22.8.1995

Die Bemerkung Wilhelm Salbergs, „das Judentum kenne keine Erbsünde, mithin auch keine individuelle Erlösung (wohl aber eine kosmische)“ („Auschwitz als Herausforderung, Heidelberg 1980, S. 525), verweist auf den gemeinsamen Ursprung des Begriffs der Erbsünde und des Weltbegriffs. Gehört das nicht mit zur Esther-Geschichte, in der der Weltbegriff zusammen mit dem Sexismus und dem ersten manifesten Antisemitismus erscheint. Frauenfeindschaft und Antisemitismus sind Konstituentien des Weltbegriffs, sie gehören mit zu seiner Ursprungsgeschichte, die der Sache nach mit Babylon beginnt. Die babylonische Gefangenschaft und das Exil der Schechina gehören seitdem zu der Vergangenheit, die nicht vergeht.
Wie verhält sich das Buch Esther zu dem Ereignis, das Heinsohn u.a. die „Venuskatastrophe“ nennen: Ist nicht die astrologische Komponente (Esther = Ischtar, Mardochai = Marduk) ein Hinweis, daß in dieser Konstellation die dann an den Himmel projizierte gesellschaftliche Naturkatastrophe (Ursprung des Staates und des Vorurteils: des Sexismus und des Antisemitismus) zu suchen ist? Gehört das Buch Esther nicht in den Zusammenhang, der Astronomie und Staat an einander bindet? (Haben die drei Weisen aus dem Morgenland, die „seinen Stern gesehen“ haben, etwas mit dieser Geschichte zu tun?)
Die Lösung des Problems der Apokalypse ist ohne den Hintergrund einer negativen Kosmologie nicht zu gewinnen. (Die Lösung auch der Frage, weshalb diese Texte den Eindruck von Artefakten und Kollagen machen.)
Messianische Wehen: Liegt nicht das Problem der Apokalypsen darin, daß sie unter dem Bann des gleichen Weltbegriffs stehen, dessen Kritik in ihnen enthalten ist (und heranreift). Steht nicht die Apokalypse (wie auch ihr Säkularisat, die Hysterie, zu der sie in einer durchaus logisch-systematischen Beziehung steht) in der Nachfolge des Mutterschoßes, aus dem Gott zuvor seine Propheten berufen hat (das kostbare Gefäß Seiner Barmherzigkeit)?
Welche Rolle spielt der Name Israel nach der babylonischen Gefangenschaft? (Die Namen Israel und JHWH kommen in Esther, Kohelet und im Hohenlied nicht vor, im Buch Daniel nur in 13 <Israel> und Kap 9 <Israel und JHWH>. Wird nach der babylonischen Gefangenschaft der Name der Hebräer durch den der Juden ersetzt, und liegt die Differenz im Vorurteil, in der „Judenfeindschaft“?)
Alle Frauen im Stammbaum Jesu im Matthäus-Evangelium gehören zur Ursprungsgeschichte der „Juden“ (Thamar, Rahab, Ruth und „die Frau des Urias“). Und alle Frauen sind Fremde (Thamar offensichtlich eine Kanaaniterin, Rahab aus Jericho, Ruth eine Moabiterin und Batseba, „die Frau des Urias“, die Frau eines Hethiters).
Das Problem des Bibel-Verständnisses ist auch auch ein sprachgeschichtliches Problem. Es löst sich auf, wenn es gelingt, den Bann des Indikativ, der auf der Sprache lastet, zu sprengen (Indikativ: „die Form der neutralen, sachlichen Aussage“, vgl. Lexikon der Sprachwissenschaft, S. 330). Vgl. den Begriff der „Wirklichkeit“ und Hegels Entfaltung dieses Begriffs in der Logik. Wirklichkeit ist ein herrschaftsgeschichtlich vermittelter Begriff.
Das Referenzsystem der Wirklichkeit (der „Realität“) ist das Inertialsystem (Äquivalent des Selbsterhaltungsprinzips), das über die Vorstellung des Zeitkontinuums auch die Geschichte (und zwar von ihrem Ursprung her als Nationalgeschichte) konstituiert.
Die Beziehung des zweiten zum ersten Teil des Sterns entfaltet die Differenz zwischen dem Begriff des Überzeitlichen und der Idee des Ewigen.
Wer die Erlösung an die Trinitätslehre bindet, macht sie zu einem Bewußtseinsakt. Er stellt das Licht unter den Scheffel, und er löscht den Funken.
Der Name, das Angesicht und das Feuer bilden eine Konstellation. Beziehung zur Trinitätslehre: Ist nicht der Sohn die „Erscheinung“, der Heilige Geist das Leuchten Seines Angesichtes (in dem übrigens allein die „Erscheinung“ sichtbar wird)? Zwischen dem Erscheinen und dem Leuchten liegt die Heiligung des Namens (das die Sprache reinigende Feuer). Sind nicht alle Stellen in der Schrift, in denen vom „Bekenntnis des Namens“ die Rede ist, zu übersetzen mit „Heiligung des Namens“?
Der Begriff des Blutes erinnert nur noch ans Schlachten, ans Töten. Das hat die Opfertheologie in den blasphemischen Zusammenhang gerückt, dem auch die Trinitätslehre angehört. Sie steht in der Tradition des Blutes Abels, das zum Himmel schreit. Die andere, mit dem Tötungsverbot verknüpfte Tradition ist die, die das Blut auf die Seele bezieht (eine Tradition, die eher das Schächten zu begründen vermag als das „humane“ Schlachten im Schlachthaus). Zwischen beiden Traditionen steht die kopernikanische Wende (gleichzeitig mit dem heliozentrischen System wurden der Blutkreislauf entdeckt, durch die Einführung der Lohnarbeit die Zirkulation – und damit die Selbstkonstituierung – des Geldes begründet sowie die Erlösung als Rechtfertigung an das Bekenntnis der Trinitätslehre gebunden). Erst mit der Öffnung des („unendlichen“) Raumes haben die Dinge sich verschlossen, sind sie zu Dingen geworden. Aber diese Öffnung des Raumes steht unter dem Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
Die Lastschrift, das Verwaltungshandeln und das Schuldverschubsystem (stand nicht am Ursprung der Schrift die Lastschrift?).
Gog und Magog (Ez 38/39, Off 208): Hat das Ma- in Magog etwas mit dem Ma- in Majim zu tun (Gog/Agag = tectum, Magog = de tecto)? Der Judenfeind Haman, ein Agagiter, im Buch Esther: ein Amalekiter (Amalek = populus lambens)?
Die Dialektik ist die Verletzung des Verbots, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen, durch seine Instrumentalisierung: Sie subsumiert den Esel unter die Gattung der Rinder. Ist die Trinitätslehre das Exil der Schechina?


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