22.11.92

Das Horn ist ein Symbol der Macht. Hängt es damit zusammen, daß Opfertiere gehörnte Tiere sind?
Den Sünden der Welt korrespondiert die Schuld der Natur: Neigen wir deshalb dazu, auch in der Theologie von der „Schuld der Welt“ zu sprechen, gleichsam eine falsche Fährte zu legen? Mit den Sünden der Welt sind wir als Subjekte angesprochen, mit der Schuld der Welt nur als Objekte, die einem Schicksal unterworfen sind: der Begriff Schuld der Welt macht die aktiven Sünden der Welt zum bloß passiv erlittenen Schicksal.
Ist nicht der theologische Begriff des Übernatürlichen abgeleitet von dem der Metaphysik, gleichsam nur von der Logik transponiert ins Magische.
Heißt nicht im Griechischen, was wir heute Begriff nennen, Logos? D.h. war nicht die Philosophie in ihrem Ursprung grammatisch-logisch determinierte Sprachphilosophie? Ist nicht die Verdinglichung des logos zum Begriff der Beginn des Objektivationsprozesses?
Wie hat sich die Philosophie durch Übersetzung der Vätertheologie, des Dogmas, von der griechischen in die lateinische Sprache verändert? Wie verhält sich beispielsweise persona zu prosopon und hypostasis?
Demagogie ist heute keine besondere Art des Umgangs mit der Sprache mehr, sondern ein Ingrediens der Institution der Öffentlichkeit. Die Interpretation der „Fakten“ – und es gibt keine Fakten ohne das Bedürfnis nach Interpretation – ist zu einer reinen Machtfrage geworden: Heute ernennt die Regierung nicht mehr nur ihre Beamten, sondern auch die Begriffe, mit denen die Dinge benannt werden, so als wären sie Titel, denen man die Dinge per Gesetz zuordnen könnte. Die Gewalt steckt in der Sprache, und über die Sprache ist sie zu einem Teil, wenn nicht zur Grundlage der Kommunikation geworden. Das macht die Habermassche Kommunikationstheorie, insbesondere den Konsensbegriff, der auf die Legitimierung der Erpressung hinausläuft, so problematisch.
Hat das In-die-Ferse-Stechen etwas mit der Lähmung zu tun (als Ersatz fürs Einsperren)? Und wie verhält sich der Hinweis auf die Ferse im Fluch über die Schlange zu den Flügelschuhen des Hermes? Jakob der Fersenhalter ist zugleich Jakob der Betrüger, der erste, der von der List Gebrauch macht. Entspringt hier die später ins Bewußtsein eingebaute Automatik der List der Vernunft? Weshalb wurden den Frauen in China die Füße verstümmelt, und weshalb tragen die Frauen im „zivilisierten“ Europa Stöckelschuhe? Und weshalb ist es im Fluch über die Schlange der Nachkomme der Frau, und nicht der des Mannes (der Erbe, der Stammhalter)? Gründet hier (im vaterlosen Nachkommen) das Symbol der Jungfrauengeburt: Die Jungfrau wird einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Immanuel, Gott mit uns?
Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der Stich in die Ferse?
Parvus error in principio magnus est in fine. Ist nicht dieser kleine Fehler im Ursprung der Theologie, die Rezeption des Weltbegriffs, der Ursprung und nicht die Folge der Parusieverzögerung?
Die Astrologie ist am Ende dadurch „überwunden“ worden, daß das Subjekt in der Astronomie sich selbst an die Stelle dieser Schicksalsmächte setzt (Verinnerlichung von Herrschaft: von Saturn und Jupiter bis zu Venus und Merkur sind die Planetenmächte, die paulinischen Archonten, ins Subjekt eingewandert).
Das aufgedeckte Antlitz ist das Gegenteil der Nacktheit (und wird nur unterm Zeichen des Antichrist als solche erfahren: im Antlitz des Hundes).
Wut ist der verweltlichte Zorn, die Person das traumatisierte Antlitz und seitdem beleidigungsfähig, Quelle der Wut.
Der Weltbegriff erzeugt den Schein eines angst- und schuldfreien Lebens. Aber dieser Schein ist wirksam nur auf der Herrenseite (der „Sonnenseite“) der Welt. Ihm entsprechen auf der Objektseite die Angst- und Schuldkomplexe, die nicht mehr aufgelöst, nur noch – mit den bekannten Folgen – verdrängt werden können.
Zum Problem der benennenden Kraft der Sprache: Benjamins Bemerkungen über das Gestische bei Kafka und die metaphorische Stelle in dem Kraus-Essay mit heranziehen.
Jede Naturphilosophie verfällt ihrem Objekt insoweit, als sie zwangsläufig verkennt, daß das metaphorische Element das eigentliche Erkenntnismedium ist, das man verfehlt, wenn man es wörtlich nimmt. Sobald sie die Natur „ad literam“ (wie Augustinus die Genesis) nimmt, verstrickt sie sich in die Logik der Verdinglichung, verfällt sie ihrem Bann.
Ist nicht die Kirche ein verwesender Leichnam, gleichsam ein Lazarus, der „schon riecht“. Aber dann wurde er doch von Jesus zum Leben erweckt.


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