Wichtiger Hinweis auf den Zusammenhang von Gebet und Versöhnung bei Mk (1125). Gibt es dazu Parallelstellen bei den anderen Evangelisten? (Nur Mt 523, hier jedoch nicht aufs Gebet, sondern aufs Opfer bezogen.)
Beim Opfer ist nur von der Versöhnung „mit dem Bruder“ die Rede (ist nicht die Ver-„söhn“-ung, die an die Vater-Sohn-Beziehung in der Trinität erinnert, ein patriarchalischer Begriff; ist der Begriff der „Versöhnung“ auf „Töchter“ oder „Schwestern“ überhaupt anwendbar)? Verweist das nicht (ähnlich wie die „Brüder“ in den Apostel-Briefen, vielleicht sogar im Zusammenhang damit) auf eine Grenze in der christlichen Botschaft (auf die Funktion des Kelchsymbols im NT)? Liegt hier der Grund, daß Frauen keine Bekennerinnen sein konnten und ihnen nur der Weg der Virginitas, der „Unschuld“, offenblieb? Es gibt nur eine Stelle in den Evangelien, an der die Sündenvergebung auf Frauen bezogen wird – außer bei Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde. Zur Ehebrechering hatte Jesus gesagt: „Auch ich verurteile dich nicht; geh, sündige von jetzt an nicht mehr“, von einer Vergebung der Sünden ist nicht die Rede. Nur von der „großen Sünderin“ heißt es, daß ihr viel vergeben werden wird, da sie viel geliebt hat, und anschließend: „Deine Sünden sind dir vergeben“.
Hat das Christentum mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu nicht einen Weg der Verinnerlichung beschritten, der der Erlösung jede Möglichkeit, sich öffentlich und materiell zu manifestieren, den Weg verbaut hat?
Kritik an Belo würde anzusetzen haben bei der unzureichenden Berücksichtigung symbolischer Begriffe (insbesondere des Kelchsymbols) und beim unkritischen Gebrauch des Mythos-Begriffs (die Unterscheidung von Himmel und Erde ist nur dann mythisch, wenn der Weltbegriff der Dialektik der Aufklärung enthoben ist: wenn der mythische Bann, den er auf die Dinge legt, verdrängt und geleugnet wird.
Ist nicht der „Greuel der Verwüstung“ nach der Geschichte der Verinnerlichung des Tempels (der Verinnerlichung des Opfers) anders zu lokalisieren: nämlich im Subjekt selber (im Selbst)?
Ist nicht die Orthogonalität, die, nachdem sie in der Theologie als Orthodoxie sich durchgesetzt hat, in der Sprache als Orthographie sich durchsetzt, Produkt und Manifestation der Unterdrückung und Verdrängung der Barmherzigkeit, der dann nur noch die Möglichkeit verblieben ist, als Hysterie sich zu äußern?
Die Naturwissenschaften haben das Erbe des Kampfes der Orthodoxie gegen die Häresien angetreten: Sie sind ein Opfer der Illusion geworden, es genüge, entgegenstehende Anschauungen zu widerlegen. Der Verdrängungsprozeß, der in der Bildungsgeschichte der Orthodoxie sich durchgesetzt hat, setzt sich fort in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung.
Müßten wir nicht in einer Welt, in der die Normalität zum Ausdruck tiefer psychotischer Störungen zu werden droht, während in den Psychosen die Normalität hilflos vor der Welt kapituliert, aufhören, das neutestamentliche Phänomen der Besessenheit psychiatrisch zu interpretieren?
27.11.1994
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