Empörung schneidet jedes weitere Argument ab, gibt zu verstehen, daß der Empörte von diesem Punkt an sich selbst (seine Person) in die Waagschale wirft und nicht mehr mit sich reden läßt (vgl. Sartres Portrait eines Antisemiten). Empörung ist vergeistigtes „Martyrium“, zeigt die verzerrten Züge des „Bekenners“: Diese Empörung steht der Frau nicht zu (wird hier als Hysterie diffamiert); ihr bleibt nur der Ausweg der biologischen Unschuld: die Jungfrauenschaft. Empörung ist das säkularisierte Bekenntnis (und zugleich das aktive Bekenntnis zur Welt). So ist der Antisemit der letzte Nachfahre des Bekenners (und Vorbote des Antichrist: sein Bekenntnis drückt sich aus im apokalyptischen Zeichen des Tieres). Die confessio und die virginitas sind komplementäre Formen der christlichen Selbst- und Weltverleugnung, der mißlungenen Umkehr (in der das Selbst und die Welt aufgehoben, erhalten bleiben). Mißlungen deshalb, weil die Selbst- und Weltverleugnung selber bereits Folgen der Anpassung an die Welt (der Identifikation mit der Welt als selbstlosem Aggressor: Vorlaufen in den Tod) sind.
Empörung instrumentalisiert die Moral und begründet so den modernen Naturbegriff.
Bekenntnis und Messianismus: Gegenstand des Bekenntnisses ist der Name des Messias (der dann nur noch als quasi Familienname des Jesus Christus verstanden wurde). Der autoritäre Charakter erträgt es nicht, wenn dieser Name nicht sein Name (in notwendiger Verbindung mit einer der weltlichen Derivate des Messianischen: der Nation oder des Markennamens) ist. (Die Befreiung von dieser Säkularisation des Messianischen oder von der Neid-Beziehung auf das Messianische wäre die Entkonfessionalisierung.) Die tiefe Ambivalenz der Rezeption der Lehre vom mystischen Leib Christi, die ohne den Begriff der Nachfolge direkt in die Barbarei regrediert, in der Ära des Faschismus hängt hiermit zusammen.
Bekenntnis = confessio, homologia.
Adornos Bemerkungen „zum Ende“ auf die Heideggersche Philosophie anwenden.
„Auf dem Gebiet der Malerei und Skulptur lautet heute das Credo der Leute von Welt: […] „Ich glaube an die Natur und glaube einzig an die Natur (und das hat seine guten Gründe). Ich glaube, daß die Kunst nichts anderes ist und sein kann, als die genaue Wiedergabe der Natur (eine furchtsame und abtrünnige Sekte will die Dinge widerwärtiger Natur, so einen Nachttopf oder ein Skelett nicht zugelassen wissen). Und so wäre denn die Industrie, die uns ein mit der Natur identisches Resultat geben würde, die absolute Kunst.“Ein rächerischer Gott hat die Stimmen dieser Menge erhört. Daguerre ward sein Messias. Und nunmehr sagt sie sich: „Da uns also die Photographie alle wünschenswerten Garantien für Genauigkeit gibt (das glauben sie, die Unsinnigen!), ist die Photographie die Kunst.“ (Charles Baudelaire, zit. nach Christina von Braun: Nicht ich, Frankfurt 1993, S. 441)
„Was die Photographie ermöglichte, war die Verwandlung der alten, dem Untergang geweihten Natur in ein Kunstwerk. Sie diente nicht so sehr der Wahrung des Untergehenden; auf ihre Weise trieb sie diesen Untergang auch voran.“ (Christina von Braun, ebd.)
Das Fernsehen befreit den Faschismus durch Verinnerlichung und Vergesellschaftlichung vom Bilde des Führers. Auschwitz bleibt in verwandelter Form erhalten und allgegenwärtig.
Zum Begriff des Charakters: „Der kommende deutsche Mensch wird nicht ein Mensch des Buches, sondern ein Mensch des Charakters sein. Und deshalb tut ihr gut daran, zu dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Das ist eine große, starke und symbolische Handlung …“ (Goebbels anläßlich der Bücherverbrennung am 10.05.1933 auf dem Berliner Opernplatz, zit. nach Christina von Braun, a.a.O. S. 445). Heute ersetzt das Fernsehen die Bücherverbrennung (und bildet den Charakter; Charakter das caput mortuum des Geistes -seine nature mort, sein Stilleben).
Geschichte des Scheiterhaufens: Ketzer, Hexen, Bücher, die Vergangenheit – Vergeblichkeit des Opfers und Wiederholungszwang (Fernsehen: das materialisierte Totenreich oder das Absterben, die Vergängnis des Sehens) – Hegels Philosophie lt. Baader das Autodafe der bisherigen Philosophie – Vergegenständlichung des universalen Verdrängungsprozesses (Abstraktion und Verdrängung).
Bekenntnis und Symbol (Credo und symbolum): Absterben, Verwesung und Vergiftung des Symbols durchs Zwangsbekenntnis (säkularisiertes Bekenntnis) – Verwandlung des Symbols ins Bild (Bedeutung des Bilderverbots!) – Reklame und Propaganda – das Zeichen des Tieres.
Name und Begriff: Während der Begriff Ausdruck der Herrschaft über das Objekt (Befreiung von Angst durch deren Verdrängung durch Depotenzierung, Entmächtigung des Objekts), ist der Name Ausdruck der Anerkennung des Leidens (der passio, des Selbstgefühls): Befreiung von Angst durch deren empathische, parakletische Aufarbeitung. Voraussetzung ist, daß das Tabu über die Angst (die Gottesfurcht) aufgehoben, ihre Verdrängung nicht mehr notwendig ist.
Das letzte Bekenntnis wird ein Schuldbekenntnis sein.
22.12.90
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