Ist das Vaterland nicht eine römische Erfindung (patria), und ist der Gottename Vater nicht dagegen gerichtet (und hat das Problem der Väter in den Evangelien überhaupt hier seine Ursache, wie z.B. das „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ oder die Frage: „Welcher Vater würde, wenn sein Kind ihn um ein Stück Brot bittet, ihm einen Stein geben“ – steckt in dieser Frage nicht die ganze Staatskritik der Evangelien)?
Die subjektive Form der äußeren Anschauung ist der Repräsentant des Gewaltmonopols des Staates im Subjekt, die subjektive Form der inneren Anschauung das Instrument seiner Vertuschung. Das gegenständliche Korrelat der subjektiven Form der inneren Anschauung ist der Hades, das Totenreich, die Hölle.
An den Gleichungen der Lorentz-Transformation läßt sich das Gesetz der Umkehrung erkennen, dem das Inertialsystem sich verdankt.
Das spezielle Relativitätsprinzip macht die vier Himmelsrichtungen (rechts und links, vorn und hinten) konvertibel, das allgemeine Relativitätsprinzip Himmel und Erde (oben und unten). Nur: Die Bewegung des fallenden Fahrstuhls ist nicht umkehrbar. Das aber heißt, daß die Beziehung von oben und unten genau durch die Operation, die sie reversibel macht, irreversibel wird.
Ähnlich sind die Staatsschutzprozesse als politische Prozesse Prozesse der Entpolitisierung.
Während das Strafrecht sonst dem Trägheitsgesetz, der Mechanik korrespondiert, korrespondiert das Staatsschutzrecht dem Gesetz der Schwere, das nur über die Identität von träger und schwerer Masse dem Trägheitsgesetz kompatibel gemacht werden kann. Der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ gilt unmittelbar nur fürs Strafrecht, dessen Grenze er definiert; in den Staatsschutzverfahren, die die Grenzen des Strafrechts ausloten, wird er zum Prinzip und zur Grundlage der Verfahren. Staatsschutzverfahren suchen (durch Anwendung der Logik des Schuldverschubsystems) den schwerelosen Zustand herzustellen, der das Innere des fallenden Fahrstuhls definiert. Staatsschutzverfahren gehorchen zwangshaft und blind dem Unschuldstrieb des Staates, der ihn vollends böse macht.
An dem Bild des frei fallenden Fahrstuhls läßt sich die Beziehung der Naturwissenschaft zur politischen Ökonomie demonstrieren und klären: Im frei fallenden Fahrstuhl ist das Kausalverhältnis eindeutig von seinem Bewegungszustand auf den Zustand im Innern des Fahrstuhls gerichtet. Im Bereich der politischen Ökonomie kehren sich die Verhältnisse um: Der Versuch, im Innern eines ökonomischen Systems einen schwerefreien Zustand herzustellen, versetzt dieses System in den Zustand des freien Falls. Das Problem der Beziehung von Naturwissenschaft und Ökonomie ist das Problem der Reversibilität (die dem Unschuldstrieb folgende Unfähigkeit zur Schuldreflexion macht die Schuld erst irreversibel, sie zerstört die Sprache, die von der Idee der Reversibilität der Schuld: von der Idee der Umkehr lebt).
Laborbedingungen sind Exkulpationsbedingungen: Sie gehorchen dem Schuldverschubsystem und haben den gleichen Effekt wie Schlachthäuser, Irrenhäuser, Gefängnisse („Zuchthäuser“). Gründet die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, nicht in dieser Konstellation? Die sechs Richtungen des Raumes sind insgesamt dann noch mal auf die Irreversibilität der Zeit versiegelt: das ist das siebte Siegel; deshalb ist der siebte Tag der Tag der Ruhe (und der Menschensohn der Herr des Sabbat). Das „ruhende Inertialsystem“ (das zwangsläufig in zwei Versionen sich konstruieren läßt) ist die absolute Parodie des Sabbat.
Gehorsam und Hören: Die Grenze zu den Barbaren ist die Grenze der sprachlichen Kommunikation. An der gleichen Grenze erfolgte die Erfindung der alphabetischen Schrift bei den ersten Handelsvölkern (der erste Handel war Fernhandel), den Phöniziern. Ist nicht die griechische Sprache eine Folge der Erfindung der Schrift: Ist nicht die innere sprachlogische Ausgestaltung des Griechischen der zweite Schritt, der dieser Sprache (wie das Aramäische dem Hebräischen) den Charakter einer Verkehrssprache verliehen hat? Hier erst ist diese Schrift zivilisationsbegründend („hellenistisch“) geworden.
Haben die Inder das Wissen, die Griechen die Natur und die Römer die Welt erfunden? Ein Prozeß mit einer merkwürdigen logischen und zeitlichen Verschiebung: Er beginnt mit den „Veden“ und vollendet sich mit einer über die Araber vermittelten indischen Erfindung: mit der Erfindung der Null, die die moderne Algebra und die Konstruktion des Inertialsystems überhaupt erst ermöglichte.
Was vermag das Sündenbocksyndrom und das Konzept der wechselseitigen Begründung des Heiligen und der Gewalt zu leisten im Hinblick auf die Selbstaufklärung des Begriffs der Öffentlichkeit (Hinrichtungen waren und Strafprozesse sind öffentlich)?
Haben nicht die Staatschutzprozesse aus den Fehlern des Volksgerichtshofs gelernt? Ist nicht diese unheilige Trinität aus BKA, BAW und Staatsschutzsenaten ein Versuch, das Vorurteil zu rationalisieren, es technisch verfügbar zu machen? Oder anders: Ist nicht der Begriff der „Organisierten Kriminalität“ (und sind nicht einige andere ähnliche Konstrukte) auch ein Stück Projektion, steckt dain nicht etwas, in dem der Staat sich selbst wiedererkennen müßte? Sind nicht die mafiösen Strukturen, die ihren Namen von der italienischen Mafia haben, heute dagegen exemplifiziert werden an Organisationen, die aus China, aus Vietnam, aus Rußland oder aus Rumänien stammen, ein Abbild von Strukturen, die unter dem logischen Zwang der Aufgaben in staatlichen Einrichtungen sich herausgebildet haben und erkennen lassen? Sind nicht die Formen der „Organisierten Kriminalität“ Reflexionsformen des „freien Marktes“, und dienen die Hinweise auf die „Organisierte Kriminalität“ nicht mittlerweile als Alibi für die entsprechende Ausgestaltung der Einrichtungen, die sie bekämpfen (und zugleich auf andere Aufgaben sich vorbereiten) sollen ? Ist das nicht eine der Folgen der Feindbildlogik, die seit je mit dem Hinweis auf den Feind bewußtlos die eigene Angleichung an den Feind betrieben hat?
Sind nicht alle Feindbilder: Organisierte Kriminalität (Mafia), Terrorismus (Iran, Libyen, PKK, IRA, ETA, Fundamentalismus, insbesondere der Islam) zugleich Bilder von feindlichen oder verbrecherischen Organisationen ausländischer Herkunft oder des Internationalismus im Innern des Staates? In den gleichen Kontext gehört das Wiederaufleben der Religions- und Weltanschauungskriege.
Gehören hierher nicht die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und im Anblick der aus dem Bann des Ost-West-Konflikts herausgetretenen Ökonomie (Globalisierung, Freisetzung der Kräfte des „freien Marktes“, „Reform“ des Sozialstaats) notwendigen Versuche der Reorganisation (der Neudefinition der Aufgaben) der Militärapparate, der Geheimdienste, der Terrorismus- und der Kriminalitätsbekämpfung?
Ähnlich wie die Privatisierung des Fernsehens die Medienlandschaft verwüstet hat, verwüsten die Privatisierung staatlicher Aufgaben die Politik und die Staatsschutzprozesse den Rechtsstaat.
Lassen sich nicht heute schon die mafiösen Strukturen in der Politik an Parteien festmachen: an der Komplizenschaft von Religion und intriganter Machtpolitik, an der Speerspitze des Neoliberalismus, der nur noch die Interessen seiner Klientel vertritt, und an der Einbindung der Sozialdemokratie, die für sich selbst das „Bangemachen gilt nicht“ längst außer Kraft gesetzt hat?
Das Problem läßt sich am Beispiel Helmut Schmidt demonstrieren, der einmal den Ermittlungsbehörden und den Gerichten die Weisung mitgegeben hat, in der Terrorismus-Bekämpfung „bis an die Grenze des Rechtsstaats“ zu gehen, während er in der Frage der Währungspolitik der Deutschen Bundesbank seine kritische Reflexionsfähigkeit sich bewahrt zu haben scheint.
Ähnlich die Kirche, die die Spannung ihre eigenen inneren Widerspruchs (des Widerspruchs zwischen dogmatischer und moralischer Tradition und den materiellen Zwängen des ökonomischen Weltzustandes) heute bis zum Zerreißen an sich selbst erfährt (die Last, unter der sie steht, ist in der Gestalt des gegenwärtigen Papstes, der kein Zyniker ist, aber trotzdem das Opus Dei stützt und seiner Hilfe sich bedient, geradezu sinnlich erfahrbar). Die Kirche in Deutschland dagegen scheint allein an der repressiven Sexualmoral zu leiden, während sie das Problem des Dogmas, des Bekenntnisses, der Orthodoxie nicht sieht und die ökonomischen Weltprobleme nur bis zu dem Punkt zu sehen scheint, an dem sie beginnen, den eigenen Status in Frage zu stellen.
Es gibt nicht mehr den einen Angelpunkt, an dem alle Probleme sich festmachen lassen. Ist nicht das Problem heute in der Schrift schon präzise bezeichnet: in der Geschichte der drei Leugnungen und in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern (in den Gestalten des Petrus und der Maria Magdalena).
Zu verweisen ist insbesondere auf die sieben unreinen Geister, von denen keiner mehr für sich alleine in Anspruch nehmen darf, den Angelpunkt der Lösung der Weltprobleme zu bezeichnen.
Zu René Girard: Ist nicht das Lamm Gottes, das würdig ist, die sieben Siegel zu lösen, die Umkehrung der Perspektive des Sündenbock-Syndroms?
Nicht in der Sonne und nicht im Mond, aber auch nicht in Jupiter und Mars oder Venus und Merkur, sondern im Saturn, und dann erst in der Konstellation der anderen „Planeten“, ist die Lösung der Welträtsel beschlossen. In den vergeblichen Versuchen der sechs anderen Planeten, in sich selbst die Imago der Ruhe nachzubilden, die im Saturn ihren Grenzbegriff findet. Die Abbilder des ruhenden Zentrums sind allesamt Verführungen des Unschuldstriebs.
Venus und Merkur: Liegt die Exogamie nicht noch vor dem Ursprung des Fernhandels?
Jupiter und Mars: Liegt der Krieg vor der Konstituierung des Rechtsstaats?
Adornos Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt war ein saturnisches Konzept.
Was hat diese ganze Geschichte mit dem Wasser und dem Feuer zu tun, mit der Taufe und dem Geist?
24.11.1996
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