Heute die Meldung in der FRANKFURTER RUNDSCHAU, daß der Generalbundesanwalt „erneut Mordanklage gegen die bereits zu lebenslanger Haft verurteilte RAF-Terroristin Adelheid Schulz erhoben“ hat. Begründung des Generalbundesanwalts: „die neuerliche Anklage sei notwendig, weil ein weiteres Urteil bei einer eventuellen späteren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes nach 15 Jahren Haft wichtig sein könne“. FR: „Unter ähnlichen Gesichtspunkten wurden bereits neue Anklagen gegen die schon verurteilten Terroristen Christian Klar, Peter-Jürgen Boock und Rolf Klemens Wagner erhoben.“ Hierzu zwei Bemerkungen:
– Daß der ganze Justizapparat in Bewegung gesetzt wird, nur um einen zusätzlichen Gesichtspunkt bei der Entscheidung über eine eventuelle Strafaussetzung gerichtskundig zu machen, erscheint so unwahrscheinlich (Frage: gibt es hierzu Präzedenzfälle?), daß der Gedanke nahe liegt, es sind andere Zwänge, die dieses Vorgehen begründen. Die Palette reicht von einem (den Strafvollzug mittlerweile insgesamt bestimmenden) exzessiv wachsenden gesellschaftlichen Strafbedürfnis, der Angst, daß Dämme brechen, wenn nicht „durchgegriffen“ wird, bis zum Legitimationsbedarf im Selbstverständnis einer Staatsanwaltschaft, die im „Angriff auf den Staat“ einen Angriff auf die eigene Identität erkennt. Hier stehen weniger „kriminelle Handlungen“ als vielmehr eine Staatsmetaphysik auf dem Spiel, die keine rationalen Gründe mehr für sich anführen kann, nur die irrationale identitätsstiftende Kraft, ohne die die Ich-Schwäche sich vom Untergang bedroht fühlt.
– Unverkennbar die Nähe zum Antisemitismus (der Zusammenhang mit der insbesondere in der deutschen Justiz unaufgearbeiteten Vergangenheit): Steckt nicht ein Stück jener Logik in diesem Rechtsverständnis, daß auch dem antisemitischen Begriff des „Gottesmords“ zugrundeliegt. Hegel hat den Staat einen sterblichen Gott genannt, nachdem aus der eigenen Logik des philosophischen Begriffs heraus das Absolute, der Gott der Metaphysik, sich als der Staat enthüllt hatte: Nur dieser Gott kann Opfer eines Mordes werden. War die raf nicht doch ein willkommenes Ersatzobjekt für die der öffentlichen Diskriminierung entzogenen Juden? Konnten hier nicht endlich wieder die gleichen Haß- und Racheinstinkte mobilisiert werden, deren Opfer dreißig Jahre vorher die Juden waren?
24.04.93
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie
Schreibe einen Kommentar