27.10.91

Es hilft nichts, man muß zu dem Punkt, den die Gottesidee bezeichnet, seinen Anker auswerfen, um aus dem Verblendungszusammenhang ausbrechen zu können.
Bezeichnet das Bekenntnis des Namens nicht auch das Nachfolgegebot? Das Bekenntnis „zu“ etwas ist ein Bekenntnis im Rahmen von Komplizenschaft (Gemeinschaftskitt), das Bekenntnis zu einer apriorischen Kollektivschuld.
Adam beruft sich auf Eva, Eva auf die Schlange; dann verflucht Gott die Schlange, dann Eva und am Ende Adam (und die Erde).
Waren die drei Weisen aus dem Morgenland Chaldäer? Und worauf bezieht sich der Satz „Wir haben seinen Stern gesehen“.
Hängt der Mord des Ägypters durch Moses mit der Anwesenheit des Paulus bei der Steinigung des Stephanus zusammen?
Schizophrenie-Lernen ist das einzige Mittel gegen die Identitätssucht. Wenn die Idolatrie ein Mittel zur Stabilisierung der Begriffsbildung, zur Durchsetzung der Herrschaft des Tauschprinzips, war, dann ist die Philosophie die Verinnerlichung der Idolatrie.
Die Bedeutung dessen, was mit dem Angesicht Gottes bezeichnet wird, wäre verständlicher, wenn man sich daran erinnern könnte, was der erste Blickkontakt mit der Mutter für einen selbst bedeutet hat.
Zu den Frauen im Stammbaum Jesu:
– Rahab ist eine Errettete aus Jericho (und war zuvor eine Dirne).
– Rut ist eine Moabiterin, ihre Geschichte weist zurück auf die des Weibes und der Töchter Lots, auf die die Errettung aus Sodom, den Anblick der Katastrophe und das Erstarren zur Salzsäule, sowie den Inzest (nachdem Lot sie den Männern Sodoms hat preisgeben wollen).
– Tamar hat es mit ihrem Schwiegervater getrieben; ihr Schwager war Onan.
– Bethseba war die Frau des Urias (des Hethiters); aber der Stammbaum Jesu geht über den Ehebruch mit David.
Hier kommen fast alle Perversionen vor. Und hier ist mit Händen zu greifen, wie die christliche Sexualmoral den unbefangenen Blick auf die Bibel verstellt. Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer unrecht“ ist ein Prinzip der Exegese. Die christliche Sexualmoral ist eine Gottesfurcht-Vermeidungs- und -Verhinderungsstrategie. Sie substituiert der Gottesfurcht die Herrenfurcht, subsumiert die Religion unter die Welt – Ergebnis der Rezeption der Philosophie, der Verinnerlichung des Schicksals als Prinzip der Begriffsbildung.
Nur der Gott, der die Welt erschaffen hat, hat auch das Wasser erschaffen; der Gott, der im Anfang Himmel und Erde erschuf, hat nicht das Wasser erschaffen, für ihn war es mit der Finsternis gleichsam als Nebenprodukt der Schöpfung da.
Bubers Problem scheint seine Art des Archaismus zu sein, die mit seinem ambivalenten Verhältnis zum Christentum zusammenhängt. An den chassidischen Erzählungen kann man wahrnehmen, wie er dazu neigt, hier gleichsam einen Evangelienton hereinzubringen. Seine Arbeiten zur Schrift, auch seine Bibel-Übersetzung erinnern eher an feudalzeitliche (mittelalter-christliche) Verhältnisse als an altorientalische. Hier scheint er einem Einfluß zu unterliegen, der aus christlichen Traditionen stammt: der Bekenntnislogik und dem darin begründeten Religionsverständnis. Wie auf andere Weise Drewermann steht auch Buber unter dem Bann des gleichen Prinzips, gegen das er anzukämpfen versucht. Buber hat ein gleichsam konfessionelles Verständnis des Judentums; das macht es, daß er von Christen „besser“ verstanden wurde als von Juden. Hier lag die Differenz zwischen Buber und Rosenzweig: Gegen dieses Selbstverständnis Bubers richtete sich Rosenzweigs Kritik des Religionsbegriffs (Buber war ihm zu „religiös“, und „Gott hat nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen“).
Ab wann und wo kommt in der Bibel der Begriff der Welt vor? Luther scheint nicht selten „alle Welt“ einzusetzen, wo es eigentlich „die ganze Erde“ heißen müßte.
Der Sympathisantenbegriff war ein Namenstabu.
Das Bekenntnis hat präzise die Struktur und die Wirkung des Vorurteils; deshalb ist der Antisemitismus das Grundvorurteil (und z.B. die Ausländerfeindschaft ein Derivat des Antisemitismus). Das Bekenntnis hält der Frage cui bono nicht stand. Und das Bekenntnis spaltet die Schrift auf in das Reich der Erscheinungen (Produkt der wissenschaftlichen Bibelkritik) und das unerkennbare Ding an sich. Das Bekenntnis verwandelt jede Erkenntnis in Apologetik. Es fördert das Selbstmitleid und verwandelt das parakletische Denken in ein apologetisches Denken (Verschiebung der Armut und Fremdheit ins Selbst). Dieser Konfessionalismus wird durch die Physik gestützt.
Die Umkehr und die sieben unreinen Geister: Maria Magdalene als Heilige der endgültigen Umkehr.
Das „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“ hat etwas zu tun mit
– der Übernahme der Schuld der Welt und mit
– der Einheit von Lehren und Lernen: Es gibt kein Lehren, das nicht gemeinsames Lernen ist. „Überzeugen ist unfruchtbar“.
Götzendienst, Bilderdienst und Sternendienst gehören zusammen und lassen sich nicht voneinander trennen.


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