Sünde und Schuld, Schuld und Aussatz (Pest?): Sünde und Schuld sind zu unterscheiden wie Natur und Welt, wie Herrschafts- und Schuldzusammenhang. Der Verblendungszusammenhang gründet in der Nichtunterscheidung. Als Getrennte wird die Schuld manifest in dem, was die Schrift Aussatz (ein Abkömmling der Scham) nennt.
Zur Quellentheorie:
– Ist sie nicht insgesamt apriori: Wird nicht das herausgelesen, was man zuvor hineingelesen hat (das zugrunde gelegte Identitätsprinzip)? Dieses Apriori ist zugleich ein nationalistisches und ein christliches (der „historisch interessierte Christ“).
– Kann es sein, daß die historische Bibelkritik als eine christliche, theologische Angelegenheit, auf ein im deutschen Protestantismus gewachsenes Selbstverständnis (auf einen sehr protestantischen Begriff der Erlösung: Rechtfertigung durch Entsühnung der Welt als theologische Freigabe eines säkularisierten Weltverständnisses) zurückgeht (Leidensgeschichte als eines „zwar geschichtlichen, aber doch schon als übergeschichtlich gewerteten Geschehens“)?
– Gibt es nicht eine merkwürdige Beziehung (vielleicht gar Parallele) der vier Quellen zum Charakter der vier Evangelien (möglicherweise sogar eine konkrete Zuordnung beider?
– Ist nicht die Vorstellung, daß die vier (oder auch nur die drei ersten) Quellen aus einer gemeinsamen Quelle herrühren und die jüngeren „aus dem noch nicht versiegten Quell der Sagenbildung geschöpft“ hätten, in sich widersprüchlich (gar, wenn die Redaktoren nur „Kompilatoren“ sein sollen, in den Text nicht eingreifen)?
Die Quellentheorie vermag weder die „weitgehende Parallelität“ des Erzählgutes zu erklären, noch die Notwendigkeit, dieses differierende Traditionsgut dann so zu kompilieren, daß gleichsam willkürlich und ohne innere Logik bloß eine Kollage hergestellt wird. Erinnert an die Zwangslogik der physikalischen Atomtheorien heute.
Im Angesicht Gottes wird die Schrift zu einem nach allen Seiten durchsichtigen Körper, während jeder Blick von außen die Schrift verdunkelt.
Ist nicht die historische Bibelkritik schon im Ansatz, und nicht erst bei ihren radikalen Exponenten, antisemitisch? „Den Griechen eine Torheit, den Juden ein Ärgernis“: Nachdem die Theologie selber der griechischen Torheit verfallen ist, blieb nur die projektive Verarbeitung des jüdischen „Ärgernisses“, das so nur als Verstocktheit und als Angriff auf die glasklare Wahrheit des Christentums (die dann freilich teuer erkauft worden ist) verstanden werden konnte. Wäre nicht endlich die produktive (das Evangelien-Problem mit einbegreifenden) Anwendung der Rosenzweigschen Bemerkung zur Bedeutung des Redaktors an der Zeit?
Projektive Schuldverarbeitung: „den Spieß umkehren“.
Das Verhältnis der vorweltlichen Stammes- (in L) zu den innerweltlichen Familiengeschichten (in J und E) wäre genauer zu bestimmen. Sind die „Quellen“ nicht schlicht und einfach verschiedene Gestalten der Vergegenständlichung, die, indem sie aufeinander sich beziehen, sich gegenseitig überhaupt erst erhellen? Voraussetzung des Schriftverständnisses ist die Kritik des Prinzips der Vergegenständlichung (die Lösung des Banns der Frage, was sich der Autor wohl dabei gedacht haben mag).
Haben die „vier Quellen“ etwas mit der Standwendung „Stämme, Völker, Nationen und Sprachen“ zu tun?
Sind nicht die alten Sprachen Kunstprodukte, erzeugt aus der Logik der Schrift (die die innere Form der Sprache verändert hat)? Und ist es nicht allein die Bibel, in der diese Logik der Schrift, ihr logisch-ästhetischer Zusammenhang, selber reflektiert wird? Zu erinnern ist daran, daß diese „Logik der Schrift“ auch historisch-gesellschaftliche Implikationen in sich enthält, daß sie wie die Geschichte des Ursprungs der Schrift, verbunden ist mit
– der Entwicklung der Stadt und des Staates (Privateigentum und Recht),
– den Anfängen der Naturerkenntnis (zentral die Astronomie),
– dem Ursprung und der Geschichte des Tempels (Priestertum und Opferreligion, auch Ursprung und Geschichte der Architektur und der Kunst),
– dem Ursprung des Geldes und der Geldwirtschaft (im Kontext der Tempelwirtschaft),
die insgesamt ein großes logisches Kontinuum bilden, zu dessen Grundlagen die Schrift gehört.
Ist nicht das Ökologie-Problem, das in dieser Zuspitzung ein sehr deutsches Problem ist, ebenso sehr real wie Teil eines riesigen Projektions-, Schuldverschub- und Entlastungssystems, Produkt der Anwendung des Schuldverschubsystems auf die technische Zivilisation? Verschärft wird das Problem durch das systembegründende selbstreferentielle Moment im Ökologie-Konstrukt. Modell ist die Hegelsche Logik, nach der die Idee, wenn sie sich selbst begreift, die Natur frei aus sich entläßt. In dieser Selbstentäußerung macht sich die Idee selbst unkenntlich.
„Die Aussätzigen werden rein, und den Armen wird die frohe Botschaft verkündet“: Ist nicht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, zugleich das apokalyptische Lamm, das berufen ist, die sieben Siegel zu lösen, und wird das nicht in dem Jesus-Wort an Johannes konkret? Und stellt sich nicht hier auch die Beziehung zu der Geschichte von den sieben unreinen Geistern her?
Der Aussatz ist der Aussatz des Fleisches, der Kleidung und des Hauses.
„Ich bin der Herr, euer Gott. Ihr sollt keine fremden Götter neben mir haben“: Ist nicht das „Keine fremden Götter neben mir“ der Kern der Kritik des Weltbegriffs? Gehören nicht die „anderen Götter neben ihm“ zur Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs, zur Begründung und Entfaltung der Logik des Satzes „Das Eine ist das Andere des Anderen“, dessen Kraft einzig an Gott zerbricht?
Ist die Hegelsche Ableitung des Monarchen aus der Logik der Rechtsphilosophie nicht schon vorgebildet im kantischen „Ich denke“ (und eine logische Konsequenz aus dem idealistischen Ich = Ich)?
Hatten die Erwachsenen, die uns, als wir noch jung waren, entgegenhielten: Auch du wirst es noch erfahren, nicht recht (die Welt ist tatsächlich so)? Aber hatte nicht auch wir recht, wenn wir uns durch diesen Satz (und durch den Zustand der Welt) nicht dumm machen lassen wollten?
„Grauen ringsum“ (zu Ps 3114 vgl. Jer 203.10)
Sind nicht in der Geschichte vom Sündenfall die Elemente der Erkenntiskritik beieinander:
– der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen,
– das „Ihr werdet sein wie Gott“ und
– die Instrumentalisierung der Sprache durch die Schlange und die Rechtfertigungslogik in den Antworten Adams, Evas und der Schlange an Gott.
Kephas und Petrus ist aramäisch und griechisch.
Hat nicht die Benjaminsche Kritik der Vorstellung des Zeitkontinuums auch einen innerphysikalischen Aspekt: In der speziellen Relativitätstheorie wird das Zeitkontinuum, das Inertialsystem, dessen Voraussetzung die Vorstellung des Zeitkontinuums ist, nur durch seine Auflösung und Sprengung hindurch gerettet und stabilisiert.
26.09.93
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