23.08.87

Gewitter, gestern den „Historikerstreit“ gelesen: – Jede Seite agiert/reagiert aus ihrem Ghetto; moralische Empörung und Selbstmitleid in trüber Wechselwirkung; jeder erfährt nur noch das Un-/Mißverständnis des andern; auf der Historikerseite unverkennbar Reaktionen, die an Angeklagte in Nazi-Prozessen erinnern (oder an das auch an anderen schon wahrgenommene „pathologiche gute Gewissen“): ein Gewitter mit Blitz und Donner, aber kein reinigendes.

– Ghetto-Mentalität: jeder reflektiert nur noch auf die Zustimmung seiner Anhänger, derer, die ohnehin der gleichen Meinung sind; Verständigung scheint ausgeschlossen, wird sie überhaupt angestrebt? – Zusammenhang mit der Struktur von Erkenntnis und Wissen? Starre Scheidung von Subjekt und Objekt; Unfähigkeit, den Gegenstandsbereich mit Reflexion zu durchdringen; Angleichung an Naturwissenschaft, in deren Objektbereich das Subjekt nicht vorkommt; Modell: Herrschaftsdenken, das Empathie, die Identifikation mit dem Beherrschten ausschließt, den Objektbereich insgesamt der Erfahrung entfremdet (Zusammenhang mit der Brutalisierung der Gesellschaft im 20. Jahrhundert: das Objekt der Folter, der Gefangene im KZ und im Knast, der Feind, wird nicht als mit dem Subjekt vergleichbar oder durch Reflexion erreichbar erfahren).

– Setzt Kritik der Erkenntnis nicht immer noch – wie bei Kant – Kritik der Naturwissenschaft voraus: Welche Folgen hatte es, als Habermas die Idee einer Versöhnung mit der Natur als mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht mehr vereinbar verwarf? Ist das „parvus error in principio magnus est in fine“ heute nicht auf die Physik – das Paradigma der Wissenschaft – in erster Linie zu beziehen? Ist das vielleicht schon seit Einstein nicht nur möglich, sondern gefordert, aber bis heute nur noch nicht gesehen?


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