23.6.1994

Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Pfropf im Ohr.
Die mathematische Form des Raumes trägt sich nicht selber, sondern sie wird getragen
– durch das Interesse an der Abstraktion, die in ihr gegenständlich wird, wobei
– diese Abstraktionsgestalt selber als System von Abstraktionen sich erweist, die durch Verschiebung sich wechselseitig tragen.
Läßt diese Abstraktionsgestalt sich nicht an der architektonischen Form der gotischen Kathedrale ablesen (hier gründet die Beziehung der mittelalterlichen Architektur zur Scholastik)?
Daß jede Dimension im Raum wie die andere ist, keine von der andern sich unterscheiden läßt, heißt, daß in jeder Dimension jede andere sich blind reflektiert, wobei diese Blindheit lähmt, wie umgekehrt die Lähmung blind macht (Zusammenhang von Sünde und Schuldverblendung: Die Freiheit der Kinder Gottes wäre das Resultat der Aufhebung beider).
Heute ist die Welt insgesamt in die Totalabstraktion ihrer „Überzeitlichkeit“ versetzt. Es kommt jetzt darauf an zu begreifen, daß die Wahrheit einen Zeitkern: einen Aktualitätskern, hat.
Benjamins These, daß die Geschichte bis heute aus der Sicht des Siegers geschrieben worden ist, ist zu differenzieren: Es handelt sich nicht nur um einen Sieger. Zu den Siegern gehören
– die Kirche, die die Zeitrechnung definiert (die orientalische Geschichte in die absolute Vergangenheit gerückt) hat,
– der Imperialismus, der diese Vergangenheit zur Projektionsfolie seiner eigenen Wünsche und Ziele gemacht hat, und
– die Naturwissenschaften, die mit der „Entdeckung der Tiefenzeit“ die Vergangenheit insgesamt (unter Einschluß ihrer Beziehung zu Schöpfung und Erlösung) neutralisiert haben.
Die Verdinglichung ist ein Resultat des Lachens: Diese Konstellation ist der Grund des „Schreckens Isaaks“. – Gehorcht das Lachen nicht der gleichen Logik, der auch die Form des Raumes sich verdankt? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein entsetzliches Gelächter und zugleich die Verdrängung des Bewußtseins davon? Eine Theorie des Feuers müßte diese Konstellation zur Grundlage haben.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Gelächter, das uns im Halse stecken geblieben ist (oder auch das leere, gerinigte und geschmückte Haus, in das die sieben unreinen Geiter einziehen: die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten – bezieht sich die Zahl 666 auf diesen Menschen?).
Es gibt ebenso viele Konstellationen des Gelächters wie es Charaktere gibt. Aber es gibt auch – und das führt die Freudsche Lehre in die Nähe der kantischen transzendentalen Ästhetik – einen Grundcharakter, der mit dem Freudschen Zwangscharakter, mit der Struktur der Paranoia, zusammenhängt. – Wie verhält sich der Charakter zum Angesicht? Und liegt hier nicht der Grund für die Wahrheit der These, daß jeder wie für seinen Charakter auch für sein Gesicht verantwortlich ist?
Zur Jotam-Fabel: Rührt die Weigerung der Bäume, König zu werden, nicht daher, daß sie nicht von ihrer Wurzel sich trennen lassen (und nur Krone werden) wollen – mit der einzigen Ausnahme des (wurzellosen?) Dornbuschs?
Die Kirche ist das Wort, das unter die Dornen und auf steinigen Grund gefallen ist.
Der biblische Schöpfungsbericht ist keine Kosmogonie oder Kosmologie, sondern deren prophetische Umformung. Er begründet keinen Staat, sondern begleitet kritisch seine Ursprungsgeschichte.
Zu den ersten drei Schöpfungstagen:
– Die Trennung von Licht und Finsternis begründet die Trennung von vorn und hinten;
– das Firmament trennt oben und unten;
– hängt die Trennung von rechts und links mit der Trennung des Trockenen vom Wasser, des Landes vom Meer (und der Hervorbringung der Pflanzen) zusammen (gründet hier die Unterscheidung des Tieres aus dem Meer von dem Tier vom Lande)?
Ist nicht auch das Christentum eine Rekapitulation der gesamten Geschichte, und repräsentiert Paulus die totemistische Phase dieser Geschichte?
Ist der
– „Herrenbruder Jakobus“ die Säule gegen den Antijudaismus,
– Petrus, der Fels, die Säule gegen die Ketzerfeindschaft und
– Johannes, der Jünger, den der Herr liebhatte und dem er seine Mutter ans Herz legte, die Säule gegen die Frauenfeindschaft (gegen die Sünde wider den Heiligen Geist)?
Es waren diese drei Apostel, die in Getsemane „nicht eine Stunde mit (ihm) wachen konnten“, das Erscheinen des Kelchs verschlafen haben. Weckt nicht das Krähen des Hahns alle drei?
Hat Gott die „großen Meeresungeheuer“ für den Jona geschaffen, und beschreibt das Buch Tobit den Frevel, daß der Fisch getötet wird (auch wenn Sara und Tobit geheilt werden): dafür wird Ninive am Ende doch zerstört?
Heute sind Kleinbürger die Kerube, die den Eingang des Paradieses mit dem kreisenden Flammenschwert bewachen.
Wodurch unterscheiden sich Symbolik, Metaphorik und Allegorie? Ist die Metaphorik das Bindeglied zwischen Allegorie und Symbol?
Zur Logik der Sprache:
– Was unterscheidet Prä- und Suffixe? Die Präfixe hängen mit den Präpositionen zusammen, die Suffixe sind Abstraktionssymbole (die Präfixe determinieren die Tätigkeit und seine Beziehung zum Objekt, die Suffixe determinieren den Begriff).
– In welcher Beziehung stehen die Prä- und Suffixe zur Geschichte der flektierenden Sprachen, zu Deklination und Konjugation? Was bedeutet es, wenn in den modernen europäischen Sprachen die Suffixbildungen sowohl in der Konjugation als auch in der Deklination aus den Wortbildungen herausgenommen, als Hilfsverben (und Personalpronomen) und als bestimmte Artikel (die die Deklination in sich absorbieren) vor das Wort gezogen und dagegen verselbständigt werden?
– Gibt es zu den Verbalpräfixen wie be-, ver-, zer-, ent- u.ä. Entsprechungen in den klassischen Sprachen? Sind sie nicht gleichsam Raumfunktionen, die die mit ihnen gebildeten Verben in ein wechselseitiges Reflexionssystem rücken, ihrer Bedeutungen in einander spiegeln (das Präfix als Ursprungspunkt eines mehrdimensionalen Verbsystems)? – Beziehung zur griechischen Entdeckung des Winkels und zum modernen Ursprung des Inertialsystems? Reflektiert sich in der Vollständigkeit dieser Präfixe der Abstraktionsprozeß, dem die Form des Raumes sich verdankt?
Zum „bedeutungsschwangeren“ Sinn von Sein gehörte es, daß Ideen im spätidealistischen Deutschland nicht mehr erzeugt, sondern „geboren“ wurden.


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