Das (moderne) Substantiv unterscheidet sich vom (alten) Nomen durch seine Beziehung zum bestimmten Artikel, zu dem darin enthaltenen deiktischen Moment. Hier ist in die Sprache ein selbstreferentielles Moment, eine automatische Objektbindung, hereingekommen. In welchen anderen Sprachen gibt es eine Entsprechung zum deutschen Substantiv?
Der englische Artikel (the), in dem jede Erinnerung an das genus oder an die Deklination getilgt ist, ist auf die reine deiktische Funktion eingeschränkt, und damit hängt die sprachliche Gestalt des englischen Infinitivs von Sein, das „to be“, aber auch der englische Empirismus zusammen. Aber ist das Deiktische nicht generell ein Moment im Präfix „be-„? Hängen die Prä- und Suffixe nicht überhaupt mit dem deiktischen Element in der Sprache (mit ihrem „sumerischen“ Ursprung) zusammen, und zwar die Präfixe mit der deiktischen Intention der Sprache (mit dem Nominalismus), die Suffixe mit der gegenläufigen „deiktischen Intention“ des Objekts (mit dem Verstummen des Objekts, mit seiner Verräumlichung: sind die Sprachen des Altertums, insbesondere die griechische, nicht reine Objektsprachen – Ausnahme: die hebräische Sprache, die eine Sprache „im Angesicht“ ist)? Besiegelt der Begriff des Substantivs (der gleichsam das schwarze Loch der Sprache bezeichnet) die Zerstörung der Kraft des Namens, die Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache?
Läßt sich der deutsche Idealismus aus der grammatischen Funktion des bestimmten Artikels herleiten (der deutsche Idealismus hat selbst „das Ich“ noch zu einem Substantiv gemacht).
Bei Kluge wird das Substantiv unter dem Stichwort Substanz als „Wort mit Inhalt“ erläutert (warum unter Substanz, und was heißt „Wort mit Inhalt“: daß in das Nomen als Substantiv die Objektbindung mit hereingenommen wird; gründet darin die Großschreibung des Substantivs im Deutschen?). Der Begriff Substantiv ist wie der der Persönlichkeit ein Weltbegriff.
Zur Bildung des Wortes Substantiv: Was ist der Unterschied zwischen dem Gerundium und dem Gerundivum? Kann es sein, daß im Begriff Substantiv der Objektbezug als Konsequenz einer Tat des Subjekts begriffen wird. Die Substanz ist noch eine Eigenschaft des Objekts, aber das Substantiv ist Produkt einer projektiven Substantialisierung des Objekts durchs Subjekt (das Substantiv ist eigentlich eine adjektivische Bildung: die Hypostasierung eines Adjektivs). Wie Welt und Natur ist das Substantiv ein die Sprache und ihr Gesetz bestimmender transzendentallogischer Begriff.
Das Hegelsche System-Programm: die Substanz als Subjekt zu begreifen, wird im Begriff des Substantivs falsch erfüllt. Deshalb wird es großgeschrieben.
Es spricht einiges für die Vermutung, daß der Begriff Substantiv aus Wilhelminischen Zeiten stammt; das würde bedeuten, daß er im Grimmschen Wörterbuch noch nicht enthalten wäre.
Zu den Prämissen des Begriffs Substantiv gehört die Unterscheidung von Sache und Ding (auch von Wut und Zorn; im Lateinischen wurden weder Sache und Ding (res) noch Wut und Zorn (ira) unterschieden), sowie der Begriff der Tatsache. (Sind das englische matter und thing wirklich Entsprechungen der deutschen Begriffe Sache und Ding?) Die emphatische Bedeutung der kantischen „Dinge an sich“ (einer contradictio in adjecto) hängt hiermit zusammen.
Zur jahwistischen Urgeschichte, insbesondere zu der Geschichte vom Turmbau zu Babel, wäre anzumerken, daß hier vor allem gilt: Nichts Vergangenes ist wirklich vergangen. Muß man nicht in die Geschichte vom Turmbau zu Babel die Vorgeschichte mit hereinnehmen: die Geschichte der Sintflut (die genaueste Beschreibung des Ursprungs des Weltbegriffs)?
Ist nicht die kantische Philosophie, insbesondere die Kritik der reinen Vernunft, der Beginn eines Versuchs, den Turmbau von Babel von innen zu beschreiben? Und gehören nicht die Petrus/Fels-Geschichten in diesen Kontext mit herein, das „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ und das Gleichnis von der Standfestigkeit des auf den Felsen (statt auf Sand) gebauten Hauses, aber auch das Gleichnis vom Weizen, der auf felsigen Grund fiel?
Die Opfertheologie ist die auf den Kopf gestellte Wahrheit der Erlösung. An die Wahrheit dessen, was die Texte von sich aus meinen, kommen wir nicht mehr heran; im Wege steht uns der affirmative Gebrauch des Weltbegriffs, die Verfälschung der Erlösung durch den Begriff der Entsühnung der Welt (die nichts ändert, aber alle um den Preis der Katastrophe entlastet).
Goethes Lied vom „Röslein auf der Heiden“ ist ein Vergewaltigungslied. Aber ist nicht diese Vergewaltigung in der Struktur der Welt vorgebildet, und ist nicht Goethe auch in diesem Sinne ein „Weltbürger“? Bezieht sich nicht hierauf das den Sachverhalt allein auflösende Wort von der Übernahme der Sünden der Welt? Mit der Anpassung an die Welt ist das affirmative Verhältnis zur Vergewaltigung mitgesetzt. Vgl. hierzu das Paulus-Wort von der ganzen Kreatur, die seufzt und in Wehen liegt.
Gibt es eine Geschichte der Prophetinnen, von Mirjam über Hulda (auch Debora und Judith) bis hin zu den vier Töchtern des Philippus, und unter Einbeziehung des Prophetenworts, daß am Ende auch die Töchter und Mägde teilhaben an der Prophetie? Welche Bewandnis hat es mit der Salbung Jesu im Hause Simons des Aussätzigen in Betanien durch die namenlose Frau, von der es heißt, daß man „überall auf der Welt, wo das Evangelium verkündet wird, … sich an sie erinnern und erzählen (wird), was sie getan hat“? (Mk 143-9, Mt 266-13; Johannes – 121-9 – verlegt die Geschichte nach „Betanien, wo Lazarus war, den er von den Toten auferweckt hatte“; und hier ist es Maria, die ihn salbt; bei Lukas – 737ff – ereignet sich der Vorfall im Haus eines Pharisäers, den Jesus dann mit Simon anspricht, und bei der Frau handelt es sich um eine „große Sünderin“.)
Zur Geschichte der Könige:
– welche Könige tun nicht, „was Gott mißfällt“?
– wo werden die Könige begraben (die judäischen in Jerusalem, aber welche im Hause oder Garten des Uzza(?)?
– welche Arten des Götzendienstes werden genannt?
– welcher König hat Jericho wieder aufgebaut (und dafür den Erstgeborenen und den Jüngsten geopfert)?
– die Rolle der Propheten?
Mathematik: die selbstreferentielle Gedankenlosigkeit.
Sind nicht die Trinitätslehre und das christliche Verständnis des Keuschheitsbegriffs Versuche, die Gegenwart zu retten, der Zeit ein Ende zu machen, den Prozeß zum Stillstand zu bringen? Aber dieser Versuch wurde mit der Rezeption des Weltbegriffs zu teuer bezahlt. Hier liegt der Schlüssel für das Verständnis des Zusammenhangs der Dogmententwicklung mit der Enttäuschung der Parusie-Erwartung.
Gründet nicht die kirchliche Sexualmoral im Neutrum, im ne-utrum?
Das Wort vom Binden und Lösen hat sein konkretes Objekt im Weltbegriff, in der darin wurzelnden Logik des Begriffs.
Sintflut und Fels: Aber am Ende wird der Stein ins Meer geworfen (und das Schiff scheitert vor Malta).
Mein Schreiben ist von meiner Biographie nicht zu trennen. Was kommt heraus: Bekenntnisse oder ein neuer Gottesstaat (auf der Grundlage einer negativen Trinitätslehre)?
Ist nicht Adorno die Antwort auf die Frage, ob Künstler selig werden können?
Hebr 131: Muß es hier nicht „Fremdenfreundschaft“ (philoxenias) heißen statt „Gastfreundschaft“?
23.06.93
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