22.11.90

„Stimmung“ ist faschistisch; Bezeichnungen wie „Stimmungskanone“, „Bombenstimmung“ sind kein Mißbrauch eines an sich unbelasteten Begriffs, sondern liegen genau in seiner Bedeutungslinie.

Stimmung gehört zur Unterhaltung, beide sind begleitende Momente von Verdrängungsprozessen.

Vergleichbarer Bedeutungswandel von gesinnt zu gesonnen, gebieten zu Gebot, besinnlich zu besonnen. (Weihnachten ist ein besinnliches Fest, kein besonnenes mehr.)

Der Turmbau zu Babel hat die Verständigung zwischen den Völkern zerstört, er hat die Sondersprachen der Völker geschaffen. Der heutige „Turmbau“ zerstört die Kommunikationsfähigkeit generell: Er zerstört die Beziehung der Sprache zur Wahrheit. Grund ist u.a. die Klassenspaltung, die auch eine Sprachbarriere ist. Der heutige Turmbau übertrifft den Turmbau zu Babel: Er reicht bis an den Himmel. Gott braucht nicht mehr herniederzusteigen; die Sprache zerstört sich von selbst.

Zur Kritik des Stern der Erlösung: Die Kritik hätte anzusetzen an dem positiv gefaßten Weltbegriff. Hier sind die Konsequenzen, die sich dann daraus ergeben, vorprogrammiert: insbesondere auch das sehr formale Verständnis des Christentums. Das Christentum ist nur dann der „ewige Weg“, wenn die Welt sakrosankt ist. Voraussetzung wäre, daß der Säkularisationsprozeß und sein Ergebnis nicht kritisierbar, nicht revidierbar ist. Aus dem gleichen Grunde findet der apokalyptisch-parakletische Zug, der zum Christentum dazugehört, keine Stelle. In der gleichen Richtung liegt Adornos Vorstellung – wie weit sie auf Benjamin, auf den Adorno sie bezieht, tatsächlich zutrifft, wäre zu prüfen -, daß es auf die restlose Säkularisierung theologischer Gehalte ankäme. Das ist ein unerfüllbares Programm.

Trotz und Charakter: Nicht der Trotz auf den eigenen Charakter, sondern die Verantwortung für den eigenen Charakter übernehmen. Das trotzige, in seinen eigenen Charakter verbissene, verschlossene Selbst wird erst lebendig durch den Anspruch, die Liebe Gottes; er ist darauf angewiesen, von Gott angesprochen zu werden. Der Anspruch der Christen geht eine Stufe tiefer. – Was wird bei Rosenzweig nach der Umkehr aus dem Charakter? – Wie verhält sich der mythische Trotz zum Selbstmitleid? Hat er einen anderen Ausweg? – Wie verhalten sich Charakter und Scham? Gibt es ebenso wie einen positiven Begriff der Schamlosigkeit auch einen positiven Begriff der Charakterlosigkeit?

Die Physik ist der Kloß im Hals der Theologie (an dem sie längst erstickt ist: Hoffnung gibt es nur in der Lehre von der Erweckung der Toten).

Beihilfe zum Massenmord (Imhausen, NTG) ist ein Kavaliersdelikt, wenn sie mit Geldverdienen verbunden ist.

Der Faschismus hat die autoritäre Grundstruktur, die das etablierte Christentum in der Auseinandersetzung mit den Häresien begründet und konstituiert hat, als einzigen Inhalt übernommen. Insoweit ist er in der Tat eine christliche Häresie (vielleicht die letzte?). Frage, ob nicht alle Häresien nur aus dem Grundfehler des Christentums, der Beziehung des Schöpfungsbegriffs auf die Welt (Schöpfung der Welt aus dem Nichts), seit der Gnosis die jeweils historisch aktuellen richtigen Konsequenzen gezogen haben? – Neuer Begriff der Orthodoxie, die daraus nichts gelernt hat, weil sie nie lernfähig war.

Person ist der Träger des Namens (und Subjekt der Zurechenbarkeit von Schuld und des Bekenntnisses), aber als dritte Person, als Person, über die gesprochen wird, als Objekt („Persönlichkeit“ ist die subjektive Aneignung und Verinnerlichung dieses Status). Die Anwendung des Personbegriffs auf Gott ist ein wesentliches Moment im historischen Objektivationsprozeß. Der Personbegriff ist ein theologischer Begriff, mit der Instrumentalisierung der Theologie entstanden; er wurde von daher auf den Menschen übertragen (Person ist das Trauma der instrumentalisierten Religion; Bubers „personhaft“ ist Indiz seines theologischen Vorurteils.)

Zur Geschichte des Personbegriffs vgl. Tertullian, Augustinus, Boethius (generell die lateinische Rezeption und Verarbeitung des Dogmas).

Nach Thomas von Aquin ist die „getrennte Seele“ (die an ihrer Trennung leidet und auf die Verbindung mit dem Leib: auf die Auferstehung wartet) keine Person (S.Th., I, 29, 1). (Sie ist abgetrennt von der Möglichkeit des Handelns, sie ist auch rechtlich nicht mehr haftbar.

– Das Gericht über die Person erfolgt nach der theologischen Tradition nach dem Tode: d.h. die getrennte Seele ist gerichtet;

– das über die Welt am Ende der Zeiten: die Welt wird gerichtet, und dieses Gericht ist das Gericht des Erbarmens über das erbarmungslose Weltgericht.)

In der Anwendung auf Gott verwandelt der Personbegriff (die Vergegenständlichung Gottes) den Namen in einen Begriff: So sieht denn auch die ganze scholastische Diskussion der Lehre von den göttlichen Namen aus, in der die wirklichen Gottesnamen (der Barmherzige, der Gerechte, das Tetragrammaton) nicht mehr vorkommen.

Zusammenhang von Person, Scham, Charakter (persona = Charaktermaske; Objektivation und Verinnerlichung des Schicksals, des Dämons; Augustus, Identifikation mit Herrschaft; Veräußerlichung des Bekenntnisses, Konstitutierung der Formen der Anschauung, Herkunft aus dem Symbol).

Person ist ein Verwaltungsbegriff. Und nicht zufällig ist der moderne „Personalismus“ ein Pendant der modernen Wertphilosophien, die das Weltgericht handhabbar, anwendbar (verwaltungsfähig) machen.

Person, Welt und Natur bilden ein begriffliches Kontinuum (den Schuldzusammenhang, das Kontinuum des Herrendenkens). Ähnlich wie die Schöpfung aus dem Nichts und die Opfertheologie ist auch die Gnadenlehre mit dem Hilfsbegriff des Übernatürlichen eine notwendige Folge dieses Zusammenhangs (der Theologie hinter dem Rücken Gottes). Alle Häresien (zuletzt der Nominalismus und seine konfessionellen Derivate) sind historisch bedingte logische Konsequenzen aus dem parvus error in principio, und die Orthodoxie ist unter dem Zwang der Häresievermeidung (bei gleichzeitiger Unfähigkeit, den error zu korrigieren: die Gottesfurcht als den Anfang der Weisheit zu begreifen) immer irrationaler geworden und immer mehr in das Gravitationsfeld autoritärer Strukturen hereingezogen worden. Alle Häresien sind Konsequenzen aus dem undurchschauten Weltbegriff.


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