Das „Semper aliquid haeret“ ist heute zum Grundprinzip wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlichen Handelns geworden: Es kommt nur darauf an, nicht widerlegt werden zu können (so wie bei der Vorbereitung der Gesetzgebung in der obersten Verwaltung oder auch bei Entscheidungen nachgeordneter Behörden nur darauf, daß der Referent sich selbst salviert: für die Folgen seines Tuns nicht verantwortlich gemacht werden kann). Hier treffen sich systemnotwendig unverantwortliches Handeln und sein Spiegelbild im Objekt: der Verfolgungswahn der Opfer, die das, was ihnen widerfährt, sich nur als böse Absicht der Herrschenden erklären können. Auf den sogenannten Terrorismus reagieren die Herrschenden deshalb so irrational und wütend, weil sie im Terrorismus auf das Prinzip ihres eigenes Handelns treffen. Die Differenz ist nur noch eine Machtfrage: deshalb ist das Gewaltmonopol des Staates und seine exzessive Auslegung heute so wichtig.
Letzte Folge der Verletzung des Bilderverbots: Das Bild, die Verdoppelung der Natur, wird zur Realität, zur zweiten Natur, an der man sich ebenso den Kopf einrennt wie an der ersten. Aber dieses Verdoppelungsprinzip (Grund der Ebnerschen „Ich-Einsamkeit“) ist das der Existenz, des Überlebens in der vom Herrschaftsprinzip verhexten Gesellschaft. Wir sind alle nur noch Doppelgänger, Schauspieler (Maskenträger: personae) unserer selbst, deshalb atheistisch.
Ist die Apokalypse die Gestalt der Tragödie im Bereich der Offenbarung: Repräsentiert das „Tier“ den tragischen Helden, die notwendige Folge seines Verstummens? Warum gibt es keine spekulative Grammatik?
Vgl. hierzu Ferdinand Ebners Bemerkungen zum Atheismus, dessen tiefe gesellschaftliche Verwurzelung er allerdings nicht begreift, den er deshalb (ohne den Grund hierfür erkennen zu können) auch verharmlost. Die Einsicht, die den Grund der Weltanschauung aus den Angeln heben könnte, wird so selbst wieder zur Weltanschauung, zu einer persönlichen, privaten Angelegenheit.
23.04.91
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