuten der Nachtglocke gefolgt, es ist nicht wieder gutzumachen“. Eine Allegorie des Christentums?
Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein; und was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein: die präziste Bestimmung der metaphysischen Bedeutung des Objektbegriffs, zu dessen letzten theologischen Emanationen die Sohn-Gottes-Theologie gehört.
Die biblischen Gebote sind keine absoluten Gebote: Zu dem „Macht euch die Erde untertan“ gehört das „Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“.
Ist nicht die nach dem Vaticanum II erfolgte Verwerfung der Tradition die Besiegelung der Kapitulation vor dem naturwissenschaftlichen Erkenntnis- und Weltverständnis, in deren Kontext der theologische Rest (und seine unterschiedlichen Ausprägungen) allein verständlich wird?
Gibt es nicht eine verblüffende Parallele zwischen dem Generationenwechsel in der Lehrerschaft durch den Ersten Weltkrieg und dem Generationenwechsel in der Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg?
Wollte man die Grenze des Sterns der Erlösung bestimmen, müßte man von der Ausblendung des Sündenfalls und der Apokalypse ausgehen (aber war das nicht die Grundlage der Buber-Rosenzweigschen Zusammenarbeit?).
Hängt die Logik der Vergöttlichung des Opfers (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs) mit der Geschichte der Beziehung von Kausalität und Teleologie zusammen? Der aristotelische Kompromiß: die Neutralisierung des Widerspruchs zwischen Kausalität und Teleologie, war die Grundlage seiner Metaphysik. Nur so konnte Gott zugleich als die noesis noeseos und als der Erste Beweger begriffen werden. Im Rahmen dieses Konzepts war es unmöglich, einen dem Trägheitsgesetz entsprechenden Begriff der Bewegung zu definieren. Die Entwicklung dieses Begriffs in der Spätscholastik (unter dem Druck frühkapitalistischer Strukturen in der Gesellschaft) hat die aristotelische Tradition gesprengt und die Grundlage gelegt für die Transzendentalphilosophie Kants.


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