23.05.91

Zu Siegfried Herrmann, Jeremias, Darmstadt 1990: Schwer erträglich der Objektivitätsanspruch, der soweit geht, das der Autor sich selbst in der dritten Person zitiert. Damit scheint es zusammenzuhängen, daß
– die „Quellen“-Suche einfach nach dem Eindruck aussortiert (und der deuteronomi(sti)schen Redaktion zuordnet), was dem eigenen Prophetieverständnis nicht entspricht;
– das Prophetie-Verständnis selber sich (positivistisch) an den Klischees „Heils-“ und „Unheilsprophetie“ orientiert, hierbei tendentiell die „Heilsprophetie“ den „falschen Propheten“ zuweist, ohne die zentrale Bedeutung der Umkehr zu sehen, die wörtlich zu verstehen ist: durch Umkehr wird Unheilsprophetie zu Heilsprophetie, beide sind zwei Seiten der gleichen Sache; und falsche Propheten sind jene, die „Heil“ ohne Umkehr versprechen.
– Deutlicher als „Heil“ und „Unheil“, die christlichem (und dann faschistischem) Sprach- und Denkgebrauch entsprechen, wären ohnehin die biblischen Begriffe Gericht und Barmherzigkeit: Das Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über die unbarmherzige Welt (über das Weltgericht).
– Unerträglich auch die unvermittelte (an preußisch-deutsche Traditionen der Geschichtsschreibung erinnernde) Zuordnung des Prophetenworts zu frühgeschichtlichen Kriegsereignissen mit der Tendenz, Unheil mit Niederlage und Heil mit Sieg gleichzusetzen: so als hätte das Hören aufs Prophetenwort die Niederlage, Unterwerfung und Vertreibung, das Exil, verhindern können. Prophetie ist Herrschaftskritik, nicht Kritik der Herrschaft des Feindes. (Die hämische Reaktion dessen, der den Besiegten nachträglich an seine – vom Propheten vorhergesagten – Fehler erinnert, entstammt der Tradition dieses Prophetieverständnisses).
– Geschichtsschreibung als Einfühlung in die, die seit je gesiegt haben, verfehlt die historische Wasserscheide der Prophetie von vornherein.
Unterirdisch scheint hiermit auch Bubers Schrift- und Prophetieverständnis zusammenzuhängen, wie es u.a. in seiner archaisierenden Sprache sich zeigt. Verwaltungssprache wird nicht dadurch „echter“, daß sie auf frühfeudale Verhältnisse rekurriert, gleichsam durch heroische Patina sich zu legitimieren sucht, Geistesgegenwart durch hierarchisches, entmündigendes Realitätsverständnis (Künden, Weisen, Walten), zu dem dann das existentialistische „Geschehen“ paßt: durch den Rückgriff auf vorzivilisatorische Verhältnisse ersetzt (durch die man glaubt, dem antisemitischen Gesetzesverständnis sich entziehen zu können, während man zugleich gesetzlose Zustände, die dem Antisemitismus zugute kommen, befördert).
Zu Jeremia „der Nacken und nicht das Gesicht“ (vgl. S. Herrmann, S. 95): Präzisierung des „hinter dem Rücken“; der Nacken beugt sich vor den Herren; er trägt die Last, das Joch (beugt sich unter der Last der Schuld). Vgl. u.a. Jer 1719ff: die Sabbatheiligung, 271ff: Zeichenhandlung vom Joch u.ö.
Kann es sein, daß man die – aus Deuterojesaias Gottesknecht-Liedern stammende – Vorstellung vom Sühneleiden des Gerechten (Jes 53) auf ihren Realgehalt zurückführen, daß man die christliche Form ihrer Adaptation gleichsam umkehren muß, um ihre Wahrheit zu begreifen; man darf sie nicht aus der Sicht des Volkes, sondern aus der des Gottesknechts: nicht teleologisch, sondern kausal interpretieren: als erstes Zeugnis jenes Mechanismus, der dazu führt, daß in der Tat der Gerechte das erste Opfer der Gemeinheit ist, die im realen historischen Prozeß sich durchsetzt, wenn die Gottesfurcht verschwindet und die Lehre keinen Platz mehr findet. Falsch (dem Nachfolgegebot widersprechend) ist auf jeden Fall ihre Umformung zur Opfertheologie, die durch Instrumentalisierung das progressive Verschwinden der Gottesfurcht und der Lehre verursacht und am Ende beschleunigt hat. (Vgl. aber dagegen Hebr 1010 u.a.)
Die Bemerkung aus der DdA, wonach die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, sowie die Konsequenz, die sich aus der mittelalterlichen Interpretation der biblischen Dornen und Disteln durch die Wormser Chassidim ergibt, ist ohne eine kritische Naturphilosophie nicht zu halten.


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