26.12.91

„Persönliche Rachsucht hält die Gefolgschaft und ihren Meister besser zusammen, als reinere Menschen durch ihre Leidenschaft jemals verbunden werden.“ (Heinrich Mann, S. 57f) Rachsucht bleibt immer straffrei, wenn sie auf Macht gründet und sich als Rechtstaat kostümiert. Sie ist der unsichbar gemachte Teil der Bekenntnislogik, der sich seit je am Abtrünnigen, am Verräter, an dem, der anders ist, ohne Skrupel ausleben darf. Die letzten Skrupel waren im Kampf gegen den inneren Schweinehund zu überwinden.
Das „renovabis faciem terrae“: schließt es nicht auch die Erneuerung des Antlitzes der Menschheit mit ein, die ein Teil der Erde ist.
Alle Theorien über den Ursprung der Schrift kranken daran, daß sie eine gleichsam technologische Lösung des Problems suchen; sie gehen vom Komplizierten zum Einfachen, vom Bild über die Silbe zum Buchstaben, aus dem die Wörter sich bilden lassen. Sie stehen unter dem Bann des kindlichen Lesenlernens. Dagegen käme es darauf an, die Schrift aus praktischen Konstellationen der frühgeschichtlichen Lebenswelt in den ersten politischen Gemeinwesen, aus gesellschaftlich-praktischen Lebensbezügen abzuleiten, ähnlich wie Gunnar Heinsohn das Geld aus dem Zusammenhang der Schuldknechtschaft abgeleitet hat. Voraussetzung wäre die Rekonstruktion eines vorödipalen Sprachverständnisses, eines Sprachverständnisses, das vor der Konstituierung der Ichidentität liegt.
Die Schrift und das Geld sind Herrschaftsmittel; beide haben ihren Ursprung in religiös-politischen Zusammenhängen. So wie im Mittelalter der Gebrauch des Geldes durch das Zinsverbot eingeschränkt war, so begründeten Schriftkenntnisse, die Tatsache, daß einer lesen konnte, den Verdacht, er sei ein Katharer, ein Ketzer. Auch über der Schrift lag ein Tabu, das in der Frühgeschichte der modernen Weltreligionen in der Kanonbildung (zusammen mit der Bildung der Ichidentität, für die sie das theologische Schema lieferte) und dann in der frühen scholastischen Wissenschaftsgeschichte u.a. im autoritären Schriftgebrauch, in der Form, in der Autoritäten zitiert wurden, sich zeigte. Die Schrift war ein Instrument in den Händen der Herrschaft und zugleich das Medium ihrer Vergesellschaftung. Die Gründung der Universitäten war ein Instrument der Herrschaftssicherung, ihr Ziel waren Einrichtungen zur Ausbildung des Herrschafts- und Verwaltungspersonals: die wichtigsten Fakultäten waren die theologischen und die juristischen.
Im Altertum gehörte die Schrift zum Geheim- und Spezialwissen im Bereich von Religion und Herrschaft. Schreiber und Einrichtungen zur Ausbildung von Schreibern gab es an Tempeln und Königshöfen. Was war das Besondere, das Abweichende, das dann bei den Phönikern, den Syrern, den Hebräern zur Ausbildung der alphabetischen Schrift geführt hat, deren Rezeption in Europa (bei den Griechen und Lateinern) dann die Entstehung einer bürgerlichen Literatur ermöglichte?
Hat die Gematria etwas mit der Geometrie zu tun, und hat die Schrift ihren Ursprung vor der Geometrie?
Was hat es zu bedeuten, wenn in der Kindheitsgeschichte Jesu (nach Matthäus; Lukas hat nur die Hirten- und Engelgeschichte) zuerst die Weisen aus dem Morgenlande kommen, dadurch aber die Flucht nach Ägypten ausgelöst wird, die dann die Exodusgeschichte zitiert.


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